Kapitel 88
Ein paar Tage darauf hielt ich die Ruhe in meinem Zimmer nicht mehr aus. Es machte mich wahnsinnig, alleine zu sein, weil Grant sich beinahe durchgehend selbst verschachtelte und in Mitleid sulte. Schön und gut, dass es ihm auch scheiße ging, aber es bestand die Möglichkeit, mit mir zu reden. Reden sollte doch helfen oder? Tja, ihm anscheinend nicht. Also zog ich mich am Donnerstagmorgen an, schminkte mich, wusch mir das Gesicht und legte zumindest für die folgenden Stunden den Schleier meines Schmerzes ab. Heute würde ich nur Ruby sein. Ruby, die alleine durch die Schule trottete, weil Corine krank und nicht tot war. Heute. Ich atmete tief durch und musterte mein Spiegelbild. Trotz dem Makeup sah man deutlich, wie mitgenommen ich war. Das Grau meiner Augen hatte an Farbe verloren, wenn das überhaupt ging. Sie waren so leer und ausdruckslos, dass ich sah, wie sich aufsteigende Tränen in ihnen spiegelten. Ich würde nicht weinen, sagte ich mir. Nicht heute. Nicht morgen. Nie wieder. Das Weinen hatte mich ausgelaugt, zerstört. Es half nicht, im Gegenteil. Corines Seele hatte mich zwar in den letzten Tagen besucht, aber ihre Besuche waren merkwürdig und...unnahbar gewesen. Wir hatten keine Themen zum Reden gefunden. Natürlich nicht, immerhin gab es nichts wichtigeres als ihren Tod. Sogar die sonst so gesprächige Corine konnte sich nicht überwinden, eine Geschichte zu erzählen. Auf ihr musste eine gewaltige Last liegen.
Ich strich mir ein vereinzeltes Haar aus dem Gesicht und verließ das Badezimmer. Draußen wartete GGG bereits auf mich. Ich wusste, dass er mich intensiv anstarrte, obwohl ich nicht zu ihm schaute. Ganz egal, ob er in den letzten Tagen in sich gekehrt gewesen war, er sorgte sich um mich. "Ich gehe zur Schule", sagte ich, als hätte er das nicht selbst bemerken können. "Bist du sicher? Du kannst auch noch-" Kopfschüttelnd unterbrach ich ihn. "Das muss ich tun. Ich kann nicht bis an mein Lebensende vor mich hin trauern." Derweil mein Lebensende sowieso nicht in ferner Zukunft lag. Todgeweihte, stimmts? "Einverstanden. Aber, wenn du dich schlecht fühlst, gehst du einfach." Er machte einen Schritt auf mich zu und drückte mich an sich. "In Ordnung", sagte ich. Weil er so groß war und ich so klein, ging meine Bestätigung in seinem Tshirt unter. Doch er hatte ohnehin verstanden. Seine Körperwärme verlieh mir die Kraft, folglich die Treppen im Eingangbsereich hinab zu steigen, das Wohnhaus zu verlassen, die Straßen entlang zu gehen, die zu dieser Zeit ziemlich leer gefegt waren und das Schulgebäude zu betreten. Kaum einer war hier. Zugegeben, absichtlich hatte ich mich viel zu früh auf den Weg gemacht, um möglichen Konfrontationen aus dem Weg zu gehen. Mehrere Leute wollte ich auf gar keinen Fall heute zu Gesicht bekommen. Angeführt war diese Liste durch Niall. Darunter standen Daizy, Claudine, Daizys Freundinnen, Claudines Freundinnen, Tschad, die halbe Cafeteria, die ganze Schule. Eigentlich hatte ich einen Fehler begangen, indem ich hergekommen war. Aber das Leben ging weiter. Früher oder später hätte ich es getan. Und besser früher.
"Du schaffst das", wisperte ich zu mir selbst, während ich meinen Spind suchte und die Bücher, die ich benötigte herauskramte. Der Hausmeister lief vorbei, musterte mich kurz verwirrt. Doch er sagte nichts, wofür ich absolut dankbar war. Ich konnte nur hoffen, dass der Rest der Schule seinem Beispiel folgte. Für die nächsten 28 Minuten versteckte ich mich in der Ecke, die so viele gute wie schlechte Erinnerungen weckte. Corine, wie sie dachte, Niall und ich hätten uns geküsst. Corines und meine erste Begegnung. Das war ein Tag gewesen. Seufzend schloss ich die Augen. Der Gong, der den Stundenbeginn anläutete, veranlasste mich dazu, die Augen wieder zu öffnen. Und da stand, inmitten der drängelnden Jugendlichen, die selbstverständlich auf den letzten Drücker zu ihren Kursen sprinteten, Niall. Er starrte mich förmlich an, als sei ich ein Weltwunder. Vielleicht war ich das ja auch. Ich hatte vorgehabt, ihn zu ignorieren, mich von ihm fernzuhalten. Alles erdenkliche zu tun, um nicht mit ihm reden zu müssen - damit ich mich auf das Wesentliche konzentrierte. Nämlich die Rache an ihn. Hier standen wir nun.
Die Welt zog an uns vorbei und alles, an das ich denken konnte, war seine Stimme, seine Hände, seine Berührungen. Mein Herz pochte verräterisch laut in meiner Brust. Der Teil, der an ihn glaubte, übernahm die Überhand. Ich zwang mich dazu wegzuschauen. Der Blick seiner Augen hypnotisierte mich. Aber er durfte nicht so eine Macht haben. Ohne Vorbereitung stürmte ich auf ihn zu. Zwecklos war es, mich von meinem Vorhaben abzubringen. Ich stand ganz nah vor ihm, hielt den Zeigefinger vor seine Nase. "Du warst es!", zischte ich. Einige Mitschüler drehten sich zu uns um, blieben stehen. "Du hast sie umgebracht, verdammt!" Irgendetwas neues, etwas unbekanntes erfasste seine Augen. Das Gold wurde unterbrochen von einigen satten Grünsprenkeln. "Das habe ich nicht", sagte er ruhig. "Natürlich warst du es! Gott, ich hab dir vertraut und du tust nichts anderes, als...als sie kaltblütig zu ermorden!" Meine Stimme wurde ganz schrill. Selbst der letzte Depp auf den Fluren hatte sich nun umgedreht. Sie gafften wie die Hühner.
"Ruby!" Er fasste meine Hand, die vor ihm in der Luft schwebte. "Niall!", giftete ich. Erst zu spät spürte ich die Tränen auf meinen Wangen. Ich entriss ihm meine Hand, zu spät. Er hatte bemerkt, dass ich seine Berührung nicht schlimm fand - alles nur nicht das. Er bemerkte einfach alles. Doch statt dem erwarteten selbstgefälligen Ausdruck in seinem Gesicht, fand ich einen Ausdruck der Sehnsucht, ja der Reue. Ich hielt die Luft an. Mein Herz teilte sich in zwei Hälften. Die eine wollte ihn schlagen, ihn umbringen. Die anderen wollte..ihn küssen. Nialls Herz musste dieselbe Intention haben wie meines. Denn er trat einen Schritt auf mich zu, nahm mein Gesicht in beide Hände beugte seinen Kopf zu mir herab und legte seine Lippen sanft auf meine - in dem denkbar unpassendsten Moment, den je zwei Menschen gehabt hatten, um sich zu küssen.
Leute idk mein watty lädt scheise hoch aber och wollte euch noch mal mitteilen dass wir auf platz fucking 4 sind/waren idk. Ich freake aus, danke danke danke xxx
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