Kapitel 10
January 11, 2010
CBI, Sacramento, CA
Vier Wochen Schreibtischdienst. Mindestens vier Wochen Schreibtischdienst.
Das war Lisbons Strafe für mich. Keine Suspendierung, keine Beurlaubung. Während die anderen weiterhin an Fällen arbeiteten, musste ich Papierkram sortieren und alte Akte durchgehen, und das Beste an der Sache – Jane hatte meine Akte vom 'Red John'-Fall. Das war das Erniedrigendste an der ganzen Sache. Mich störte der Schreibtischdienst eher weniger, es war nicht meine liebste Arbeit, aber es könnte schlimmer seine, und außerdem hatte auch Fornell mir einmal Papierkram aufgebrummt, da ich zeitweise nicht in den Außendienst gelassen werden durfte.
Deswegen war es mittlerweile gewohnt.
Doch als Jane mit den Worten »Äh, Lisbon« an die Tür des Büros geklopft und seinen Kopf hereingesteckt hatte und schließlich »Ich glaube, dass Sie Agent Moore vorerst von jeden Fall abziehen sollten« hinzugefügt hatte, hätte ich ihm am liebsten den Hals umgedreht. Danach hatte Lisbon mir aufgetragen, mir jede Akte zu meinen aktuellen Fällen abzugeben – auch diejenigen, die sie mir selbst überreicht hatte.
Und so war ich den 'Red John'-Fall los.
Seit vier Wochen ignorierte ich Jane. Seit vier Wochen sprachen wir kein Wort miteinander. Anfänglich hatte er es als Wettkampf gesehen und mitgemacht – wer ignorierte wen länger. Doch ab irgendeinem Zeitpunkt hatte er sich schlecht gefühlt, oder er wollte, dass ich dachte, dass er sich schlecht fühlte; bei Jane konnte man sich nie sicher sein.
Als ein Strauß aus weißen Lilien auf meinem Tisch gestanden hatte, hatte ich ihn für einen Moment verwirrt angestarrt. Dann war ich eiligen Schrittes darauf zugelaufen, während Van Pelt und Rigsby mich dabei beobachtet hatten, und mit einer schnellen Bewegung hatten ich den Strauß in den Mülleimer neben den Schreibtisch geschmissen. Als ich mich umgedreht hatte, dabei meine Hände abklopfend, so dass das Wasser aus der Vase abtropfte, fiel mein Blick auf Jane, der im Türrahmen gelehnt hatte.
»Ich dachte, Sie wären der Typ für Lilien«, meinte er und nahm schmunzelnd einen Schluck von seinem Tee.
»Ich hasse Lilien!«, spie ich aus und lief an ihm vorbei, ohne ihn weiter zu beachten.
Als nächsten folgten rote Rosen, doch auch diese beförderte ich in den Müll.
»Wenn es keine Rosen sind«, hörte ich Jane sagen, »was sind es dann?« Das Grinsen auf seinen Lippen verriet mir, dass es eine rhetorisch gemeinte Frage war. Er spielte mit mir. Und so spielte ich mit. Doch anstatt ihm ebenfalls auf den Geist zu gehen, ignorierte ich ihn weiter. Er wollte Reaktionen von mir, ich gab ihm keine.
Ich hatte alles unter Kontrolle. Ich arbeitete an dem Papierkram, den Lisbon mir gegeben hatte, und beschwerte mich nicht. Doch dann klingelte das Telefon auf meinem Schreibtisch, was eigentlich Janes Telefon war, und verwundert nahm ich ab. Noch nie hatte dieses Telefon geklingelt.
»Hallo, spreche ich mit Agent Moore?«, erklang eine weibliche Stimme am anderen Ende, bevor ich auch nur die Chance gehabt hatte, etwas zu erwidern.
»Ja, richtig. Mit wem spreche ich?« Ich drehte meinen Stift in der rechten Hand, während ich abwartend den Hörer mit der anderen hielt.
»Staatsanwältin Ann-Marie Keason«, stellte sich die Frau vor und sofort erstarrte meine Miene. Langsam ließ ich den Stift auf das Papier vor mir sinken. »Jemand bei der BAU war mir einen Gefallen schuldig, deswegen weiß ich, dass Sie nun für das CBI arbeiten. Ich weiß nicht, ob Sie sich noch an mich erinnern, aber Ihre Eltern und ich waren eng befreundet.«
»Eng befreundet würde ich das nicht nennen«, gab ich kühl zurück. Ich bemerkte, wie Cho seinen Kopf hob, und auch Rigsby, der soeben mit zwei Power-Shakes den Raum betreten hatte, sah zu mir.
»Ich habe das von Ihren Eltern gehört«, sprach die Staatsanwältin unbekümmert weiter. »Mein aufrichtiges Beileid.«
Ihr Tod ist über drei Jahre her, schoss es mir durch den Kopf, doch stattdessen sagte ich: »Was kann ich für Sie tun, Frau Staatsanwältin?«
»Ich weiß, dass Sie beim FBI waren und dann als Profilerin bei der BAU gearbeitet haben. Ich brauche Ihre Hilfe bei einem Fall. Wir wissen, dass der Mann schuldig ist, doch haben wir keine Beweise.«
»Wie können Sie sich dann sicher sein?«, hakte ich nach.
»Weil ein Zeuge es bezeugen konnte.«
»Und wo ist der Zeuge?«
»Er ist tot.«
Stille.
»Dann haben Sie also rein gar nichts, wenn ich das richtig verstehe«, meinte ich.
»Das sagte ich bereits«, gab die Frau ruhig zurück, ohne ihre Fassung zu verloren, »und deswegen brauchen wir Ihre Hilfe. Ihre Eltern meinten, Sie wären einer der besten Agents, die es gibt. Ich habe mir Ihren Lebenslauf angesehen. Sie sind viel herum gekommen. Wenn Sie der Staatsanwaltschaft helfen, werden Sie etwas gut bei uns haben.«
Einen Moment schwieg ich. Nachdenklich fuhr ich mit meiner Fingerkuppe über meinen mittlerweile kalten Stift. »Ich würde Ihnen gerne helfen«, gab ich schließlich zu, »doch liegt diese Entscheidung nicht in meiner Befehlsgewalt. Sie müssten meinen Vorgesetzten darum bitten, dass der Fall an das CBI übergeben wird. Rufen Sie Teresa Lisbon an und klären Sie das. Danach sprechen wir uns noch mal.« Ohne eine Antwort abzuwarten, legte ich auf.
»Wer war das?«, verlangte Cho mit ernster Miene zu wissen.
»Eine Staatsanwältin aus DC«, erklärte ich, ohne mit der Wimper zu zucken.
Verwundert zog Rigsby die Augenbrauen zusammen. »Was wollte denn eine Staatsanwältin von Ihnen?«
»Mich überreden, ihr bei einem Fall zu helfen.« Ich nahm meinen Stift in die Hand und setzte meinen Papierkram fort.
»Ich tippe auf Freunde Ihrer Eltern oder auf eine höchst verzweifelte Frau«, erklang Janes Stimme, der wie üblich mit seiner Tasse in der Hand im Büro erschien.
»Ach, weil nur verzweifelte Menschen meine Hilfe brauchen?«, meinte ich sarkastisch und zog eine Augenbraue hoch. »Weil diese aus ihrer Verzweiflung nicht abschätzen können, wer ein guter oder schlechter Agent ist?«
Einen Augenblick musterte Jane mich. »Freunde Ihrer Eltern«, sagte er schließlich und deutete kurz auf mich.
Fassungslos schüttelte ich den Kopf und setzte zur Antwort an, als Lisbon das Büro betrat.
»Gerade hat mich die Staatsanwältin angerufen«, sagte Lisbon, die verwirrt in die Runde sah. »Wir haben einen Fall in Washington. Sie verlangt ausdrücklich nach uns. Und nach Ihnen.« Sie sah zu mir.
Ich zuckte mit den Achseln. »Auf nach Washington, also«, meinte ich und erhob mich. Ich ergriff meine Jacke und lief an Lisbon vorbei, während diese mir perplex hinterhersah.
»Wissen Sie, was hier los ist?«, hörte ich die Frau die anderen fragen. Doch niemand antwortete.
Wir holten unsere Reisesachen und fuhren kurz darauf zusammen zum Flughafen, von wo aus wir nach Washington flogen. Kaum waren wir gelandet, fuhren wir mit unserem Gepäck fuhren zum Gericht. Wann war ich das letzte Mal in der Hauptstadt gewesen? Wann war ich das letzte Mal am Gerichtshof gewesen? Es war Jahre her. Viele Jahre.
Ich sollte etwas spüren. Ein beklommenes Gefühl oder so etwas in der Art. Doch ich spürte nichts. Es gab hier einen Job, allein deswegen war ich hier.
Ann-Marie Keason stand oben am Treppenabsatz, als wir unseren Wagen am Straßenrand hielten und die Treppe heraufstiegen.
»Ich habe alles mit dem FBI geklärt. Der Fall gehört Ihnen«, war das Erste, was die Staatsanwältin sagte. Sie kam mir mit ausgestreckter Hand entgegen und ich schüttelte sie. Erst danach begrüßte sie die anderen. »Sie haben nur den heutigen Tag. Morgen ist bereits die Anhörung. Dann brauchen wir die Beweise. Ich weiß, das ist nicht viel, und in Anbetracht dessen, dass unser einziger Zeuge Selbstmord begangen hat, ist das nicht einmal annähernd entgegenkommend. Doch ich hoffe, Sie finden etwas Handfestes, was ich verwenden kann.« Sie sah nur mich an, als war weder Autorität meines Bosses noch die Anwesenheit der anderen von Bedeutung.
Ich nickte. »Wir versuchen unser Bestes.« Danach fuhren wir zum Gefängnis, wo der Tatverdächtige in einen abgesicherten Verhörraum gebracht wurde. Bis zur Anhörung konnte er noch festgehalten werden. Sollten danach keine Beweise für die Schuldlage vorliegen, musste er freigelassen werden.
»Ich will bei dem Verhör dabei sein«, sagte Lisbon sofort, die mich mit einem mahnenden Blick ansah. Ich wusste, dass sie die Situation höchst seltsam fand. Normalerweise bat man das CBI um Hilfe bei einem Fall, nicht eine einzelne Agentin, die nur auf Probe bei der Institution arbeitete.
Wieder nickte ich und zusammen betraten wir den Raum. Lisbon hielt die Akte in die Hand, in die wir noch keinen Blick hatten werfen können. Doch das wollte ich auch noch nicht. Ich wollte mir erst ein Bild vom Täter verschaffen. Der Tatverdächtige hatte uns den Rücken zugedreht, dennoch bemerkte ich gleich den Irrtum. Eventuell hätte Keason vorher erwähnen sollen, dass es sich bei dem Täter um eine Frau handelte.
Lisbon und ich umrundeten den Tisch und ließen uns der Frau gegenüber nieder. Sie hatte braune zerzauste Haare, die sie etwas wild wirken ließen. Die braunen Augen waren groß und rund. Beinahe wahnsinnig wirkten sie. Ihr Mund war einen Spalt geöffnet, als sie uns sah. Ein seltsames, zartes Lächeln lag auf ihren Lippen, während ihre Augen erst über Lisbon, dann über mich wanderten.
»Marielle Layson«, sagte Lisbon, die die Akte aufschlug und einen kurzen Blick darüber warf, »angeklagt wegen der Nötigung an drei Menschen. Eine davon führte zu Suizid.« Als Lisbon aufsah, wurde Marielles Grinsen breiter. Sie wippte leicht mit dem Kopf, während ihre Hände unter dem Tisch auf ihrem Schoß lagen.
»Nehmen Sie bitte die Hände hoch«, wies ich ruhig, dennoch bestimmt an. Ruckartig sah die Frau zu mir.
»Wie heißen Sie?«, fragte sie mit zuckersüßer Stimme, die etwas Unschuldiges und Liebliches ausdrücken sollte.
»Ich bin Agent Moore, das ist Agent Lisbon.« Ich deutete auf meinen Boss.
»Ich meine Ihren richtigen Namen. Erst ein Name sagt etwas über einen Menschen aus.« Ihre Lippen zuckten. Ihre Augen huschten über mein Gesicht.
»Kaitlyn«, sagte ich mit ernster Stimme. Sie fragte nicht nach, wie Lisbon hieß. Für einen Moment war es so, als wäre nur ich hier mit der Tatverdächtigen.
»Das steht für Reinheit«, sagte Marielle mit einem seltsamen Hauchen in der Stimme, als genoss sie es, dies zu sagen. »Sind Sie rein, Kaitlyn?«
»Kein Mensch ist rein«, erwiderte ich. »Jeder hat irgendetwas verbrochen.«
»Reden wir über das, was Sie verbrochen haben«, setzte Lisbon an. Nur langsam löste Marielle ihren Blick von mir.
»Ich habe nichts getan«, sagte die Frau ruhig und legte die Hände ineinander verschlossen auf den Tisch.
»Hier steht«, Lisbon deutete auf die Akte, »Sie hätten Ihre Mitbewohnerin im Studentenheim tätlich angegriffen, weil Sie Ihre Sachen benutzt hat. Zwei andere Studenten haben Sie ermordet.«
»Warum sollte ich das tun?«, gab die Frau zurück.
Ich musterte sie eindringlich. »Weil Sie eiskalt sind«, erwiderte ich. Nun sah Marielle wieder zu mir. »Sie werden schnell eifersüchtig, alles muss nach Ihrem Willen gehen. Sie dulden keine Menschen, die Ihnen in irgendeiner Weise im Weg stehen können. Auf der anderen Seite dulden Sie es nicht, wenn sich jemand von Ihnen abwendet, wenn Sie es nicht selbst veranlasst haben.«
Für einen winzigen Moment war das Lächeln aus Marielles Gesicht verschwunden, doch dann tauchte es auch schon wieder auf.
»Ich mag Sie«, sagte sie.
»Das freut mich«, erwiderte ich daraufhin, »denn die nächsten Tage werden wir uns sehr oft sehen.« Mit diesen Worten erhob ich mich. »Wir sind hier fertig.«
»Ach, sind wir?«, fragte Lisbon sarkastisch.
»Wenn Sie keine weiteren Fragen haben, sind wir hier fertig, ja«, meinte ich. Die schwarzhaarige Frau wirkte nicht unbedingt begeistert, doch erhob auch sie sich schließlich.
»Wir sind hier fertig«, wiederholte sie und zusammen liefen wir auf die Tür zu.
»Ich hoffe, ich sehe Sie bald wieder, Kaitlyn«, ertönte Marielles zuckersüße Stimme in meinem Rücken, ehe Lisbon und ich wortlos den Raum verließen.
»Agent Moore«, begann die Frau mit ernstem Ton, kaum waren wir in den Flur getreten, »ich glaube, Sie haben vergessen, dass ich die Leiterin des Teams bin. Ich sage, wann wir fertig sind.«
Zum ersten Mal, seitdem ich für das CBI arbeitete, spürte ich, wie ich sich etwas in mir anstaute. Es war nicht Wut, sondern etwas wie Empörung und Verärgerung. »Agent Lisbon, bei allem Respekt«, sagte ich, während ich mir ihr in den Weg stellte und ihr finsteres Funkeln mit ernster Miene erwiderte, »ich arbeite nun seit drei Monaten für das CBI, nicht beim CBI. Vielleicht haben Sie das vergessen. Sofern Sie mich nicht im Team aufnehmen oder mich dem CBI verweisen, stehe ich Ihnen und Ihren Kollegen zur Beratung zur Verfügung. Ich habe Ihre Strafen hingenommen und akzeptiert, aber jetzt bitte ich Sie inständig, mich meine Arbeit machen zu lassen oder mir zu sagen, dass ich auf der Stelle gehen soll.«
Für einen Moment wirkte Lisbon, als hätte ich sie gerade mit einem Schlag ins Gesicht wachgerüttelt.
»Natürlich«, sagte sie. Weder Begeisterung noch Schuldempfinden schwang in ihrer Stimme mit. »Ich werde Sie Ihre Arbeit machen lassen, wenn Sie mich meine machen lassen. Das nächste Mal sage ich, wann das Verhör beendet ist. Ansonsten will ich Sie natürlich nicht weiter aufhalten.«
Ich nickte. »Gut. Dann verstehen wir uns.« Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte ich mich zum Gehen. Lisbon folgte mir erst nach einigen Lidschlägen.
2141 Wörter
Heute gibt es ein Doppel-Update, weil das vorletzte Kapitel einfach schon zwei Wochen her ist. Ich merke selbst nicht mal, wie schnell die Zeit vergeht.
Kate wird wohl langsam etwas ungehalten ... War ihre Ansage an Lisbon nachvollziehbar?
Vielleicht kennt einer von euch den Film "The Roommate". Auf jeden Fall habe ich mich etwas daran inspirieren lassen bzw. stelle mir so in etwa Marielle vor. Was haltet ihr von der Inhaftierten?
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