A c h t | J a y c e
"Gwendolyn steht auf den Stallburschen."
Josey grinste mich an, als hätte ich Geburtstag und sie das perfekte Geschenk für mich.
Vielleicht war diese Information das auch. Zumindest hörte sie sich sehr vielversprechend an.
Interessiert hob ich die Augenbrauen und bedeutete meiner Schwester weiterzusprechen.
Es war kaum ein Tag vergangen, seit Gwendolyn sich im Schloss ausgebreitet hatte, doch es fühlte sich bereits nach mehreren Wochen an.
Ich versuchte ihre Anwesenheit geflissentlich zu ignorieren, doch egal wo ich hinsah oder ging - Amanda folgte mir auf Schritt und Tritt.
Nicht sie persönlich, nein. Aber ihre Anwesenheit, ihre Existenz, war in in den Mauern des Elverstone Palace so greifbar und penetrant, dass ich in keinem der Räume Ruhe fand.
Sie war wie ein Stinktier im Wald - Unauffällig und gewöhnlich und dennoch war man sich ihrer Anwesenheit überdeutlich bewusst.
Es machte mich wahnsinnig und ich konnte es kaum erwarten, diesem merkwürdigen Schauspiel ein Ende zu bereiten.
"Gwendolyn ist im Stall umgekippt", unterbrach Josey meine Gedanken und strich sich eine Strähne hinters Ohr. Ihre Wangen waren vor Aufregung erhitzt und ihre atemlose Stimme verriet mir, dass sie wohl den ganzen Weg von den Stallungen bis in die Bibliothek gerannt sein musste. Der übliche Geruch von warmen Pferdekörpern begleitete sie.
"Ihr ist nichts passiert, aber ein Stallbursche hat sich ihrer angenommen und Jay - Ihr sind fast die Augen aus dem Kopf gefallen. Sie sah aus wie ein Fisch auf dem trockenen Land!"
Ein Lächeln umspielte meine Lippen.
Vermutlich nicht die übliche Reaktion eines Mannes, wenn er von dem Fremdgaffen seiner Verlobten erfuhr, aber für mich war das wie Musik in meinen Ohren.
Das war doch etwas, womit ich arbeiten konnte.
Der Bauerntrampel und ein Stallbursche. Was für ein wunderbares Paar.
Das ich nicht selbst den Einfall hatte, meine Zukünftige an einen Angestellten zu verscherbeln, ärgerte mich etwas. Es war so offensichtlich, dass es fast schon zu einfach war.
Wenn Gwendolyn ihr Herz an einen Stallburschen verlor, würde sie die Hochzeit bestimmt absagen. Und wenn sie es nicht tat, war es immer noch Grund genug, meine Eltern von einer Auflösung der Verlobung zu überzeugen.
Meine Mutter würde mich niemals mit einer Frau ehelichen, die bereits vor unserer Hochzeit einem anderen Mann hinterher starrte.
Und meinen Vater würde sie schon weich kriegen. Er war wie warmes Wachs in ihren Händen.
"Wer ist es?", hakte ich bei meiner Schwester nach. Ich konnte gar nicht mehr aufhören, zu grinsen.
Josey nahm meine Freude mit einer kleinen Unsicherheit entgegen. Ich konnte die Besorgnis in ihren blaugrauen Augen glitzern sehen, als sie sah, wie die Zahnrädchen in meinem Kopf zu arbeiten begannen.
"Ich weiß es nicht. Einer von den Schichtarbeitern. Ich habe ihn erst zweimal im Stall gesehen."
Okay, es würde schon nicht so schwer werden, Gwendolyns Liebsten auf dem Anwesen meiner Eltern ausfindig zu machen.
Die wahre Hürde bestand darin, dem Kerl diesen Unfall von Frau schmackhaft zu machen. Aber vielleicht hatte ich Glück und der Stallbursche hatte eine Affinität für freche, stillose Gören mit einem Hang zur Aggressivität. Soll es doch geben.
Zu jedem Topf passt ein Deckel, oder nicht? Selbst wenn ich Gwendolyn mehr als eine unförmige Pfanne einstufen würde, heißt es nicht, dass es nicht irgendjemanden oder irgendetwas da draußen gibt, was sich über sie stülpen lässt.
"Wo ist sie jetzt?" Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf Josey, welche mich mit wachsender Unruhe dabei beobachtet hatte, wie ich meinen Gedanken nachhing.
"Ich würde mich vorerst nicht einmischen, Jay", platze es aus ihr heraus. "Vielleicht mögen sich die Beiden wirklich und dann würdest du als Heinzelmännchen nur stören. Gib ihr etwas Zeit. Und wer weiß, vielleicht wächst sie dir ja irgendwann ans Herz?"
Ich zog eine Augenbraue nach oben, um meiner Schwester die Absurdität ihrer Worte deutlich zu machen. "Du hast sie doch auch gesehen."
"Ja, gesehen, aber nicht erlebt oder mit ihr gesprochen. Genauso wenig wie du, übrigens. Die paar Minuten im Ballsaal und euer kleines Treffen am See sagen doch nichts über ihre Persönlichkeit aus. Du kennst sie genauso wenig wie ich."
Ich konnte nicht glauben, dass mir Josey dermaßen in den Rücken fiel. Ich war der festen Überzeugung gewesen, dass sie Gwendolyn genauso wenig leiden konnte wie ich.
"Das was ich von ihr Kennenlernen durfte, hat meinen Bedarf an diesem Mädchen schon gestillt, danke", erwiderte ich ungewohnt patzig.
Ich hatte keine Ahnung, in welcher Welt sich Josey bewegte, aber in meiner konnte man definitiv einen Menschen innerhalb weniger Stunden soweit einschätzen, um festzustellen, ob man auch in Zukunft seine Zeit mit dieser Person verbringen möchte oder nicht.
Und mein Sympathiepegel war bei Gwendolyn dermaßen in den Minusbereich gefallen, dass ich mich lieber an den Hals einer Amanda werfen würde, anstatt mich nochmal freiwillig in ihre Nähe zu wagen.
"Ich finde sie sympathisch", sprach Josey in diesem Moment, als könne sie meine Gedanken lesen. "Klar, sie passt nicht wirklich ins Bild der Monarchie. Als Herzogin oder Königin sehe ich sie auch überhaupt nicht, aber so als einfacher Mensch... Sie scheint nett zu sein und schlecht sieht sie auch nicht aus. Du kannst froh sein, dass du nicht mit einer alten Kröte verlobt wurdest."
Ich hob die Hand um die Lobeshymne meiner Schwester zu unterbrechen. Mir wäre niemals im Traum eingefallen, dass es Menschen geben konnte, die Gwendolyn mögen könnten.
Noch dazu in meiner Familie!
Ich kam nicht drumherum, mich verraten zu fühlen.
Doch bevor ich mich diesbezüglich bei meiner Schwester beschweren konnte, wurden wir von einem aufmerksamkeitsheischendem Kläffen unterbrochen.
Claire, Joseys heißgeliebter Yorkshire-Terrier, war in die Bibliothek getrippelt, um sich über den Verbleib ihrer Besitzerin zu erkundigen.
Josey reagierte sofort. Noch bevor der letzte Ton des Bellens verklungen war, beugte sie sich zu ihrem Liebling hinab und kraulte ihr die kleinen Ohren.
Es war wahrlich beeindruckend, wie gut der kleine Hund meine Schwester abgerichtet hatte.
Nur ein einzelnes, kurzes Fiepen und sie sprang auf, um der Flohschleuder sämtliche Wünsche von den kleinen, dunklen Knopfaugen abzulesen.
Verächtlich verzog ich das Gesicht.
Ich war kein besonders großer Fan von jeglicher Art von Tieren. Sie hatten alle etwas gemein - Sie machten Dreck, verloren ihr Pelzkleid immer und überall und hinterließen Spuren auf deiner Haut.
Liebesbekundungen, wie Josey die Zahnabdrücke ihres Köters umschrieb, wenn sie zu wild mit ihr gespielt hatte.
Lediglich mein Hengst Lesharo konnte sich, trotz seiner tierischen Abstammung, in mein Herz schleichen.
"Ich werde ihr auf jeden Fall eine Chance geben. Das solltest du auch. Du wirst sie eh nicht mehr los." Meine Schwester unterbrach meine Gedanken.
Ich senkte den Blick und starrte Josey ein paar Sekunden schweigend an, während sie Claire über das braun, schwarze Fell strich.
Der Hund stieß ein wohlwollendes Fiepen unter den Berührungen seiner Besitzerin aus.
"Äh, ja, nein. Auf keinen Fall."
♛
Glücklicherweise traf ich erst am Abendessen wieder auf Gwendolyn. Zuvor waren wir uns erfolgreich aus dem Weg gegangen, doch an der gemeinsamen Essenseinnahme führte leider kein Weg vorbei.
Zu meinem Bedauern saß sie auch noch direkt neben mir.
Rose warf mir über den Tisch hinweg einen mitfühlenden Blick zu, während Josey mir beschwörend in die Augen starrte, als wolle sie mich mit ihrer mentalen Macht dazu zwingen, ein Gespräch mit diesem Gör neben mir zu beginnen.
Nur über meine Leiche.
Ich senkte den Blick und konzentrierte mich wieder auf das Abendessen. Meine Eltern hatten sich erfolgreich vor dieser merkwürdigen Situation gedrückt.
Meine Mutter schob ein Treffen mit ihrer Schwester Königin Eleanor in Cliffston vor, während mein Vater sich hinter königlicher Arbeit versteckte.
Beides Tätigkeiten, denen ich jetzt lieber auch nachgegangen wäre, anstatt meine Nahrung in unbehaglichem Schweigen zu mir zu nehmen.
"Also, Gwendolyn", brach Josey schließlich die Stille und räusperte sich kurz. Ihre grünblauen Augen funkelten meine Verlobte neugierig an. "Wie gefällt es Ihnen bisher im Elverstone Palace? Fühlen Sie sich wohl? Wie geht es eigentlich Ihrem Kopf?"
Gwendolyn stieß ein abfälliges Schnauben aus, als könne sie nicht glauben, dass die Frage ernst gemeint war.
Als ich aus dem Augenwinkel bemerkte, wie meine kleine Schwester bei der abweisenden Reaktion enttäuscht in sich zusammensackte, flammte meine Wut auf dieses unverschämte Balg neben mir erneut auf.
"Die Gesellschaft lässt etwas zu wünschen übrig", erwiderte Gwendolyn spitz und kräuselte spöttisch die Lippen. "Aber anso-."
"Was? Noch keine Freunde gefunden?", unterbrach ich sie barsch. "Und das bei deiner bezaubernden Persönlichkeit. Grenzt ja wahrlich an einem Wunder."
Gwendolyns Kopf schnellte so schnell zu mir herum, dass ihr die schwarzen Strähnen ins Gesicht flogen. Sie presste ihre Lippen so stark aufeinander, dass sie eine farblose, schmale Linie ergaben. Ihre dunklen Augen musterten mich aus zusammengezogenen Schlitzen, als würde sie überlegen, ob ihre Hinrichtung es wert wäre, mir jetzt und hier den Kopf umzudrehen.
Ich zog meine Mundwinkel nach oben und lächelte sie provokativ an, wie sie es vor wenigen Sekunden noch bei meiner Schwester getan hatte.
"Ja, das verstehe ich. Jay ist nun wirklich nicht jemand, der für seine Gastfreundschaft bekannt ist. Ich habe auch oft mit ihm zu kämpfen, aber irgendwann gewöhnt man sich an diesen Trottel. Ignorier ihn einfach." Josey zuckte mit den Schultern und stocherte in ihrem Essen herum, ohne den Blick zu heben.
Somit konnte sie auch nicht meine fassungslose Miene erkennen, die in diesem Augenblick mein Gesicht zierte.
Schlug sie sich gerade tatsächlich auf die Seite dieses Bauerntrampel? Sie warf mich ihr zum Fraß vor, um ihre Gunst zu erlangen?
Und das, nachdem ich mich gerade so offenkundig für sie eingesetzt hatte?
Ein klarer Beweis dafür, dass Josey dringend therapeutische Betreuung benötigte. Und das kleine Schwestern alles andere als vertrauenswürdig waren.
Immerhin hatte ich Rose noch auf meiner Seite.
Meine Schwester warf ihrem Zwilling einen kurzen, fragenden Blick zu, ehe ihre graublauen Augen zu mir huschten. Ihr stand das Fragezeichen klar und deutlich ins Gesicht geschrieben.
Scheinbar hatte ihr Josey nicht von ihren Sympathien für diese Amanda erzählt.
"So schlimm ist er auch nicht", raunte sie leise.
Na, vielen Dank.
Während ich beleidigt die Arme vor der Brust verschränkte, zupfte an Gwendolyns Lippen ein Grinsen. Natürlich gefiel ihr die Situation.
Meine Abneigung gegen sie stieg in diesem Moment ins Unermessliche. Hoffentlich war sie bald wieder weg.
"Mein Beileid." Gwendolyn hatte sich Josey direkt zugewandt und es war das erste Mal, dass ihre Stimme ehrlich freundlich klang. "Als kleine Schwester von solch einem Idioten hat man es sicher nicht leicht."
Joseys Augen begannen zu strahlen, als sie bemerkte, dass Gwendolyn ihren Verrat an mir offenbar billigte und mit ungewöhnlicher Nettigkeit belohnte.
"Haben Sie neben Lynn noch andere Geschwister?", griff sie sofort das angebotene Gespräch auf.
Meine linke Augenbraue wanderte nach oben, als ich dieses merkwürdige Szenario, welches sich direkt vor meinen Augen abspielte, beobachtete.
Ich tauschte einen kurzen Blick mit Rose, die genauso irritiert wirkte, wie ich.
"Ja, einen kleinen Bruder. Sein Name ist Christian, aber wir nennen ihn Chris. Sonst schreit er rum, wie ein Brüllaffe. Er mag den Namen nicht." Gwendolyn kicherte leise und strich sich eine dunkle Strähne aus dem Gesicht. "Er ist übrigens erst Sieben."
Meine Schwester stimmte in das Lachen mit ein und ich verstand die Welt nicht mehr, als sie mir auf meine nächsten Worte hin einen strafenden Blick zu warf. "Ich hatte bereits geahnt, dass Affen dieser Familie nicht fernab liegen."
"Wie gesagt, ignorieren Sie ihn einfach. Jay meint wohl, sein Revier markieren zu müssen." Josey verdrehte die Augen und wandte sich wieder Gwendolyn zu. "Jungs halt. Wenn niemand mit ihnen spricht, ist ihre Klappe am größten."
Ich konnte Gwendolyns brennenden Blick auf mir spüren und war mir absolut sicher, dass sie den Rat der Prinzessin in den Wind schlagen würde, um sich von ihrer schlechtesten Seite zu präsentieren.
Doch zu meiner Überraschung lächelte sie Josey lediglich an und nickte zustimmend. "Da haben Sie wohl recht. Hängt vermutlich mit den Erbsen in ihren Köpfen zusammen. Bei Jayce fällt es am Meisten auf, dass Jungs nichts in der Birne haben."
Als Josey auf diese Beleidigung hin in lautes Gelächter ausbrach und selbst auf Roses Lippen ein Schmunzeln zuckte, spielte ich mit dem Gedanken, meine Eltern darum zu bitten, meine Schwestern für irgendwelche Zwangsehe aus Navar zu verbannen.
Und als Gwendolyn mich auch triumphierend angrinste, traf ich endgültig die Entscheidung, mich diesen Weibs zu entledigen, indem ich sie dem Stallburschen schmackhaft machte.
Eine schwere, aber vielleicht doch nicht unmögliche Aufgabe.
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