Kapitel 6
Es war ein merkwürdiges Gefühl, aus diesem langen, traumlosen Schlaf zu erwachen, doch Sakura wusste, dass sie nicht viel Zeit mit Kopfschmerzen oder Schwindel verschwenden durfte. Trotzdem erschienen genau diese Symptome sobald sie ihr Bewusstsein wieder erlangt hatte.
Wenigstens lag sie auf einem festen Untergrund, einer Bank oder Pritsche oder ähnlichem — kein Bett, wenn man die in Sasukes kleinem Höllenloch überhaupt finden konnte. Das war jedenfalls der Ort, an dem sie vermutete sich aufzuhalten. Es war schwer zu sehen, wo genau man war, wenn man seine Augen nur mit aller Kraft Stückchen für Stückchen aufbekam.
Das grelle Licht der Deckenleuchte blendete Sakura für die ersten paar Sekunden, knockte sie fast wieder aus, da die Kopfschmerzen für einen Moment unerträglich erschienen. Was auch immer das für ein Gift gewesen war, sie musste es so schnell sie konnte bekämpfen. Vor allen Dingen bevor Sasuke und seine kleinen Helferlein mitbekamen, dass sie wieder wach war.
"Na, sieh mal einer an, wer wieder unter den Lebenden weilt." So viel dazu.
Sakura drehte ihren Kopf leicht nach rechts und blickte in Karins verzerrtes Gesicht. Ihre Nase war gerümpft, die Falte zwischen ihren Augenbrauen war überdeutlich zu sehen und aus ihren Augen sprach nichts als Hass.
Was für ein warmer Empfang. Sie versuchte wirklich es an sich zu halten, doch Sakura konnte sich das Augenrollen einfach nicht mehr verkneifen. Suigetsu wäre ihr lieber gewesen, der große Typ, der den Krater verursacht hatte, ja sogar Sasuke, der sie in den letzten Tagen erschreckend oft versucht hatte umzubringen. Jeder andere Mensch auf dieser verdammten Welt, doch es musste ja unbedingt Karin sein.
"Ich bin auch nicht gerade froh, dich zu sehen, aber Sasuke will, dass du lebst, also werde ich dich wohl untersuchen müssen", spuckte sie Sakura entgegen. Ihre Arme waren vor ihrer Brust verschränkt, was wirklich unpraktisch war, wenn sie Sakura tatsächlich untersuchen wollte, doch so weit sollte es gar nicht erst kommen.
"Kein Bedarf", gab sie giftig zurück. "Ich kann mich selbst heilen." Ihr Körper war schon dabei sich zu regenerieren, sie spürte schon die Besserung der immensen Kopfschmerzen und wie sie ihre Glieder langsam wieder bewegen konnte.
Es war ein paralysierendes Gift gewesen, was sie sich da selbst verabreicht hatte — wenn man es genau nehmen wollte. Wenigstens hatte ihr Sturz nach der Ohnmacht keine weiteren Verletzungen mit sich gezogen. Bei solchen Giften hatte Sakura oft Kopfverletzungen behandeln müssen, da die Patienten bewegungsunfähig umgekippt waren und ihren Kopf nicht hatten schützen können. Ihrer eignen Diagnose nach zu urteilen ging es ihrem Kopf jedoch vorerst gut.
Nur leider schien Karin gar nichts von Selbstdiagnosen zu halten. Sie hatte zwar immer noch die Arme verschränkt, in ihrem Blick änderte sich allerdings doch etwas, während ihr Blick über Sakuras Körper flog, der sich langsam aber sich wieder mit Leben füllte.
Sakura bewegte erst ihre Arme und Beine, Finger und Zehen, dann wagte sie langsam den nächsten Schritt und versuchte, langsam den Oberkörper anzuheben. Das stellte sich allerdings als eher voreilige Idee heraus. Sobald sie auch nur ansatzweise aufrecht war, wurde Sakura Schwarz vor Augen und sie kippte fast wie ein Sack Kartoffeln zurück nach hinten auf die Pritsche.
"Du wurdest abgestochen und vergiftet", fauchte Karin, die ihr reflexartig zur Seite geilt war und sie nun an den Schultern festhielt. "Sei kein arrogantes Miststück und lass mich nachsehen."
"Kennst dich ja gut genug damit aus, abgestochen zu werden", murmelte Sakura und verfluchte sich gleich darauf für ihr loses Mundwerk. Da erklärte Karin sich schon bereit dazu, sie nach Verletzungen abzusuchen und sie musste natürlich wieder irgendeinen unüberlegten, impulsiven Kommentar abgeben, der ihr nicht gerade Pluspunkte einhandelte.
Sofort ließ Karin sie wieder los und schenkte ihr einen Blick, der sie hätte töten können, wenn es keine Unterbrechung gegeben hätte. "Halt die Schn-"
"Ladys, Ladys." Die Holztür auf der gegenüberliegenden Wand schwang auf und niemand geringeres als Suigetsu trat in den kleinen, spärlich möblierten Raum. Er hatte ein verschlagenes Grinsen im Gesicht, das freie Sicht auf seine angespitzten Zähne gab. "Bitte keine Faustkämpfe meinetwegen."
Karin machte sich nicht mal die Mühe sich umzudrehen, verdrehte nur die Augen und kümmerte sich nun doch um Sakuras Untersuchung — oder was sie unter einer Untersuchung verstand. "Für dich würde ich nichtmal einen Daumenkampf kämpfen", murmelte sie währenddessen und hätte Sakura beinahe ein belustigtes Schnaufen entlockt.
"Hört auf herumzuflüstern und arbeitet lieber. Der Boss will sie wieder auf den Beinen sehen." Suigetsu ging hinüber zu der kleinen Kommode neben der Tür und nahm jedes Fläschchen und Gefäß in die Hand, die er darauf finden konnte.
Sakura schnaubte. Wenn sie es ihr auch so einfach machten, die ganze Dynamik hier etwas aufzumischen, dann musste sie das natürlich auch ausnutzen. "Ihr hört also auf alles, was Sasuke euch sagt? Ich dachte immer, es wäre nur ein Gerücht, dass er sich kleine Handlanger angeheuert hat, aber..."
Suigetsu drehte sich abrupt um und sah Sakura an, als würde sie eine fremde Sprache sprechen. "Angeheuert?"
"Oh, ihr werdet also für die Drecksarbeit nicht mal bezahlt?"
"Witzig. Sasuke hat vorausgesagt, dass du versuchen würdest, uns gegen ihn aufzuhetzen." Er drehte sich zurück zu der Kommode.
"Na, ich hab ja auch genug schlechtes über ihn zu sagen. So witzig ist das gar nicht", erwiderte Sakura. Die Atmosphäre in diesem Raum wurde immer angespannter, genau so, wie sie es gern haben wollte. Später würde nur der kleinste Funken genügen...
Karin griff sich grob ihren Arm und riss Sakura fast den Ärmel vom Shirt — so viel zum Thema Untersuchung. Es war nicht zu übersehen, dass ihr die Disziplin einer ausgebildeten Heilerin fehlte, sie konnte einfach nicht Arbeit und Gefühle auseinanderhalten. "Sei einfach still", zischte sie,
"sonst lass ich dich doch verrecken."
"Wie schon gesagt, Frau Doktor, ich kann mich selbst heilen." Sakura entriss sich Karins festem Griff und taxierte sie mit einem klein wenig überheblichen Blick.
Suigetsu, der inzwischen alle Fläschchen einmal begrabscht haben musste, drehte sich wieder augenrollend in den Raum. "Um Himmels Willen, kannst du ihr nicht irgendwelche Kräuter in den Tee mixen und sie funktioniert wieder?"
"Du hältst dich bloß daraus. Dein Körper funktioniert doch selbst nicht richtig", gab Karin schnippisch zurück.
Suigetsu setzte schon zu einer Erwiderung an, Augen allein auf Karin gerichtet, als wären die beiden die einzigen Personen im Raum — auf der ganzen Welt vielleicht sogar. Eine äußerst wichtige und vorteilhafte Beobachtung.
Bevor er jedoch etwas sagen konnte, wurde die Holztür erneut aufgerissen, als wäre so etwas wie Privatsphäre in diesem Unterschlupf ein Fremdwort, und Jūgo kam mit zusammengezogenen Augenbrauen hereingeschneit.
"Hey, Sasuke ruft- Sie ist ja immer noch nicht auf den Beinen." Sein Tonfall war vorwurfsvoll.
"Wenn Suigetsu nicht-"
"Du hast doch selbst keine Ahnung, was du hier-"
"So." Sakura würde sich das Gezanke von Karin und Suigetsu keine Sekunde länger anhören, so informativ es auch sein mochte, und beendete ihre Untersuchung auf eigene Faust. "Problem gelöst. Wo kann ich euren Anführer jetzt empfangen?" Sakura stand von der Pritsche auf und ließ es sich erstmal nicht anmerken, dass ein ekelig grausamer Kopfschmerz zwischen ihren Schläfen pochte.
Das Wort Anführer sorge in dem kleinen Raum für synchrones Brummeln und gerümpfte Nasen. Schien so, als würde Sasukes Team nicht gern daran erinnert werden, dass sie ihm unterlegen waren und Sakura hatte es sich zur Aufgabe gemacht, in dieser Wunde zu stochern. Wenn sie schon als Geisel oder Gefangene oder warum auch immer er sie mitgenommen hatte, fungieren sollte, könnte sie ihren Aufenthalt hier wenigstens gebührend ausnutzen.
Jūgo verließ den Raum als erster, hinter ihm ging Karin, dann wurde Sakura hinterhergeschubst. Zuletzt kam Suigetsu hinter ihr her und schloss die Tür mit einer leisen Klage. "Wir hätten jeden als Geisel nehmen können..."
Leider hatte Sakura nicht die geringste Chance sich Sasukes Unterschlupf anzusehen, geschweige denn sich einen Plan zu machen, wie man hier am besten wieder rein und raus kam. Suigetsu hatte ihr nach dem Betreten des Flurs einen Sack über den Kopf gezogen und den trug sie nun schon seit etwa einer Minute.
Geradeaus. Tür. Rechts. Tür. Geradeaus. Links. Tür. Links. Geradeaus. Tür. Dann... Stille. Der Sack roch etwas muffig und Sakura hatte Angst zu seufzen, da sie nicht wusste, wie ihr Abdomen darauf reagieren würde.
Hinter ihr tippte jemand ständig mit dem Fuß auf den Boden, einer zog die Nase hoch und jemand räusperte sich. Sakura stand, den Geräuschen nach zu urteilen, in ihrer Mitte, einer hinter ihr und jeweils einer auf jeder Seite. Sie sahen sie als ernsthafte Bedrohung.
Das war natürlich erfreulich für ihren Ruf, aber schlecht für ihre Fluchtpläne. Sasukes Leute waren zwar anstrengend und kein besonders gutes Team, doch individuell waren sie nicht dumm und so loyal, wie sie nun mal sein konnten. Sie würden Sakura niemals einfach so aus den Augen lassen, wenn Sasuke es ihnen nicht ausdrücklich befehlen würde.
Eine weitere Tür knarrte und Sakura hielt sich innerlich bereit. Sie schloss sich mit einem leisen Klicken und Schritte ertönten. Sechs, sieben, acht, neun... er blieb stehen. Neun Schritte von der Tür entfernt blieb er stehen.
Sakura wusste sofort, dass es Sasuke war. Er konnte sich vor vielen Leuten verstecken, sich tarnen, Gen-Jutsus anwenden oder ihr einen Sack über den Kopf ziehen, doch sich selbst konnte er niemals ganz verstecken. Seine festen Schritte, seine Präsenz, wenn er einen Raum betrat. Sein Geruch. Er roch nach Wald und Rauch, aber auch nach etwas, das Sakura nicht gänzlich beschreiben konnte. Nach etwas scharfem, etwas vertrautem, etwas aus einem Labor vielleicht.
Sie würde ihn überall erkennen, ob es ihm gefiel, oder nicht.
"Wie ich höre, sorgst du für Streitereien." Seine Stimme war immer noch kalt, genervt, ein klein wenig grausam. Sie war noch genau wie damals, und doch so anders. Nichts jungenhaftes mehr, nichts kindlich-verzweifeltes. Als hätte er endlich das erreicht, was ihm all die Jahre den Schlaf geraubt hatte und nun musste er damit leben. Es war die gleiche Stimme, die ihr damals gedankt hatte, als sie bei den Chūnin-Auswahlprüfungen sein Leben gerettet hatte. Und auch die gleiche Stimme, die ihr vor ein paar Tagen erst den Tod versprach.
"Vielleicht hättest du noch ein paar Leute entführen sollen, dann wären wenigstens alle beschäftigt", gab Sakura zurück, ihre Stimme durch den Sack gedämpft und doch scharf.
Ruckartig wurde ihr der Stoff vom Kopf gerissen und Karins wutentbrannte Augen bohrten sich in ihre. Sakura musste etwas gegen das blendende Deckenlicht blinzeln, bis sie alles um sich herum aufnehmen konnte, doch dazu kam sie nicht wirklich.
Karin griff sich ihren Kragen und riss sie fast von den Füßen. "Du solltest vielleicht lieber deine Klappe-"
"Karin."
Sie ließ wieder los und schubste Sakura von sich. Am liebsten wollte Sakura ihre Handfesseln zerreißen und dieses Biest gegen die nächste Wand drücken, bis sie um Gnade winselte. Das wäre jedoch nicht besonders gut für ihren Plan. Sie durfte nicht schon während ihres ersten Tages hier alle Karten auf den Tisch legen.
"Kannst du sie etwas schneller zurechtweisen, ich will sie aus meiner Gegenwart entfernt haben." Karin verschränkte die Arme vor der Brust und kehrte ihr den Rücken zu.
Eigentlich wollte Sakura sich nicht provozieren lassen, doch im Klappe halten war sie noch nie besonders gut gewesen. Manch einer nannte sie impulsiv und leicht reißbar, einen Hitzkopf oder eine Cholerikerin. Das waren zwar keine sehr vorteilhaften Eigenschaften für einen Ninja, aber Sakura hätte niemals behauptet, dass sie nicht genau auf sie zutrafen.
Sie stand dort in einem Raum ohne Fenster, die Wände waren aus grauem Stein, der Boden sah an manchen Stellen schon morsch aus und die Beleuchtung war fast primitiv — der Stoff, aus dem Alpträume gemacht waren. Ein Ort, an den man zum Sterben geschleppt wurde. Und trotzdem stand sie hier von Feinden umzingelt und hatte eine Arroganz in der Stimme, als würde ihr jedes letzte Körnchen Staub hier gehören. "Dann geh und mix ein paar Kräuter in Tees, deine Anwesenheit hier ist sowieso nicht notwendig-"
"Sakura."
Sakura drehte sich ruckartig zurück zu Sasuke. "Mich brauchst du gar nicht zu Maßregeln, ich werd sowieso nicht dafür bezahlt, auf dich zu hören. Oh, Moment", sagte sie sarkastisch, dann sah sie zurück zu Karin, Suigetsu und Jūgo, "ihr ja auch nicht."
Suigetsu hob eine Augenbraue und verschränkte ebenfalls die Arme, Jūgo verlagerte nervös sein Gewicht — er war es wohl nicht unbedingt gewöhnt, dass man ihn direkt ansprach — und Karin, die Sakuras Hitzköpfigkeit spotthaft aussehen ließ, machte sich schon wieder bereit, Sakura am Kragen zu packen.
Sie hatte es doch tatsächlich geschafft auch Sasuke eine Reaktion zu entlocken. Er kannte sie gut genug, um ihre Aufstachelung zu durchschauen.
Erst entfuhr ihm ein langer, schwerer Seufzer, dann schloss Sasuke die Augen und kniff sich in die Nasenbrücke. Wow, sie viel Emotion auf einmal hatte Sakura niemals von ihm erwartet. Wie lange musste er diese Reaktion nun schon unterdrückt haben?
Schließlich öffnete er die Augen wieder und hob die Hand, um Karin von einem Mord abzuhalten. Sie blieb sofort in der Bewegung stehen und wartete darauf, was er sagen würde. Wie alle im Raum.
"Okay, alle raus", befahl er schlussendlich.
Suigetsu und Jūgo gaben sich unsichere Seitenblicke. Selbst Karin führte seine Anweisung nicht sofort aus.
Sakura hob nur die Augenbrauen und genoss das Schauspiel, das sich ihr bot. Dafür, dass sie so ein lausiges Team waren, bekamen sie erschreckend viel hin. Sie hatten Itachi Uchiha aufgespürt, Konoha angegriffen und sie gefangen genommen, nicht zu vergessen, dass sie Danzō zur Strecke gebracht hatten.
Je mehr Zeit Sakura jedoch damit betrachte, sich ihre Teamdynamik anzusehen, desto mehr glaubte sie, dass all ihre Erfolge eher dem Zufall geschuldet waren.
Sasuke war kein Anführer. Er mochte der stärkste und schlauste von ihnen sein und deswegen folgten sie ihm, doch er war ganz sicher kein Anführer. Und die anderen drei waren einfach nur grottig, wenn es ums agieren im Team ging.
Suigetsu räusperte sich nach einem Moment der unangenehmen Stille und trat einen Schritt nach vorn.
"Sasuke-"
"Raus, sagte ich", gab Sasuke augenblicklich zurück.
Karin war die erste, die sich in Bewegung setzte, hinter ihr trotteten auch Jūgo und Suigetsu mit hängenden Schultern zur Tür heraus. Entweder wollten sie die Show nicht verpassen, oder sie machten sich doch Sorgen um Sakuras Kräfte, obwohl sie geschwächt und gefesselt war.
Vielleicht war es jedoch nicht Sakura, der gegenüber sie misstrauisch waren. Immerhin hatten sie mitangesehen wie ihr auch so herzloser, mörderischer Sasuke ihr Leben verschont hatte, als Sakura am schwächsten gewesen war.
Eine äußerst interessante Überlegung.
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