S e c h s u n d z w a n z i g | G w e n d o l y n
Ich ignorierte wiederholte Male das beherzte Klopfen an meiner Tür. Josey und Rosalie versuchten schon seit geraumer Zeit, Eintritt in meiner Zimmer zu erlangen.
Doch ich hatte keine Lust, mit einem der Beiden zu reden. Geschweige denn, sie zu sehen. Eigentlich wollte ich Niemanden sehen. Ich wollte nur alleine sein und mich unter meiner Bettdecke vergraben.
Wie hatte ich nur so dämlich sein können? Dachte ich wirklich, Jayce würde mich von heute auf morgen plötzlich mögen?
Ich fühlte mich wie ein dummes, kleines Kind, das zu viel Süßigkeiten genascht hatte und jetzt mit den Bauchschmerzen zu kämpfen hatte.
Und bei Teufelsnamen, der Verrat des Blondschädels war einer der schlimmsten Schmerzen, mit denen ich mich jemals abmühen musste.
Es war wie ein Messer, das mir mit jedem Atemzug tiefer in die Brust schnitt und ein unerträgliches Brennen verursachte. Es war, als würde ich Feuer atmen.
Es schmerzte in meinen Lungen, meinem Herzen, aber dennoch musste ich immer wieder nach Luft schnappen.
Es war einfach unerträglich.
Die vergangenen Stunden hatte ich damit verbracht, mir abwechselnd die Augen aus dem Kopf zu heulen und meine Wut darüber, Tränen für diesen Idioten zu vergossen zu haben, in mein Kissen zu schreien.
Das Endergebnis waren geschwollene, rote Lider und eine kratzige Stimme die klang, als hätte ich die gesamte Nacht den Mond angeheult.
Ich hatte definitiv schon einmal bessere Phasen durchlebt.
Von meinem Selbstmitleid abgelenkt hatte ich gar nicht bemerkt, dass das Klopfen an meiner Zimmertür einem heftigen Rütteln an der Klinke gewichen war.
Etwas irritiert hob ich meinen Kopf und lugte vorsichtig aus meiner dunklen Höhle unterhalb der Bettdecke hervor. Ungefragt mein Reich betreten zu wollen sah aber gar nicht nach der feinen Erziehung einer Prinzessin aus.
"Haut ab!", knurrte ich aus meinem Unterschlupf hervor wie ein bissiger Hund und wollte mich gerade wieder in der wohligen Wärme verkriechen, als mich eine vertraute Stimme innehalten ließ.
"Mach endlich die Tür auf, du dumme Kuh!"
Mein Herz setzte einen Schlag aus, bevor es im dreifachen Tempo gegen meine Brust donnerte. Erneut stiegen mir Tränen in die Augen und ein beklemmendes Gefühl legte sich um meinen Hals und ließ den Kloß darin dermaßen anschwellen, dass ich aufgeregt nach Luft schnappen musste.
Blitzschnell schlug ich die Decke zurück, sprang aus dem Bett und hastete zur Tür, wo ich kurzerhand den Schlüssel herumdrehte und sie öffnete, bevor ich Eve endlich laut schluchzend in die Arme fiel.
Gott, das hatte ich gebraucht. Eine Umarmung von einem Menschen, der mein Herz noch nicht achtlos auf den Boden geworfen hatte, um es in Millionen kleiner Stücke zu zertreten.
Evelyn erwiderte meine Berührung stürmisch, bugsierte mich aber zeitgleich auch mit sanftem Druck zurück in mein Zimmer. Das leise Klicken in ihrem Rücken verriet mir, dass sie die Tür geschlossen hatte, doch ich brachte es noch nicht über mich, mich von ihr zu lösen.
Ich spürte ihre warme Hand an meinem Rücken, wie sie zärtliche Kreise darüber zog und ihre leise Stimme säuselte beruhigend in mein Ohr.
Ihre Worte verstand ich nicht, aber das war egal. Alleine ihr Klang ließ mich in ihren Armen erzittern, als mich eine weitere Weinattacke überfiel.
"Ich hätte diesem Mistkerl die Eier ausreißen sollen, anstatt sie weich zu treten", knurrte Eve leise und entlockte mir damit einen kleinen Laut, von dem ich selbst nicht so recht wusste, ob er mehr einem Lachen oder einem Schluchzen glich.
"Das hast du nicht gemacht." Meine Stimme zitterte und kratze in der Luft wie Schleifpapier. Ich musste mich räuspern, um das unangenehme Gefühl aus meiner Kehle zu vertreiben.
Langsam löste sich meine Freundin aus meiner Umklammerung, doch ich brachte es noch nicht fertig, sie völlig loszulassen, weshalb wir in stummer Übereinkunft unsere Finger ineinander verhakten.
Eve hob den Blick von unseren Händen und lächelte mich an. "Es grenzt schon fast an einer Beleidigung, dass du denkst, ich hätte dem Arschloch kein Haar gekrümmt, nachdem er mir erzählt hat, was für eine Scheißaktion er sich geleistet hat. Übrigens siehst du furchtbar aus."
Ich schenkte ihr ein giftiges Lächeln, doch wirklich böse sein konnte ich ihr nicht, als ich ein genervtes "Danke" von mir gab.
Sie hatte ja recht.
Ich wagte es gar nicht, mein erbärmliches Ich im Spiegel zu betrachten. Mein Gesicht fühlte sich immer noch erhitzt an und ohne meine Finger an meine Tränensäcke zu legen wusste ich, dass ich wie ein dreijähriges Kind aussah, das man abrupt aus seinem Mittagsschlaf gerissen hatte.
Nein, danke. Diesen Anblick wollte ich meiner geschundenen Seele wirklich ersparen.
Da ich mich von meinen Weinkrämpfen ganz ausgelaugt und etwas zittrig auf den Beinen fühlte, zog ich Eve wortlos hinter mir her und ließ mich nur wenige Sekunden später auf die weiche Matratze fallen. Mit dem Gesicht voran versank ich in einem Meer aus angenehm duftendem Laken.
"Ich bin so dumm", jammerte ich in mein Kopfkissen und obwohl der Stoff meine Stimme gänzlich verschluckte, spürte ich kurz darauf Eves warme Hand, die tröstend meinen Rücken streichelte.
"Ja, schon irgendwie."
Wow. Wie aufmunternd.
Wenn ich diese ganze Misere erfolgreich durchgestanden hatte, würde ich Eve erst einmal einen Preis für die beste 'Nachtreten-wenn-sie-am-Boden-liegt-Freundin' beschaffen. Sie hatte wahrlich ein Talent darin, meine Laune auf einen noch tieferen Punkt zu bringen, wenn ich selbst dachte, ich war schon ganz unten angelangt.
"Du solltest den Kerl kastrieren, Gwen. Wirklich. Ich würde es ja gerne selbst übernehmen, aber es ist wichtig, dass du ihm jetzt zeigst, wer hier die Hosen anhat. Sonst tanzt er dir später noch auf der Nase herum." Ich konnte anhand von Eves Stimme erkennen, dass sie ihren ernsten Gesichtsausdruck aufgelegt hatte und vermutlich bedächtig nicken würde, wenn ich meinen Kopf jetzt drehen würde.
"Später? Ich werde diese dämliche Hochzeit einfach absagen und dann wars das. Dann sehe ich diesen Idioten hoffentlich nie wieder."
Als ich meinen Kopf etwas zur Seite neigte und aus dem Augenwinkel einen Blick auf meine Freundin erhaschte, hatte diese die Stirn gerunzelt. "Kannst du das? Die Verlobung einfach so lösen?"
Das war eine gute Frage. Und nein, vermutlich konnte ich das nicht. Aber alleine die Vorstellung, Jayce in ein paar Wochen am Traualter das Ja-Wort zu geben, ließ die Galle aus meinem Magen hervorschießen wie eine Schlange auf ihre anvisierte Beute.
Ich würde mir lieber selbst jeden einzelnen Finger abhacken, als dem Blondschädel mit einem seligen Lächeln gegenüber zu stehen und die glückliche, frischverliebte Ehefrau zu mimen.
Nur über meine Leiche. Scheint so, als würde der König seine Henkerskammer um einen Kopf erweitern können.
"Heißt das jetzt eigentlich, dass du eine Prinzessin bist?" Eves Frage klang spöttisch, doch in ihrer Stimme schwang lediglich die pure Neugierde mit, als sie ihre Augen auf mich richtete. "Immerhin war deine Großmutter eine Kronprinzessin, wenn ich die Flachpfeife richtig verstanden habe."
War ich eine Prinzessin? Hatte ich selbst dieses blaue Blut, was ich so sehr verabscheute, in meinen Adern fließen?
Als ich den Stammbaum der Warringtons zwischen meinen Fingern gehalten hatte und mir der Name meiner Mutter ins Auge gesprungen war, hatte ich sofort alles gewusst.
Tavia war kein besonders gängiger Vorname und ein einziger Blick auf Jayce schuldbewusste Miene hatte mir genügt, um zu wissen, dass meine alberne Befürchtung der Wahrheit entsprach. Nur genauere Gedanken hatte ich mir dazu nicht gemacht, aber Eve hatte natürlich recht.
Ich war eine direkte Nachfolgerin von Prinzessin Bele Aria Tavia Warrington, der Thronfolgerin eines Landes, das längst in Vergessenheit geraten war.
Hätte ich die dokumentierten Schmerzen und Qualen meiner Urgroßmutter nicht selbst gelesen, hätte ich aufgrund von dieser Tatsache wohl gelacht, weil die Situation dermaßen absurd war.
Ich und eine Prinzessin. Klar.
Ich war lediglich als Druckmittel gedacht, um das Schweigen meiner Familie zu sichern. Meine Verbindung mit Jayce war nicht mehr als ein einfacher Tribut.
"Ich weiß du bist sauer und möchtest dich gerade einfach nur ungestört in deinem Selbstmitleid suhlen, aber das kann ich leider nicht zu lassen. Lass uns was unternehmen. Wie wärs mit einer Schlammschlacht am See? Vielleicht treffen wir zufällig deinen Ehemann in Spe auf den Weg dorthin und können in spontan ertränken? Wie klingt das?" Ein Lächeln umspielte Eves Lippen, als sie voller Tatendrang in die Hände klatschte und mich erwartungsvoll ansah.
Zugegeben, ich hätte nichts dagegen, Jayce dämlichen Dickschädel dabei zu beobachten, wie er in den schlagenden Wellen des Sees verschwindet. Leider würde das bedeutet, dass ich ihm erneut unter die Augen treten müsste und ich wusste nicht, ob mein geschundenes Herz für diese Folter bereit war.
Dennoch erwiderte ich Eves Lächeln. "Das klingt wundervoll."
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