Kapitel 69
Corine verließ fünf Minuten später die Wohnung und ich war alleine - mit einem alten und einem toten Mann, die beide darauf warteten, sich mit mir zu unterhalten. "Ruby?" Das war Grants Stimme. Weil ich direkt in mein Zimmer verschwunden war, hörte er nicht, dass ich seufzend und stöhnend vom Bett aufstand, um daraufhin in die Küche zu gehen. "Ja?", fragte ich, als ich schließlich bei ihm ankam. "Hast du die Milch ausgetrunken?" Er stand vor dem Kühlschrank, dessen Tür in einer und die leere Milchflasche in der anderen Hand. "Ich bin laktoseintolerant", sagte ich nur. Er zuckte mich den Achseln, als verstünde er nicht, wie das erklären sollte, wohin der Inhalt der Milch verschwunden war. "Die Milch in deiner Hand ist nicht laktosefrei", fuhr ich fort. Da machte es klick. Ich warf Nialls Vater, der gegenüber auf dem Sofa saß einen verwirrten Blick zu. Er erwiderte ihn nicht, deutete aber ein knappes Grinsen an. "Du willst mir also sagen, dass ich dafür verantwortlich bin?" GGG kratzte sich am Kopf. "Ja." Diesmal seufzte er, schaute auf seine Armbanduhr und schien sich den Gürtel enger zu binden. "Ich bin bald zurück, muss nur Milch einkaufen." Er verhielt sich geradezu, als ob er keine zwei Tage ohne Milch überlebte. "Okay", sagte ich. Er ging an mir vorbei, fischte irgendeine Jacke aus dem Haufen neben der Tür. Dann wollte er abzischen, aber ich hielt ihn auf. "Grant?" In der Bewegung hielt er inne. "Ruby, die Geschäfte machen gleich zu... Komm zum Punkt!" Ich lachte leise. "Vielleicht solltest du Schuhe anziehen." Er beugte den Kopf um seine Füße zu betrachten. "Vielleicht sollte ich das tun."
Ich korrigiere, jetzt war ich alleine - mit einem toten Mann, der darauf wartete, mir seine Leidensgeschichte zu erzählen. Ich machte mir einen Tee. "Du willst vermutlich keinen", sagte ich zu Nialls Dad, der weiterhin auf dem Sofa herumgammelte. Er schnaubte. "Natürlich nicht." Ich fing an, mit mir selbst zu reden. So weit war ich doch schon mal! Während das Wasser kochte, musterte ich den Mann erneut. Nun, im Licht der Wohnzimmerlampe, wirkte er wie ein echter Geist, eine Leiche. Seine Klamotten wirkten auf einmal dreckig und kaputt, sein Gesichtsausdruck zerfiel in sich selbst und der Hut auf seinem Kopf drohte runterzufallen. "Rück den Hut zurecht, ich habe kein Verlangen danach, mich heute auch noch zu übergeben", sagte ich. Zum Glück befolgte er meine Anweisung, wenn auch grummelnd und schimpfend. Es tat mir aber auch leid, dass ich mein Essen gerne bei mir behielt. Ich holte mir eine Tasse, mit Winnie-the-Puh als Aufdruck, aus dem Schrank, stellte sie auf die Theke und goss das kochende Wasser hinein. Dann griff ich nach einem Teebeutel, der lose herumflog und steckte ihn dazu. Ich tat den Wasserkocher zurück und ging, die Tasse in der Hand, um die Theke zu dem Klamottenhaufen auf den Plastikstühlen. Unachtsam schmiss ich die Klamotten zur Seite und setzte mich. Ich nahm einen Schluck meines Tees, bevor ich den Mann aus müden Augen anstarrte. Hinter ihm konnte ich mein Spiegelbild in der Scheibe sehen. Tatsächlich sah ich noch erschöpfter aus, als ich mich fühlte. Einen Augenblick lang überlegte ich, mir ausnahmsweise einen Kaffee zu machen. Doch diese Idee verwarf ich schnell wieder. Ich brauchte kein Aufpunschmittel, der Tee reichte völlig. Noch dazu wollte ich, wie gesagt, nicht kotzen. Eilig schaute ich weg von meinem Spiegelbild, Nialls toten Vater an. Oh Gott. Niall und ich saßen wirklich im selben Boot. Und das Boot würde jede Sekunde kentern.
"Ich vermute, du möchtest, dass ich sofort anfange, dir zu erzählen, was es mit meinem Tod auf sich hat." Ich nickte. "Exakt. Ich werde hier sitzen, keinen Mucks von mir geben und dir lauschen, wie du mir eine plausible Erklärung auftischst." So sah der Plan zumindest aus. Aber Nialls Vater zog einen Strich durch den Plan. "Das klappt nicht." Augenverdrehend, entgegnete ich: "Doch, das klappt. Ich kann sehr gut still sitzen und du hörst dich selbst gerne reden, schätze ich." Wir hatten also beide was davon. Oder? Sein rechtes Auge zuckte, weil ich ihn ganz offensichtlich beleidigt hatte. Er war zwar der Vater einer Person, die ich... Er war zwar Nialls Dad, aber dennoch unsymphatisch - noch dazu tot. "Nein, so läuft das trotzdem nicht, Cherubyn." Ich nahm einen Schluck von meinem Tee um von meiner Unruhe abzulenken. In mir brodelte es. Konnte er nicht einfach beginnen, ohne so einen Terz darum zu machen? Ich wollte ein für alle mal erfahren, was hier gespielt wurde. "Nennen sie meinen dämlichen Namen so oft sie wollen, ich verstehe es nicht. Warum können sie mir nicht einfach eine Erklärung liefern und dann verschwinden?" "Weil ich etwas dafür möchte, dass ich dir deine Erklärung liefere." Das letzte Wort spuckte er fast. Klar. Ich hätte selbst darauf kommen können, sofern ich mein Hirn angestrengt hätte. Selbstverständlich verlangte er etwas. "In Ordnung. Was willst du?"
Mir spukten die verrücktesten Ideen durch den Kopf. Eine absurder als die andere. Ich sah mich schon: "Tut mir leid, aber ich kann sie nicht wiederbeleben", sagen. Dazu war niemand imstande. Jedenfalls glaubte ich das. Es gab auch Zeiten, in denen ich geglaubt hatte, niemand besäße die Fähigkeit, den Körper eines anderen zu kontrollieren. Nialls Existenz belegte das Gegenteil. "Ich will, dass du meinem Sohn eine Nachricht übermittelst." Wowowo... Damit hatte ich nicht gerechnet. "Ich soll deinem Sohn einen Nachricht übermitteln? Spinnst du?" Niall hielt mich doch für total bekloppt, wenn ich ihm davon erzählte, dass ich seinen Vater getroffen hatte - seinen toten Vater!
Denkt ihr, er hält sie nicht sowieso schon für bekloppt? xxx
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