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Ich wurde in eine Decke gehüllt, sie setzten mich in einen Feuerwehrwagen und ich bekam einen heißen Tee in die Hand gedrückt. Der Brand war inzwischen gelöscht, die Morgendämmerung nahte. Alles wurde in ein goldenes Licht getaucht, was alles unwirklich erscheinen ließ. Von unserem einstig so schönen Haus war nicht viel mehr als ein verkohlter Schutthaufen übrig geblieben. Alle meine Sachen waren verbrannt, doch komischerweise fühlte ich gar nichts. Absolut überhaupt nichts. Mein ganzes Leben, alle Erinnerungen waren unter einem Haufen Asche und verkohltem Holz begraben und in meiner Brust klaffte ein großes Loch, das ich nicht ganze zuordnen konnte. Meine Gedanken kreisten immer noch um den Mann im Foyer und die schreckliche Art, durch die er zu Tode gekommen war.
„Margareth? Ich bin Officer Benston. Ich würde dir gerne ein paar Fragen stellen. Wäre das okay für dich?" Vor mir stand eine junge Frau in Polizeiuniform.
„Klar." Inzwischen ging es meiner Stimme schon wieder etwas besser. Ich zog die Decke fester um mich.
„An was erinnerst du dich? Bevor das Feuer ausgebrochen ist?" Eigentlich wollte ich nicht lügen, doch diese Situation erschien mir so abstrakt, das ich einfach nur irgendetwas herunterleierte.
„Ich glaube, ich bin ganz normal ins Bett gegangen, wie jeden Tag. Und dann... ich weiß nur noch wie ich plötzlich vor unserem brennenden Haus stand."
„Wann bist du ins Bett gegangen?"
„Ich denke so gegen 10 Uhr." Sie streichelte mir über die Schulter.
„Vielen Dank, Margareth, wir werden deine Aussagen in den Augenzeugenbericht miteinfließen lassen und so den Hergang des Feuers ermitteln." Ich musste schlucken und dachte voller Schreck wieder an Anthony.
„Können sie mir sagen, wo mein Bruder ist? Wird er vermisst?" Sie sah mich mitleidig an.
„Im Moment können wir noch nichts genaueres sagen, aber... du hast nichts worüber du dir Sorgen zu machen brauchst, deine Eltern und dein Bruder werden schon wieder auftauchen." Richtig, Mum und Dad wurden ja offiziell auch vermisst. Ich hörte Zweifel in ihrer Stimme und plötzlich war mir klar: Ich würde sie wahrscheinlich nie mehr sehen. Meine ganze Familie war in einer einzigen Nacht verschwunden oder ermordet worden und wahrscheinlich war ich als nächstes dran. Eine Träne rannte mir über die Wange und tropfte auf den Boden. Oder hatte Mum und Dads Verschwinden sogar direkt etwas hiermit zu tun?
„Warten Sie.", rief ich ihr hinterher, als sie gerade wieder gehen wollte. „Können sie mir sagen, wer mich vorhin vom Haus weggezogen hat?" Sie runzelte die Stirn.
„Nein. Ich habe ehrlich gesagt gar nicht darauf geachtet, aber jetzt wo du es sagst... Ich kannte ihn jedenfalls nicht." Entschuldigend machte sie sich wieder auf, um die anderen Anwohner zu befragen. Langsam stand ich auf. Ich würde mir das nicht gefallen lassen. Ich würde um meine Familie kämpfen, egal wie viel Hoffnung noch bestand, dass sie am Leben waren. Ich schüttelte die Decke ab und begann zu rennen.
„Hey, wo willst du hin?" Eine Sanitäterin rief nach mir, doch ich ignorierte sie und lief weiter. „Bleib hier, Schätzchen, das hat doch keinen Sinn." Ich hatte kein Ziel, ich wollte einfach nur weg. Weg von diesem Schutthaufen, der einmal mein Leben gewesen war. Zuerst wusste ich nicht, wohin mich meine Füße trugen, doch als ich langsamer wurde und schließlich stehen blieb, fand ich mich vor Laylas Haus wieder. Da es noch sehr früh war, musste sie noch schlafen.
Lays Zimmer lag im ersten Stock neben der Garage, so dass man ganz bequem in ihr Zimmer klettern konnte. Seit wir uns kennenlernten war das unser ganz persönlicher Geheimweg, den wir aber zugegeben in der letzten Zeit nicht mehr so oft genutzt hatten. Als ich mich an ihrer Garage hinaufgehangelt hatte und leise an ihr Fenster pochte, sah ich schon, dass sie noch in ihrem Bett lag und schlief. Der Vorhang war wie immer aufgezogen, da Lay abends am Liebsten die Sterne beobachtete. Mit 5 wollte sie am liebsten „Sternguckerin" werden und seitdem konnte sie nicht genug davon bekommen. Genauso wie von Rätseln und Geheimnissen. Kaum hatte ich angeklopft, schreckte sie erschrocken hoch und sah mich mit angsterfüllten Augen an. Als sie mich schließlich erkannte, stand sie auf und kam ans Fenster.
„Scheiße, Mar, wie siehst du denn aus?! Und was machst du hier? " Ich stieg durch ihr Fenster, ließ mich auf ihr Bett fallen und fing an zu heulen. „Oh Gott, Süße, was ist passiert?" Also erzählte ich ihr alles, was an diesem verrückten Abend passiert war, angefangen bei den Chips im Auto bis hin zu dem mysteriösen Jungen, der mich vom Feuer weggezogen hatte. Da Lay einen unglaublichen Feinsinn in Sachen Mysterien hatte, hatte sie kurz nachdem sie zum ersten Mal bei mir war sehr schnell herausgefunden, dass da etwas faul war. Irgendwann hatten wir dann nachgegeben und meine Eltern hatten mir nach einigen heftigen Diskussionen erlaubt, ihr alles zu erzählen, jedoch erst, nachdem sie ihr eingeschärft hatten, dass all das streng vertraulich wäre! Was natürlich nicht gerade verständlich für eine 12-jährige war, aber seitdem war Lay die einzige, die wusste, was meine Eltern in Wahrheit machten. Während meiner Erzählung riss sie ihre Augen immer weiter auf, so dass man am Ende das weiße darin erkennen konnte.
„Oh mein Gott, Anthony wird doch nicht darin verbrannt sein, oder? Sorry das war jetzt ein bisschen direkt." Ich schluchzte wieder los.
„Ich hab auch keine Ahnung, Lay, meine einzige Hoffnung ist, das er rechtzeitig gemerkt hat, was los ist und sich aus dem Staub gemacht hat." Inzwischen war bereits die Sonne vollständig aufgegangen.
„Komm, wir gehen zu meinen Eltern und erzählen ihnen alles, musst du nicht bei der Polizei sein oder so? Ich komme natürlich mit, in deinem Zustand lasse ich dich auf keinen Falle alleine!" Sie wollte aufstehen, doch ich riss sie an ihrem Handgelenk zurück.
„Nein, Lay, keiner darf merken, dass ich hier bin! Bitte! Sonst kommen diese Leute vielleicht als nächstes zu mir! Kann ich mich nicht hier irgendwo verstecken?" Ich sah sie mit meinem Spezial-Hundeblick an, dem außer meinem Bruder (oh Gott, anderes Thema!) niemand widerstehen konnte.
„Aber meinen Eltern müssen wir es wenigstens sagen. Ist das nicht irgendwie illegal? Ich will wirklich keinen Ärger bekommen..."
„Lay!"
„Okay, okay,..." Und so saß ich eine Stunde später mutterseelenallein in Lays Kleiderschrank, da ich sie gezwungen hatte zur Schule zu gehen, sonst würde jemand etwas bemerken. Was meine Situation nicht unbedingt verbesserte. Nicht mal mein Handy konnte ich benutzen, da man mich sonst orten hätte können. Zur Sicherheit hatte ich sogar den Akku rausgenommen, der nun in Lays Papierkorb lag. Lay hatte mir versprochen, dass ich mich in ihrem Schrank verstecken konnte, der leider kein begehbarer Kleiderschrank war, nicht einmal ihre Mum finden würden, die ab und zu reinschaute und ein bisschen aufräumte. Lays Mum arbeitete in einer Anwaltskanzlei, wohin sie immer erst gegen zehn Uhr aufbrach. Ihr Dad war Grafikdesigner und hatte schon einige bekannte Sachen gemacht. Ich versuchte, meinen Fuß auszustrecken, der eingeschlafen war. Ich sollte Lay wirklich vorschlagen, mal ernsthaft über eine Kleiderschrankvergrößerung nachzudenken.
Plötzlich öffnete sich die Tür und jemand kam in Lays Zimmer. Ich hielt den Atem an und kniff die Augen zusammen, als die Schritte auf den Schrank zukamen. Ich schrie fast auf, als derjenige den Kleiderschrank mit so einem Schwung aufriss, dass die Tür fast aus den Angeln sprang.
„Du hast mir nicht gesagt, dass es so schlimm ist!" Lay stand vor mir, ihren Schulrucksack in der einen und ein Stück Papier in der anderen. Ich atmete erleichtert auf.
„Was? Ich hab dir doch alles erzählt!"
„Ja, aber ich dachte du übertreibst mal wieder. Jetzt komm aus dem Schrank raus, ich hab dir Kekse mitgebracht. Deinetwegen verpasse ich jetzt Englisch." Ich stürzte mich mit Heißhunger auf die Kekse, während Lay mich über alles neue informierte. Anschließend hielt sie mir das Papier unter die Nase. Darauf war das Bild von mir abgebildet, das im letzten Jahr im Jahrbuch erschienen war. Würg. Darunter stand. Gesucht! Wichtige Zeugin! Ich musste schlucken.
„Immerhin haben sie keine Belohnung auf mich gesetzt.", meinte ich scherzhaft.
„Noch nicht. Und das ist nicht witzig, Mar! Was hast du vor jetzt zu machen? Du kannst dich auf jeden Fall nicht für immer in meinem Kleiderschrank verstecken."
„Ich muss rausfinden, was das alles mit meinen Eltern zu tun hat. Und der einzige Ort, der dafür in Frage kommt, ist in dem Büro dieses Managers."
„Was?" Sie sah mich entsetzt an. „Du willst wirklich in dieses Haus zurück? Trotz der Leiche?"
„Na, die werden sie ja inzwischen hoffentlich beseitigt haben."
„Hallo? Und was ist mit Anthony? Willst du nicht erst mal nach ihm suchen?"
„Doch. Natürlich." Mein Gesicht verfinsterte sich.
„Ganz ehrlich, Lay. Gibt es wirklich eine Chance, dass er das überlebt haben könnte?" Sie nahm mich in den Arm.
„Na klar, es gibt immer Hoffnung. Wo hast du vor, als erstes zu suchen?"
„Keine Ahnung, ich werde wohl dahin gehen, wo mich meine Füße hintragen." Sie seufzte.
„Kannst du kurz hier warten? Ich packe dir ein paar Sachen ein, denn ich befürchte du wirst wohl nicht so schnell zur Polizei gehen, oder?" Ich gab keine Antwort. Während sie im Erdgeschoss rumorte, aß ich die Kekse auf und lehnte mich schließlich ratlos an die Wand. Ich hatte wirklich keinen Plan. Da hörte ich Lay schon wieder heraufkommen.
„Hier." Sie hielt mir einen großen Rucksack hin. „Da ist alles drin was du brauchen könntest. Inklusive Keksen." Ich lächelte sie traurig an.
„Danke, Lay. Du bist echt die beste Freundin, die man sich wünschen könnte." Sie wollte gerade etwas erwidern, als es an der Haustür klingelte. Sie runzelte die Stirn und lief ins Bad, von dem aus man auf die Eingangstür sehen konnte. Ich ging ihr hinterher, als sie erschrocken aufkeuchte.
„Die Polizei! Mar! Versteck dich! Oder noch besser, versuch über unseren Geheimweg abzuhauen." Wir hatten nicht mal mehr Zeit für eine richtige Umarmung, da scheuchte sie mich schon in ihr Zimmer und öffnete das Fenster. „Ruf mich an sobald es geht, ich hab dir mein altes Klapphandy in den Rucksack gesteckt." Ich sah eine Träne in ihrem Augenwinkel glänzen. Es klingelte wieder. „Ich komme ja schon!", schrie sie nach unten. „Viel Glück." Dann verschwand sie nach unten, um die Tür zu öffnen. Ich schwang ein Bein über das Fensterbrett und krabbelte auf das Garagendach. Gott sei Dank war die Garage eher etwas hinter dem Haus versteckt, so dass man mich von der Haustür aus nicht sehen konnte. Ich ließ mich an der Rückseite hinunter und sah mich noch einmal um. Das war es dann wohl, ich würde verschwinden.
Schweren Herzens schlug ich den Weg über den Gemüsegarten von Lays Nachbarn ein, den wir früher so oft benutzt hatten wenn wir eine Abkürzung zwischen unseren Häusern benutzten. Ich schlug die alten Brombeerzweige aus dem Weg, die die Lücke in der Hecke verdeckten und kroch hindurch. Ein paar Zweige schrammten an meinen Fingern vorbei und hinterließen Striemen, was mich jedoch nicht störte. Im Moment hatte ich wichtigere Probleme. Als ich gerade am alten Gartenhäuschen des Nachbarn vorbeischleichen wollte, packte mich eine Hand m Knöchel und zog mir buchstäblich die Füße weg. Ich wollte gerade aufschreien, als ich bemerkte wer mir da die Füße weggezogen hatte. Stürmisch umarmte ich ihn.
„Ich dachte schon, du wärst tot!"
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Und? Schon eine Idee was mit Mar's Eltern passiert sein könnte? ^^
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