Kapitel 4
Somit stand ich quälend lange in der Wohung und säuberte die Zimmer, eines nach dem anderen. GGG hatte mir meine Brille wieder gegeben, wenigstens ein Lichtpunkt. Im Waisenheim hatten wir lediglich unsere Betten selbst aufräumen müssen, den Staubsauger hatte ich demenstprechend noch nie zuvor benutzt. "Du hast nicht irgendwo einen Gürtel liegen sehen oder?" Grant musste brüllen, damit ich ihn verstand und den Staubsauger ausstellte. Ich strich mir leichte Schweißperlen von der Stirn. Wie fand er überhaupt seine Autoschlüssel oder sein Gehirn? Da mich die Sonnenbrille ein wenig vor unerwünschten Eindrücken, beispielsweise einem Seelenraum, schützte, blickte ich zu ihm auf. Dabei vermied ich den direkten Blick in seine Augen. "Bisher nicht, nein", sagte ich. "Schade." Er hielt mit einer Hand die Hose oben, während er sich mit der anderen versuchte die Knöpfe des Hemdes zuzuknöpfen. Natürlich bekam er es nicht hin. "Wenn du ihn findest, sag mir bitte Bescheid." Ich seufzte. Blieb mir eine andere Wahl?
"Wusstest du, dass man dich in einem anderen Land dafür in den Knast stecken könnte?", entfuhr es mir, definitiv eine Spur zu spitz. Er setzte ein Grinsen auf. "Wofür? Dass ich meinen Gürtel suche?" Wir wussten beide, wovon ich sprach. "Wohl kaum", warf er hinterher. Er machte auf dem Absatz kehrt, doch im Türrahmen drehte er sich erneut zu mir um. "Übrigens darfst du gerne eine Pause machen und mit mir zu Abend essen." Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Obwohl ich leicht angesäuert war, weil ich in seinen Augen wohl die neue Putzfrau abgab, ließ ich den Staubsauger zu Boden fallen und folgte ihm in die Küche - oder das, was er so nannte. In Wahrheit war die Küche eine Art Wohnzimmer mit Herd, Waschbecken und Hantelbank. Genau, Grant mochte kein Messi sein - eigentlich war mir bisher keine besorgniserregende Sammlung aufgefallen -, aber er hatte eine komische Art zu leben.
Inzwischen schien er einen Ersatzgürtel aus einer Schublade im Flur gezogen zu haben. Das Hemd war ebenfalls geschlossen und saß zusätzlich sogar ziemlich gut. Auf einem kleinen Fernsehtisch standen zwei Teller, befüllt mit Brokkoli, Hähnchen und Reis. Seine Ernährungsweise war ebenso gewöhnungsbedürftig wie alles andere hier. Ich war es gewohnt, keine geregelten Malzeiten zu bekommen, wenn doch irgendeine Art von Grütze, eine Matratze zu bewohnen, die unbequemer als eine Bank war und und und... Gestern, an unserem ersten gemeinsamen Abend, hatte ich ewig vor dem Tisch gestanden und nicht gewusst, wie ich mit diesen ganzen Eindrücken umgehen sollte. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte sich jemand die Zeit genommen, mit mir zu essen. GGG saß bereits und stopfte sich ein Brokkoliröschen in den Mund. Ich tat es ihm gleich.
"Warum hast du mir nicht gesagt, dass du Kimberleys Onkel bist?", fragte ich. Er schluckte, wobei man seinen Adamsapfel sehen konnte. "Ich bin Kims Onkel." Augenverdrehend nahm ich einen Schluck Wasser. In diese Haushalt gab es nur Leitungswasser und Kaffee. Ich hasste Kaffee. "So meinte ich das nicht." Und Wasser mochte ich auch nicht. "Ich weiß." Das Wasser schmeckte langweilig und alt. Wie konnte Grant damit überhaupt leben? "Damit du das nicht falsch verstehst, Kleine. Kim hat mich zwar gebeten, dich aufzunehmen, aber ich habe das aus freien Stücken getan." Tatsächlich. "Ich hatte auch mal eine Tochter, weißt du?" Ich ahnte, dass dieses Gespräch in eine merkwürdige Richtung gehen würde. Er begann, persönliche Dinge zu erzählen. Sollte ich ihn stoppen, bevor er in meiner Gegenwart zusammenbrach? Ich beschloss, abzuwarten. "Länger her, aber ich hatte vergessen, wie es ist, Vater zu sein. Bis Kimberley mich auf die Idee brachte, dich bei mir aufzunehmen."
"Wo ist deine Tochter jetzt?", fragte ich, biss mir im gleichen Moment jedoch auf die Zunge. Das war nicht unbedingt geschickt gewesen. Grant schlang den letzten Rest seines Hähnchens runter. "Ich gehe noch mal einkaufen, brauchst du noch irgendwas?" Ich schloss daraus, dass er nicht gut mit seiner Tochter auskam. Vorerst würde ich es dabei belassen. "Kann ich vielleicht mitkommen?" Im ersten Moment wirkte er überrumpelt. Kleinlaut fügte ich hinzu: "Ich mache keinen Dreck und ich bin vorsichtig. Es ist nur..." Ehrlich gesagt war ich noch nie Einkaufen gewesen. Ich verstummte, da es mir plötzlich peinlich wurde. "Einverstanden." Er reichte mir eine Stofftüte und wir marschierten los, raus aus der Wohnung, die Treppen nach unten, verließen das Gebäude und überquerten die Straße. Dann gingen wir eine Weile schweigend.
Wunderschöne altmodische Laternen standen am Straßenrand und ließen die vom Regen glitzernde Straße strahlen. Ich musterte alles, jeden noch so kleinen Stein, jede Pfütze und jede alte Frau mit Chihuahua. Für mich war es neu, durch eine Stadt zu gehen, insbesondere durch eine Großstadt. Das Waisenheim lag in einem kleinen Dorf, in dem es, so weit ich wusste, einen kleinen Bioladen und sonst weit und breit nur Felder gab. Nicht, dass ich jemals länger als fünf Minuten draußen verbracht hatte. Wir waren gefangen gewesen. Ich hatte mich immer gefragt, wie es Häftlingen ging. Ob sie genauso unter Verschluss gehalten wurden wie wir. Oder ob es ihnen womöglich besser ging als uns.
"Siehst du das kleine Gebäude dort vorne?", fragte Grant auf einmal. Mein Blick folgte seinem Finger. Dort stand ein durchaus hübsches Gebäude. Hohe Wände, riesige Fenster, mehrere Stockwerke, sehr modern. "Da wirst du zur Schule gehen." Mein Magen verkrampfte sich bei seinen Worten. "Wirklich?", röchelte ich. Er blickte auf mich herunter und irgendwie schlich sich die Andeutung eines Lächelns auf seine Lippen. Fast schien es, als wolle er mir durch die Haare wuscheln. Aber das konnte ich mir genauso gut auch nur eingebildet haben. Ich schaute weg, stattdessen die vielen Hochhäuser um uns herum an, sog alles in mich auf und verscheuchte die Angst vor der Schule - und den Menschen. "Hör zu, Ruby." Es war vermutlich das erste Mal, meinen Namen aus seinem Mund zu hören. Deshalb widmete ich ihm meine Aufmerksamkeit. "Kim müsste gerade mit Wodka im Park sein. Wenn du willst, kannst du nächste Woche mit mir einkaufen gehen und heute Abend ein bisschen mit ihm und dem Hund durch die Stadt laufen." Eilig fügte er hinzu: "Vielleicht wäre das für den Anfang besser." Ich überlegte. Einkaufen oder spazieren? "Na gut." Er wirkte erleichtert. Aber wieso? "Ich führ dich zum Park."
Kapitel 4, peeps. Ich mag GGG wirklich haha. xxx
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