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Eine unmögliche Entscheidung

03. April 1822
Atlantik, Kurs Richtung Florida

„It's okay, I know someday I'm gonna be with you."
~ Tom Rosenthal

Das Blut rauschte so laut in ihren Ohren, dass ihr die Musik der Kanonen wie ein geflüstertes Wiegenlied erschien. Ben hatte mehr oder weniger die Führung über die Feuerwaffen übernommen, war es doch er, der sich mit Schiffen am besten auskannte und wusste, wohin sie Crew zielen konnte, ohne Gefahr zu laufen, aus Versehen die Zellen unter Deck zu treffen. Das Bestreben bestand lediglich darin, das gegnerische Gefährt am Weitersegeln zu hindern und das gelang ihnen auch schon binnen weniger Minuten, mit dem Bersten und Zerfallen des Großmasts.
Während die Männer der Searose ob des kleinen Siegs jubelten, lenkte Jonah die Searose über die aufgebauschten, schäumenden Wellen. Und wie Jack einst, hing Anne bereits in den Wanten und wartete nur darauf, dass es Zeit wurde, um sich auf feindliches Gebiet zu begeben.

Sie hatten den Überraschungsmoment voll auskosten können. Es hatte eine halbe Ewigkeit gedauert, bis die trägen Marineschweine ihrer Anwesenheit gewahr geworden waren und selbst jetzt, da sie sich ihrer Feuerwaffen bedienten, herrschte nach wie vor ein solches Chaos unter ihnen, dass über die Hälfte der Geschosse ihr Ziel verfehlte.
Anne hätte darüber gelacht, wäre die Lage nicht von solcher Ernsthaftigkeit gewesen. Ihre Liebe wartete in den dunklen Verliesen dieses Gaffelschoners auf sie und sie hatte diesem Moment lange genug entgegen gefiebert.

Endlich war es so weit. Sie waren nah genug. „Enterhaken auswerfen!", war es ihre Stimme, die über die Köpfe der Männer hinweg schallte. Und als wäre es schon immer so gewesen, als wäre es vollkommen üblich für eine Frau, das Kommando über ein Schiff voller Piraten zu besitzen, kamen sie ihrem Befehl ohne zu zögern nach. Beflügelt von ihrer aller Wunsch ihren Käpt'n zurückzuholen, setzte einer nach dem anderen auf die andere Seite. Anne war eine der ersten, die auf den fremden Dielen aufkam. Sogleich zog sie Säbel und Pistole, bereit sich in das Gemetzel zu stürzen. Aber anders als ihre Kameraden fokussierte sie sich nicht darauf, die Schweine bluten zu lassen, auch wenn diese einen brutalen Tod mehr als nur verdienten. Sie hatte vor, sich auf direktem Wege die Passage zu den unteren Decks freizukämpfen. Und das tat sie auch. Ein Leben nach dem anderen nahm sie, schoss und hieb um sich. Warme rote Sprenkel benetzten ihr Gesicht, ihr Haar und ihre Kleidung. Ihr Herz schlug im Rhythmus einer Kriegstrommel, die Hände nass von Schweiß und Blut, ihre Atmung ging stoßweise. Aber sie gab nicht nach, hielt keine Sekunde inne. Und sobald sie den Treppenabgang schließlich erreichte, fühlte sie sich so voller Leben, als hätte sie an einem dieser makaberen Rituale teilgenommen, in der so manch Irrer im Blut eines anderen badete, um sich an ewiger Jugend zu laben.

Es wunderte sie beinahe, dass ihr kein Soldat über die Füße stolperte, während sie sich in die Eingeweide des Gaffelschoners begab. Nur beinahe. Bedachte man das wirre Durcheinander, das unter den angeblich ausgebildeten Männern herrschte, kam es ihr nicht mehr so unwirklich vor. Es war fast so, als würde ihr Kommandant fehlen. Aber darüber konnte sie sich jetzt keine Gedanken machen.

Das Licht verschwand zunehmend aus den Gängen, je weiter sie sich vorwagte. Da kam ihr die Lampe nicht ungelegen, die sie einen Wimpernschlag später entdeckte. Behände umfasste sie den gusseisernen Griff, bevor sie den Weg eilig fortsetzte. Keine Sekunde wollte sie verschwenden. Sie war schon zu lange ohne ihr Herz, ohne den Sauerstoff, der ihre Lungen füllte, ohne ihr Leben.

Über ihrem Kopf donnerte und polterte es. Doch sobald sie schmerzerfülltes Stöhnen vernahm, verschwamm ein jedes Geräusch der laufenden Seeschlacht mit dem Hintergrund. Alle ihre Sinne fokussierten sich auf die Gitterstäbe, die sich ihrem Sichtfeld nur wenig später eröffneten. Gleich gefährlicher Reißzähne schossen sie aus den feuchten Dielen und verursachten eine beklemmende Enge in ihrer Brust. Es schmerzte sie zu wissen, dass Jack all die Zeit seiner Abwesenheit in diesem Loch hatte ausharren müssen. Aber das war jetzt vorbei.

Sie hielt die Laterne höher und leuchtete in ein bleiches, von grauen Zotteln umrahmtes Gesicht, das ihr mit einem undefinierbaren Glanz in den Augen entgegenblickte. Bei den Göttern, wie lange hatten diese Männer in dieser Finsternis verbringen müssen, dass sie fahl wie Leichen geworden waren? Sie würde sie alle hier herausholen, war sie sich doch sicher, dass sie alle waren wie sie. Piraten, denen die Marinebastarde übel mitgespielt hatten. Aber erst, nachdem sie den Grund ihres Erscheinens gefunden und befreit hatte.

„Jack?", rief sie seinen Namen in den Lärm hinein, der selbst vor diesem dunklen und abgetrennten Stück Schiffsdarm keinen Halt machte. Wenn das so weiterging, dann war bald keiner der englischen Soldaten mehr übrig. Ihr war es nur recht. Sie schritt weiter an den Stäben entlang, als sie plötzlich in eine Lache stieg. Ihre Stiefel sogen sich mit nasser Kälte voll. Sobald sie den Blick senkte, erkannte sie das es Meerwasser war, durch das sie watete. Verdammt ... trotz Bens Erfahrung musste eine Kugel das Holz an einer Stelle durchschlagen haben, die sie nicht hätte durchschlagen sollen. Vielleicht hatte bereits zuvor ein Leck existiert. Vielleicht war der Fehler aber auch Bens Zustand zuzuschreiben, der alles andere als vertrauenswürdig gewesen war.  Aber sie hatte ihn gebraucht. Trotz des anhaltend betrunkenen Verstandes und der Magenschmerzen, die ihn plagten. Seine Erfahrung war mit keiner anderen zu vergleichen.

Anne presste die Kiefer hart aufeinander. Das Wasser stand noch nicht hoch, also durfte das Leck nicht von bedeutender Größe sein. Ihr blieb Zeit. Trödeln kam dennoch nicht in Frage. „Jack?", rief sie seinen Namen erneut, doch anstatt den ihren aus seinem Mund zu vernehmen, ertönte ein lauter Pfiff.

Sie hob ihr Licht in besagte Richtung und erblickte einen Mann, dem sein weißes Hemd in Fetzen von den Schultern hing. Das hellbraune Haar stand ihm wirr und ungepflegt vom Kopf ab. Er musterte sie grinsend. „Das muss die atemberaubende Anne sein! Hätte dich wegen des vielen Bluts fast nicht erkannt. Aber die Beschreibungen, die Jack uns geliefert hat, passen wie die Faust aufs Auge."

„Wo ist er?", verlangte sie zu wissen, ohne auch nur auf eines seiner Worte genauer einzugehen. Das einzige, das an Bedeutung besaß, war, dass er wusste, wen sie suchte.

Zum Glück war der Kerl keiner, der um den heißen Brei schlich. Mit einem Kopfnicken deutete er auf die Zelle neben ihm. „Haben ihn ausgepeitscht, bevor ihr aufgetaucht seid. Und als er anfing zu lachen, da müssen Davies die Lichter durchgebrannt sein. Wir haben seine Stimme bis hier her hinunter gehört, Miss. Und dann haben sie ihn bewusstlos und mit blutverschmierter Schläfe zurückgeschleppt. Davies muss ihm einen ordentlichen Schlag gegen den Kopf verpasst haben, obwohl er die Zeit dafür mit eurem plötzlichen Auftauchen wohl kaum gehabt haben kann."

Sorge nistete sich in Annes Brust ein. Sofort trat sie auf die besagten Gitterstäbe zu und ließ das, was hinter ihnen verborgen lag, von ihrer Laterne erhellen. Sie erkannte die Umrisse eines an der Wand lehnenden Mannes und keuchte erschrocken auf. „Jack!", rief sie zum dritten Mal nach ihm. „Verdammt ... du musst aufwachen! So schaffe ich es nicht, dich hier herauszuschaffen!"

„Außer du lässt uns andere zuvor raus", schaltete sich der andere Kerl wieder ein.

„Das wäre ohnehin angebracht", machte sich eine weitere Stimme bemerkbar. Sie kam aus der Zelle, aus der auch die schmerzerfüllten Geräusche drangen.
Ein zustimmendes Schnauben mischte sich darunter, das ihr der Kampfgeräusche oberhalb des Decks wegen beinahe entgangen wäre. Sie ignorierte alle drei.

„Jack! Hörst du mich, verflucht?!" Panik stieg in ihr auf. Er rührte sich nicht.

„Die Schlüssel, Lady", vernahm sie da wieder die Stimme des Ersten. Nur schwer konnte sie den Blick von Jack losreißen, vor allem da sie in der Dunkelheit nicht einmal ausmachen konnte, ob seine Brust sich noch hob und senkte.

Sie folgte seinem Deuten in Richtung eines rostigen Hakens, an dem ein Bund Schlüssel baumelte. Sofort schnappte sie sich ihn und wandte sich wieder Jacks Gefängnis zu. Es waren so gottverdammt viele Schlüssel ... und das Wasser stieg, wenn auch nur langsam. Sie probierte den ersten aus. Nichts. Kein Einrasten, kein erfolgversprechendes Klicken.

„Du könntest den doch direkt bei mir ausprobieren, wenn ..."

„Haltet eure Klappen, wenn ihr wollt, dass ich auch euch von diesem höllengleichen Ort befreie!", fuhr sie demjenigen dazwischen, der es wagte, ihre Konzentration zu stören.
Der Zweite. Wieder nichts. Sie knirschte mit den Zähnen.

„Lady, das Wasser steigt und ich habe keine Lust zu ertrinken, das müssen Sie doch verstehen", meldete sich wieder einer. Rütteln an den Gitterstäben folgte, das Anne noch gereizter werden ließ.

Sie verstand sehr wohl, dass einen jeden dieser Männer Todesangst heimsuchen musste, doch sie brauchte dennoch so viel Ruhe, wie es gerade möglich war. Deshalb zögerte sie nicht, die Laterne an einen Haken an der Wand zu hängen und mit der daraufhin freien Hand die Pistole zu ziehen und sie in Richtung desjenigen zu schwenken, der partout nochmal nicht seinen Mund halten wollte. „Ich sage es nur noch ein einziges Mal ...", wollte sie ansetzen, als sie von einem ohrenbetäubenden Knall unterbrochen wurde.

Egal, was da gerade in dem Schiff eingeschlagen war, es konnte keine gewöhnliche Kugel gewesen sein. Sofort begann ihr Herz noch wilder zu rasen. Das Naft! Bei den Göttern, war Felicité so wahnsinnig das Höllenfeuer zu entzünden, während sie noch unter Deck waren?
Wenn sie richtig lag und der Gaffelschoner gerade dabei war in Flammen aufzugehen, dann rannte ihnen jetzt wahrhaftig die Zeit davon. Sie spürte sie förmlich wie Sand durch ihre Finger rinnen.
Als wäre der vermeintliche Brand nicht schon Gefahr genug, stieg der Wasserspiegel mit einem Mal bedrohlich schnell weiter an.

„Lady ..." Ein ungezielter Schuss sorgte sofort wieder für Schweigen. Aber verdammt ... sie konnte die anderen Männer nicht ersaufen lassen wie schwimmunfähige Neugeborene. Eilig kam sie deren Bitte also nach und versuchte die Schlüssel, die nicht zu Jacks Zelle gepasst hatten, an den anderen Schlössern. Und siehe da. Sowohl den stummen Zottligen konnte sie befreien und denjenigen, dem die warnende Kugel gegolten hatte. Der dritte Schlüssel passte wieder nicht in die Tür, die sie unbedingt geöffnet sehen wollte, aber in die des Braunhaarigen, der sie auf Jacks Zelle aufmerksam gemacht hatte.

Das Wasser stieg und stieg und die Kälte, die ihre Beine nach oben kroch, signalisierte ihr, dass es höchste Zeit wurde, den passenden für Jacks Gefängnis zu finden, als sie plötzlich ein heiseres Stöhnen von der anderen Seite der Gitterstäbe vernahm.
Der Rhythmus ihres Herzens beschleunigte sich und stolperte. Jack. Er lebte. Womöglich hatte die Explosion ihn aus seiner Ohnmacht geweckt. Sein heiseres "Anne", schnitt durch die dünne Hülle ihrer Selbstbeherrschung und ließ sie fast die Schlüssel aus den Händen verlieren. "Jack!"

Mühsam richtete er sich auf, schleppte sich taumelnd nach vorne, bis er die Gitter erreichte. "Anne, die Schlüssel, du musst den richtigen finden und ..." Die Berührung seiner kalten Finger jagte ihr ein Schaudern über die Haut, aber Zeit zum Austausch von Zärtlichkeiten blieb ihnen nicht!

"Das weiß deine Lady, Jack!", fuhr der Mann zu ihrer Linken ihn scharf an. "Jetzt sei still, damit sie sich konzentrieren kann."

Die salzige Meeressuppe reichte ihr bereits fast bis zur Hüfte. Langsam schwebte der Geruch von Rauch zu ihnen unter Deck und eine drückende Hitze machte sich von den Dielen über ihren Köpfen ausgehend bemerkbar. Es blieben keine Zweifel mehr. Der Racheengel war zum Dämon geworden und hatte das Naft gezündet, ohne darüber nachzudenken.

Annes Hände wurden zunehmend schwitzig, als der nächste und wieder nächste Schlüssel auch nicht passen wollte. Ihre Finger zitterten. Und das Wasser stieg. Es stieg so weit, dass es ihre Taille umspülte, das Schloss unter der Oberfläche verbarg und dann ihre Brust in Kälte einhüllte.

„Scheiße nochmal ... das kann ich mir nicht geben! Ich hau ab!" Mit diesen Worten und noch ehe Anne ihre Waffe auf ihn richten konnte, um ihn zum Bleiben zu bewegen, war das eine Großmaul auch schon verschwunden.
Hinter ihm der zottelige Alte. Undankbare Arschlöcher! Nur einer blieb bei ihr.

"Du schaffst es, Anne!", wob sich Jacks heiseres Flüstern in ihre von Panik getrübte Wahrnehmung.

„Aye, irgendeiner von den kleinen Scheißern muss es ja sein", sicherte der andere ihr zu und deutete mit einem Kopfnicken, dass sie weitermachen sollte. „Ich bin übrigens Jérôme." Wie ruhig er sprach. Als gäbe es nichts, vor dem man sich fürchten musste. Seine scheinbar unerschütterliche Gelassenheit verhalf Anne dabei, durchzuatmen und nicht völlig in Verzweiflung und Angst zu versinken. Dennoch kam sie nicht umhin, zu bemerken, wie er einen Atemzug später erst einen, dann zwei Schritte in Richtung des Ausganges trat und sich an den Gittern der gegenüberliegenden Zelle festzuhalten. Das Schiff geriet zusehends in Schieflage. Und Jack... Sein von Dunkelheit erfüllter Blick lag ruhig auf ihr, obwohl die Linie des Wassers bereits seinen Hals...

"Nein!" Das verzweifelte Wort entfuhr ihr, so wie das Metall der Schlüssel unter Wasser ihren kalten Fingern entglitten war.

"Was ist?"

"Ich hab sie fallen lassen!" Es gelang ihr nicht länger, Tränen der Verzweiflung zu unterdrücken. Das konnte es nicht gewesen sein! Durfte es nicht! Sie war so kurz vor ihrem Ziel, nur wenige Handgriffe trennten sie von Jack und ... Noch ehe sie den Gedanken zuende denken konnte, nahm sie wahr, wie er tief Luft holte und untertauchte.

Endlos lange Sekunden, in denen sie die unbewegte Wasseroberfläche beobachtete, geschah nichts. "Jack!" Ein weiteres Mal rief sie seinen Namen, nur um zuzusehen, wie das letzte bisschen seiner Zelle vom eindringenden Wasser überspült wurde. Es gab keine Möglichkeit mehr für ihn, Luft zu holen, wenn sie die Tür nicht öffneten, wenn...

Seine Hand umfasste die ihre, legte den Schlüsselbund hinein. Anne schnappte nach Luft und handelte sich unmittelbar hinunter zu dem Schloss, das ihn von seiner Freiheit trennte.
Bebend griff sie nach dem nächsten Schlüssel, steckte ihn ins Schloss. Das einrastende Gefühl des Bartes, der die richtigen Kolben bewegte, kam einem erlösenden Engelsgesang gleich. Endlich. Sie hatte den passenden gefunden.

Aber als sie die Tür öffnen wollte, musste sie feststellen, dass sie klemmte. Jérôme tauchte neben ihr auf, kam ihr zur Hilfe und gemeinsam zerrten und rüttelten sie an den Stäben, die sich keinen Millimeter rühren wollten. Und selbst als Jack sich von innen gegen die Tür stemmte, bewegte sich das rostige Eisen nicht.

Ihr Herzschlag dröhnte in ihren Ohren und das Bedürfnis ihre Lungen mit Luft zu füllen wurde übermächtig, als Jerome sich für einige Momente zum Atmen zurückzog. Anne folgte ihm und sobald ihr Kopf die Wasseroberfläche durchbrach, breitete sich das Bedürfnis aus hier und jetzt auf die Knie zu sinken. Wenn Jack an diesen Ort ertrank, dann wollte sie mit ihm sterben. Sie würde ihn nicht alleine in den Tod gehen lassen, wenn sie es doch war, die die Schuld daran trug. Weshalb nur hatte sie diese Briefe an Diamond schreiben müssen? Wieso hatte sie ihn allein zu Felicité gehen lassen? Wieso ...

Polternde Schritte, entschlossenes Platschen rissen sie aus ihrer Verzweiflung. Als sie den Kopf drehte, blickten ihre verweinten Augen einem teilweise verhüllten, aber deshalb nicht weniger bekannten Gesicht entgegen. Winston.

„Wusste ich's doch, dass ihr Hilfe gebrauchen könnt", stieß er hervor. Anne war nicht in der Lage zu antworten. Es gelang ihr lediglich stille Dankgebete an Fortuna zu schicken. Gemeinsam holten sie ein letztes Mal Luft. Dann tauchten sie.

Zu dritt zerrten sie an Jacks Tür und endlich tat sie einen Ruck und öffnete sich. Anne schwamm so schnell sie konnte, Jérôme hinter ihr her, während Winston dafür sorgte, dass die Tür nicht wieder zufallen konnte. Sie zerrten den leblos wirkenden Körper ihres Käpt'ns nach oben und trugen ihn hinauf in einen von Rauch verdunkelten Gang, in dem das Wasser ihnen lediglich bis zu den Knien reichte. Sie traute sich kaum zu überprüfen, ob Jack überhaupt noch atmete, als Winstons Stimme ihre Panik durchschnitt.
„Nach oben! Schnell!", hörte sie die Worte ihres Freundes. „Es steht alles in Flammen! Wenn wir noch bis zur Reling kommen woll'n, müssen wir uns beeilen!"

Anne hatte nicht vorgehabt, nur eine Sekunde länger hier unten zu verweilen. Mit Jérômes Unterstützung schaffte sie Jack weiter, als das Schiff plötzlich einen gefährlichen Schwenker tat. Es folgte ein lauter Rums in ihrem Rücken und einen Herzschlag später ein ohrenbetäubender Schmerzensschrei.
Sie hielt inne, warf einen Blick zurück und erkannte Winston, der von einer Kiste gegen die Wand gedrückt wurde. Ein krachender Laut zog durch das gesamte Schiff, der nichts Gutes verhieß. Winston versuchte sich zu befreien. Erfolglos.

Anne wollte Jack loslassen und ihn Jérôme übergeben. Aber der Mann schien zu begreifen, was sie vorhatte, noch ehe sie es in die Tat umsetzen konnte. „Ich schaffe es nicht, ihn allein über ein brennendes Deck zu tragen, Lady! Die Zeit sitzt uns im Nacken!"
Das konnte nicht wahr sein! Verdammt ... sie musste träumen! Einen schrecklichen Alptraum, den ihr der Teufel höchstpersönlich gesandt hatte!

„Geht!", brüllte Winston ihnen zu. „Bringt eure Ärsche in Sicherheit! Ich komm hier schon raus!"

Anne wusste, dass es eine Lüge war. Sie wusste, dass er ertrinken würde, wenn sie ihn so zurückließen. Eine unmögliche Entscheidung zwängte sich ihr auf. Winstons oder ihrer aller Leben. Es blieb keine Zeit, lange zu überlegen. Und Jack ... Sie durfte Jack nicht aufgeben.

Die salzigen Tränen hinterließen brennende Spuren auf ihren Wangen, als sie ihrem Freund zum letzten Mal zunickte.

Ihr Verstand war so getrübt von der Trauer, der Angst und der Anstrengung, dass ihr Körper das Kommando übernahm. In Gedanken abwesend schaffte er sie mit der Hilfe von Jérôme aus ihrem feuchten und verrauchten Grab. Das Erste, was sie wieder bewusst mitbekam, war das eisige Meerwasser, das sie umfing, sobald sie über die brennende Reling hechteten.

Sie lebte. Jérôme lebte. Und Jack würde sicher auch überleben. Aber einer würde für immer fehlen.

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