13
Als ich erwachte, lag mein Kopf an einer kühlen Fensterscheibe und die Sonne blendete mich. Ich sah eine herbstliche Landschaft an mir vorbeiziehen und richtete mich auf. So wie es aussah, saß ich auf der Rückbank eines alten Geländewagens. Auf dem Fahrersitz konnte ich die Silhouette von Thomas erkennen und auf dem Beifahrersitz... Frederic.
„Sie ist erwacht." Thomas betrachtete mich im Rückspiegel. Sofort fiel mir wieder ein, wie er meinen kleinen Bruder auf dem Arm hatte, so blass und leblos...
„Wo haben sie ihn hingebracht? Was ist passiert?" „Meinst du deinen kleinen Bruder? Keine Angst, er ist wieder da wo er vorhin auch war. Bei Ärzten die sich um ihn kümmern." „Ihre Leute?" „Selbstverständlich." Ich spürte, dass er mich durch den Rückspiegel beobachtete, während ich meinen Blick durch die Landschaft streifen ließ. Wir fuhren durch Wälder und Felder, aber kamen keine einziges Mal auch nur in die Nähe einer Ortschaft, was mich verzweifeln ließ.
„Wie können sie nur so herzlos sein?", fragte ich ihn irgendwann, während ich über das alles nachdachte. „Wenn ihr Chef es verlangt hätte, hätten sie Anthony auch umgebracht, nicht wahr? Ist es das, was sie wollen? Ein Mörder zu sein?" Er zuckte nicht einmal zusammen bei meiner Frage.
„Ich tue, was getan werden muss, Margareth. Wenn ich es nicht tue, dann ein anderer." „Sie machen es sich zu leicht." Ich sah jedoch, dass sich seine Miene während unseres Gespräches verändert hatte.
„Sei jetzt still oder ich sorge dafür, dass du die Klappe hältst." Ich hatte keine Angst vor ihm, oh nein. Aber ich schwieg trotzdem, ich wollte keine Gelegenheit verpassen, von hier zu fliehen. Er deutete neben mich.
„Alles, was du brauchen wirst." Der Rucksack. Ich nahm eine Wasserflasche heraus. Frederic hatte immer noch nichts gesagt, er hatte sich nicht mal zu mir umgedreht. Aber mir was es auch recht, so konnte ich wenigstens ausblenden, warum ich mich hier befand.
„Wohin fahren wir?"
„Wohin glaubst du denn, dass wir fahren?", kam prompt die Antwort. Genervt schmiss ich die Flasche wieder auf den Sitz neben mir.
„Sellera Manor wahrscheinlich. Ich kann das nicht! Warum glaubt ihr alle, dass ich da einfach so reingehen kann um das Bild zu stehlen? " Verzweifelt klammerte ich mich am Türgriff fest. Ich bekam keine Antwort und es war mir ehrlich gesagt auch ganz recht. Konnte man sich damit abfinden, etwas nicht zu schaffen? Ich hatte aufgegeben.
Thomas hielt den Wagen an, nachdem wir in einen kleinen Feldweg eingebogen waren. Ringsherum war Wald, der das Licht abschirmte, das deswegen nur noch vereinzelt durch die Kronen schien. Fast schon magisch sah das aus, einzelne goldene Lichtstrahlen, die den herbstlichen Blättern der Bäume einen orangenen Glanz gaben. Wir hielten am Rand des schier unbefahrenen Weges.
„Wir sind da."
Wir stiegen aus. Nachdem ich meinen Rucksack vom Beifahrersitz gezerrt hatte, ließ Thomas den Motor wieder an.
„Hier endet der Weg für mich. Du schaffst das, Margareth. Denk an deinen Bruder!" Das klang wie eine Drohung. Ohne ein Wort zu sagen drehte ich ihm den Rücken zu. Ich hörte, wie das Auto sich langsam entfernte und mich und Frederic zurückließ. Dann war das hier also mein Todesurteil. Wütend drehte ich mich zu Frederic um, der neben dem Rucksack hilflos auf dem Weg stand.
„Was ist eigentlich dein Problem?" Er starrte mich an, als realisierte er erst jetzt, dass ich ja auch anwesend war.
„Ich habe kein Problem mit dir. Aber offensichtlich du eins mit mir." Seine Stimme war kratzig, so als hätte er tagelang nicht gesprochen. „Hör mal.", begann ich. „Ich will das hier nur fertig bringen, ich will nur zurück zu meinen Eltern und meinem Bruder die dein Vater entführt hat! Und fürs Protokoll, da warst du, der mich aus dem Feuer gezogen hast! Ich bin doch nicht verrückt! " Er sah mich einen Moment lang an und drehte sich dann weg und begann, in den Wald hinein zu laufen. „Bleib gefälligst stehen! Wohin gehst du überhaupt?" „Glaubst du etwa, man kann sich über die Straße anschleichen?", hallte es zwischen den Bäumen.
Wir waren etwa eine halbe Stunde durch den Wald gewandert, als Frederic vor mir plötzlich stehen blieb.
„Was ist denn?"
„Sei leise! Wir sind schon fast am Haus." Ich spähte zwischen zwei Baumstämmen hindurch und sah die majestätische Villa, die sich perfekt in die Landschaft einfügte. Sie war weiß angestrichen und hatte große offene Fenster auf jeder Seite. Sie glich exakt den Bildern, die ich gesehen hatte. Rundum, ein Traumhaus.
„Wie kommen wir denn bitte da rein?" Verzweifelt drehte ich mich zu Frederic.
„Über die Küche."
„Klar, aber wie kommen wir in die Küche? Ich meine, es kann uns so gut wie jeder sehen!" Er hob eine Augenbraue und lächelte mich spöttisch an.
„Na, wie jeder andere auch." Und dann marschierte er los, auf die Wiese und den gepflasterten Weg, der von der Straße, die in einiger Entfernung aus dem Wald heraus führte zum Haus hin.
„Hey! Das kannst du doch nicht machen! Du bist schließlich nicht derjenige, dessen Leben hier am seidenen Faden hängt. Komm zurück!" Ich rief, so leise wie ich konnte ohne von anderen gehört zu werden hinter ihm her, doch er machte keine Anstalten sich umzudrehen, sondern lief einfach weiter. Ich hatte wirklich kein Problem mit ihm, ehrlich nicht, aber Leute, die mich dumm hinter sich herlaufen ließen hingen mir einfach nur zum Hals raus. Aber ich hatte hier wohl keine Wahl. Seufzend gab ich auf und lief, mir ziemlich dumm vorkommend, hinter ihm her. Als ich ihn schließlich erreichte, waren wir bereits am Kiesweg angelangt, der zum Haus hinführte, so dass wir nun für jeden sichtbar darauf zu schlenderten.
„Was soll das, verdammt noch mal?", zischte ich ihm zu. Er verdrehte nur die Augen.
„Geh einfach. Glaub mir, ich bringe uns schon nicht um."
„Hat dir eigentlich schon mal jemand gesagt, das du einfach nur zum Kotzen bist?!" Wieder dieser spöttische Blick.
„Ein paar Mal." Ich beschleunigte meine Schritte, so dass ich nun einige Meter vor ihm ging.
„Immer schön geradeaus. Wir wollen doch nicht, das du dich verläufst.", hörte ich es hinter mir. Ich schickte einen wütenden Blick nach hinten, ging aber weiter, bis wir genau vor der Haustür standen. Eine schöne Haustür, übrigens. Helles Holz und ein goldener Griff. Frederic drückte auf die Klingel daneben.
„Bist du verrückt? Willst du einfach läuten und fragen, ob sie uns netterweise das Bild geben wollen?!"
„So ähnlich." Er schubste mich beiseite, als auch schon die Tür aufging. Ein Dienstmädchen steckte ihren Kopf heraus.
„Hallo, wir sind die neuen Küchenhelfer", stellte sich Frederic so unschuldig wie möglich vor, nicht einmal ich hätte ihm nicht geglaubt, wenn ich es nicht besser gewusst hätte.
„Davon hat mir Meister Sellera gar nichts erzählt.", meinte sie, doch öffnete die Tür etwas weiter.
„Das muss wohl daran liegen, dass wir den Job erst gestern bekommen haben." Immerhin, im Lügen war Frederic ein Ass. Sie beäugte misstrauisch den Rucksack, den ich immer noch auf dem Rücken hatte.
„Oh, der ist für... in dem habe ich immer ein paar sehr nützliche Küchengeräte.
„Na dann kommt mal rein. Ich bin übrigens Liz, ich arbeite auch in der Küche." Und sie öffnete die Tür ganz. Wow. Das Haus war von innen echt der Hammer. Die große Eingangshalle mit einem kleinen Brunnen und einer Wendeltreppe, die sich bis in den zweiten Stock emporzog, war schon ein Anblick für sich. Aber dann noch die ganzen tropischen Pflanzen! Ich kam mir vor wie in einem Gewächshaus.
„Meister Sellera hat eine Vorliebe für außergewöhnliche Pflanzen, deren Früchte er auch gerne isst. Habt ihr schon mal in einer Küche gearbeitet?" Nun kam ich Frederic zuvor, wofür ich mir einen Seitenhieb einfing.
„Wir haben Grundkenntnisse, aber man versprach uns, dass das kein Problem wäre." Sie seufzte.
„Als ob ich nicht schon genug zu tun hätte, und dann auch noch zwei Neue ausbilden. Ich verstehe wirklich nicht, was die Hauschefin sich dabei gedacht hat."
„Die Hauschefin?", fragte ich nach. Sie runzelte die Stirn.
„Ja, Madame Poisson. War sie es nicht, die euch angeworben hat? Ist ja auch egal, jedenfalls ist sie für die Hausverwaltung zuständig, für das Personal und was auch sonst alles noch anfällt." Schnell versuchte ich, meinen Fehler wieder auszubügeln.
„Oh ja klar, Madame Poisson. Ich hatte nur ihren Namen vergessen. Wo wir schon bei Namen sind, ich bin Anna und das ist..." Ich sah Frederic auffordernd an.
„Jack. Ich bin Jack." „Sie lächelte uns an.
„Nett, euch zwei kennenzulernen. Aber jetzt kommt mit, ich zeige euch, wo die Küche liegt." Sie führte uns eine Seitentreppe, die laut dem Schild das an der Tür hing nur für das Personal bestimmt war, hinunter in den Keller. Schon von weitem kam mir der Geruch von Essen entgegen.
Wir gingen einen feuchten Kellergang entlang, der so gar nicht zum blitzblanken Äußeren der Villa passte. Diesmal war es Frederic, der hinter uns her trottete.
„Wie viele Leute arbeiten denn hier insgesamt?", versuchte ich mein Glück bei Liz, an noch mehr Informationen zu kommen.
„Lass mich mal nachdenken... das müssten insgesamt so um die zwanzig sein. Drei Gärtner, fünf Zimmermädchen, drei in der Küche, Madame Poisson, der Butler und dann noch das Überwachungspersonal." Inzwischen hatten wir die Küche erreicht, ein großer Raum, durchzogen von drei Kochinsel, auf denen sich Töpfe und Teller türmten.
„Hier ist eure Arbeitskleidung." Liz warf uns zwei Schürzen zu, die offenbar schon viel durchgemacht hatten, den Flecken darauf zu urteilen.
„So leid es mir tut, ihr müsste heute erst mal abwaschen. Wie ihr seht, wir hatten gestern eine große Party und da kommt immer besonders viel schmutziges Geschirr auf uns zu." Ich lächelte zwanghaft, band mir die Schürze um und versuchte, Frederic mit meinen Blicken zu erdolchen. Normalerweise übernahm ich Arbeitsaufgaben immer gerne. Aber doch nicht massenhaft schmutziges Geschirr abwaschen!
„Ich muss noch die restlichen Teller von oben holen, fangt einfach schon mal an.", sagte Liz und zeigte auf zwei Spülen, in denen schon Wasser eingelassen war. Sobald sie weg war, warf ich die Schürze zur Seite und baute mich vor Frederic auf, was mir irgendwie erbärmlich vorkam, da er mindestens zwei Köpfe größer war als ich. Egal.
„Was fällt dir eigentlich ein, uns erst als angebliche Hilfsköche auszugeben und uns dann Geschirr abspülen zu lassen?!" Er zuckte mit den Schultern.
„Wäre dir eine bessere Lösung eingefallen, hier reinzukommen?! Außerdem nützliche Küchengeräte!", äffte er mich nach. Ich ging nicht darauf ein.
„Auf jeden Fall eine bessere als das hier!"
„Mein Gott, stell dich doch nicht so an, wir machen das jetzt fertig und verstecken uns dann gegen Abend hier in der Küche, um das Bild zu klauen."
„Du meinst ich soll mich hier verstecken. Und überhaupt, das sind noch mindestens fünf Stunden!" Doch da kam Liz auch schon zurück und ich musste mir wohl oder Übel eingestehen, das ich wohl keine andere Wahl hatte. Mürrisch zog ich mir die Putzhandschuhe über und tauchte den Schwamm in das schmutzige Wasser.
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