two
Geschockt starrte ich mit aufgerissenen Augen den älteren Mann an, der mich ebenso hypnotisierend anschaute. Mein Cappuccino den ich vor wenigen Sekunden noch in der Hand gehalten hatte, war auf seinem teurem Jackett verklebt. Panisch ließ ich den Becher mit der heißgeliebten Flüssigkeit fallen, sodass einige Spritzer auf meine nackten Beine klatschten und ich zusammen zuckte. Langsam, wie als würde eine Uhr ticken, floß mein Morgengetränk an seinem weißen Hemd hinunter, dass sich direkt in die Farbe verfärbte.
Hinter uns zog eine Brünette scharf die Luft ein, als würde allmählich etwas passieren, was völlig schockierend und gefährlich für uns alle war. Ich war ausversehen gegen den Mann gelaufen, als ich auf mein blödes Smartphone geschaut hatte. Nun dampften die Konsequenzen. Mit zitternden Händen griff ich in meine Hosentasche, um eine Packung Taschentücher hervorzuholen.
»Es tut mir unfassbar leid.« Hastig versuchte ich mit dem Taschentuch den Cappuccino in den dünnen Stoff zu tränken und den Schaden nicht allzu groß zu machen, doch als säße der Pech auf meiner Schulter, verschlimmerte ich bloß alles und verschmierte vollkommen sein weißes Hemd. Erschrocken ließ ich nun auch das Taschentuch fallen. Bestimmt kostete sein Jackett und sein Hemd ein Vermögen - Ich war geliefert.
Schweigsam betrachtete der großgewachsene Mann mich an. Die Flecken an seinem Hemd interessieren ihn kaum, stattdessen blickte er viel lieber auf meine Beine und fragte, ob ich mir weh getan hatte. Sprachlos ließ ich den Schauer über meinem Rücken ergehen. Seine Stimme war so unfassbar tief und männlich, dass es mir eine Gänsehaut entlockte. Vermutlich hielt er mich für verrückt, da ich ihn bloß anstarrte und nicht fähig war antzuworten.
Seufzend schaute er wieder hoch in meine Augen, bevor er sein Portmonnaie zückte und mir einige Dollar in die Hand drückte.
»Ersetze deinen Cappuccino, kleine.« Mit diesen Worten drehte er sich augenblicklich zu der Menschenmenge um und als hätte er einen unsichtbaren Schalter umgelegt, begangen sich die Passanten aufzulösen. Sie liefen wieder los, um an ihre Ziele zu gelangen. Wir waren nicht mehr das Theaterstück, dass die Aufmerksamkeit so gigantisch anzog. Nun stand ich planlos ihm gegenüber, den Blick starr auf seine Brust gezielt. Seine Augen waren so dunkel wie die Nacht. Es erschien mir unheimlich und plötzlich fühlte ich mich wie ein offenes Buch, als könnte er in mich hineinschauen und die Informationen aus mir heraussaugen.
Seine warme Hand umschlung meinen Oberarm, zog mich zur Seite, sodass nicht ständig die Passanten gegen uns krachten.
»Du solltest viel lieber nach vorne gucken, anstatt auf dein Smartphone zu schauen.« Der wunderschöne Mann blickte abschätzig auf mein Smartphone, dass ich fest in meiner linken Hand geballt hielt. Nun klang er säuerlich, vermutlich fiel ihm auf, wie hoch der Schaden eigentlich war und dass ich dafür aufkommen musste. Ich hätte die nächstbeste Gelegenheit suchen sollen, um schleunigst zu verschwinden, doch nun saß ich in der Klemme.
Hätte ich heute doch bloß auf Magdalena gehört, als sie mir sagte, ich solle heute Zuhause bleiben. Wäre ich bloß nicht so trotzig und dämlich, hätte ich nun nicht dieses Problem.
»Es ist auch respektlos mir nicht in die Augen zu schauen, wenn ich mit dir rede.« Beschämend schoss mein hochroter Kopf hinauf in die Höhe, um in die beängstigenden
Augen des Mannes zu schauen. Er schluckte hart und das Schauspiel seines Kehlkopfes faszinierte mich. Dennoch entging mir nicht, dass er sich anspannte - vermutlich versuchte er seine Wut mir gegenüber zu zügeln - und dass er mir geradewegs intensiv in die Augen schaute. Schlagartig wurde mir heiß und die Sonne die knallhart auf uns schlug, bewirkte nicht im geringsten ihren Teil.
Es war unhöflich einen deutlich älteren Mann zu Ignorieren und ihm nicht zu antworten, aber als ich versuchte einen Satz zu bilden, blieben mir die Wörter im Hals stecken. Unmöglich.
Meine Hände zitterten wie Espenlaub, auch meine Beine würden mich nicht mehr lange halten können. Es pochte in mir. In mir lief es auf Hochtouren.
»Tut mir leid, Sir... Ich...Schicken sie mir die Kosten zu. Ich werde ihnen alles zurückgeben. Ein dummes Missgeschick von mir. Bin so tollpatschig...« Rage murmelte ich vor mich hin und drückte ihm die Dollar zurück in seine Hände. Keineswegs war ich in der Position von ihm Geld zu verlangen oder es anzunehmen. Auf mir saßen nun dicke Schulden, die ich zu begleichen hatte. In Zukunft würde ich meine Dummheit verfluchen, denn sie jagte mir nur Ärger ein.
Blinzelnd und mit flachen Atem beobachtete ich sein zuckenden Mundwinkel. War ich wirklich so amüsant, dass er sich nun über mich lustig machte?
Magdalena hätte nun den tiefsten Scham ihres Lebens verspürt. Mit mir hätte sie nie wieder gesprochen oder mir gar in die Augen geschaut. Sie hätte sich überhaupt nicht mehr in die Öffentlichkeit getraut.
»Wie heißt du, kleine?«
»Tracy, ich heiße Tracy...« Er nickte, scannte mich langsam mit seinem Blick ab. Glitt mit seinen Augen hinauf in mein Gesicht, hinunter zu meinen Schuhen. Geschmeidig fuhr er sich durch die Haare, trat einen unmittelbaren Schritt auf mich zu verlor sich in meinen Augen. Was ging gerade nur in ihm hervor?
Doch die Frage warf ich in die hinterste Ecke meines Gehirns, da er sich plötzlich umdrehte und verschwand. Er war in der Menschenmenge kaum wiederzufinden. Die anderen breiten Hinterteile ließen ihn völlig untergehen.
★★★
»Tracy, schön dass du uns Gesellschaft leistest.« Ich fühlte mich wie in einem sarkastischen Film, bei dem die Ironie am lautesten von allem schrie. Oftmals erhoffte ich mir eine anständige und liebevolle Begrüßung, wenn ich Nachhause kam. Stattdessen schüttete mich das Liebespaar mit Sarkastischen Sätzen voll. Und in solchen Situationen rannte ich normalerweise geradewegs in mein Schlafzimmer, doch Hausarrest wollte ich auch nicht bekommen.
Schleppend setzte ich mich an meinen Stuhl und rückte an den bedeckten Esstisch. Magdalena hatte wiedereinmal ihre geliebte Lasagne gemacht, die mein Bruder um den Verstand brachte. Seitdem aßen wir diesen Fraß nur noch. Angeblich soll man die Liebe herausschmecken können, die meine Schwägerin in ihre Feinkost getan hatte. Doch mir wurde nur wie immer Speichelübel. Ich vermisste das Essen von meiner Mutter.
Immer wieder spielte ich mit dem kuriosen Gedanken, einfach wieder zu meinen Eltern zuziehen. Einerseits würde dies aber mein Bruder nicht befürworten, da er ganz genau wusste, wie die Umstände in unserem Geburtshaus waren. Auch wenn meine Eltern mich vollkommen verrückt gemacht hatten, hier fühlte ich mich ebenso kein Stück wohl. Magdalena ging mir genauso gegen den Strich. Und mein Bruder ließ manchmal viel zu oft den wütenden Mann heraus.
»Wo warst du den ganzen Tag unterwegs? Du hättest bereits vor einer halben Stunde Zuhause sein sollen, Tracy!«
Immer wieder fragte er dies und immer wieder beantwortete ich es. Die Ungeduld und mein Zorn kratzten schon bereits an der Oberfläche und das obwohl ich erst exakte zwei Minuten im Haus war. Würden sie einfach nicht mit mir reden, würden sie auch nicht meine Laune zerstören. Aber genau das taten sie jeden Tag. Entweder ich war das fünfte Rad und sie ignorierten mich am Essenstisch oder sie schnauzten mich an.
Nichts war mir lieber.
»In der Stadtbibliothek.« Magdalena zuckte mit den Schultern und warf meinem Bruder einen kurzen Blick zu. Wenn sie mir nicht glaubten, dann sollten sie mich auch nicht fragen. Schließlich antwortete ich immer mit der Wahrheit, aber sie hielten es ständig für eine Lüge. Und wenn ich Log, nahmen sie mein Geständnis als Wahrheit an.
Wie oft ich mir erhoffte, dass mein Bruder einfach wieder normal wurde. Doch diese rosarote Brille vor seinen Augen würde er nie wieder absetzen können. Magdalena zerstörte mir mein ganzes Leben. Schlagartig fühlte ich mich nun wieder schlecht. Ich gönnte meinem Bruder die Liebe und den Zusammenhalt doch. Seinen Erfolg. Aber bisher habe ich nichts in meinen Leben erreicht und ich fühlte mich wie eine widerliche Kakerlake, die nichts beitrug aber sich immer wieder beschwerte.
»Nur weil du Ferien hast, heißt das nicht, dass du bis spät abends draußen sein kannst, Tracy.« Leider konnte ich es nicht verhindern, meinen missbilligenden Blick zur Uhr schwenken zu lassen. 20:56Uhr. Das nannten sie spät? Hätte mir dies Magdalena gesagt, hätte ich wahrscheinlich mein Mittelfinger zum präsentieren hinauf heben lassen. Aber es war wie immer mein Bruder gewesen, der an mir hackte. Die schweigende Frau warf immerhin keine Worte über den Tisch. Wäre welche gefallen, hätte ich diese nicht positiv aufgenommen...
Darian verfolgte all meine Handlungen mit seinen Augen. Wie ich mir einwenig von ihrer grauenhaften Lasagne auf den Teller beförderte und vorspielte, sie sei göttlich. Ich verstand nicht, was an diesem Fraß köstlich war. Vielleicht waren die beiden auch einfach verrückt? Bestimmt.
»Es interessiert dich doch überhaupt nicht, was ich mache.« Insgeheim wünschte ich mir, er hätte es gehört, doch das tat er nicht. Es war bloß ein leises flüstern gewesen, was das Pärchen unerhört hatte. Die Aufmerksamkeit lag nicht mehr auf mir, viel lieber unterhielten sie sich nun über die nächste Schwangerschaftsuntersuchung.
Wie ein Geist saß ich da. Unsichtbar und still.
★★★
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