F ü n f u n d z w a n z i g| J a y c e
Gott, was bin ich nur für ein Idiot.
Ich hatte gewusst, dass Gwendolyn explodieren würde wie eine gottverdammte Bombe, sollte sie hinter den wahren Grund unserer Verlobung kommen. Und dennoch war ich so leichtsinnig gewesen, mein Familiengeheimnis offen ausgebreitet in meinem Zimmer zurück zu lassen, wo es meine Zukünftige auch letztendlich gefunden hatte.
Nur mit den Rückschlüssen, die ihr Kopf nach ihrem Fund ausspucken würde, damit hatte ich nicht gerechnet.
Mir war klar, dass sie toben und wüten würde wie ein Sturm, aber dass sie sich verletzt und hintergangen fühlen würde, hatte ich nicht auf dem Schirm gehabt.
Nachdem mich Gwendolyn quer durch den Elverstone Palace bugsiert hatte, war mir spätestens in meinem Zimmer klar geworden, dass ich offenbar etwas falsch gemacht hatte. Sie war sauer und es dauerte auch nicht lange, bis ich den Grund für ihre Wut erkannte - Sie war eifersüchtig!
Anscheinend hatte ich, in ihren Augen, dem Erscheinungsbild ihrer Schwester zu viel Aufmerksamkeit geschenkt und während ich mich noch über ihren kleinen Gefühlsausbruch amüsiert hatte, war Gwendolyn ein Blatt Papier in die Augen gesprungen, das sie hätte niemals sehen dürfen.
"Was ist das?", hatte sie gefragt, während sie das Blatt bereits zwischen den Händen hielt und neugierig über die Auflistung an Namen geflogen war.
Es hatte keine fünf Sekunden gedauert, bis sich zu der gerunzelten Stirn zwei tellergroße, braune Augen gesellten. Sie hatte schnell begriffen, was sie da in den Händen hielt. Und noch schneller hatte sie die Bedeutung hinter ihrem Fund verstanden.
"Der Stammbaum der Warringtons?" Fassungslos hatte sie mich angestarrt, während das Papier zwischen ihren Fingern zu zittern begann. Ihre Augen sprangen immer wieder zwischen der vergilbten Tinte und mir hin und her, bis sie ein heiseres Lachen ausstieß und von mir zurückwich.
"Deshalb wolltest du, dass ich mich nicht einmische." Ich war wirklich erstaunt darüber, wie schnell Gwendolyns Synapsen schalteten und sie das gut verborgene Geheimnis innerhalb weniger Sekunden zu lüften wusste.
Wäre ich an ihrer Stelle gewesen, hätte ich mit der Auflistung der Warringtons nicht viel anzufangen gewusst, doch das Gehirn meiner Verlobten schaltete dermaßen schnell, dass ich gar nicht die Zeit hatte, ihr das Blatt aus den Händen zu reißen, um das Schlimmste zu verhindern.
Sie hatte es bereits durchschaut. Nur ein verdammter Name und Gwendolyn wusste Bescheid.
Kleine Kristalle schwammen in ihren Augen und sie blinzelte angestrengt, um eine Überflutung in ihren wunderschönen Iren zu verhindern, die gerade so dermaßen verletzt aussahen, das es mir fast das Herz brach.
"Gwendolyn", versuchte ich leise sie zu beruhigen und streckte vorsichtig eine Hand nach ihr aus, doch wie erwartetet zuckte sie augenblicklich von mir zurück.
Sie hob den Blick und mit einem Mal lag da keine Trauer und Unsicherheit mehr in ihren Augen, sondern nur der brennende Zorn.
"Königin Aria Tavia Bele Warrington und König Adrian Amandus Forest Warrington? Mit ihrer kleinen Tochter Bele Aria Tavia Warrington im krypthochavischen Ozean verschwunden?" Verächtlich lachte sie auf und schüttelte fassungslos den Kopf. "Hattest du je vor, mir von meinen Urgroßeltern zu erzählen? Oder von meiner Oma, die ganz offensichtlich die Überfahrt überlebt hat?"
Ich war immer noch erstaunt darüber, wie schnell Gwendolyn eins und eins zusammengezählt hatte und die Frage lag mir auf der Zunge, welche Information ihr die Geheimnisse der Vergangenheit verraten hatten, doch irgendetwas sagte mir, dass es dafür gerade nicht ein besonders guter Zeitpunkt war.
Stattdessen war es meine Verlobte, die wutschnaubend nach mehr Details lechzte.
"Also ist es das Tagebuch von der ehmaligen Königin von Charviel? Warum ist es in eurem Besitz? Habt ihr sie gefoltert? Was ist aus ihr geworden? Habt sie ihr getötet? Warum? Was ist aus meiner Großmutter geworden? Warum hat sie ihren Thron nicht zurückbekommen?"
Die Fragen prasselten nur so auf mich herein und ich wusste nicht so recht, welche ich ihr zuerst beantworten sollte. Zudem ich nicht auf Alles eine Antwort parat hatte.
Etwas überfordert fuhr ich mir durch das blonde Haar und beschloss, einfach da anzusetzen, wo auch ich ihn die Geschehnisse der Vergangenheit eingeweiht wurde.
"Es gab keine Unwetter in Charviel. Es gibt sie auch heute nicht. Das Land ist völlig bewohnbar. Dieses Gerücht wurde nur von Navar und Krypthon gestreut, um ihren Angriff auf das Königreich zu vertuschen." Meine Stimme klang leise und kraftlos und insgeheim schämte ich mich für die Taten meiner Vorgänger.
Warum sich die beiden Reiche zusammengetan hatten, um die Herrscher vor Charviel zu stürzen, konnte mir mein Vater nicht so recht sagen, doch die Vermutung liegt nahe, dass es um die begehrenswerte Bodenschätze ging, die das Land zu bieten hatte und eher spärlich mit seinen Nachbarkönigreichen teilte.
"Königin Aria und König Adrian wurden gefangen genommen, doch Prinzessin Bele konnte man nicht finden und so wurde sie offiziell für tot erklärt. Erst dreißig Jahre später tauchte sie wieder auf, um meinen Großvater und die Herrscher von Krypthon zu Erpressen. Wenn ihre Enkelinnen nicht mit einem Thronfolger des jeweiligen Landes verheiratet werden, würde sie die Machenschaften der beiden Königreiche an die Öffentlichkeit tragen. Sie verzichtete auf ihr eigenes Land, wenn ihre Familie die Macht zurückerlangen würde, die sie einst gehabt hatte."
Die Wahrheit klang selbst in meinen Ohren dermaßen unwirklich, dass ich sie glatt als Lüge abstempeln würde, wenn ich es nicht selbst aus dem Mund meines Vaters gehört hätte.
"Ihr habt meine Familie ausgelöscht?" Ungläubig schnappte Gwendolyn nach Luft und schüttelte wie paralysiert den Kopf. Es war offensichtlich, dass meine Offenbarung sie verstört hatte. "Und du willst mich nur heiraten, weil dich der Wille meiner Großmutter dazu zwingt?"
Ich konnte ihr ansehen, dass sie eigentlich noch viel mehr Fragen hatte, die sie mir gerne um die Ohren knallen würde, doch als das letzte Wort ihren Mund verließ, geriet ihre Stimme ins Stocken, als sei ihr soeben etwas klar geworden.
Ein Sturm aus Gefühlen tobte in ihren dunklen Augen und ich bekam keine einzige Emotion zu fassen, um sie genauer benennen zu können.
"Deshalb warst du in den letzten Wochen so nett zu mir", entfuhr es Gwendolyn und sie starrte mich an, wie ein Hund, dem man soeben seinen Knochen weggenommen hatte. "Du wolltest mich nur um den Finger wickeln, um diese dämliche Abmachung zu erfüllen und deiner mörderischen Familie den Hintern zu retten!"
Sie wich erneut von mir zurück. So weit, bis sie mit dem Rücken gegen die Zimmertür knallte. Das Papier zitterte derweilen so stark in ihren Händen, dass sie ihre krampfhaften Finger von dem Blatt löste und es kurzer Hand zu Boden warf.
"Du hast mich nur benutzt!", fauchte sie mich an, wirbelte herum und verschwand aus der Tür.
Wie ein begossener Pudel blieb ich alleine in meinem Zimmer zurück.
♛
"Was ist passiert?" Josey betrachtete mich besorgt und lenkte somit unweigerlich auch Roses Aufmerksamkeit auf meine verdrossene Miene.
Meine Schwestern musterten mich einen Augenblick lang, ehe sie selbst einen bedeutungsvollen Blick tauschten.
"Was soll schon passiert sein", entgegnete ich und versuchte, ihre skeptischen Mienen zu ignorieren.
"Gwen ist sauer und du bist griesgrämiger als Onkel Emrick. Was hast du dieses Mal angestellt?" Rose verschränkte ihre Arme vor der Brust und legte die Stirn in Falten, während Josey sich von ihrem Platz auf der Fensterbank im Salon erhob und an meinen Ohrensessel herantrat.
"Gestern war doch noch alles in Ordnung."
Ja, das war es. Bis sie den Familienstammbaum der Warringtons, ihren Vorfahren, in meinem Zimmer gefunden hatte, weil ich mehr über die Familiengeschichte meiner Verlobten erfahren wollte. Seit gestern hatte Gwendolyn kein Wort mehr mit mir gesprochen und, bis auf ein paar flüchtige Begegnungen im Elverstone Palace, hatte ich sie auch nicht zu Gesicht bekommmen.
Laut seufzend fuhr ich mir durch das blonde Haar und warf meinen Schwestern einen kurzen Blick zu, während ich gedanklich abwegte, wie viel ich ihnen anvertrauen konnte.
Normalerweise scheute ich mich nicht davor, die Zwillinge in meine Probleme einzuweihen, aber diese Sache war nun doch komplizierter.
"Sie hat rausgefunden, dass ich über etwas Bescheid wusste ohne es ihr mitzuteilen", versuchte ich den Konflikt zwischen Gwendolyn und mir mit einfachen Worten zu erklären, doch selbst in meinen Ohren klang es nach einer lahmen Ausrede, die meinen Schwestern nicht viel weiterhelfen würde.
"Und was genau wusstest du?", hakte Josey auch sofort nach und ließ mich somit genervt aufseufzen.
Eigentlich würde ich meine Schwestern gerne in meinen Konflikt mit Gwendolyn einweihen. Sie konnten mir bestimmt hilfreiche Tips geben, wie ich dieses Schlamasel wieder geradebiegen konnte, denn ehrlich gesagt, hatte ich keine Ahnung, wie ich mich meiner Verlobten wieder annähern sollte, ohne einen kräftigen Tritt zwischen die Beine zu riskieren.
Aber irgendetwas hielt mich zurück. War es der Scham, den die Taten unserer Vorgänger bei mir hinterlassen hatten? Ich wollte nicht, dass sich Josey und Rose denselben nagenden Gedanken stellen mussten, wie ich.
"Machs nicht so spannend, Jay. Wie schlimm kann es schon sein?" Rose versuchte mich mit einem aufmunternden Lächeln zu locken, während Josey neben ihr bekräftigend nickte.
Ohne eine halbwegs befriedigende Antwort, würden mich die Beiden vermutlich weiter in die Mangel neben. Ich hatte wohl keine Wahl.
"Gwendolyn ist eine Nachfolgerin der Warringtons. Ich hab es gewusst und es ihr nicht gesagt", sprudelte es auch schon aus mir hervor, bevor ich weiter darüber nachdenken konnte.
"Du Arschloch!" Josey fixierte mich aus zusammengekniffenen Augen, während Rose über meine Erläuterung eher schockiert wirkte.
Wow. Und das war nur ein Teil der Geschichte gewesen.
Nachdem ich meinen Schwestern auch noch von der Bedienung von Gwendolyns Großmutter erzählt hatte, war Josey gar nicht mehr an sich zu halten.
Während Rose stumm vor Unglaube vor sich hinstarrte, hatte meine andere Schwester ihren Schock ziemlich schnell überwunden und zeterte wie ein kampflustiges Eichhörnchen.
Sie knallte mir diverse Beleidigungen an den Kopf, warf mir vor egoistisch und dumm zu sein und fragte mich immer wieder, was ich mir nur dabei gedacht hatte.
Ich hatte versucht, unnötige Auseinandersetzungen zu vermeiden, bei Gott! Immerhin wusste ich, wie temperamentvoll Gwendolyn sein konnte und ein ruhiges Gespräch wäre wohl nicht in ihrem Interesse gewesen.
Dennoch sah ich ein, dass meine Geheimkrämerei die Gesamtsituation nicht unbedingt positiv beeinflusst hatte.
"Gib ihr Zeit", unterbrach Rose die Schimpftirade ihrer Schwester und schenkte mir ein zuversichtliches Lächeln. "Bedräng sie einfach nicht und warte, bis sie von selbst einen Schritt auf dich zugeht."
"Aber ignorier sie nicht!", warf Josey prompt ein. "Sie darf nicht das Gefühl bekommen, dass sie dir egal ist. Beweis ihr einfach, dass die letzten Wochen kein Schauspiel waren."
Na, das klang ja überhaupt nicht kompliziert.
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