Kapitel 11
Ann-Marie Keason stellte uns einen Raum zur Verfügung, in welchem wir in Ruhe arbeiten konnten. Die anderen hatten bereits ihre Sachen aufgestellt und ihre Arbeitsplätze aufgebaut, als Lisbon und ich hinzukamen. Jane hatte wie üblich mit einer Tasse Tee auf einem Schreibtischstuhl Platz genommen. Mit Sicherheit vermisste er sein Sofa; was für mich eine kleine Genugtuung war, immerhin war er mit die letzten Wochen mehr als einmal auf die Nerven gegangen.
»Okay, was haben wir?«, wollte ich wissen, kaum hatten Lisbon und ich den Raum betreten. Für einen Moment herrschte Stille. Cho, Van Pelt und Rigsby sahen mich an, als hätte ich etwas Falsches gesagt – was eventuell sogar zutraf, da ja bekanntlich Lisbon der Boss war und nicht ich.
Leise seufzte Lisbon neben mir. »Was haben wir?«
»Nicht viel«, antwortete Van Pelt, die sich in ihrem Stuhl ihrem Laptop zudrehte. »Es gab drei Opfer, die im Gerichtsprozess als Zeugen aussagen sollten. Eine der drei, Annabelle Sandler, hat vor einigen Tagen Suizid begangen.«
»Wie?«, wollte ich sofort wissen.
»Sie hat sich die Pulsadern aufgeschnitten.« Van Pelt drehte ihren Laptop, so dass wir das Bild der Toten sehen konnten. Sie war ungefähr im selben Alter wie Marielle. Ein unbekümmertes, junges Gesicht, welches frei von Sorgen und Problemen wirkte.
»Gibt es irgendwelche Verbindungen zum Opfer und zu Marielle Layson?«, fragte ich weiter.
»Nein«, sagte Rigsby. »Wir haben alles überprüft. Annabelle und Marielle hatten weder einen Kurs gemeinsam noch irgendeinen College-Sport oder irgendetwas in der Art. Wir suchen noch anderen Punkten, wie Partys oder College-Veranstaltungen.«
»Und die anderen?«, fragte Lisbon.
»Lester DeRose und Franklin Carter-Bell«, stellte Rigsby vor und deutete auf zwei Bilder, die an die Beweistafel gehangen worden waren. »Sie meinten, dass jemand sie angegriffen hat. Lester wurde nach dem Sport mit einem Baseballschläger verprügelt. Glücklicherweise kam der Sicherheitsmann des Studentenheims rechtzeitig zur Hilfe. Der Angreifer konnte nicht identifiziert werden. Er trug einen schwarzen Hoodie und hat seine Kapuze ins Gesicht gezogen. Er ist sich aber sicher, dass es Marielle Layson gewesen war.«
»Bei Franklin war es so ähnlich«, sagte Cho. »Jemand hat sich in die Umkleide des Football-Teams geschlichen und ein Feuer gelegt. Er ist mit einer Rauchvergiftung davongekommen.«
Mein Blick schweifte über die Fotos der Opfer. Ich war mir sicher, dass Marielle Layson dahintersteckte. Die Frage war nur, wie wir dies beweisen sollten. Offensichtlich war keine DNA von ihr am Tatort gefunden worden und auch die Zeugen konnten nichts Handfestes sagen.
»Am besten reden wir noch einmal mit den Opfern«, meinte ich, während ich nachdenklich meinen Ellenbogen auf meinen anderen Armen aufgestellt hatte, denn ich vor meiner Brust hielt. Mit der freien Hand stützte ich mein Kinn.
»Ich will, dass Sie noch einmal mit Marielle reden«, sagte Lisbon an mich gewandt, »und Sie nehmen Jane mit. Ich will, dass Sie beide ihr Druck machen. Das können Sie gut.«
Ich wusste nicht, ob das als Kompliment gemeint war, doch nahm ich dies in diesem Moment einfach so auf. »Danke«, sagte ich deswegen.
Lisbon nickte nur. Ihre Augen waren auf die Beweisfotos gerichtet. »Rigsby, Van Pelt, Sie werden mit Lester DeRose reden. Cho und ich übernehmen Franklin.« Die Agents nickten verstehend und erhoben sich. Dann wandte Lisbon sich an Jane und mich. »Ich weiß, dass Sie zwei zurzeit Differenzen haben. Aber denken Sie daran, dass wir einen Fall zu lösen haben. Falls wir versagen sollten, kommt eine potenzielle Mörderin frei. Wir können nicht noch mehr Bösewichte auf der Straße gebrauchen. Haben Sie verstanden?« Sie sah erst zu mir, dann zu Jane, bei welchem ihr Blick wesentlich länger hängen blieb – und dafür auch eindringlicher und mahnender.
»Natürlich«, antwortete ich für Janes Stelle; er hätte sowieso nichts gesagt. Wortlos setzte er seine Tasse an die Lippen und trank einen Schluck daraus. Ein Wunder, dass er nicht seine blaue Tasse aus dem Büro mitgenommen hatte.
»Gut«, sagte Lisbon und verschwand zusammen mit den anderen.
Auch ich wollte losgehen, als ich mich verwundert zu Jane umwandte, der sich in aller Seelenruhe auf einen der Stühle niederließ und die Beine überschlug.
»Was tun Sie da?«, verlangte ich verständnislos zu wissen. »Wir haben etwas zu erledigen.«
Jane sah mich mit diesem Blick an, den er immer hatte, wenn er etwas besser wusste. Er hatte beinahe etwas Selbstgefälliges. »So wie ich es sehe, wartet Marielle doch nur darauf, dass wir kommen, oder? Wir lief Ihr Verhör? War sie verschlossen oder offen?«
»Es hat ihr Spaß gemacht«, meinte ich und kniff die Augen zusammen. »Warum fragen Sie?«
»Sie spielt mit uns«, sagte Jane und trank einen Schluck aus seiner Tasse. »Sie wartet nur darauf, dass wir kommen, um weitere Spielchen mit uns zu spielen und Zeit für sich zu schaffen.«
»Wie kommen Sie darauf?«, wollte ich wissen.
Er antwortete nicht – wie so oft, wenn er etwas wusste und es nicht mit anderen teilen wollte.
»Egoistischer Idiot!«, fluchte ich leise und wandte mich ab, hin- und hergerissen, ob ich nun alleine losfahren oder hierbleiben sollte. Letztendlich ließ ich mich mit einem genervten Seufzen auf einen der Stühle einige Schritte von Jane entfernt nieder.
»Wie bitte?« Mit erhobener Augenbraue sah mich der Mann an.
»Sie sind egoistisch«, wiederholte ich, ohne zu zögern, »und arrogant.«
»Das habe ich schon oft gehört«, meinte Jane gleichgültig.
»Vielleicht sollten sich mal ein Beispiel daran nehmen und etwas dagegen tun.« Genervt lehnte ich mich im Stuhl zurück und zupfte meine Jacke zurecht.
»Es wirkt nur auf andere so«, sagte Jane. »Ich bin nicht arrogant oder egoistisch.«
Ein fassungsloses Lächeln verließ meine Kehle. »Genau.« Es war nur ein Wort und doch triefte es voller Sarkasmus. Mein Blick wanderte aus dem Fenster. Ich wollte ihn nicht ansehen. Dafür lag sein Blick auf mir, der wie Feuer auf der Haut brannte.
»Ich sehe genauer hin als andere Menschen«, sagte Jane ruhig. »Die Menschen ignorieren viel zu vieles. Ich erkenne Zusammenhänge anhand der winzigsten Dinge. Eine Faser, ein Foto, ein Lächeln, was falsch gewählt wurde, ein Blick, der zu jemandem oder etwas wanderte. Ich sehe einem Menschen direkt in die Augen, um sein tiefstes Inneres zu sehen. All die dunkelsten Geheimnisse befinden sich in den Augen, nicht in der Seele, wie manche behaupten.«
Nun wandte ich meinen Kopf ihm zu, auch wenn ich es am liebsten nicht getan hätte. Doch seine Worte, oder irgendetwas anderes an ihm, zogen mich an.
Sein Blick ruhte immer noch auf mir. Seine Augen sahen in die meinen, und auch wenn ich hätte dagegen wehren wollen, konnte ich es nicht. Ein seltsames Gefühl erfüllte mich. Ich konnte es einfach nicht beschreiben.
»Ich will, dass du mich ansiehst und all deine Sorgen verbannst«, sagte er auf einmal, doch war es, als wäre er nicht wirklich da. »Ich will, dass du nur auf meine Stimme hörst und mir in die Augen siehst. Alle Sorgen, die du in dir trägst, packst du nun in eine Kiste. Diese Kiste verschließt du und versteckst sie in deinem Schrank. Stell dir vor, dass du fliegen kannst. Stell dir vor, dass du frei bist und schwerelos, dass du einfach davonfliegen oder alles hinter dir lassen kannst. Du bist sicher und frei. Stell dir genau das vor. Wenn du mich das nächste Mal siehst, wirst du genau dieses Gefühl wieder erleben. Du wirst keine Sorgen und Probleme haben, sondern dich leicht und frei fühlen.«
Irgendein Schemen bewegte sich vor mir. Es war, als wäre mein Körper schwer und leicht zugleich. Irgendetwas war seltsam und ganz und gar nicht richtig. Auf einmal merkte ich, wie ich meinen Kopf schüttelte und da wurde meine Sicht klar. Voller Verwirrung musste ich feststellen, dass Jane vor mir stand. Er hatte seine Hand nach mir ausgestreckt und hätte mich beinahe berührt, hätte ich nichts gesagt.
»Was, zur Hölle, soll das?« Ich sprang auf und stieß gegen den Stuhl, der nach hinten rollte, so dass ich zurückweichen konnte. Mit in Falten gesetzter Stirn starrte ich Jane an. Mein Herzschlag beschleunigte sich und Panik überfiel mich. Ich wusste nicht, wieso. Meine Gefühle waren völlig durcheinander. Mein Kopf war vollkommen durcheinander. »Was hast du gemacht?«
Das war das erste Mal, dass ich ihn mit 'Du' ansprach.
»Du wolltest mich hypnotisieren!« Ich hatte die Worte vorher nicht ganz bedacht, sie kamen einfach über meine Lippen, als hätte mein Kopf die einzig mögliche Antwort gefunden.
»Es funktioniert sowieso nicht, wenn man es nicht will«, gab Jane schulterzuckend zurück. Unbekümmert wandte er sich ab, als wäre nichts geschehen.
»Tu das nie wieder!« Drohend hob ich meinen Finger, der in der Luft zitterte. »Nie wieder, hast du verstanden? Ich werde dich sonst dem Director melden! Das ist ein Angriff gewesen!«
»War es nicht«, entgegnete Jane ruhig, ohne mich anzusehen.
»Natürlich. Du wolltest mich gegen meinen Willen hypnotisieren!«
»Wie gesagt, es funktioniert nicht, wenn man sich dagegen wehrt.« Jane ergriff seine Jacke und lief auf die Tür zu.
»Was tust du?«, verlangte ich aufgewühlt zu wissen.
»Ich dachte, wir wollten mit der Verdächtigen sprechen. Wenn Sie nicht wollen, fahre ich auch alleine -«
Ich warf ihm einen wütenden Blick zu, ehe ich an ihm vorbei stürmte.
»Dann halt zusammen«, hörte ich Jane noch sagen, bevor ich das Gebäude verließ.
Zum zweiten Mal an diesem Tag betrat ich den Verhörraum, doch dieses Mal war Marielle noch nicht da. Ich setzte mich bereits und blätterte die Fallakte mit den Hinweisen durch. Einige Minuten später wurde Marielle von einem Wachmann hereingeführt. An der Tür wurden ihre Handschellen entfernt, so dass sie frei auf uns zulaufen konnte. Ein Lächeln erschien auf ihren Lippen, als sie mich erblickte, doch kaum bemerkte sie Jane verschwand es. Ihre Augenbrauen schoben sich zusammen und ihre Miene wurde dunkel.
»Wer ist das?«, verlangte sie mit scharfer Stimme zu wissen, während sie sich langsam auf ihren Stuhl sinken ließ.
Jane stand an dem Fenster. Ein Gitter verhinderte einen Ausbruch. Er wandte sich ruckartig um, als wäre überrascht, dass er gemeint war. Ich wusste, dass es nur gespielt war.
»Sie meinen mich?« Er deutete mit dem Zeigefinger auf sich.
Natürlich meinte sie ihn und das wusste auch er, doch wollte er die Situation provozieren. Voller Absicht.
»Ja«, zischte Marielle abfällig.
»Oh, ich bin Patrick Jane.« Mit ausgestreckter Hand lief er auf sie zu. Kurz warf sie einen Blick darauf, ehe sie wieder zu ihm aufsah, ohne Anstalten zu machen, einzuschlagen. Anstatt gekränkt zu sein, zog der Mann mit einem Grinsen seine Hand zurück und deutete mit dem Finger auf sie. »Und Sie sind Marielle Layson.«
Ich sah, wie Marielle sich auf die Lippe biss und den Blick von Jane zu mir wandern ließ.
»Wieso haben Sie ihn mitgebracht?«, verlangte sie von mir zu wissen. Nun klang sie erzürnt, beinahe wütend. »Vögeln Sie mit ihm?«
Entrüstet hob ich eine Augenbraue. »Verzeihung?«
»Das war eine einfache Frage. Soll ich sie Ihnen aufschreiben?«
Fassungslos klappte meine Kinnlade herunter und mit offenem Mund starrte ich sie an. »Kein Grund, unfreundlich zu werden, Marielle«, sagte ich. »Das ist mein Kollege und wir sind hier, um Sie zu befragen. Falls Sie es vergessen haben sollten – wir stehen auf der Seite des Anklägers. Wir arbeiten mit der Staatsanwaltschaft zusammen, um Ihre Schuld zu beweisen.«
»Immer im Zweifel des Angeklagten, oder?«, erwiderte Marielle spitz.
»In dubio pro reo«, sagte Jane grinsend, ehe er sich auf dem freien Stuhl neben mir niederließ.
»Sie sind wohl ein Klugscheißer«, meinte Marielle, »ich mag keine Klugscheißer.«
»Marielle, ich würde Sie bitten, sich zu zügeln«, schritt ich ein. »Es kommt nicht besonders gut an, wenn Sie das CBI beleidigen.«
»Wie ich es sehe, ist Mr. Jane hier kein Agent, sondern Ihr Liebhaber«, gab Marielle zurück.
»Er ist nicht mein Liebhaber!«, entgegnete ich, beinahe etwas zu laut und zu schnell.
»Und welche Funktion hat er dann hier?«
»Er ist Berater«, sagte ich, »und selbst wenn ich einen Liebhaber hätte, würde ich ihn mit Sicherheit nicht zu einem Verhör mitnehmen.«
»Dann kann er ja gehen.« Marielle legte ihre Hände ineinander verschlossen auf den Tisch und lehnte sich im Stuhl zurück. Mit erhobenen Kinn und blitzenden Augen sah sie zu Jane.
»Er bleibt hier«, erwiderte ich, »und ich würde Sie bitten, sich nun auf Ihre Anklage zu konzentrieren und nicht auf Mr. Jane.«
»Warum wollen Sie unbedingt, dass ich gehe?«, fragte Jane, bevor ich mit der Befragung fortführen konnte.
»Weil ich Sie nicht mag«, sagte Marielle achselzuckend.
Ein Lächeln huschte über Janes Lippen. »Aber Sie kennen mich gar nicht.«
»Das muss ich auch nicht«, erwiderte Marielle. »Ich mag Ihren Namen nicht, ich mag Sie nicht.«
Janes Lächeln wurde breiter, doch nach einem kurzen Moment verschwand es wieder. »Nein, ich glaube, Sie mögen mich nicht, weil Sie eine Konkurrenz in mir sehen.«
Marielle wirkte verwirrt.
»Sie sehen etwas in Agent Moore. Sie sehen zu ihr auf. Sie hoffen, in ihr eine neue Freundin zu finden, eine bessere als die, die Sie zuvor hatten.« Einen Moment schwieg Jane, als würde er nachdenken. »Sie leiden an einer zwanghaften Obsession, an einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung. Alles muss für Sie perfekt sein, weswegen Sie alles kontrollieren müssen. Nichts darf nicht so sein, wie Sie es sich vorstellen. Anderenfalls verlieren Sie die Kontrolle über sich selbst. Sie leiden an einem Eifersuchtsproblem, selbst da, wo es keines geben sollte. Sie mögen mich nicht, weil Sie denken, ich könnte Ihnen Agent Moore wegnehmen, selbst wenn Sie unsere Beziehung zueinander nicht kennen. Wir könnten Erzfeinde sein, das wissen Sie nicht, doch sehen Sie, dass Agent Moore mit jemandem hier ist, den Sie nicht kennen, jemanden, der Ihnen im Weg stehen könnte. Ihre ehemalige beste Freundin hat Sie ebenfalls wegen eines Mannes verlassen und so sehen Sie in jedem Mann, den Agent Moore kennt, eine Bedrohung.«
Ein triumphierendes Schimmern erschien in seinen Augen, während er Marielle ansah. Die Fassade der Frau brach augenblicklich zusammen. Ihr Lächeln, ihr Selbstbewusstsein, selbst ihre finstere Miene – alles war verschwunden. Sie war nicht mehr diejenige im Raum, die spielte, sie war der Gegner, der Schachmatt gesetzt wurde. Etwas Blässe zeichnete sich um ihre Nase. Ihr Mund war einen Spalt geöffnet. Sie starrte Jane an, als hätte er sie bei etwas Furchtbarem ertappt – wahrscheinlich hatte er das sogar.
»Sie müssen nichts sagen«, meinte der Mann auf einmal, während er mit dem Finger auf sie deutete, »ich weiß, dass es stimmt. Wir werden Ihre Schuld beweisen, Marielle.« Mit einem Lächeln erhob er sich, als wäre das alles ein Witz oder als hätte er Spaß. Mittlerweile wunderte ich mich nicht mehr über ihn, auch wenn ich seine Reaktion unangebracht fand.
Jane hielt Marielle erneut die Hand hin, doch als er bemerkte, dass sie sie immer noch nicht annehmen wollte, zog er sie zurück und winkte. »Noch einen schönen Tag. Ich war auch mal im Bau. War mal etwas anderes. Ein neues Erlebnis, wissen Sie?«
Ich sah, wie Marielle den Mund öffnete und etwas Aufgebrachtes und Unfreundliches erwidern wollte. Doch bevor sie etwas sagen konnte, schob ich Jane an der Schulter in Richtung Ausgang. »Okay, wir gehen jetzt. Auf Wiedersehen, Miss Layson.«
Der Wächter öffnete uns die Tür und wir traten in den Flur, wo ich Jane herumzog und ihn verständnislos ansah.
»Was sollte das, Jane?«
»Ich habe nur meine Arbeit gemacht«, gab er zurück und hob beschwichtigend die Hände.
»Nein, Sie haben die Situation provoziert. Sie waren unhöflich und taktlos. Selbst wenn sie die Mörderin ist, dürfen Sie sich ihr gegenüber nicht so verhalten.«
Jane hob den Finger. »Ich habe nichts Falsches getan und das wissen Sie«, sagte er und deutete dabei auf mich. Grinsend sah er mich an.
»Könnten Sie damit aufhören?«, wollte ich genervt wissen.
»Womit?«, fragte er gespielt unschuldig.
»Mit diesem Lächeln.« Mit einem kreisenden Finger zeigte ich auf sein Gesicht. »Sie lächeln immer, als wäre alles so witzig und lustig und so ... Hören Sie einfach auf damit!« Ohne ein weiteres Wort lief ich an ihm vorbei. Jane schloss nach einer Weile zu mir.
»Woher wissen Sie, dass Marielle an einer krankhaften Obsession leidet?«, fragte ich, als wir das Gefängnis verlassen hatten.
»Es ist mir aufgefallen, als ich ihren Blick gesehen habe«, erklärte Jane und blieb stehen. »Wie sie Sie angesehen hat und wie sie auf mich reagiert hat, als sie bemerkt hat, dass Sie nicht allein gekommen sind. Lisbon war keine Bedrohung für sie. Wahrscheinlich hat sie bemerkt, dass Sie und Lisbon nicht sonderlich gut aufeinander zu sprechen sind. Doch ein Mann ist für Marielle in der Beziehung zu Ihnen eine Bedrohung. Sie sind ein heterosexuelle Frau, was bedeutet, dass Sie potenziell mit mir eine Beziehung beginnen könnten, was wiederum im Konflikt zu der Freundschaft zwischen Ihnen und Marielle steht.«
Fassungslos klappte mir die Kinnlade herunter, während ich ihn sprachlos ansah. »Ich bin weder mit Marielle befreundet noch würde ich eine Beziehung mit Ihnen beginnen!«, rief ich entrüstet.
Abwehrend hob Jane seine Hände. »Das habe ich auch nicht behauptet.«
Ich verdrehte nur genervt die Augen und lief schließlich auf mein Auto zu, ehe ich mich hineinsetzte. Jane setzte sich einige Sekunden später auf den Beifahrer neben mich. Einige Minuten später, als wir auf dem Highway zurück zu unserem provisorischen Büro waren, sagte Jane:
»Wir sollten mit Marielles bester Freundin sprechen.«
»Wieso?«
»Weil sie uns sagen kann, welche Beziehung Marielle zu Annabelle Sandler gehabt hatte und dann wissen wir auch, warum Annabelle sterben musste.«
»Sterben musste?«, wiederholte ich mit erhobener Augenbraue. »Sie glauben, Sie hat nicht Selbstmord begangen?«
»Ich glaube, Marielle hat Annabelle getötet«, meinte Jane.
Ich schwieg. Mein Blick war nachdenklich auf die Straße gerichtet.
»Ich hoffe, Lisbon und die anderen finden heraus, wieso Marielle den beiden Jungen etwas hätte antun sollen«, sagte ich schließlich.
»Oh, das liegt doch auf der Hand«, sagte Jane, der aus dem Fenster sah.
Ich warf ihm einen knappen, fragenden Blick zu, ehe ich genervt fragte: »Und? Wieso?«
Jane seufzte. »Einer der beiden war mit Marielle zusammen und hat sie betrogen, der andere war der Freund ihrer besten Freundin. Sie standen ihr im Weg, sie mussten beseitigt werden, und so hat sie versucht, sie umzubringen. Ganz einfach.«
»Ganz einfach«, murmelte ich leise mit einem sarkastischen Unterton.
Den Rest des Weges schwiegen wir, worüber ich nicht sonderlich traurig war. Doch als wir das Büro erreichten und Lisbon und die anderen darüber berichteten, was die beiden Jungen ausgesagt hatten, hätte ich am liebsten frustriert aufgeschrien. Jane hatte recht gehabt. Lester DeRose war Marielles Exfreund. Er hatte vor einigen Wochen mit ihr Schluss gemacht, da sie zu sehr an ihm geklammert hatte. Es war sogar so weit gegangen, dass sie sein Handy und seinen Computer durchsucht und ihn zum Training und zu Partys verfolgt hat. Franklin Carter-Bell war der Freund von Caily Wilson, Marielles bester Freundin.
Jane hatte, verdammt noch mal, recht. Was mich am meisten daran störte, war, dass es sein Ego pushte.
»Ich würde gerne zusammen mit Agent Moore Caily Wilson befragen«, sagte Jane, als die anderen ihre Berichte beendet hatten.
Überrascht erhob Lisbon eine Augenbraue. »Ach, wirklich?«
»Ja.«
Auch ich war nicht minder überrascht.
»Gut. Ich werde Sie beide begleiten«, meinte Lisbon.
Beinahe hätte ich gesagt: »Habe ich da auch noch etwas mitzureden?« Doch ich unterließ es, und so fuhren wir zu dritt zum Studentenheim, in welchem Caily untergebracht worden war.
Wir klopften an ihre Zimmertür und kurz darauf öffnete eine junge braunhaarige, schlanke Frau, die beinahe einen halben Kopf größer als ich war.
»Ja?«, fragte sie verwundert, als sie uns sah.
»Caily Wilson? Wir sind vom CBI. Wir ermitteln im Fall Marielle Layson.«
Sofort sah ich Panik in der Frau aufkommen. »Entschuldigen Sie, da kann ich Ihnen nicht helfen.« Sie wollte die Tür schließen, doch hielt ich sie auf:
»Caily, wir brauchen Ihre Hilfe, sonst wird Marielle wieder freikommen und alles, was sie Ihnen angetan hat, wird von vorne beginnen.«
Nun horchte Caily auf und langsam öffnete sie wieder die Tür. »Okay«, sagte sie. Ihre Stimme zitterte. »Kommen Sie herein.«
Wir betraten das kleine Studentenzimmer, in welchem zwei Betten standen. Die Seite, die Caily gehörte, war recht kahl und leer, als wäre sie erst vor kurzem eingezogen.
»Darf ich mich umsehen?«, fragte Jane.
Caily nickte. »Natürlich.«
Langsam begann Jane im Zimmer auf und ab zu laufen, während er die Regale und den Schreibtisch durchsah. Lisbon zückte ihren Schreibblock und ihren Kugelschreiber.
»Welche Beziehung hatten Sie zu Marielle Layson?«, wollte sie wissen, während ihr Stift über dem Papier schwebte.
Caily legte ihre Arme übereinander vor ihre Brust, als brauchte sie einen sicheren Halt, bevor sie zu sprechen begann: »Wir waren sehr gut miteinander befreundet ... Eine Zeit lang ...«
»Und was ist geschehen, dass Sie nicht mehr befreundet sind?«, fragte Lisbon weiter.
Caily lachte auf, als wäre es eine dumme Frage. »Haben Sie Marielle mal kennengelernt? Sie ist krank! Zuerst war es nur Eifersucht, doch dann hat sie angefangen, meine Freunde zu bedrohen. Sie hat Annabelle sogar geschlagen, weil sie nicht wollte, dass wir beide miteinander abhängen.«
»Und deswegen musste sie beseitigt werden«, meinte ich.
Caily nickte. Auch wenn sie den Kopf gesenkt hielt, konnte ich sehen, wie Tränen in ihre Augen stiegen.
»Sie glauben also auch, dass Marielle Annabelle ermordet hat?«, fragte Lisbon.
»Ich weiß es!«, rief Caily, die ruckartig den Kopf hob. »Sie hat Anna bedroht. Sie hat gesagt, dass sie sie umbringen würde, wenn sie sich mir noch einmal schreibt oder mit mir spricht.«
»Woher wissen Sie das?«
»Anna hat es mir erzählt und dann ...« Schwer schluckte Caily. »Drei Tage später wurde Anna tot in ihrer Badewanne gefunden. Es war kein Selbstmord ... Sie hätte sich niemals umgebracht. Ihr ging es gut!«
Verstehend nickte ich.
»Sie haben keine Fotos oder Andenken an Marielle«, sagte Jane auf einmal.
Wir wandten uns ihm zu.
»Ich habe alles weggeschmissen«, erklärte Caily. »Ich will nichts mehr von ihr sehen, und ich bin mit Sicherheit nicht die Einzige, die sie hinter Gittern sehen wollen würde.«
»Und hat Marielle immer alles aufgehoben?«, wollte Jane wissen. »Hatte sie Andenken an Ihre Freundschaft gehabt?«
Energisch nickte Caily. »Ja, immer. Sie hat alles aufgehoben – Kinotickets, Fotos, Flyer. Alles von unseren Trips, wo wir feiern oder essen waren. Es war beinahe zum Fürchten.«
Nun wandte Jane sich an uns. Ein triumphierendes Leuchten blitzte in seinen Augen auf. »Marielle wird eine Trophäe von Annabelle versteckt haben, und das ist das, den wir brauchen, um ihre Schuld zu beweisen.«
»Marielle Layson, Sie werden wegen der Nötigung an Lester DeRose und Franklin Carter-Bell angeklagt. Ist die Staatsanwaltschaft bereit?« Richterin Willa Frost, eine dunkelhäutige, schwarzhaarige Frau mittleren Alters, saß auf dem Richterstuhl und sah abwartend herüber zu Ann-Marie Keason, die daraufhin nickte. »Gut.« Die Richterin ließ ihren Blick zu Marielle wandern, die mit ausdrucksloser Miene neben ihrem Anwalt stand. »Und Miss Layson, sind auch Sie bereit?«
»Ja«, antwortete der Anwalt an der Stelle seiner Mandantin.
»Gut, dann beginnen wir.«
Erst jetzt ließen sich alle auf ihre Plätze nieder. Jane, Lisbon und ich saßen in den hinteren Reihen, während Lester, Franklin und Caily zusammen mit ihren Familien auf der anderen Seite der Stuhlreihen saß.
»Sofern die Staatsanwaltschaft keine neuen Hinweise hat, würde ich gerne mit den Anklagepunkten beginnen«, sagte Richterin Frost.
»Wir haben neue Hinweise«, sagte Keason mit ernster Miene, doch hörte ich den Triumph aus ihrer Stimme heraus. Die Frau ergriff ein Beweistüte, in der ein Gegenstand eingepackt war, und lief damit auf die Richterin zu. »Diese Kette wurde in Marielles Studentenzimmer gefunden. Sie gehörte Annabelle Sandler. Es wurde das Blut der Besitzerin und DNA der Angeklagten daran gefunden.« Keason legte Frost das Beweismaterial auf den Richtertisch. »Hiermit haben wir den Beweis dafür, dass Marielle Layson Annabelle Sandler ermordet hat und somit wandelt sich die Anklage auf Nötigung zu versuchtem Mord und Mordes.«
»Die Anklagepunkte ernenne immer noch ich«, meinte Frost mit kühler Stimme, doch dann wanderten ihre Augen zu Marielle, »aber Staatsanwältin Keason hat recht. Marielle Layson, Sie sind nun wegen des Mordes an Annabelle Sandler angeklagt. Der versuchte Mord an Lester und Franklin wird weitergehend untersucht.« Frost schlug mit ihrem Gerichtshammer auf ihr Pult. »Das Gericht ist vertagt.«
Keasons Blick wanderte zu mir und ich konnte ein zufriedenes Lächeln auf ihren Lippen erkennen. Ich nickte lobend zurück. Bevor im Gerichtssaal Chaos ausbrechen würde, erhob ich mich, doch ehe ich den Raum verlassen konnte, fiel mein Blick auf Marielle, die mich eindringlich musterte. Sie wusste, dass ihr Prozess verloren war, das sah ich ihr an, doch schien ihre Miene noch etwas anderes zu sagen – Zufriedenheit. Als wäre sie froh darüber, dass es so ausgegangen war. Ich zog nur die Augenbrauen zusammen und verließ den Saal. Draußen wartete ich etwas abseits darauf, dass alle anderen herauskamen. Caily warf mir ein dankbares Lächeln zu, als sie mich sah. Auch ihr nickte ich nur zu.
»Ich danke Ihnen, Kaitlyn«, sagte Keason, die auf einmal auf mich zukam. Sie hielt mir ihre Hand entgegen und ich schüttelte sie.
»Nichts zu danken. Ich habe nur meinen Job gemacht«, gab ich zurück und ließ sie los.
»Wenn ich jemals etwas für Sie tun kann, lassen Sie es mich wissen.«
»Das werde ich.« Ich warf ihr ein knappes Lächeln zu. »Na, dann. Ich wünsche Ihnen noch viel Glück. Auch wenn Marielle nicht wegen versuchten Mordes verurteilt wird, so wird sie auf jeden Fall wegen Mordes sitzen.«
»Und das habe ich nur Ihnen und Ihrem Team zu verdanken«, wiederholte Keason ebenfalls lächelnd.
»Das ist nicht mein Team«, erinnerte ich, »ich arbeite nur mit dem CBI zusammen.«
Keason winkte ab. »Wie dem auch sei – Ihre Eltern wären stolz auf sie. Auf Wiedersehen, Kaitlyn.« Sie warf mir noch ein knappes Nicken zu, ehe sie davonging und ich alleine zurückblieb. Ihre Worte waren freundlich gemeint gewesen, doch mich trafen sie wie ein Blitz – unvorbereitet und schmerzhaft. Die Erinnerung an meine Eltern hatte seit Jahren diese Wunde hinterlassen, die in letzter Zeit immer wieder von Neuem aufgerissen wurde.
»Hey, Moore, können wir fahren?«, erklang auf einmal Lisbons Stimme. Die Frau und Jane standen einige Meter von mir entfernt und wortlos lief ich ihnen entgegen, ehe wir schließlich zusammen das Gericht verließen.
Der Fall war beendet, ein neuer würde kommen. Auch wenn es mir noch nicht bewusst war, hatte er die Fugen zwischen mir und Jane und sogar zwischen mir und Lisbon etwas geglättet. Wir waren nicht mehr so kühl und fremd zueinander. Wahrscheinlich hatten wir uns etwas angenähert und uns den nötigen Respekt verschafft.
Ein wichtiger Grundstein für ein Team.
4359 Wörter
Die unregelmäßigen Updates tun mir sehr leid. Ich habe bisher einige Kapitel vorgeschrieben, nur komme ich nie zum Korrekturlesen. Dafür gibt es heute aber ein umso längeres Kapitel.
Was haltet ihr von dem Fall? Der Fokus lag dieses Mal nicht sonderlich auf eine spannende Verfolgungsjagd oder Spurensuche, sondern eher auf Janes, Kates und Lisbons Beziehungen zueinander. Es kann übrigens sein, dass Kate irgendwann noch einmal auf Marielle treffen wird. Hättet ihr gedacht, dass sie an einer krankhaften Obsession leidet?
Was sagt ihr dazu, dass Jane versucht hat, Kate zu hypnotisieren? Es wird auf jeden Fall noch einen krassen Plottwist geben, allerdings weiß ich nicht, ob er in Staffel 2 oder 3 auftauchen wird. Mal gucken - ich bin mir auch nicht sicher, ob ich Staffel 3 gleich nachträglich an dieses Buch anschließe, weil es wahrscheinlich besser passt, oder in einem eigenen Buch einbaue.
Fun-Fact: Richterin Willa Frost ist ein Charakter aus Criminal Minds, die sich um Reids Prozess in Staffel 12 gekümmert hat.
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