E p i l o g
An dem Tag der Invasion, als die feindlichen Truppen mit lautem TamTam über ihr kleines, friedliches Land herfielen, hatte Bele alles verloren. Ihre Stellung, ihre Heimat und ihre Familie. Mit einem Schlag war alles weg gewesen. Ohne Warnung und ohne große Umschweife, wurde ihr alles entrissen, was sie je gekannt hatte.
Sie war viel zu klein gewesen, um die damalige Situation in ihrer Gesamtheit zu begreifen.
Bele wusste noch, dass ihr geliebter Vater mit einem Mal völlig krank geworden war. Obwohl es ihr verboten worden war, hatte sie sich in das Schlafgemach ihrer Eltern geschlichen und hatte diesen, ehemals so starken Mann, zusammengerollt wie ein Häufchen Elend in seinem Bett vorgefunden.
Er hatte ausgesehen wie ein Fremder. Sie konnte in dem kränklichen, kalkweißem Gesicht nicht die vertrauten Züge erkennen, von denen sie geglaubt hatte, sie würden sie ihr gesamtes Leben begleiten.
Die sorgenvolle Miene ihrer Mutter hatte sich Bele durch die drastische Wandlung ihres Vaters erklärt. Natürlich, Mommy hatte Angst um Daddy, genauso wie sie selbst doch auch.
Am liebsten hätte sie ihre Mutter getröstet, ihr gesagt, dass alles gut werden würde, doch als sie das Arbeitszimmer ihres Vaters betrat, hatte eine ganz merkwürdige Spannung den Raum beherrscht.
Mommy war nicht mehr traurig gewesen, sondern entschlossen. Es war eine beunruhigende Entschlossenheit gewesen, das hatte Bele sofort erkannt und instinktiv wusste sie, dass sie ihre Mutter aufhalten musste.
Sie hatte die kleinen Fäuste geballt und war drauf und dran gewesen, ihrer Mutter mit trotziger Engstirnigkeit ans Bein zu springen, um sie für immer in diesem Zimmer gefangen halten zu können.
Doch stattdessen war lediglich eine armselige, piepsige Stimme aus ihrer Kehle hervorgekrochen. "Was machst du, Mami?"
Bele schloss bei dieser Erinnerung die Augen und spürte, wie ihr langsam die salzigen Träne emporstiegen.
Sie spürte immer noch die Lippen ihrer Mutter auf ihrem Haar. Die sanften Worte, die sie für diesen einen Augenblick beruhigten und die das Letzte gewesen sein sollten, dass die kleine Prinzessin von ihrer Mutter gehört hatte.
Danach war ihre Welt in Dunkelheit versunken.
Ihre Mutter war kaum zwanzig Minuten weg gewesen, als Anthony, der Privatsekretär, sie an der kleinen Hand gepackt hatte, um ihr zu erklären, dass sie hier dringend weg müssten. Das er sie in Sicherheit bringen würde.
Bele erinnerte sich nicht mehr an die Flucht, die sie zusammen mit Anthony bestritten hatte. Ihre Erinnerungen an diesen Teil ihrer Kindheit waren allgemein recht lückenhaft.
Sie wusste nur, dass der Mann, der ihrer Familie stets loyal untergeben war, sie, fernab der Gefahr, aufgezogen hatte, wie sein eigenes Kind.
Er hatte sie so lieblich und aufopferungsvoll umsorgt, dass Bele irgendwann ihre Wurzeln vergaß und anfing, in ihrem Retter ihren Vater wiederzuerkennen.
Erst an Anthonys Sterbebett wurde sie wieder an ihre Herkunft erinnert und schwor ihrem Ziehvater, ihrer Familie wieder das zurückzugeben, was ihr einst geraubt wurde.
Und sie hatte es tatsächlich geschafft.
Mit flatternden Lidern schlug Bele die Augen auf und betrachtete das blütenweiße Kleid ihrer Enkelin, als diese gerade die Treppen zum Altar erklomm.
Sie hatte es zwar nicht geschafft, ihr altes Königreich wieder aufzubauen und ihrer geflüchteten Bevölkerung das Land zurückzugeben, das sie einst so geliebt hatten, doch sie hatte ihrer Familie die Stellung zurückgebracht, die ihnen im Blut lag. Die ihnen zustand.
Gwendolyn würde eine wundervolle Königin sein. Eine Herrscherin mit Herz und Verstand, die den Wohlstand ihrer Bevölkerung über ihren eigenen Reichtum stellen würde. So, wie Nydia es in Krypthon vollbrachte und wie es ihre Mutter in Charviel getan hatte.
Bele spürte einen sanften Druck an ihrem Arm und als sie sich herumdrehte, lächelte sie ihre Tochter Tavia mit tränenfeuchten Augen an. "Sieht sie nicht wunderschön aus?"
Sie erwiderte das glückliche Lachen und nickte zustimmend. Wie ein Engel schwebte Gwendolyn auf ihren Ehemann in Spe zu und strahlte dabei über beide Ohren, als hätte sie Prinz Jayce bereits ihr gesamtes Leben lang vergöttert.
"Ich hoffe, das war es dann mit deinem Rachefeldzug, Bele", raunte Richard, Tavias trotteliger Gatte, leise auf ihrer anderen Seite. Ein Lächeln zierte seine Lippen, doch als sich ihre Blicke trafen, lag ein ernster Ausdruck in deinem Gesicht. "Du hast Glück, dass sich Gwen mit ihrem Schicksal abgefunden hat. Hätte diese Hochzeit ihre Lebensfreude gekostet, wärst du in dieser Familie nicht mehr willkommen."
Bele belächelte die väterliche Wut ihres Schwiegersohns. Er hatte keine Ahnung, auf was sie verzichten musste, um ihren Enkelinnen diese Eheschließungen überhaupt zu ermöglich.
Er war nur ein einfacher Mensch der Unterschicht gewesen, bevor Tavia ihr Herz an dieses Weichei verlor.
Er konnte nichts für seine Unwissenheit.
"Natürlich. Keine Spielchen mehr", beruhigte sie den Mann also, was dieser mit einem knappen Nicken zur Kenntnis nahm.
Selig lächelnd ließ Bele ihre Hand in die Tasche ihrer Jacke gleiten und befühlte das zusammengefaltete Blatt Papier.
Sieg hin oder her. Vielleicht würde sie ihr Versprechen an Richard auch bald brechen müssen. Für ihre Familie und für das, was ihr zusteht.
Navar und Krypthon würden für ihre Gräueltaten an Charviel büßen müssen.
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