Kapitel 47
"Ich gehe davon aus, dass du Grant sofort genervt hast, damit er dir mehr erzählt", sagte Niall, während ich mir die Hand aufs Herz legte. Es faszinierte mich, wie schnell es schlug. Gleichzeitig bewahrte es mich vor einem Gefühlsausbruch, die Hand an den Ort zu legen, der gleichzeitig mein Ende und meinen Anfang brachte. "So sieht's aus", gestand ich. Wer an meiner Stelle hätte anders gehandelt? "Heute morgen." Ein Windhauch - ich hatte ihn nicht vermisst - wehte mir die Decke um die Ohren. Es wurde immer kälter, je dunkler der Himmel wurde. Außerdem frierte mein Hinterteil, trotz dem Teppich auf den Fliesen. Verflucht sei der September. Niall nickte. "Hat er dir von den Prophezeihungen erzählt?" Diesmal nickte ich. Dann packte ich die Bilder zurück in den Karton. Ich wollte mich gerade zurückfallen lassen, als die Ringe, die darin lagen, meine Aufmerksamkeit auf sich zogen. "Von einer bestimmten?" Ich schnappte mir den ersten Ring, wies Niall an, den zweiten herauszuholen. "Er brabbelte irgendwas von rot mit gold vereint, aber hat mitten drinne aufgehört." "Hast du seinen genauen Wortlaut mitbekommen?" Kopfschüttelnd hielt ich den Ring in das klägliche Licht der Deckenbeleuchtung. "Es hat sich gereimt." Niall schnaubte belustigt. "Das haben Prophezeihungen üblicherweise so an sich."
Der Ring besaß keine Farbe. Er war nicht schwarz, nicht gold und auch nicht rot. Er rostete wie ein gewöhnlicher Ring, aber etwas verriet mir, dass dieser Ring genauso besonders war wie der, der an meiner Kette befestigt war. "Was sind das für Ringe?" Ich schaute zu Niall, der den anderen Ring um die eigene Achse drehte. Er presste die Lippen auf einander. "Dir wurde vieles beigebracht, das weiß ich. Sag schon!", wies ich ihn an. Ich versuchte mir meine brennende Neugierde nicht anmerken zu lassen. Insbesondere da die Neugierde sich mit Angst vermischte. Ich wusste wahrscheinlich schon, was die Ringe bedeuteten, bevor Niall es laut aussprach. "Sie sind erloschen. Genau wie ihre Besitzer." Wenn diese beiden Ringe meinen Eltern gehört hatten, dann mussten sie..erloschen sein. Sie waren tot. Aber..Moment mal. "GGG sagte aber, er wisse nicht, wie es um meine Eltern steht", entgegnete ich, voller naiver Hoffnung. Niall bedachte mich mit einem Blick, der mich ein zweites Mal bestätigte. Ich hoffte zu viel. "Grant ist ein ehrenhafter Mann. Er wollte dich nicht verletzen." Vielen Dank. Dabei hätte ich die Wahrheit durchaus verkraftet.
"Und? Dann kann ich sie eben niemals sehen, berühren, umarmen. Wen interessiert das schon?" Ich holte tief Luft und pfefferte den Ring zurück in den Karton. Schneller, als ich es mir selbst zugetraut hätte, stand ich auf meinen Füßen und am Balkon. Für einige Sekunden überlegte ich, wie es sich anfühlte, hinab zu springen. "Ruby", sagte Niall besorgt. "Niall", konterte ich, in genau demselben Tonfall. "Vielleicht sind es nicht die Ringe deiner Eltern." Das glaubte er doch selbst nicht. "Sie befinden sich im selben Karton wie Fotos von ihnen, aber gehören ihnen nicht? Niall, ich hatte ein bisschen mehr Gehirn von dir erwartet." Er stöhnte, rappelte sich aber auf und stand kurz darauf neben mir am Balkongeländer. Ich musterte die Stadt, in der ich seit einer Woche lebte. Anfangs war es neu für mich gewesen. Alles so groß, so neu, so beängstigend. Doch mittlerweile erfüllte mich der Anblick der Stadt nicht mehr mit Verzweiflung oder Klaustrophobie. Ich fühlte mich in gewisser Weise zuhause, sowie Corine es beschrieben hatte. Die Dunkelheit des Himmels tunkte die Stadt in ein ganz anderes Licht. Auf einmal sah es aus wie in einer Geisterstadt. Ich fand es wunderschön, vor allem wegen der wunderbaren Leere in den Straßen. Lediglich in dem Haus gegenüber brannten Lichter.
Aus dem Augenwinkel musterte ich Niall. Er spielte mit seinem Lippenpiercing. Nein, ich ließ mich jetzt nicht ablenken, indem ich ihn dabei beobachtete. Also schaute ich schnell weg. "Du hast mich gerettet", sagte ich, einer Eingebung folgend. Es war definitiv keine Frage, sondern eine Feststellung. "Themenwechsel liegen dir, was?" Aber er verneinte nicht. "Hab ich recht oder hab ich recht?" Er legte die Ellenbogen auf dem Geländer ab und beugte sich nach vorne. Ich schielte zu seiner Jeanstasche. Perfekte Gelegenheit. Ich rührte mich nicht. "Ja, ich habe dich aus dem Feuer gezogen." "Wie...hast du das gemacht? Keiner hat dich gesehen." Mir fiel etwas ein. "Sie haben mich für bescheuert gehalten, als ich ihnen von dem Retter erzählt habe." "Ist das meine Schuld?" Nein, natürlich nicht! Ich war ja bescheuert. Warum ging er nur auf meine zweite Aussage ein? "Irgendwie schon, ja." "Naja, du musst zugeben, dass du in der Tat bescheuert bist." Hey! Das hatte er nicht gesagt! "Gar nicht wahr." Niall lachte. Er lachte wirklich. Sein Lachen klang so rau und tief wie das Lachen eines männlichen Filmstars, der seinen nächsten One-Night-Stand gefunden hatte und bereit war es mit ihm zu treiben. "Siehst du? Du weißt es selbst", erwiderte er, als ich nichts mehr darauf sagte. Das stimmte nicht. Ich war weder bescheuert, noch sonst was. Ich war nur Ruby. Und ich ließ mich gefährlich leicht ablenken.
"Ich könnte dich da runter stoßen", murrte ich. "Willst du es versuchen? Garantiert bekommst du es nicht hin." Ich schüttelte den Kopf. Das alles war so absurd. Ich stand hier draußen, fror mir wortwörtlich den Arsch ab, weil die Tür auf geheimnisvolle Art und Weise zugefallen war und redete mit dem weltgrößten Idioten, der existierte. Und worüber unterhielten wir uns? Nicht etwa über wichtiges wie diese Prophezeihung, die den Weltuntergang oder sowas hervorsah oder über die kaputten Ringe meiner Eltern. Nein, anstelle dessen stritten wir darüber, ob ich ihn von einem Geländer schubsen konnte und ob ich nun bescheuert war oder nur so wirkte. "Ich könnte mir Hilfe von den Nebelschwaden holen", murmelte ich. Garkeine so schlechte Idee. "Nebelschwaden?" Niall wurde hellhörig. "Unwichtig. Wo waren wir?" Ich hatte keine Lust, ihn auf seine komische Seele hinzuweisen. Der Himmel verdunkelte sich um ein weiteres Stück. Die Lampe über unseren Köpfen knisterte, ehe sie den Geist aufgab. Toll, wir standen im Dunkeln. Eigentlich wäre das nicht schlimm gewesen, hätte mein Körper nicht urplötzlich aufgehört meinen Befehlen zu gehorchen. Ich war eine Salzsäule. Keinen Zentimeter schaffte ich es, mich zu bewegen, geschweige denn dem Idioten den giftigsten aller bestehenden Blicke zuzuwerfen. Meine Stimmbänder waren frei, wofür ich ihm dankbar war. "Niall", motzte ich. Was sollte der Mist schon wieder? In der Dunkelheit und alleine fühlte es sich sogar noch schlimmer an, keine Kontrolle zu haben, als gestern.
"Was für Nebelschwaden meinst du?" Als ob er das nicht selbst wusste. Ich konnte mir denken, dass er seine Seele kannte, zumindest ahnte, was darin vor sich ging. Irgendwie hielt er sie ja vor mir versteckt! Er besaß eine, so viel stand jedenfalls fest. Andernfalls wäre es ihm wie der dämlichen Barista ergangen. Niall stand nicht länger neben mir. Er packte mich von hinten. Die Barista, besser gesagt, ihre Seele hätte mich nicht berühren können. Der Balkon schien mit jeder Sekunde kleiner zu werden. Ich antwortete ihm nicht. Das war so respektlos von ihm. Sollte er sich selbst was zusammen reimen. "Sag schon." Die Gefühle hatten ihn verlassen, kaum hatte ich die Nebelschwaden erwähnt. Was war nur los? "Verdammt, Niall. Du kannst nicht jedes Mal anfangen, mich zu begrabschen, wenn du etwas wissen willst. Das ist mir zu hoch."
Brutalus Niallus Rubem foltet. Ich hab neue Lateinvokabeln erfunden lol. Eig sollte ich nämlich gerade welche lernen. Ups xxx
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