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Der Silberstreif

22. März 1822
Nassau

„The truth one day I'll kill us both. Come see the man you made"
~ Trails, The Devil is Real

Vier weitere Tage waren vergangen. So viele weitere Stunden, in denen sie nicht nur von Jack getrennt war, sondern in denen sie auch nicht wusste, ob er überhaupt noch atmete. Der Verlustschmerz, die Angst und die Sorge waren zu ihren ständigen Begleitern geworden. Und auch wenn Dritte vorrangig ihrer Liebe galt, machte sie sich auch welche um die Mannschaft.

Samuel hatte Zweifel gesät. Nach ihrer Rede hatte Anne fest daran geglaubt, die Wurzeln erfolgreich aus dem furchtbaren Boden gerissen zu haben. Aber die Unruhen hatten sich nur vorübergehend gelegt. Lediglich für ein paar wenige Stunden. Danach waren ihr immer mehr unschlüssige Blicke begegnet, Männer hatten ihre Unterhaltungen eingestellt, wenn sie oder Jonah an ihnen vorübergegangen waren. Und heute Morgen hatte der erste nach Cherleton gefragt, den sie in eine der Zellen gesperrt hatten, bis sie sich einig waren, was sie mit ihm anstellen sollten.

Verschwinden musste er. Das stand nicht länger zur Debatte. Es tat Anne weh zu sehen, was aus ihrem Freund geworden war. Aus dem einstmals freundlichen und aufopferungsvollen Weinhändler, der ihr mehr als nur einmal den Hintern gerettet hatte. Auch sie hatte ihn häufiger aus seiner eigens fabrizierten Scheiße gezogen, aber jetzt ließ sich sein Fehlverhalten nicht mehr länger dulden. Er war drauf und dran die gesamte Besatzung zu entzweien und dies in einer Zeit, in der der Käpt'n nicht hier war. Meuterei nannte man das und diese wurde für üblich mit dem Tod bestraft. Dass Jack nicht hier war, war Samuels einziges Glück. Anne würde ihn nicht hinrichten lassen, auch wenn es dieses Exempel wahrscheinlich gebraucht hätte, um wieder Ordnung in den aufgescheuchten Hühnerstall zu bringen.

Sie wollte ihn aussetzen. Aber nicht hier auf Nassau. Und so lange musste er eben in dem dunklen Verlies sitzen. Die einzige Person, die in den letzten Tagen regelmäßig nach ihm gesehen hatte, war Mary. Ihr Kodex verbot es ihr offenbar, dass sie einen an Schmerzen leidenden Mann ihre Hilfe untersagte, selbst dann, wenn er ein Mörder war und die Pein nicht real. Das hatte sie Anne zumindest lang und breit erklärt, obwohl diese ihr nur mit halbem Ohr zugehört hatte. Die zeternde Schiffsärztin ging ihr bisweilen auf die Nerven und wenn sie die ewigen, selbstgerechten Predigten leid war, schaltete sie mittlerweile einfach ab.

Anne hatte Samuel nicht besucht.
Erst als sie in der Dämmerung aufgestanden war, war ihr klar geworden, dass sie ihn nicht mied, um ihn zusätzlich zu bestrafen, sondern weil sie Angst hatte, ihre Schuldgefühle würden sie auffressen, sobald sie ihm in sein zerrüttetes Gesicht blickte.
Nicht nur an Jacks Entführung war sie schuld, sondern auch an Samuels Handeln. Sie hatte ihm das Herz gestohlen und sich wieder und wieder gegen die Ansichten ihres Käpt'ns ausgesprochen, dass es gnädiger wäre, ihn loszuwerden, als ihm ständig vor der Nase herumzutanzen und ihm vorzuhalten, was er niemals bekommen konnte. Die unerwiderte Liebe hatte ihm den Verstand geraubt. Sie hatte ihn wahnsinnig werden lassen. Verflucht ... vielleicht hatte sie sogar Read unrecht getan, als sie sein irrsinniges Verhalten allein der seltsamen Tinktur zugeschrieben hatte.

Mit zitternden Händen öffnete sie die Tür zu Cherletons Zelle. Sie hatte ihm eine der schöneren gegeben. Eine, in der die Dunkelheit nicht so vorherrschte, wie in manch anderer.
Die Knie an den Körper gezogen kauerte er auf seiner Pritsche. Er sah sie nicht an. Vermutlich, weil er gar nicht mit ihr rechnete.
Sie schluckte gegen das trockene Gefühl in ihrer Kehle an, ehe sie ganz eintrat und hinter sich schloss.

Was sollte sie sagen? Womit sollte sie beginnen? Womöglich mit einer Entschuldigung. Sie öffnete den Mund, da drehte Samuel mit einem Mal seinen Kopf in ihre Richtung. Er starrte sie aus leeren Augen an. Ein eiskalter Schauer jagte ihr das Rückgrat hinab. Es kostete sie alle Konzentration, sich ihre Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. „Du weißt, dass ich ..."

„Wann?", fiel er ihr ins Wort. Er klang so gleichgültig, dass sich ihr Herz krampfhaft zusammenzog. Sie kannte diese Art von Blick und Stimmfarbe und sie wusste, was er wissen wollte. Er hatte mit seinem Leben abgeschlossen.

Sollte sie erleichtert sein, dass er sich seinen Wahn endlich eingestand? Dass er seine Fehler und die Folgen begriff? Vermutlich. Aber da waren nur diese gottverdammten Schuldgefühle, die ihren Atem schwerer fließen ließen.
„Gar nicht", entgegnete sie ihm. Sie wollte sich auf ihn zubewegen und doch machte sie nicht einen Schritt.

Samuel löste die Finger von seinen Knien und fuhr sich mit einer Hand durch das schmuddelige Haar. Dann lachte er heiser und schüttelte dabei den Kopf. „Du willst mir weismachen, dass ihr mich laufen lasst? Anne, glaubst du ernsthaft, dass sie einen Scheiß auf deine Entscheidungen geben, wenn dein geliebter Jack außer Reichweite ist? Er ist der Grund, warum sie auch nach deiner Pfeife tanzen, nicht du selbst. Sie wissen, dass er ihnen den Arsch aufreißt, wenn sie dir querkommen. Aber jetzt ... er ist nicht da. Sie werden nicht auf dich hören. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie sich darüber klar werden, dass Jack nicht wiederkommt und ..."

„Er wird zurückkehren!", unterbrach sie ihn mit einem warnenden Unterton. „Und dir wird nichts geschehen, wenn ich es sage."

Samuel ließ sich nicht von dem drohenden Klang ihrer Stimme beeindrucken. „Du bist eine Frau und du wirst immer eine Frau bleiben. Egal wie sehr du dich darum bemühst, tatsächlich eine von ihnen zu werden. Am Ende werden sie dich immer nur als einen Anhänger des schwächeren Geschlechts sehen." 

„Wir werden dich aussetzen. Irgendwo, wo es sicher für dich ist." Sie ignorierte seine Worte, mit denen er nur bezwecken wollte, sie zu verletzen. „Ich wollte nur, dass du das weißt. Jonah war damit einverstanden."

„Und die anderen? Blackwood? Asbury? Scarlett?"

Ben hatte sie in den letzten beiden Tagen nicht zu Gesicht bekommen. Er hatte sich vorgenommen, erst auf das Schiff zurückzukehren, wenn er einen Hinweis auf Jacks Verbleib gefunden hatte. Auch wenn sie die Ratte nach wie vor nicht sonderlich leiden konnte, loyal war sie. Dementsprechend wusste Ben allerdings auch nichts von der versuchten Meuterei. Anne war sich sicher, dass er sich für Samuels Hinrichtung aussprechen würde. Aber wie oft hatte sie das Ungeziefer schon mundtot gemacht? Ben hatte eine große Klappe, aber nicht wirklich etwas zu sagen. Er konnte aufbegehren wie er wollte. Sie traf die Entscheidung und Jonah stärkte ihr den Rücken. So würde es sein.

Was die anderen Männer anbelangte ... sie würde einen Teufel tun und Samuel verraten, dass sein Unterfangen mehr Früchte getragen hatte, als er vermutete. Dass es an Deck tatsächlich Leute gab, die sich auf seine Seite stellen würden. Auch deswegen konnten sie ihm keine Kugel durch den Schädel jagen. Es würde die Unruhen nur zusätzlich schüren. Einen Märtyrer brauchte niemand.

„Es ist beschlossene Sache, Samuel. Du wirst eine weitere Chance bekommen, dein Leben zu leben. Nur nicht auf der Searose."

„Ich habe mein Leben aufgegeben, Anne. Für dich." Wieder lachte er heiser, ehe er sein Augenmerk auf die Pritsche richtete. „Und wohin hat es mich gebracht? Was für ein Narr ich doch gewesen bin."

Sie war sich nicht sicher, ob seine Worte noch länger ihr oder viel mehr ihm selbst galten. „Es tut mir leid", hauchte sie in die Düsternis hinein.

Es kam keine Antwort. Das Gespräch war beendet. Auch wenn es sich falsch anfühlte, die Zelle so zu verlassen, mit einer Menge unausgesprochener Dinge, die zwischen ihnen standen, kehrte sie ihm den Rücken und ließ ihn alleine.
Mehrmals dachte sie auf ihrem Weg nach oben darüber nach umzudrehen und es nochmal zu versuchen. Aber dann stand sie schon an Deck und ließ sich von der grellen Sonne blenden.

„Da ist sie ja! Anne!", hörte sie Jaspal und erkannte auch wenig später, wie er auf sie zugeeilt kam.
Es dauerte einen Moment, ehe sie begriff. Wenn ihr indischer Freund zurück war, dann bedeutete das ... „Wir haben endlich einen Anhaltspunkt."

Erleichterung durchströmte sie. Ihr Herz fing an zu rasen, ihre Atmung beschleunigte sich. Es war zu viel. Der ganze Wechsel an Gefühlen, der Schlafmangel, das wenige Essen.

„Anne?" Jaspals Stimme war geschwängert mit Sorge.

Sie wollte ihm antworten, aber es kam nichts über ihre Lippen. Schwindel ergriff von ihr Besitz und brachte ihre Welt ins Wanken. Ihre Sicht verdunkelte sich zunehmend. Sie versuchte irgendwo Halt zu finden, doch sie fasste ins Leere.
Dann knickten ihre Beine weg. Sie stürzte, aber der Aufprall auf die Planken blieb aus. Jemand hatte sie aufgefangen.
Das Letzte, was sie sah, war der grenzenlos blaue Himmel, bevor die Bewusstlosigkeit sich wie ein schwarzer Schleier über sie legte.

***

„Sie wacht auf." Winston.

„Bei den Göttern." Jaspal.

„Wird aber auch Zeit! Wir können nicht länger warten, wenn es stimmt, was die Verrückte da gestammelt hat!" Piet.

„Jetzt steht nicht so dumm da und begafft sie, als wäre sie eine Meerjungfrau!" Mary.

Blinzelnd schlug Anne die Augen auf. Sie lag in Reads Behandlungszimmer und starrte in ein Dutzend besorgter Gesichter. Nur langsam kehrte ihre Erinnerung zurück und sobald sie wieder vollständig Zugriff darauf hatte, richtete sie sich auf. Zu schnell. Erneut drehte sich der Raum um sie herum. Ihr war speiübel.

Marys Hand legte sich auf ihre Schulter. „Du solltest dir etwas Ruhe gönnen, Mädchen."

Das kam gar nicht im Frage! Endlich hatten sie einen Hinweis! Unmöglich konnte sie bei Read bleiben, wenn endlich ein Silberstreif am Horizont aufgezogen war. Sie musste sich ihn ansehen. Jetzt sofort.
Ohne der Schiffsärztin eine Antwort zu geben, hievte sie sich auf die wackligen Beine. Fast wäre sie erneut umgekippt, hätten sich da nicht die starken Hände von Winston an ihre Hüften gelegt und sie gehalten. „Im Ernst Anne! Ich glaub', Mary hat recht. Du solltest ..."

„Alles gut gemeinte Ratschläge, aber ich kann nicht untätig hier herumsitzen. Versteht ihr das nicht?", fuhr sie ihrem Freund dazwischen.

„Natürlich. Lass mich dir wenigstens nach oben helfen, aye?"

Sie nickte.

„Dummes Mädchen", hörte sie Mary raunen, während sie sich von Winston aus dem Raum führen ließ. Irgendwann würde der Tag gekommen sein, an dem sie der gehässigen und besserwisserischen Read eine verpassen würde. Aber dieser war nicht heute. Es gab Dringlicheres zu erledigen.

Jaspal und Piet folgten ihnen. „Bevor wir die Kajüte des Käpt'n erreichen, lass mich dir erzählen, was geschehen ist", erhob der Späher die Stimme.

Zu langsam kamen sie voran. Anne verfluchte ihren Körper. Weshalb musste er gerade jetzt versagen? Das Nutzen der Treppen kam dem Erklimmen eines meterhohen Berges gleich. Immer wieder tanzten schwarze Punkte vor ihren Augen, aber sie kämpfte erfolgreich gegen den erneuten Ohnmachtsanfall an.

„Wir hatten doch versucht, die Kräuterfrau ausfindig zu machen. Erinnerst du dich?"

„Natürlich erinnere ich mich", keuchte Anne. Sie klammerte sich an Winstons Schulter, als wäre jene ihr Anker im Sturm, der sie davor bewahrte von den Füßen gerissen zu werden.

„Wir haben sie gefunden. Oder besser gesagt ... sie hat uns gefunden. Sie hat sich versteckt gehalten, weil sie sich zunächst unsicher war, ob sie wirklich in die Sache hingezogen werden will. Aber Jack tat ihr wohl leid und zudem hat sie wohl selbst noch eine Rechnung mit einem Marineoffizier zu begleichen."

„Marine?" Aber natürlich. In der gleichen Sekunde, in der sie nachhakte, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Wer sonst hätte dahinterstecken sollen, wenn es nicht Blackbeards Männer waren. Die Spione, die sie noch nicht ausfindig gemacht hatten.
Kurz hielt sie inne, da sie eine Pause benötigte. Gierig sog sie die von der Hitze schwere Luft ein. „Ist es ... Geht es um Rache?"

Es war Piet, der den Kopf schüttelte. „Das würde nicht mit dem zusammenpassen, was wir bereits wissen. Die Männer von dem Schiff, mit dem Jonahs Diamant gekommen ist, haben nichts mit denen am Hut, die schon zuvor hier waren. Nicht direkt zumindest. Die Arschlöcher, die ihr in der Höhle gestellt und an den König ausgeliefert habt, waren Piraten wie wir."

Irgendwo berührte es Anne, dass der Niederländer sich mittlerweile als einer der ihren sah, hatte der Start in dieses Leben immerhin nicht auf völlig freiem Willen basiert. Wie weinerlich und ängstlich er am Anfang gewesen war. Sie war stolz auf seine Wandlung, zu der sie und Winston maßgeblich beigetragen hatten. Auch Theodore ... Sie verdrängte den Gedanken an ihren todkranken Freund und versuchte sich nicht auszumalen, ob er sein Ende auf Lanzarote bereits gefunden hatte.
„Also waren es waschechte Männer der Marine, die Jack entführt haben?" Sie nahmen den weiteren Weg auf. Es trennten sie nur noch wenige Meter von der Kajüte.

„Aye. Das behauptet die verrückte Kräuterhexe zumindest. Solltest du dir besser mal selbst anhörn. Sie ist da drin, bei Scarlett und Jonah." Winston löste seine Berührung und ließ Anne wieder auf ihren eigenen Beinen stehen. „Wir haben dort drin nichts verloren. Hat uns der rattengesichtige Hurenbock mehr als deutlich gemacht." Er warf ihr einen mitfühlenden Blick zu. „Wir hoffen alle, dass der Käpt'n bald wieder das Wort auf diesem Schiff hat."

„Aye. Wir vermissen ihn alle. Seit er weg ist, ist nichts mehr wie es einmal war", stimmte Jaspal zu.

Eine neue Welle Tatendrang rollte an und flutete Annes Innerstes. Es tat gut zu hören, dass Samuels Versuch Zweifel zu säen nicht bei allen von Erfolg gekrönt gewesen war. Sie nickte ihren Freunden zu. „Wir werden ihn zurückholen. Und das schon bald. Ich ..." Sie fasste sich an die Brust, als sie eine Wärme spürte, die sich von ihrem Herzen ausgehend in sämtliche Richtungen ausbreitete und ihr neue Kraft schenkte. „ ... kann es spüren."

Mit diesen Worten wandte sie sich von den drei Männern ab und trat in Jacks Kajüte ein.

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