Kapitel 32
"Du bist wirklich gekommen." Kim hatte die Hände in seine Hosentasche gesteckt. Er trug Jeans, die knapp seine Knöchel verdeckten und einen Pullover im Hipsterstyle. Wieso hatte ich das Gefühl, Kim war über die Tatsache, dass ich es hier her geschafft hatte, wenig erfreut? "Und du hast jemanden mitgebracht. Oh mein Gott, GGG. Seit wann bist du so früh hier?" Die Worte sprudelten nur so aus Kims Mund. Entweder er war aufgeregt oder er brauchte Ablenkung. Wir befanden uns nicht weit entfernt von Kims Schule, dem grässlichen Bürogebäude. Sah man über die riesigen Zelte, die hier aufgebaut waren, hinweg, konnte man die Spitze seiner Schule sogar ganz gut erkennen. Das Fest war komplett anders, als ich nach Kims Vortrag gestern angenommen hatte. Die Zelte hielten sich in den verschiedendsten Farben und Formen. "Hier geht es zu wie auf dem Jahrmarkt", meinte Grant, während wir uns einen Weg durch die Massen an Menschen machten. Kimberley verschwand, ich konnte nicht verstehen, wohin.
Die meisten Menschen bauten gerade Stände auf oder sortierten ihre Sachen. Ich beobachtete einen Mann dabei, wie er mehrere Kuchen neben einander stellte. Über ihm hingen mehrere Preisschilder und Flyer von einer Konditorei nicht weit von hier. "Ich war noch nie auf einem Jahrmarkt", sagte ich zu meinem Pflegevater. Jahrmärkte kannte ich nur aus Büchern oder dem Internet - wie so vieles. Ein paar Stände weiter, kümmerte sich eine ältere Frau um einen Esel. Zwei kleine Kinder durften ihn streicheln. So sah also ein Fest des Footballvereins aus? Verrückt. Wir hatten so gut wie die Hälfte der Stände hinter uns gelassen, da fiel mir etwas in einiger Entfernung auf. Das Footballfeld. Ein paar Jungs warfen sich einen Football zu. Ich verstand nicht viel von Sport. Dennoch wirkte es wie ein Aufwärmen. "Dustin!", rief Grant auf einmal. Wie von der Tarantel gestochen blieb ich stehen, als sich ein kleiner Möchtegern-Kim zu uns umdrehte. Seine Augen begannen verwirrt zu blitzen, als er mich anschaute. Das war auch das einzige, was ich von ihm mitbekam, bevor ich in seinen Seelenraum platzte.
Gelb. Alles gelb. Igitt. Ich strich über die Wand, die, anders als erwartet, sehr flauschig und weich war. Wie das Fell eines Kuscheltieres. Dustins Seele schwebte keinen Meter von mir über einem Bett. Sie trug ein gelbes Football-Outfit und hielt einen gelben Pokal in der Hand. Freude, Glück, Enthusiasmus. Es steckte mich an. Ich schenkte Dustins Seele ein breites Lächeln, ehe ich den Blick durch den Raum gleiten ließ. Fenster gab es keine, genauso wenig einen Schreibtisch oder ein Bücherregal. Hier standen ein Bett und ein Sofa, so wie ein kleines Tor. Nichts besonderes. Ich fragte mich, wie alt er wohl war. Seine Seele, geprägt von kurzgeschorenen braunen Haaren und ebenso braunen Augen, wirkte wie die eines Jugendlichen. Aber ich hatte die Fotos gesehen. Er konnte nicht älter als elf sein. Es sei denn, er war reifer als er aussah. Im nächsten Moment landete ich in der Gegenwart.
Ich ließ den Blick sofort zu seinen Schuhen wandern. "GGG?", fragte der Junge. "Hast du endlich wieder eine Freundin?", wollte er wissen. Ich konnte mir vorstellen, dass Grant rot wurde. Dabei war ich doch seine...Tochter. Kichernd räusperte ich mich. GGG räusperte sich auch. "Das ist Ruby, Dustin. Sie ist meine... meine..." Ich half ihm auf die Sprünge: "Um genau zu sein, bin ich seine Pflegetochter." Dustin kam näher. "Das bedeutet, wir sind verwandt?" Gut kombiniert. "Wenn du sein Neffe bist, ja." Ich traute mich, wieder hochzuschauen. An seinen Augen blickte ich wie immer vorbei. Und ich hatte halb gehofft, diese doofe Gabe hätte sich verselbstständigt. Wieso sah ich Nialls Seele nicht? Apropos Niall. Ich hatte eine Rechnung offen. "Schade. Wärst du nur GGG's neue Freundin, hätte ich dich ihm abgeschwatzt." Dustin fuhr sich durch die Haare, auf dieselbe Weise wie Niall es immer tat. Der Enthusiasmus, den mir seine Seele vermittelt hatte, löste sich schlagartig in Luft auf. Hatte er mich gerade angebaggert?
"Wie alt bist du?", spottete ich und biss mir in der nächsten Sekunde auf die Innenseite meiner Wange. Ich hatte mir vorgenommen, zumindest zu versuchen, nett zu sein. "Dreizehn." Er sah jünger aus, als er war. Das musste hart sein. "Darf ich dir einen Tipp geben? So von Fast-Erwachsenem zu Kind?" Grant hielt sich geschickt aus dem Gespräch raus. Dafür würde ich mich noch revanchieren. Aus dem Augenwinkel heraus sah ich, wie er sich abwandte und davon spazierte. Wenigstens musste ich mir nun keine Ausrede mehr einfallen lassen, um ihn zu verlassen. "Heb dir die armsehligen Anmachen für später auf. Du wirst sie gebrauchen können." Entgegen meiner Erwartungen, setzte Dustin ein noch breiteres Grinsen auf, als das, das er zuvor zur Schau gestellt hatte. Wieder fuhr er sich Niall-mäßig durch die Frisur. "Was macht schon der Altersunterschied?" Oh Gott. Hoffentlich hatte der andere Dustin - seinen Namen hatte ich vergessen - mehr Respekt vor mir. "Ich könnte deine große Schwester sein, Kleiner", sagte ich. "Du könntest. Aber du bist es nicht, Cousinchen." Bei dem Wort Cousinchen lief mir ein Schauder den Rücken herunter. "Hör mal-", fing ich an, wurde allerdings jäh unterbrochen.
"Ruby, was willst du hier?" Seine Stimme klang wie immer. Emotionslos, kalt und rau. Ich wusste, dass er hinter mir stand, ohne mich umzudrehen. Ein zweiter Schauer lief mir über den Rücken, als er sprach. Niall hatte Dustin vor meiner Wut gerettet, denn es hätte nicht mehr lange gedauert, bevor ich ausgerastet wäre. "Na was wohl?", flüsterte ich, plötzlich leicht heiser. Die Kälte, die momentan herrschte, setzte mir ziemlich zu. "Kims Bruder belästigen?", riet Niall drauf los. Ich lachte freudlos. "Natürlich. Ich bin eine Perverse, stimmts? Weil ich einen Fleck auf dem Hintern habe." Ich hielt mich nicht damit auf, ihm zu erklären, dass nicht ich diejenige gewesen war, die ihn belästigte, sondern umgekehrt. Ich witterte meine Chance. "Dustin, wieso gehst du nicht zu deinen kleinen Freunden da hinten und lässt uns Erwachsene, Erwachsene sein." Ein bisschen Spaß machte es schon, ihn zu ärgern. Und weil sein Grinsen tatsächlich ein bisschen an Breite verlor, beschloss ich, später noch mal darauf zurück zu kommen. "Das ist unfair", motzte er. "So ist das Leben." Ich hob die Hand um zum Abschied zu winken. Aus Nialls Richtung erklang ein Schnauben. Hah! Gefühle! Dustin verdünisierte sich und ehe ich mich einen Zentimeter bewegen konnte, spürte ich, wie Niall sich mir näherte. Oho, auf einmal kannte er sowas wie Nähe?
Dustin rockt. Ich persönlich bin ja selbst noch nicht soooooo ultra alt, deswegen sag ich mal nicht viel dazu haha. xxx
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