
Dumm, Dümmer und Kamchatka unterwegs nach Tsushima
So, reden wir doch einmal ein wenig über die vermutlich unterhaltsamste Kriegsgeschichte, die jemals passiert ist. Ernsthaft, die ganze Sache ist ein einziger Witz und wäre perfekt für eine Komödie oder vielleicht eher eine Tragödie, wenn man in Betracht zieht, wie die Geschichte endete.
Ich möchte euch allerdings auch noch zum Video 'The Russian 2nd Pacific Squadron - Voyage of the Damned' vom Youtuber Drachinifel verweisen. Das Video handelt von diesem Thema und ist grandios. Ausserdem sind die meisten Informationen in diesem Kapitel von seinem Video und er kann es vermutlich besser und unterhaltsamer Präsentieren als ich.
1904/1905 tobte der Russisch-Japanische Krieg im Pazifik. Die Japaner wollten auch Teile Asiens kolonisieren, da es ihrer Meinung nach blödsinn war, dass nur die Europäer dies tun durften. Sie waren an der Mandschurei und Korea interessiert, aber den Russen gefiel dies nicht. Deshalb griff Japan ohne Kriegserklärung den Hafen Port Arthur an und blockierte dort das erste russische Pazifikgeschwader. Ebenso landeten sie Truppen an Land und begannen mit einer Landkampagne unter schrecklichen Bedingungen.
Die Russen waren überhaupt nicht auf den Krieg vorbereitet und erlitten sehr schnell sehr viele Verluste. Der russische Admiral, der über die transsibierische Eisenbahn nach Port Arthur entsandt worden war, wurde von einem Trümmerteil enthauptet, als sein Schiff auf eine Mine lief.
Also wurde beschlossen, Verstärkung in den Pazifik zu entsenden. Diese wurden von der baltischen Flotte gebildet und das zweite russische Pazifikgeschwader genannt. Das Oberkommando erhielt Admiral Roschestwenski. Er hatte einen sehr guten Ruf. Er war keiner der Admirale, der seinen Rang wegen politischen Meinungen erhalten hatte, sondern wegen seinen Leistungen. Ausserdem waren seine Schiffe immer einige der Besten, mit guten Besatzungen.
Allerdings würde diese Flotte alles andere als gute Qualität sein. Damit ich es nicht lange erklären muss, beziehe ich mich auf Zitat von einer Person, der einen Teil der Flotte als die 'Selbstversenkende Flottille' bezeichnete, bevor sie überhaupt mit ihrer langen Reise begonnen hatten. Admiral Roschestwenski bezeichnete einige seiner untergebenden Offiziere als Mistbeutel oder als leeren Raum. Die meisten Besatzungsmitglieder hatten grösstenteils noch nie das Meer gesehen und ihre Ausbildung scheint auch nicht sehr gut gewesen zu sein.
Die Flotte hatte sieben Linienschiffe/Schlachtschiffe, unter anderem vier Schiffe der Borodino-Klasse. Dazu kamen mehrere Panzerkreuzer und andere Kreuzer, die teilweise komplett veraltet waren und Torpedoboot-Zerstörer. Dann gab es teilweise sogar umgebaute Privatjachten. Dann wurde die Flotte ausserdem von Lazarett-, Werkstatt- und Transportschiffen begleitet.
Und Roschestwenski bekam gerade Mal genug Munition für eine einzige Schlacht. Was bedeutete, dass er kaum welche für Training würde benützen können, was der Flotte ziemlich in den Arsch beissen, sie manchmal aber auch vor sehr peinlichen Situationen retten würde.
Die Tatsache, dass die Russen keine Basen hatten, die sie auf ihrer Reise um Afrika herum bis zur Mandschurei anlaufen konnten, wurde ignoriert. Genauso wie die Tatsache, dass die Schiffe nicht für lange Reisen konzipiert und dass die Russen nicht besonders beliebt bei anderen Ländern waren, was bedeutete, dass sie nicht unbedingt auf Hilfe von anderen Ländern zählen konnten.
Roschestwenski hatte gehofft, dass der Zar einige moderne Kreuzer von einigen Südamerikanischen Ländern kaufen würde, die sich ihm dann während der Reise anschliessen, aber dies passierte leider nicht.
Wieso habe ich dies nun als einer der lustigsten Kriegsgeschichten aller Zeiten bezeichnet? Nun, die Reise ist ein einziger Witz, mit einem unaufhörlichem Schwall von lächerlichen Zwischenfällen, Vorreitern der Revolution, ein Schiff der eigenen Flotte, dass sie am liebsten selbst versenkt hätten, imaginäre Kriegschiffe, britische Fischerboote, fliegende Ferngläser, Giftschlangen, Opium, katastrophale Übungen und noch mehr.
Aber ich sollte vermutlich am Anfang beginnen. Als sie die Reise endlich begannen, lief das Flaggschiff auf der Stelle auf Grund, ein Kreuzer verlor seinen Anker und ein Zerstörer rammte ein Linienschiff und musste für reparaturen bereits wieder umkehren. Dieser Start demonstrierte eigentlich schon den Alltag der russischen Schiffe, der sie bis zu ihrer Vernichtung begleiten würde.
Dann kamen auf einmal Gerüchte hoch, dass eine Flotte japanischer Torpedoboote bei der engen Durchfahrt von Schweden und Dänemark auf sie wartete. Die Tatsache, dass es unmöglich war, dass die Japaner aus dem nichts heraus eine Flotte von Torpedobooten hatten und sich die japanische Flotte am anderen Ende der Welt befand, wurde erneut ignoriert.
Die Flotte umfuhr ausserdem ein imaginäres Minenfeld und dann hatte einer der Kreuzer Probleme mit seinen Davits. Das sind die Kräne, mit denen die Rettungsboote zu Wasser gelassen werden. Also wurden sie per Kran zum Reparaturschiff Kamchatka, dessen Name sich in sehr kurzer Zeit in die Gehirne aller russischen Besatzungsmitglieder brennen würde, rübergehoben, wo sie prompt im Meer versenkt wurden.
Die Kamchatka
Da seine Flotte paranoid werden zu schien, versicherte Roschestwenski, dass kein unbekanntes Schiff in der Nähe der Flotte geduldet werden würde und natürlich tauchte sofort ein Fischerboot auf. Die gesamte Flotte eröffnete das Feuer, schafft es allerdings irgendwie nicht, einen einzigen Treffer zu erzielen und das Fischerboot übergab ohne weitere Zwischenfälle neue Befehle vom Zaren an Roschestwenski.
Dann sendete die Kamchatka den ersten von zahlreichen Fehlalarmen und behauptete, von 8 japanischen Torpedobooten von allen Seiten angegriffen zu werden. Nachdem die restliche Flotte bemerkte, dass nirgendwo in der Nähe ein Schiff war, weigerte sich die Kamchatka zuzugeben, dass es ein Fehlalarm gewesen war. Hier ein Ausschnitt der Funksprüche.
Kamtschatka: Werde von Torpedobooten verfolgt.
Knjas Suworow: Ihr werdet verfolgt? Wie viele Boote und aus welcher Richtung?Kamtschatka: Der Angriff erfolgt von allen Seiten.
Knjas Suworow: Wie viele Boote? Teilt Einzelheiten mit.
Kamtschatka: Es sind etwa acht Torpedoboote.
Knjas Suworow: Sind sie nahe?
Kamtschatka: Sie sind auf eine Kabellänge und näher herangekommen.
Knjas Suworow: Wurden Torpedos abgeschossen?
Kamtschatka: Das war nicht festzustellen.
Knjas Suworow: Welchen Kurs steuert ihr jetzt?
Kamtschatka: Südost 70 Grad mit 12 Knoten. Erbitten Position des Geschwaders.
Knjas Suworow: Verfolgen euch Torpedoboote? Ihr müsst zunächst die Gefahrenzone verlassen, den Kurs ändern, dann eure Länge und Breite melden, worauf euch der Kurs angegeben wird.
Kamtschatka: Wir fürchten uns, Angaben zu machen.
Wegen diesem Funkspruch, drehten die Russen ziemlich durch und als sie deshalb in der Nacht bei der Doggerbank auf englische Fischerboote stiessen, eröffneten sie das Feuer und lösten beinahe den Ersten Weltkrieg aus, als sie mehrere der Schiffe endlich trafen und einige Fischer töteten. Mehrere Schiffe signalisierten, dass sie von Torpedos getroffen worden waren und auf anderen wurde Alarm geschlagen, da sie angeblich geentert wurden.
Natürlich trafen sie bei ihrer Kannonade dabei auch eines ihrer eigenen Schiffe, den geschützten Kreuzer Aurora, der vermutlich das einzige kompetente Schiff der Flotte war.
Die Briten waren verständlicherweise sehr angepisst darüber, dass die Russen einige ihrer Fischer getötet hatten und es tauchten sehr schnell, sehr viele britische Kriegsschiffe auf, die die Russen umzingelten. Die Kamchatka wählte natürlich ausgerechnet diesen Moment, um für eine Weile zu verschwinden und als sie wieder auftauchte, erzählte sie von dem spannenden Abenteuer, wie sie gegen drei japanische Kriegsschiffe gekämpft und 300 Schuss ihrer Munition verbraucht hatte. Bei den drei japanischen Schiffen handelte es sich natürlich um jeweils ein französisches, deutsches und schwedisches Schiff, was jedes andere europäische Land, dass eine grosse Marine hatte, ebenfalls auf die Russen aufmerksam machte. Glücklicherweise hatte die Kamchatka keines der Schiffe getroffen und eines davon hatte erst nach einer Weile gemerkt, dass es beschossen wurde.
Deshalb waren es 'nur' die Briten, die sie in die Luft jagen wollten. Allerdings war die mobilisierte Flotte den Russen 4 zu 1 überlegen. Der englische Oberbefehlshaber schlug vor, dass er für Fairness die russische Flotte mit nur vier Schiffen angriff, während er den Rest in Reserve hielt, falls eines davon irgendwie getroffen werden würde. Doch dank diplomatischen Bemühungen wurde ein Kampf vermieden, aber die Briten verlangten, dass die Verantwortlichen vor Gericht kamen. Roschestwenski benutzte diese Gelegenheit, um alle Leute wegzuschicken, die ihm nicht gefielen, auch wenn sie nichts mit den Zwischenfall zu tun hatten. Er gab einem der Typen, den er zurückschickte, den Befehl, weitere Verstärkung hinterherzuschicken und dieser versammelte noch mehr veraltete Schiffe, die nichts anderes tun würden, als eine Behinderung für Roschestwenski zu sein, weshalb dieser für den Rest der Reise versuchen würde, diesen Verstärkungen auszuweichen.
Als sie Afrika runtersegelten, wurden sie von deutschen Schiffen mit Kohle versorgt, aber da ihre Kohlelager zu klein waren, stopften sie die Kohle für die restliche Reise ein bisschen überall hin, was sie praktisch zu schwimmenden Bomben machte, da sich nun überall Kohlenstaub befand. Ein Streichholz und die halbe Flotte hätte Bumm machen können. Ein Sturm schwemmte glücklicherweise den ganzen Kohlestaub weg. Allerdings dachte sich die Kamchatka vermutlich, dass es zu ruhig war und als gefragt wurde, ob bei allen alles in Ordnung war, sendete sie das Signal: "Seht ihr Torpedoboote?", was eine neue Panik auslöste.
Merch von Drachinifel: Die Kamchatka und ein sehr verwirrtes Fischerboot
Da die Kamchatka immer für Unruhe sorgte, beschloss Roschestwenski, sie in seiner Nähe zu behalten, damit er sie immer im Auge hatte und in einem seiner Wutanfälle mit Ferngläsern bewerfen konnte. Dies war eine seiner Gewohnheiten, weshalb die Besatzung eine Kiste mit insgesamt 50 Ferngläsern mitgenommen hatte, auch wenn ich ein wenig bezweifle, dass dieser Vorrat bis zur Hälfte der Reise reichte.
Sie erreichten Madagaskar und gingen vor Anker. Roschestwenski wurde krank und sein Stellvertreter fiel ebenfalls aus, weshalb die Flotte einfach dort blieb. Da die Flotte nun unbeaufsichtigt war, konnte sie allerlei Blödsinn anstellen, ohne Konsequenzen zu fürchten. Das dachte sie sich vermutlich, denn nun begann eine völlig neue Verkettung von Zwischenfällen.
Ein Frachter erreichte die Flotte mit Munition und Ausrüstung. Nur stellte sich heraus, dass sich Winterkleidung in den Kisten befand. Die Kamchatka signalisierte, dass sie sank, was sich leider als Fehlalarm herausstellte. Ein Besatzungsmitglied sprang in der Nacht über Bord und versuchte an Land zu gelangen. Er wurde gefunden und aufs Flaggschiff gebracht. Dort erklärte er, dass er es nicht mehr an Bord ausgehalten hätte und die Offiziere, die ihn vernahmen, konnten ihn sehr gut verstehen.
Bei Landgängen kauft ein Matrose 2'000 Zigaretten, die mit Opium gefüllt waren, die sehr beliebt bei denen waren, die an sie kommen konnten, bevor sie konfisziert wurden. Die Besatzungsmitglieder kauften sehr viele Tiere, die sie auf ihre Schiffe mitnahmen. Unter anderem ein Krokodil. Roschestwenski wurde ein Papagei geschenkt, der sehr bald damit begann, die Flüche des Admirals zum Besten zu geben. Auf dem Flaggschiff befanden sich in kurzer Zeit sehr viele Chamäleons, die sehr schwierig zu finden waren, sobald sie entwischten.
Auf einem Schlachtschiff wurde eine Panik ausgelöst, als sich eine Giftschlange um das Geschützrohr einer der Hauptbatterien wickelte und den Kommandanten des Schiffes biss, als dieser die Schlange entfernen wollte. Auf dem Kreuzer Aurora hatte die Besatzung Angst davor, schlafen zu gehen, weil sich auf dem Schiff so viele Raubtiere befanden, dass sie befürchteten, von ihnen im Schlaf angegriffen zu werden. Bei einem Lebensmittelfrachter fiel der Kühlraum aus und das ganze Fleisch musste ins Meer geschüttet werden, was sehr viele Haie anlockte. Das machte das zweite russische Pazifikgeschwader zu einem gewaltigen Zoo auf dem Ozean.
Die Schiffe wurden von zahlreichen Tropenkrankheiten heimgesucht, die mehrere Tote forderten und als an Bord der Kamchatka ein Salut während einer Beerdigung abgefeuert wurde, wurde eine echte Granate verwendet. Diese traf natürlich, schon wieder, die Aurora, die sich darüber vermutlich nicht sehr gefreut hat.
Roschestwenski liess eine Übung halten und wollte, dass seine Torpedoboot-Zerstörer in Formation fuhren, woraufhin sie natürlich in alle Richtungen davonhasteten. Als sie endlich in Formation waren, liess er sie Torpedos auf ein Ziel abschiessen. Drei davon gingen ins nichts, einer versagte, zwei krochen im Schneckentempo am Ziel vorbei und der letzte zog einen Kreis und kam auf die Zerstörer zu, weshalb sie sich wieder verstreuten. Der arme Admiral, der vermutlich ein weiteres Fernglas versenkt und die Kamchatka mit ihrem neuen Spitznamen 'geile Schlampe' angeschrien hatte, er hatte sehr viele Spitznamen für bestimmte Schiffe in seiner Flotte, beschloss stattdessen, seine Schlachtschiffe auf ein Ziel schiessen zu lassen. Der einzige Treffer wurde vom Flaggschiff erzielt und zwar auf dem Schiff, dass das Ziel mit einem Seil hinter sich herzog.
Die Aurora hielt währenddessen ein Wettrennen zwischen einiger ihrer Rettungsboote und es gab bei ihr keinen einzigen Zwischenfall.
Nachdem die Russen endlich wieder unterwegs waren, führte Roschestwenski die neue Grundregel ein, dass jedes Schiff, das aus der Formation schert oder Befehle verweigert, zum Flaggschiff fahren muss und dann vom Admiral vor der gesamten Besatzung zusammengeschrien wird. Die Verstärkung, der Roschestwenski ausweichen wollte, fand ihn natürlich, was seine Flotte noch mehr verlangsamte.
Er wollte von seinem Posten zurücktreten, aber der Zar verweigerte es
Am 27. Mai 1905 lief er durch die Strasse von Tsushima, um nach Vladiwostok zu gelangen, da Port Arthur mittlerweile von den Japanern erobert worden war. Dort tauchte dann die japanische Flotte auf, was bedeutete, dass er endlich Ziele hatte, auf die er schiessen musste. Aber das Kapitel zu dieser Schlacht kommt erst nächste Woche.
19.05.20
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro