"Ich verstehe ehrlich gesagt dein Problem nicht." Lynn betrachtete mich mit einer Mischung aus Missgunst und Fassungslosigkeit, als könne sie nicht verstehen, wie mich der Gedanke an eine Zwangsheirat mit dem Thronfolger Navars so dermaßen abschrecken konnte.
Zugegeben, vielleicht gab es wirklich einige Mädchen in Nisu, die von solch einer Wendung des Schicksals nur träumten, doch ich war definitiv keines davon.
Mit einer ungeduldigen Handbewegung bedeutete ich meiner Schwester weiterzuarbeiten, während ich selbst voller Inbrunst die Heugabel in den Strohballen stach und die goldenen Halme zu einem kleinen Haufen zusammenkehrte.
Lynn schien allerdings mit ihrer unnötigen Tirade noch nicht fertig zu sein. Zwar fasste sie nach der zweiten Gabel, welche sie zuvor an die Wand hinter ihr gelehnt hatte, doch anstatt mir damit Hilfe zu leisten, stützte sie sich lediglich daran ab und musterte mich.
"Ich verstehe auch nicht, warum er ausgerechnet dich will." Nachdenklich neigte sie den Kopf zur Seite und kniff kritisch die Augen zusammen. "Ich hab dich lieb, Schwesterherz, aber von all den weiblichen Wesen, die Navar zu bieten hat, bist du nicht gerade ein Hauptgewinn."
Ich stieß ein frustriertes Stöhnen aus, warf die Heugabel in den Strohhaufen und stütze genervt meine Hände in die Seiten: "Ach ja? Was wäre denn ein Hauptgewinn? Du etwa?"
Die Nachricht, dass König Cedrik die Verlobung von Prinz Jayce und mir auf der Geburtstagsfeier von irgendeinem blaublütigen Schnösel bekanntgegeben hatte, war in dem Königreich eingeschlagen wie eine Bombe.
Selbst ich war überrascht gewesen, obwohl ich nur wenige Tage zuvor eingeweiht wurde. Unter meinem lauten Protestgebrüll hatten meine Eltern nämlich ihre Einwilligung zu meiner Hochzeit unterzeichnet und mit einem breitem Lächeln dem königlichen Dienstboten übergeben.
Ich hatte keine Ahnung warum Prinz Jayce ausgerechnet ein Auge auf mich geworfen hatte. Ich war ihm nie begegnet und soweit ich informiert bin, hatte er mich auch nie auf irgendwelchen Fotos oder Zeichnungen zu Gesicht bekommen.
Vermutlich war es einfach mein Stand, der eine Hochzeit für ihn interessant machte. Als älteste Tochter des begehrtesten Pferdezüchters in Nisu war ich ein Teil der gehobeneren Gesellschaft und hatte natürlich auch einige finanzielle Vorzüge zu bieten.
Aber unter normalen Umständen würde diese Tatsache niemals genügen, um die Aufmerksamkeit des Adels auf sich zu lenken.
"Nun ja, eigentlich schon. Ja." Lynns selbstgefällige Stimme riss mich aus meinen Gedanken.
Meine Schwester strich sich gerade die dunklen, glatten Haare hinters Ohr und lächelte verträumt vor sich hin.
"Ich bin hübsch und süß. Intelligent. Ich habe bessere Manieren als du", begann sie auch schon munter aufzuzählen und lächelte breiter, als sie meine abwehrende Handbewegung bemerkte.
"Zudem hätte ich nichts dagegen, diesem Schnuckelchen mein Ja-Wort zu geben. Wir können doch tauschen, oder? Er weiß doch gar nicht, wie du aussiehst. Und sind wir ehrlich, hätte er die Wahl, wäre ich die Auserwählte."
Langsam konnte ich diesen Mist wirklich nicht mehr hören.
Lynns versnobte Persönlichkeit war mir schon immer zuwider gewesen, doch noch nie hatten sich ihre abwertenden Worte gegen mich gerichtet. Zumindest nicht in diesem Ausmaß.
Zeit für die große Schwester ein Machtwort zu sprechen, damit dieses freche Gör endlich ihr verdammtes Schandmaul hielt und ihre Arbeit verrichtete, wie es ihr unser Vater aufgetragen hatte.
"Er hatte die Wahl und sie fiel auf mich. Finde dich damit ab Lynn, dass du in diesen Ställen vergammeln wirst, während ich im Palast Cocktails schlürfe."
Mit größter Genugtuung beobachtete ich, wie das hinterhältige Lächeln augenblicklich von dem Gesicht meiner Schwester verschwand und sich ihre Lippen stattdessen zu einer schmalen Linie zusammenzogen.
"Immerhin bin ich jetzt Haupterbin", knurrte sie, während sie endlich damit anfing, Stroh von dem Ballen zu brechen.
Zufrieden hob ich meine Gabel und schob das Stroh hinaus in die Stallgassen, wo mein kleiner Bruder Chris es bereits in den Boxen verteilte.
"Lebst du dann künftig im Palast? Sehen wir dich dann überhaupt noch?" Mit seinen großen, unschuldigen Augen wandte sich Chris an mich.
"Natürlich seht ihr mich noch. Ich nehme euch einfach mit. Alle bis auf Lynn", erwiderte ich mit einem sanften Lächeln und strich ihm aufmunternd durch die dunklen Haare.
Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, welche Schritte das Königshaus als nächstes einleiten wird.
Würden sie mich überhaupt im Schloss dulden? Durfte meine Familie mich besuchen? Musste ich meine Nächte in Prinz Jayces Zimmer verbringen?
Als der Dienstbote mit dem Brief von König Cedrik und seiner Gemahlin kam, hatte ich gewütet wie ein verdammter Wirbelsturm.
Ich bin durch das gesamte Haus gefegt, hab die Familie Bairnslam verflucht, gebrüllt, meine Eltern angeschrien, als sie die Aufforderung ihrer Einwilligung mit einem glücklichen Lächeln zur Kenntnis genommen hatten.
Danach war ich in Tränen ausgebrochen. Die ersten zwei Tage hatte ich damit verbracht, mir hinter verschlossener Tür die Augen auszuheulen. Am dritten Tag hatte ich mich, mit geschwollenem Gesicht und roten Flecken, aus meinem Zimmer gewagt, langsam wieder meine täglichen Aufgaben aufgenommen und meine Eltern mit bitterem Schweigen bestraft.
Doch seit gestern fing ich an, mich langsam damit abzufinden. Immerhin war mein Protest nur auf taube Ohren gestoßen.
Ich sollte meine Energie lieber darauf verwenden, mich innerhalb der Königsfamilie so unbeliebt wie möglich zu machen.
Was half es mir, meine Eltern davon zu überzeugen, das mich eine Ehe mit dem Thronfolger Navars nicht glücklich machen konnte, wenn das Königshaus selbst noch völlig hinter dieser Idee stand?
Außerdem hatte Lynn recht. Sie hatte definitiv die besseren Manieren von uns Zwei und so wird es mir ein leichtes sein, innerhalb kürzester Zeit die Herrscher von Navar gegen mich zu bringen.
Wer will schon, das sein Adels-Sohn eine widerspenstige Normalsterbliche zur Frau nimmt? Ich würde es meinen Kindern gewiss verbieten, wäre ich in solch einer Blaublütler-Familie aufgewachsen.
Bei dem Gedanken an meinen kleinen Plan, der mich bestimmt aus meiner misslichen Lage befreien wird, zogen sich meine Mundwinkel unwillkürlich nach oben und ich konnte Chris mit mehr Zuversicht als zuvor in die blauen Augen blicken.
"Mach dir einfach keine Sorgen, ja?" Nach einem kurzen Rundblick schob ich das letzte Stroh in die Box links von mir. "Komm, hol mit Lynn die Stuten von der Weide. Es wird bald dunkel."
Ich wandte mich um, um meine Heugabel gegen einen Besen zu tauschen, um die restlichen Halme beiseite zukehren, als sich mein allerliebstes Schwesterchen mit einem kecken Lächeln aus dem Heuboden schob.
"Warum holst du nicht zusammen mit Chris die Pferde? Ich kann hier sauber machen. Das ist doch keine Arbeit für eine Prinzessin."
Ich drehte mich zu Lynn herum und kniff die Augen zusammen. Sie wusste genau, warum ich es vorzog, den Stall zu putzen anstatt Vaters Einnahmequellen zu versorgen.
Es mag für die Tochter eines Pferdezüchters ungewöhnlich sein, doch ich habe eine furchtbare Angst vor den großen Tieren.
Natürlich nicht seit meiner Kindheit. Wie denn auch, wenn ich mit diesen Monstern großgeworden bin?
Ich hatte nur ein paar unschöne und einprägsame Erlebnisse, die meine Einstellungen zu Pferden verändert hatte und das wusste Lynn ganz genau.
"Nerv mich nicht und beweg deinen verdammten Arsch zu den Weiden!", fauchte ich sie ungehalten an und als sich Lynn nicht direkt nach meinem Ausbruch bewegte, machte ich einen drohenden Schritt in ihre Richtung.
Das genügte.
So sehr sie es auch liebte, mich zu provozieren und mich zur Weißglut zu treiben, sie kannte ihre Grenzen und sie wusste, das sie gerade dabei war, eine zu überschreiten.
Mit beleidigt verzogenen Lippen wandte sie sich von mir ab.
Zufrieden beobachtete ich, wie Lynn zusammen mit Chris abzog, sodass ich mich wieder um die Sauberkeit des Stalles und meinen Plan, die Königsfamilie von meiner Unfähigkeit als Ehefrau für Prinz Jayce zu überzeugen, kümmern konnte.
✾
"Wie lange wirst du weg sein?" Evelyn streckte sich träge über mein Bett, wobei sie ihre nackten Zehen in meine Kissen kuschelte und ihre blonden Locken am Bettende hinabbaumeln ließ.
Ich zog eine Augenbraue nach oben und überlegte einen Moment, ob ich meiner besten Freundin die Kissen persönlich um die Ohren knallen sollte, oder ob eine einfache Verwarnung reichte.
Ich entschied mich für die zweite Option, aber lediglich der Faulheit wegen.
"Eve, kannst du bitte deine Stinkefüße nicht in meinen Laken vergraben? Ich schlafe da", seufzte ich und ignorierte somit ihre vorangegangene Frage.
Evelyn streckte mir die Zunge raus, zog aber artig ihre Beine an und kauerte sich in eine Embryo-Stellung, wobei sie ihre Arme um ihre Knie schlang und mich aus großen Augen heraus anstarrte. Unwillkürlich musste ich grinsen, als sie eine unschuldige Schnute zog.
"Ich inhaliere nur deinen Duft", verteidigte sie sich prompt und zwinkerte mir zu. "Immerhin wirst du mich doch total vergessen, wenn dich alle nur mehr als Ihre Majestät ansprechen." Eve hielt ein paar Sekunden inne. "Aber wenn du mir eine Welpenfarm kaufst, verzeihe ich dir."
"Unsere Freundschaft gegen eine Welpenfarm? Ja?", grinste ich und schüttelte amüsiert den Kopf.
Evelyn zuckte mit den Schultern, rollte sich auf meinem Bett herum und setzte sich auf. "Welpen machen glücklich. Und ich werde viel Freude in meinem düsteren Leben brauchen, wenn du mich für die hohle Nuss von Prinz verlässt."
Mein Grinsen wurde breiter. Es hatte mir schon immer gefallen, dass Eve und ich dieselbe Meinung über Prinz Jayce und sein königliches Gefolge teilten.
Während andere Mädchen beim Anblick des Thronfolgers weiche Knie bekamen, hatten ich und meine beste Freundin lediglich Würggeräusche übrig.
"Ich soll morgen im Palast antanzen", informierte ich Eve knapp.
Heute morgen kam ein Brief hereingeflattert, indem mir das Königshaus mitteilte, das mein Erscheinen auf einer Verlobungsparty gefragt war.
Oh, pardon. Auf meiner Verlobungsparty.
Anscheinend wollte mich die Familie Bairnslam kennenlernen.
"Wenn ich den Brief richtig verstanden habe, dauert es nur einen Abend."
Eve grinste und schüttelte ihre blonden Locken. "Was wirst du machen? Zeigst du dich als Gwendylishes oder lernen sie das böse Gör bereits schon morgen kennen? Du musst mir unbedingt alles erzählen. Ich brauche Einzelheiten, Gwen, hörst du? E-I-N-Z-E-L-H-E-I-T-E-N."
Gwendylishes? Bei Evelyns Worten runzelte ich teils belustigt und teils irritiert die Stirn.
"Ich werde noch nicht das volle Programm auffahren. Das würden mir meine Eltern nicht verzeihen." Ich zuckte etwas ratlos mit den Schultern. "Also ist böses Gör mit Stil gefragt. Ich werde einfach mal ich selbst sein, schätze ich."
Meine Freundin grinste mich spitzbübisch an und verdrehte vergnügt die Augen. "Die Ärmsten."
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