Kapitel 16
"Mein Name lautet Virginia Stacy, für Sie Miss Stacy. Ich bin Ihre neue Englischlehrerin." Ich hielt in der Bewegung, den Stift, der dort ein Stück zu weit rechts lag zu verschieben, inne. Virginia Stacy? Virginia Stacy? Ich drohte zu hyperventilieren. Entweder diese Frau besaß denselben Namen wie meine Lieblingsautorin aus Kindeszeiten(und zusätzlich des Buches, das Grant auch kannte) oder sie war sie. Meine Augen weiteten sich. Miss Stacy legte die Kreide beiseite, mit der sie ihren Namen in schwungvollen Bewegungen an die Tafel geschrieben hatte. Nach dem Unterricht, beschloss ich herauszufinden, ob ich richtig lag. Vielleicht gab sie mir ein Autogramm. Gemurmel wurde laut, als Miss Stacy sich setzte und den Blick durch die Klasse schweifen ließ. Sie war jung, ziemlich jung. Anders als ich erwartet hätte, immerhin hatte sie, wenn ich richtig lag, mehrere erfolgreiche Bücher geschrieben. "Ruhe bitte", sagte sie. Stille kehrte ein. Es war merkwürdig, dass alle auf sie hörten. "Nun gut, will mir jemand verraten, was Sie letztes Jahr in diesem Kurs durchgenommen haben?", stellte sie in die Runde. Ich widmete mich wieder meinen Stiften. Als sie beinahe perfekt lagen, begann eine Schülerin mit roten Locken zu erklären. Und so nahm die Stunde ihren Lauf. Fürs erste redeten wir über das letzte Schuljahr, womit ich bekanntlich wenig zu tun hatte, danach ging es an Organisatorisches und schließlich klingelte es zum Stundenende. "Ich will, dass Sie bis zur nächsten Stunde einen Aufsatz über die Nachteile von Plastikverpackungen schreiben. Mindestens anderthalb Seiten." Niemand murrte. Irgendwie beeinflusste sie uns alle. Dabei hatte ich keine Ahnung, was Plastikverpackungen mit dem Englischunterricht gemein hatten.
Die Hälfte der anderen war schon gegangen, Corine warf sich seufzend ihre Tasche über die Schulter. "Was hast du jetzt?", wollte sie wissen. Ich schloss meine eigene Tasche. "Biologie. Du?" Sie schüttelte den Kopf. Es wäre auch zu einfach gewesen. Ich hatte Angst, im Biologieunterricht auf Niall zu treffen. Was würde er sagen? Würde er überhaupt etwas sagen? Die Sache mit der Staubsaugeraffäre war eindeutig auf mich zurückzuführen, obwohl ich gar nichts dafür konnte. "Französisch. Sehen wir uns in der Mittagspause?" Ich nickte und sie winkte zum Abschied. Während ich mir absichtlich Zeit ließ, meine Tasche zu richten, verließen auch die letzten Schüler den Klassenraum. Ich ging durch die Reihen nach vorne zu Miss Stacy und holte tief Luft, ehe ich meine Frage stellte. "Sie haben nicht zufällig zwei Bestseller geschrieben?" Ihre Hand, auf die ich starrte, verharrte. Ich wagte es nicht, hochzuschauen, aus Angst, direkt in die nächste Seele zu blicken. Heute hatte ich mir ganz besonders vorgenommen, das zu vermeiden. "Ruby, hab ich recht?" Ich war mir nicht sicher, woher sie zu diesem Zeitpunkt bereits meinen Namen wusste. Am Unterricht hatte ich mich kein bisschen beteiligt. "Genau", sagte ich. "Wie kommst du auf die Idee, dass ich zwei Bestseller geschrieben habe?" Womöglich hatte ich mich geirrt. Dabei klang der Name Virginia Stacy so...originell. "Tut mir leid, ich...glaube, ich habe sie einfach verwechselt." Meine rechte Hand zitterte leicht. Hinter mir hörte ich das Ticken der Uhr. Ich hatte vergessen, dass ich zum Biologieunterricht musste.
"Nein, nein, schon gut. Tatsächlich hast du Recht." Wow. Sie war also wirklich die Frau, die meine absoluten Lieblingsromane geschrieben hatte - Grants Highschoolliebe? "Das ist unglaublich. Ich liebe ihre Bücher!", erklärte ich. Ich spürte, dass sie lächelte. "Das hört man gerne." In ihrer Stimme schwang Wärme mit, die mich umhüllte. Ich fülte mich unglaublich wohl. Plötzlich war es mir peinlich, nach einem Autogramm zu fragen. "Ich glaube, ich kann den ersten Band sogar rückwärts auswendig", gestand ich. Seufzend wanderten meine Gedanken zu den letzten Worten des Buches. Der Tod hatte sich gelohnt, weil wir nun für immer zusammen blieben. Ich liebte Kitschromane. Vor allem solche, mit Happyends. "Ich fühle mich geschmeichelt, aber..Ruby", sie sprach meinen Namen mit einer gewissen Vorsicht: "Du solltest zu deinem nächsten Unterricht gehen." Ich nickte. "Stimmt. Dann, eh...auf Wiedersehen!" Ich hob den Kopf ein kleines Stück an. Mehr traute ich mich nicht. Ihr Kinn war spitz und makellos, auf gewisse Art und Weise zu makellos. Ihren Mund sah ich nicht. Trotzdem erahnte ich das Lächeln, das sie immer noch auf den Lippen trug. "Auf Wiedersehen..Ruby." Wieder diese Vorsicht. Ich wusste nicht zu beschreiben, was diese Vorsicht in mir auslöste. Ich stolperte aus dem Saal, gerade rechtzeitig, denn Miss Stacys nächster Kurs erschien in meinem Blickfeld. Eilig suchte ich das Weite, beziehungsweise den Biologieraum.
Ich kam, natürlich, zu spät. Der Tag verlief schon mal echt gut. Ein Gutes hatte Bio dennoch. Niall war nicht dort. Beim Mittagessen ließ Daizy Corine und mich ein Glück in Ruhe, weswegen wir uns weit entfernt von ihr und Niall und den anderen, einen freien Tisch schnappten. Im ersten Moment versprach das Mittagessen ausnahmsweise kein Disaster zu werden. Corine und ich quatschten ausgelassen über die Staubsaugeraffäre, bestimmt so laut, dass der Nachbarstisch uns für Verrückte hielt. "Meinst du, uns hat gestern einfach jemand belauscht?", sprach sie laut aus, was ich mir ebenfalls gedacht hatte. "Ich habe jedenfalls niemandem gegenüber erwähnt, dass ich Staubsauger gern habe", sagte ich deshalb. Ich stocherte angewidert in meinem Essen herum. Daizy hätte ruhig erzählen können, dass das Fleisch ebenfalls ein Reinfall war. Ich bildete mir ein, es reden zu hören. Sowas wie: "Lass mich gehen, ich bin zu jung um gegessen zu werden!" Ich hatte schon mehrmals den Gedanken gehabt, zur Vegetarierin zu werden. Fleisch war unheimlich. "Du musst zugeben, das Foto von dir sieht absolut sexy aus", meinte Corine. Sie hielt mir den Zettel ausgebreitet vor die Nase. Ich lachte. Eigentlich konnte das Foto nicht schlimmer sein. "Ich bin nur froh, dass es nicht öffentlich gemacht wurde oder so."
Corines Lachen war so laut, dass wir nicht mehr länger nur Verrückte, sondern unwiderruflich Geistesgestörte abgaben. "Pscht", zischte ich, verkniff mir allerdings selbst unter großen Mühen ein Grinsen. "Stell dir vor: Dieses Bild fünf mal größer am schwarzen Brett." Trotz der Tatsache, dass ich nicht mal wusste, wo sich das schwarze Brett befand, drehte sich mir bei dieser Vorstellung der Magen um. "Das ist nicht mehr lustig", gab ich ernst zurück. "Hey, du könntest deine Eltern bitten, die Schule anzuzeigen. Das wär's doch. Ein echter Skandal. Neue Schülerin verklagt Schule. Du wirst berühmt, Ruby!" Aber ich konnte nicht weiter mit ihr mitlachen. Zum einen, weil ich auf einmal melancholisch wurde, immerhin konnte ich meine Eltern nicht darum bitten, jemanden zu verklagen. Ich konnte sie ja nicht mal darum bitten, mir eine Weihnachtskarte zu schicken. Zum anderen, da ein Schatten unser Essen verdunkelte. Jemand beugte sich über uns. Und das Mittagessen versprach, in einem Disaster zu enden.
Ich bin wieder daaaaaaa! Jeyyyy, naja, jedenfalls für's Erste. Das ist Kapitel 16 und ich habe vor, aufzuholen, was ich in der letzten Woche verpasst habe. xxx
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro