D r e i u n d z w a n z i g | J a y c e
So langsam konnte ich mich wirklich mit dem Gedanken anfreunden, den Rest meines Lebens mit Gwendolyn zu verbringen.
Ich hatte endlich einen Weg gefunden, ihr feuriges Temperament zu zügeln und wer hätte gedacht, dass es ausgerechnet meine Lippen auf ihrem Mund sein würden, die sie zur Besinnung bringen konnten?
In der vergangenen Woche war mir aufgefallen, welch eine beruhigende Wirkung meine Berührungen auf meine Verlobte ausübten.
Vielleicht war es mir zuvor einfach nicht aufgefallen oder Gwendolyn hatte in den letzten Tagen einen Sinneswandel durchlebt, aber jetzt brannten sich die Anzeichen umso deutlicher in meine Hornhaut.
Gwendolyn mochte mich. Und wenn ich das selige Lächeln auf ihren Lippen richtig deutete, dann konnte aus dem zarten Funken ihrer positiven Gefühle mir Gegenüber bald mehr werden.
Ich wusste nicht, ob es der Triumph war, der warm und angenehm durch meinen Körper jagte oder doch etwas anderes. Sympathie? Oder war ich etwa drauf und dran, mein Herz an meine Zukünftige zu verlieren?
Dieser Gedanke beunruhigte mich zutiefst. Vor allem wenn man das Geheimnis betrachtete, dass ich vor Gwendolyn zu hüten hatte.
Ich konnte das Risiko nicht eingehen, im Zuge von liebestollen Ausnahmezuständen meine gesamten Familiengeheimnisse vor dieser Frau auszubreiten. Sie würde es nicht verstehen und mein neu gewonnenes Glück mit einem Schlag zerbersten lassen.
Deshalb bemühte ich mich umso mehr, den Frieden zwischen Gwendolyn und mir zu wahren.
"Wohin reiten wir?" Wie auf Befehl riss mich meine Verlobte in diesen Moment aus meinen Gedanken und ich drehte mich im Sattel herum, um einen Blick auf sie zu erhaschen.
Mittlerweile war es offensichtlich, dass sich Gwendolyn auf Mansis Rücken deutlich wohler fühlte, als zu Beginn ihres Aufenthaltes im Elverstone Palace.
Sie folgte den Bewegungen des Wallachs geschmeidig und hin und wieder erwischte ich sie dabei, wie sie dem Tier fürsorglich den Hals tätschelte oder einzelne Strohhalme aus seiner Mähne zupfte.
"Das ist eine Überraschung", erwiderte ich und ließ mich etwas weiter nach hinten in den Sattel gleiten, um Lesharo etwas auszubremsen, sodass Mansi zu uns aufschließen konnte.
Schmollend schob Gwendolyn die Unterlippe vor und ließ die Zügel sinken, um sich ihre dunklen Haare in einen lockeren Zopf zu drehen. "Ich mag keine Überraschungen."
"Du wirst sie lieben. Glaub mir." Ich lächelte sie zuversichtlich an, obwohl ich keine Ahnung hatte, ob sie von meiner Idee angetan sein würde, oder nicht.
Ich kannte sie nicht wirklich. Sie war schließlich nur das Mädchen, dass ich heiraten sollte. Wir hatten keine gemeinsame Vergangenheit und uns auch nicht die Mühe gemacht, mehr über den Anderen zu erfahren.
Wir hatten uns gesehen, hatten uns dazu entschlossen, den jeweils anderen nicht ausstehen zu können und damit hätte unsere Geschichte eigentlich enden können.
Hätte mein Vater mir den Grund für diese Ehe nicht anvertraut.
Ich seufzte lautlos und schob den Gedanken beiseite, um mich ganz und gar auf Gwendolyn konzentrieren zu können.
In den letzten Tagen hatte ich es nicht gewagt, sie erneut zu küssen. Und sie hatte auch keine Anstalten gemacht, einen Versuch von ihrer Seite aus zu starten.
Wir waren uns zwar emotional näher gekommen, doch bis auf ein paar fahrige, sanfte Berührungen war unsere physische Beziehung ganz beim Alten.
"Wehe wenn nicht", grummelte Gwendolyn leise und drückte die Schenkel zusammen, um Mansi weiter anzutreiben. Der Wallach hob kurz gemächlich den Kopf und warf seiner Reiterin einen fast schon vorwurfsvollen Blick zu, ehe er entspannt weiter vor sich hin trottete.
Er erweckte nicht den Anschein, als hätte er es besonders eilig, Gwendolyn an mein gewünschtes Ziel zu bringen.
Frustriert ließ meine Verlobte die Schultern sinken und starrte entnervt in den Himmel. "Nur kein Stress, alter Mann."
Eine geschlagene halbe Stunde später, in der ich mit Lesharo immer wieder anhalten musste, da Mansi genüsslich hin und wieder an einem Grashalm oder Blatt kaute und dabei verständlicherweise nicht weiterlaufen konnte, kamen wir endlich am See an.
Skeptisch ließ Gwendolyn den Blick schweifen, als ich mich von dem Rücken meines Pferdes schwang und sie auffordernd ansah.
Ihre dunklen Augen blieben an mir hängen. "Nein."
"Nein?", wiederholte ich und konnte nicht verhindern, dass sich meine Mundwinkel nach oben bogen.
Gwendolyn sah aus wie ein kleines Kind, dass einen Riesenhaufen von Geschenken an seinem Geburtstag erwartet hatte und letztendlich lediglich mit einem Buch beglückt wurde. Sie war enttäuscht, offensichtlich.
"Hast du nicht gesagt, ich würde es lieben?" Unzufrieden strich sie sich eine dunkle Strähne aus dem Gesicht, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte und bedachte mich mit einem vorwurfsvollen Blick.
"Als wir das letzte Mal hier waren, hat es dir doch gefallen", entgegnete ich.
"Da war aber auch die Gesellschaft angenehmer." Frech grinste Gwendolyn mich an, ehe sie sich endlich von Mansis Rücken gleiten ließ und etwas unbeholfen neben dem Tier verweilte.
Entsetzt schnappte ich nach Luft und fasste mir, gespielt betrübt, an die Brust. "Hast du auch dieses Knacksen gehört? Ich fürchte, du hast gerade mein Herz gebrochen."
Gwendolyn streckte mir lediglich die Zunge heraus und als sie erkannte, dass ich meinen Plan bezüglich des angebrochenen Vormittags nicht mehr ändern würde, stieß sie ein tiefes Seufzen aus.
Während Gwendolyn Mansi noch versorgte und ihm ein Halfter umlegte, um ihn etwas grasen zu lassen, sammelte ich bereits diverse Picknick-Utensilien aus Lesharos Satteltasche zusammen und breitete eine Decke in der Nähe des Ufers aus.
"Was wird das?" Meine Verlobte ließ sich, kaum hatte die Decke den Boden berührt, auch schon darauf nieder und sah mich abwartend an.
"Nach was sieht es denn aus?"
"Nach einem schlechten Date. Wir haben doch schon einmal gepicknickt." Gwendolyn löste ihre anklagenden Augen von mir und richtete ihre Aufmerksamkeit stattdessen auf leckeren Köstlichkeiten, die ich mir von der Köchin habe bereitstellen lassen. Gierig streckte sie ihre Finger danach aus und schob sich auch schon prompt eine Erdbeere zwischen die Lippen.
Als ich ihrer Bewegung mit meinen Augen folgte, blieb mein Blick an ihrem Mund hängen und unwillkürlich blitzen Erinnerungen an unseren Kuss in meinen Gedanken auf.
Er war schön gewesen, das musste ich zugeben. Ich hätte nicht gedacht, dass die Berührung unserer Lippen ein solch angenehmes Gefühl in mir auslösen würden.
Hätte mir vor ein paar Wochen jemand gesagt, ich würde es genießen, Gwendolyns Mund auf meinem zu spüren, hätte ich die besagte Person vermutlich für verrückt erklärt, oder sie gar in den Kerker geworfen, damit sie diese irrwitzigen Behauptungen nicht in der Öffentlichkeit herumposaunen konnte.
"Damals konnten wir uns nicht leiden", riss ich mich selbst aus meinen Gedanken und schüttelte etwas benommen den Kopf, um meine Erinnerungen an Gwendolyns süßen Geschmack zu vertreiben. "Ich dachte, es wäre schön, wenn wir einmal ein etwas harmonischeres Treffen hätten."
"Ein harmonischeres Treffen? Findest du mich etwa sympathisch?" Gwendolyns Mundwinkel zuckten, doch sie versuchte eine gewisse Ernsthaftigkeit in ihre Stimme zu legen. Es gelang ihr nicht.
Ich grinste sie an. "Vielleicht drehe ich langsam durch, aber mittlerweile denke ich, es gäbe schlimmere Optionen, als dich zu heiraten."
Gwendolyn schien überrascht über meine Worte. Sie blinzelte mich einen Moment lang erschrocken an, ehe sie wieder Herrscherin über ihre Mimik wurde und einen betont gelassenen Gesichtsausdruck zum Besten gab.
Eine sanfte Windbrise brachte ihre schwarzen Haare zum Tanzen, als sie sich auf rücklings auf ihren Händen abstützte und mich einen Augenblick lang musterte.
"Also, ich finde dich immer noch scheiße", meinte sie nach einer Weile und zog spöttisch die Augenbrauen zusammen.
Das Funkeln in ihrer dunklen, fast schwarzen, Iris verriet mir jedoch, dass diese Aussage nicht so ganz der Wahrheit entsprach, weshalb ich lediglich als Antwort entspannt mit den Schultern zuckte. "Geschmackverirrungen sind nicht selten."
Spielerisch boxte mir Gwendolyn daraufhin gegen die Schulter, ehe sie sich erneut nach vorne streckte, um sich eine weitere Erdbeere aus dem Korb zu mopsen, wodurch sie meine Aufmerksamkeit erneut auf ihre Lippen lenkte.
Sie hatte einen schönen Mund. Keine Ahnung, woher dieser merkwürdige Gedanke kam, doch ich fragte mich unwillkürlich, warum ich nicht schon zuvor mit diesem immensen Bedürfnis, Gwendolyn zu küssen und zu berühren, zu kämpfen gehabt hatte.
In den vergangenen Tagen hatte ich mich immer häufiger dabei erwischt, wie ich meiner Verlobten verstohlene Blicke zugeworfen hatte und mich dem anhaltenden Drang widersetzte hatte, sie in meine Arme zu ziehen oder ihr meine Lippen auf die Haut zu drücken, als würde sie wirklich mir gehören. Als hätte ich ihr mein Herz geschenkt.
Irritiert über diese Gedankengänge schüttelte ich den Kopf und versuchte, mich auf etwas anderes zu konzentrieren. Nur widerwillig löste ich meinen Blick von Gwendolyn und starrte stattdessen auf den See hinaus, wo der Wind leichte Wellen auf der Wasseroberfläche schlug.
Wie konnte es sein, dass sich meine anfängliche Abscheu in solch einer Geschwindigkeit in etwas Zarteres verwandeln konnte? Ich konnte nicht leugnen, dass mir Gwendolyns Erscheinung mittlerweile gefiel - Ganz anders, als bei unserem ersten Kennenlernen. Doch damals hatte ich meine Verlobte auch im direkten Vergleich zu ihrer Schwester gemustert.
Bei den Gedanken an Lynn erstarrte ich unwillkürlich. Mein Herz legte eine kleine Pause ein, nur um in doppelter Geschwindigkeit in meiner Brust zu pumpen.
Wie das Treffen heute Nachmittag mit Gwendolyns Familie wohl verlaufen würde? Zwar betete ich inständig dafür, dass die kleine Schwester meiner Verlobten der Verabredung fernbleiben würde, um uns Allen diverse Unannehmlichkeiten zu ersparen, doch ein kleiner Teil von mir hoffte trotzdem, die dunkelhaarige Schönheit heute anzutreffen.
Vielleicht würde mich der Anblick von Lynn von meinen merkwürdigen Gefühlen gegenüber Gwendolyn befreien.
Zwar wollte ich mit meiner Zukünftigen ein gutes und freundschaftliches Verhältnis aufbauen, doch meine momentane Emotionslage war einfach zu viel des Guten. Wenn meine Sympathien für Gwendolyn weiterhin mit diesem rasanten Tempo in die Höhe schossen, würde mich mein schlechtes Gewissen bezüglich meiner Geheimniskrämerei schier in den Wahnsinn treiben.
Ich musste einen gesunden Abstand waren, um die Vergangenheit meiner Familie zu schützen.
"Woran denkst du?" Gwendolyns Frage kam für mich wie aus dem Nichts, weshalb ich sie ein paar Sekunden lediglich stumm anstarrte, bis mein Gehirn ihre Worte anständig verarbeiten konnte.
Ein leichtes Lächeln legte sich über meine Züge, als mein Blick erneut ihre geschwungenen Lippen streifte. "Was ich jetzt gerne tun würde", antwortete ich ihr wahrheitsgemäß, bevor sich mein Gehirn in die Unterhaltung einklinken konnte.
Gwendolyn runzelte die Stirn und neigte fragend den Kopf zur Seite. Ein paar Herzschläge verharrte sie so, als würde sie darauf warten, dass ich meine Antwort weiter ausführte. Als sie jedoch bemerkte, dass ich dem Gesagten nichts hinzuzufügen hatte, erhob sie erneut die Stimme: "Und das wäre?"
Einen Moment zögerte ich. Ich wusste, würde ich meinen Bedürfnissen jetzt nachgehen, würden meine Gefühle für Gwendolyn weiter wachsen, ohne dass ich großartig etwas dagegen tun konnte.
Doch in diesem Augenblick war es mir egal. Ich wollte sie berühren. Sie in meine Arme schließen und ihren Geschmack kosten. Ich wollte sie küssen, wie ich es erst vor wenigen Tagen getan hatte. Jetzt.
"Das", murmelte ich deshalb leise, während ich mich bereits vorbeugte und vorsichtig meine Hände an Gwendolyns Wangen legte.
Sie blinzelte mich perplex an und ich gab ihr ein paar Sekunden Zeit, um mein Vorhaben zu registrieren und zu verstehen, ehe ich den Abstand zwischen uns schloss.
Als meine Lippen die ihren berührten, rechnete ich im ersten Moment fest damit, dass Gwendolyn mir die Hände auf die Brust schlagen würde, um mich von sich zu schieben. Doch meine Verlobte versteifte sich lediglich unter meiner Berührung, bevor sie leise in den Kuss hineinseufzte und sich ihm schließlich völlig hingab.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro