Kapitel 1
Spitze Steinchen bohrten sich in meine nackten Fußsohlen. Ich bemerkte es kaum. Meine hochhackigen Schuhe, hatte ich schon gleich am Anfang abgeschüttelt. Das Adrenalin pumpte durch mein Blut, ließ meinen Körper automatisch handeln und die Angst und den Schmerz verdrängen. Doch viel schmerzhafter war es, meine Füße weiter vorwärtszubewegen. Nicht langsamer zu werden. Doch so sehr ich meine Beine zwang weiter zu rennen, desto langsam wurden sie. Die Erschöpfung übernahm die Kontrolle über meinen Körper.
Wie soll ich sie bloß abhängen?
Verzweifelt versuchte ich meinen Atem zu beruhigen und meine Gedanken zu ordnen. Mein Herz pochte wild gegen meine Brust. Jeden Moment erwartete ich, dass mein Herz meine Rippen mit einem lauten Knacken durchbrach und es aus mir heraussprang.
Ich drehte mühsam meinen Kopf nach hinten. Sah direkt in ihre verzogenen Gesichter. Ich spürte immer noch die feuchten Küsse an meinem Hals und ihre Hände, die an meinem Körper entlangstrichen und unter mein luftiges Kleid tasteten.
Ich erschauderte. Aber ich wusste nicht, ob es wegen ihrer Grimassen oder wegen der Kälte war, die nach und nach die Überhand gewann. Gänsehaut überzog mich von meinen nackten Zehen bis zu meinen rotblonden Locken.
Die jungen Männer rannten, seit sie mich gesehen hatten, hinter mir her. Ihr betrunkener Zustand hinderte sie nicht im Geringsten daran, mir eine geschlagene Ewigkeit zu folgen. Ich wusste auch wieso, denn diese Typen gingen auf meine Schule und waren nur ein bis zwei Jahre älter. Sie spielten im Footballteam und hatten dadurch eine sehr gute Ausdauer. Leider waren sie dadurch auch sehr beliebt, was ihnen ein unmenschlich großes Ego verlieh. Viele Mädchen himmelten ihnen hinterher, was mich ziemlich anwiderte.
Bisher hatte ich nur einen von ihnen abgehängt. Er hatte wohl am meisten getrunken und ist deshalb kurz am Anfang der Verfolgungsjagd einfach umgekippt. Nur noch zwei blieben übrig.
Ich witterte meine Chance, als ich um die Ecke bog und gleich darauf eine Abbiegung sah. Die Männer waren noch hinter der letzten Ecke, als ich in die dunkle Gasse sprintete.
Hoffentlich durchschauten sie nicht meinen Plan und bemerkten die roten Blutspritzer, die von meinen aufgeschürften Fußsohlen stammten, nicht, die ihnen den Weg verrieten.
Hier war eine Sackgasse. Wenn sie mich hier schnappen könnten, wäre es schwierig nochmal abzuhauen. Trotzdem hatte ich einen Vorteil. Die Typen waren zwar um einiges sportlicher als ich, weil sie quasi im Fitnessstudio und auf dem Footballfeld lebten, aber dafür waren sie dümmer als Brot. Klugheit war hier definitiv im Vorteil.
Mit zusammengekniffenen Augen presste ich meine Lippen fest zusammen und versuchte meinen Atem zu dämpfen, damit sie mich nicht hörten. Wobei ich bezweifelte, dass sie mich hörten, denn ihre schweren Fußschritte hallten in der ganzen Gasse wieder.
Ich hörte ihre lallenden Stimmen. Sie waren nicht mehr weit. Grölend rannten sie an meinem Versteck vorbei. Ich jubelte innerlich, wartete jedoch noch ein bisschen ab, falls sie zurückkehren würden.
Mein Plan war aufgegangen!
Ich wollte gerade erleichtert aufatmen, als plötzlich eine Gestalt um die Ecke kam. Mein Herz stockte für einen Moment, weil ich dachte, die Footballspieler hätten mich eingeholt, allerdings bewegte sich der Schatten um einiges flinker und eleganter. Bevor ich reagieren konnte, wurde ich auch schon an die kalte Steinmauer gepresst. Ich hatte keine Zeit mich zu wehren, oder wegzulaufen. Meine Füße hoben von dem schneebedeckten Boden ab und mein Mund wurde unsanft zu gehalten. Zappelnd versuchte ich mich aus dem Griff zu befreien, der mir das Blut abschnürte. Meine Hilferufe und Flüche kamen nur gedämpft durch die riesige Hand hindurch.
Ich wurde noch enger gegen die Wand gepresst.
„Sei leise", knurrte eine Stimme leise.
„Sonst bringe ich dich mit anderen Methoden dazu."
Ich erstarrte. Durch das Rauschen in meinen Ohren hörte ich das schrille Kichern und Kreischen von einer ganzen Truppe von Mädchen. Ihre Absätze knallten laut auf den Boden, während sie an uns vorbei stürmten. Faszinieren beobachtete ich, wie elegant sie sich auf ihren hochhackigen Schuhen bewegten, ohne sich den Hals zu brechen.
„Er ist da lang", schrien sie.
Meine Ohren klingelten bei ihrer hohen Tonlage, während sie an uns vorbei stürmten. Nachdem sie an uns vorbei waren, blieben wir noch eine Weile in unserer Position stehen, bis das Geklapper nicht mehr zu hören war, dann wurde der Griff gelöst.
Vorsichtig spähte ich um die Ecke, wurde jedoch wieder zurückgezogen, denn wie aus dem Nichts kamen die Footballspieler und liefen der Mädchengruppe hinterher. Ich atmete erleichtert auf, dann trat ich aus der Sackgasse. Fröstelnd rieb ich mir über die Arme, die von Gänsehaut bedeckt waren. Mein Atem beruhigte sich langsam wieder. Ich drehte mich zu dem Jungen um. Mit seinen schwarzen Haaren, durch die ich gerne mit meinen Fingern streichen würde, weil sie so weich aussahen und seinen grauen Augen, die mich gefährlich musterten, sah er so ziemlich nach dem Schwarm von vielen Mädchen aus.
Er musterte mich von unten bis oben, dann machte er einen großen Schritt auf mich zu.
"Du hast mich hier nicht gesehen", knurrte er bedrohlich in mein Ohr.
Als sein warmer Atem meinen Hals streifte, zuckte ich kurz zusammen. Schnell nickte ich. Ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, drehte er sich um und verschwand um die Ecke.
Hilflos sah ich mich in der dunklen Gasse um und fuhr mir mit meinen kalten Händen über die Arme, um sie ein wenig aufzuwärmen. Meine Zähne klapperten unkontrolliert aufeinander und ich spürte meine Zehen kaum. Suchend sah ich mich um und versuchte mich zu orientieren, aber die Gegend sah in der Dunkelheit immer gleich aus. Zwar leuchteten schwache Straßenlaternen jede paar Meter, jedoch wusste ich nicht, wo ich war. Noch nie war ich hier gewesen und wusste noch weniger, wie ich hier wieder rauskommen konnte.
Angst überfiel mich und ließ mich noch stärker zittern. Vorsichtig setzte ich mich auf den Bürgersteig und vergrub verzweifelt mein Gesicht in meinen Händen.
Ich würde hier erfrieren und man würde mich erst in ein paar Tagen finden.
Ich malte mir gedanklich die schrecklichsten Situationen aus, wie ich hier sterben würde. Dabei wusste ich nicht, ob der Tod durch Hunger, oder durch die Kälte schlimmer waren.
Ich schreckte auf, als ich leise Schritte, wie ein Echo, an den kahlen Wänden abprallen hörte.
Plötzlich sah ich einen Schatten um die Ecke auftauchen. Ich sprang auf die Beine. Der Junge von eben kam mir entgegen.
"Ich bin nicht so ein Arschloch, dass ein Mädchen in der Kälte erfrieren lässt", brummte er genervt.
Er zog sich seinen Pullover mit einem Ruck aus und für einen Moment erhasche ich einen Blick auf ein Stück Haut, dass sich entblößte. Schweigend hielt er mir ihn hin. Mit zitternden Händen griff ich danach und zog ihn mir über den Kopf. Er war mir viel zu groß und reichte mir fast bis zu den Knien.
Ohne ein Wort zu sagen, drehte er sich um und ging. Kurz blieb er stehen.
"Ich werde nicht ewig warten. Wenn du hier erfrieren willst, kannst du gerne hier weiter stehen bleiben", sagte er mit seiner angenehmen Stimme.
Sofort setzte ich mich in Bewegung und folgte ihm. Der Pullover wärme mich nur ein wenig. Mir war immer noch kalt und meine Beine bewegen sich vor Müdigkeit kaum noch vorwärts.
Eine Weile gingen wir nur stumm nebeneinander her, bis ich es nicht mehr aushielt.
"Du bist doch Nikolas Haramis?", fragte ich neugierig, während ich versucht, mit seinen langen Beinen, mitzuhalten.
Er schnaubte nur genervt und verdrehte die Augen, was ich bemerkte, da ich ihn von der Seite anschaute und immer noch auf eine Antwort wartete. Sie kam jedoch nicht, weshalb ich meinen Kopf abwendete.
"Wir hätten den Mädchen helfen müssen. Sie werden vielleicht meinetwegen vergewaltigt", flüsterte ich danach leise. Ich wusste zunächst nicht, ob er mich gehört hatte, denn er blieb still.
Ich bemerkte, wie er mich nachdenklich von der Seite anschaute, doch als ich ihm in die Augen blickte, schaute er auch schon wieder nach vorne.
"Sie kommen alleine zurecht. Ist ja nicht so, dass sie das nicht wollen. Ich bin mir sicher, dass sie liebend gerne mit ihnen ins Bett steigen. Und wenn nicht, dann können sie sich trotzdem irgendwie retten, immerhin sind sie mehr als doppelt so viele wie die Typen", antwortete er mir.
Ich nickte nur stumm.
Nach und nach nahm das Adrenalin, dass davor durch meinen Körper gepumpt wurde, ab. Nach mehreren Minuten hatte ich Tränen in den Augen, die ich mühsam wegzublinzeln versuchte. Ich spürte, wie sich, je weiter wir gingen, etwas Spitzes immer tiefer in meine Fußsohle reinbohrte. Es war so ein Schmerz, dass ich es nicht mehr aushielt und stehen blieb. Genau betrachtete ich meine Füße und bemerkte kleine Scherben in meiner Haut. Vor lauter Adrenalin bemerkte ich davor nicht, dass ich irgendwo in zerbrochenes Glas getreten bin.
Kurz zuckte ich zusammen, als ich den Jungen, bei dem ich mir mittlerweile ziemlich sicher war, dass er Nikolas Haramis war, neben mir bemerkte, der stirnrunzelnd auf die Glasscherben schaute. Ich sah, wie er die Zähne zusammenbiss, sodass sein Kiefer sich anspannte.
"Schon gut, schon gut, wir können weiter", murmelte ich und wollte weiter gehen, jedoch hoben mich ohne Vorwarnung zwei muskulöse Arme hoch.
Erschrocken stieß ich die Luft aus und klammerte mich an dem Hemd fest, damit ich nicht aus Versehen runterfiel. Nach einiger Zeit merkte ich jedoch, dass dies unnötig war, denn Nikolas, der einen finsteren Blick aufgesetzt hatte, trug mich mit einer Leichtigkeit aus der Gasse raus. Zwar machte er das nicht gerade sanft, denn ich wurde ich ordentlich durchgerüttelt, jedoch war es besser, als mit verletzten Fußsohlen weiterzugehen.
Ich kuschelte mich näher an seine warme Brust, die mir wenigstens etwas Warmes spendete. Meine Augen wurden müde, aber ich versuchte sie weiter aufzumachen. Ich scheiterte kläglich daran, den meine Lider klappten zu und ich tauchte in die bunte Welt der Träume ein. Von Weitem hörte ich nur noch ein: "Na toll, was soll ich den mit dir machen, wenn du mir hier einpennst?"
Dann wurde es still und dunkel um mich herum und am liebsten würde ich für immer hier bleiben, denn hier fühlte ich mich zum ersten Mal seit langem ziemlich wohl.
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