Kapitel 12
Wie angedroht hatte Sakura sich am Tag darauf wieder in dem gleichen Verhörraum wiedergefunden, die die gleichen Fragen aufgetischt bekommen und die gleichen Antworten gegeben.
Noch war Kisame zum Lachen zumute gewesen. Er hatte es tatsächlich überaus amüsant gefunden, wie Sakura auf ihrem Stuhl saß und noch immer starr geradeaus guckte.
Kein Muskel in ihrem Gesicht hatte gezuckt, egal, wie laut Sasuke vor Ungeduld geworden war.
Kisame hatte den Mund weit aufgerissen und lauthals gelacht. Seine spitzen Zähne hatten in den matten Licht der Deckenlampe leicht gestrahlt, doch nicht mal das hatte Sakura aus der Fassung bringen können.
Sie war auf das hier vorbeireitet worden. Sie konnte still und stur sein, wenn sie wollte. Tsunade hatte sie während ihrer Ausbildung einmal fast eine Woche kein Wort sagen lassen. Im ersten Moment war Sakura diese Aufgabe komplett lächerlich vorgekommen, doch im Nachhinein war sie froh, dass ihre Mentorin sie unbewusst auf genau diese Situation vorbeireitet hatte.
Die nächsten fünf Tage verliefen alle genau gleich. In den ersten beiden hatte Sakura noch schnippischen Antworten gegeben, doch die restlichen fünf Tage der Woche hatte sie schweigend an die Wand gestarrt und sich jedes Wort gefallen lassen, das die beiden Männer versucht hatten, gegen sie zu verwenden.
Manchmal dachte sie so etwas wie Anerkennung oder sogar Bewunderung in Kisames Augen zu erkennen, doch schlussendlich riss sogar der stählernste Geduldsfaden einmal.
An diesem besonders spannenden Vormittag war Sakura nicht wieder in den üblichen Verhörraum gebracht worden, stattdessen saß sie in ihrem Zimmer auf ihrem Bett und sah zwischen Sasuke und Kisame hin und her, die mit angespannten Mienen vor ihr auf zwei Holzstühlen Platz genommen hatten.
Sie wollten sie verunsichern, ihr den einen Raum nehmen, in dem sie sich sicher gefühlt hatte, ihr zeigen, dass sie sich auf nichts verlassen konnte, doch auf Sakuras Gesicht erkannte man noch immer keine Regung.
"Wir werden tatsächlich langsam ungeduldig", begann Kisame enttäuscht. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass Sakura sie wirklich besiegen könnte. Hatte sie aber gerade. "Wenn du keine Verwendung für uns hast, dann können wir dich auf der Stelle loswerden. Das ist dir bewusst, nicht wahr?"
Im Bruchteil einer Sekunde entschied Sakura, ihre Strategie zu ändern und den Tapetenwechsel gegen ihre Kidnapper auszuspielen.
Dies war ihr Zimmer, also würde sie sich auch genau so verhalten.
Statt still und brav auf der Bettkante zu sitzen, Hände in den Schoß gelegt und Füße nebeneinander auf den Boden gestellt, rutschte sie zurück bis zur Wand und lehnte sich bequem an.
Kisame und Sasuke wechselten unauffällig einen Blick, doch Sakura seufzte nur und gestattete sich ein kleines Lächeln.
"Wir, wir, wir. Wer sind wir? Meint ihr euch beide? Oder werden Karin und Suigetsu da draußen auch schon nervös?" Ihre Stimme war durchzogen von Sarkasmus. Sie sah die beiden Männer vor sich an und fing an zu kichern. "Nein, ich weiß. Ihr beide müsst jemandem Bericht erstatten. Nur wem?"
"Du redest zu viel über Dinge, die dich nichts angehen und nicht genug über Dinge, die wir gern hören möchten", gab Sasuke zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
Sie waren muskulös und doch sahen sie so weich aus. Die Art, wie seine Venen sich auf der Haut abzeichneten war ein Traum für jeden Arzt.
Sakura schenkte ihm einen langen Blick.
Vielleicht sollte sie ehrlich mit ihm sein, wenn sie etwas erreichen wollte.
"Weißt du, was ich gern hören möchte? Vogelgezwitscher. Musik. Andere Stimmen als eure", sagte sie und es war nur zur Hälfte gelogen. Sie hätte nie genug von Sasukes Stimme bekommen können.
"Könntest du. Wir bekommen was wir wollen und du bekommst was du willst." Kisame versuchte es noch immer über den diplomatischen Weg.
"Nein."
Mit einer einzigen fließenden Bewegung sprang Sasuke von seinem Stuhl auf und baute sich vor Sakura auf, als wäre sie nicht größer als eine Puppe.
Ihre Augen folgen sofort hinauf, um jede Sekunde der wunderschönen Wut auf seinem Gesicht in sich aufnehmen zu können.
Wie gern hätte sie die Hand ausgestreckt, um die Falte zwischen seinen Augenbrauen zu glätten. Vielleicht hätte sie es auch getan, wenn Kisame nicht mit Adleraugen zwischen ihnen hin und her starren würde.
"Du bekommst mein Essen. Du darfst mein Wasser trinken und in meinem Gästezimmer schlafen. Wie wär's wenn du mir etwas zurückgibst?", donnerte Sasuke drauf los.
An manchen Tagen hatte er Kisame allein das Wort überlassen, doch heute war er anscheinend in der Stimmung, Streit zu suchen.
Sakura allerdings nicht.
Sie sah mitleidig zu ihm hoch und musste die Hand zur Faust ballen, um keinen Fehler zu machen und doch noch sein Gesicht zu berühren.
"Oh, Sasuke", hauchte sie stattdessen. "Töte mich doch einfach, dann nehme ich deinen Platz auch nicht mehr weg."
"Geht nicht." Es bescherte ihm physische Schmerzen es sich einzugestehen. Sasuke mahlte mit den Kiefern.
Da er es so offen vor Kisame zugab, ging der Befehl, sie am Leben zu lassen, wohl nicht nur von Sasuke allein aus. Es steckte mehr dahinter. Wenn sie Sakura schon nicht als Sanitäterin haben wollten, als was konnte sie dann noch dienen? Welchen Grund gab es wohl, sie leben zu lassen?
"Weil ich der Köder bin, nicht wahr? Ihr hofft tatsächlich immer noch, dass jemand kommt, um mich zu retten", sinnierte sie.
Sasuke stand noch immer über ihr wie eine gefährliche Regenwolke, die nichts als Gewitter und Spannung versprach. "Sie werden kommen. Du bist schon eine ganze Weile weg von zuhause."
"Du auch", schoss Sakura zurück.
Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie so schnell antworten würde, doch sie bereute nicht, was sie gesagt hatte. Nicht, als sie den Bruch in Sasukes Maske sah. Den genauen Moment, als sich sein Mund mit Worten füllten, die er versuchte mit Gewalt herunterzuschlucken.
"Konoha ist nicht mein Zuhause."
Am Ende hatte er seine Sprache wiedergefunden, doch Sakura konnte sich einen weiteren Sieg einstreichen. Ein Riss nach dem anderen.
Sie sah ihn noch immer tief in die Augen. Es war immer der Augenkontakt, der sie verband. Die Spiegel ihrer Seelen, die sich ineinander verloren. "Hätte es aber sein können", sagte sie sanft.
Kisame räusperte sich und brach damit die Verbindung zwischen Sasuke und Sakura.
Um ehrlich zu sein hätte sie fast vergessen, dass er überhaupt noch hier war.
"Na schön", sprach er. "Bevor wir jetzt sentimental werden, verabschiede ich mich lieber. Denke dran, schlaues Mädchen, im Moment geht es dir hier noch gut, aber das kann sich schnell ändern."
Sakura sah Kisame aufmerksam dabei zu, wie er aufstand, den Stuhl packte und zur Tür ging.
Eigentlich hatte es nur eine Ablenkung von Sasuke sein sollen, von seinen geplagten Augen, doch dabei blieb es nicht.
Es war gewagt, aber Sakura glaubte nicht, dass ihre geübten Sanitäteraugen sie täuschten. Da war ein leichtes Humpeln in Kisames Schritt. Er versuchte irgendetwas auszugleichen.
Das war Sakuras Chance, um ihnen zu zeigen, wie nützlich sie war. Ihre Geduld mochte langsam erschöpft sein, doch Sakuras war es nicht.
"Bevor du gehst, lass mich noch deine Beinverletzung sehen", sagte sie.
Kisame blieb abrupt stehen, drehte sich langsam um und sah Sakura an, als hätte sie ihm gerade von Außerirdischen berichtet. Er war wohl fest davon ausgegangen, dass er seine Schmerzen gut verstecken konnte. Das mochte auch sein — vor Sasuke und den anderen ungeübten Augen auf jeden Fall — doch Sakura konnte er nicht so leicht entkommen.
"Oh, bitte." Sie verdrehte nur die Augen. "Ich krieg schon Phantomschmerzen von deiner Schonhaltung."
Sasuke sah nicht gerade begeistert dabei zu, wie Kisame wieder auf Sakura zukam und sich diesmal auf Sasukes Stuhl fallenließ. Kisames Stuhl war schon längst irgendwohin verschwunden.
Sakura kam wieder zur Bettkante gerutscht und kniete sich schließlich neben Kisames rechtes Bein. Sie nahm jeden Zentimeter seiner Haut genauestens unter die Lupe, um auch ja die Quelle des Schmerzes zu finden. Hätte sie die richtigen Werkzeuge, wäre das Ganze um einziges schneller gegangen, doch hier unten musste sie sich nun mal den Begebenheiten anpassen.
"Was tust du da?" Kisame klang fast schon panisch als sie anfing, ihr Chakra in den Händen zu sammeln.
Sein Bein zuckte vor ihr zurück, doch Sakuras Griff entkam er nicht. Je klarer ihm Sakuras physische Stärke wurde, desto mehr zappelte er. Es war wie in einer Fingerfalle. Er zog stärker, Sakura hielt ihn noch stärker zurück.
"Still", sagte sie schließlich und versuchte, konzentriert weiterzuarbeiten. Was sich durch seinen Prostest als äußerst schwierig herausstellte.
"Was- Au!", rief er. "Willst du mich umbringen?"
Plötzlich war Sasuke doch nicht mehr so in seiner Faszination erstarrt. Mit einem langen Schritt stand er neben Kisames Stuhl und war fast dabei, Sakura von seinem... Kollegen wegzuziehen.
"Es war ein Splitter", verkündete Sakura und hielt den Übeltäter, den sie aus Kisames Wade gezogen hatte, hoch ins Licht. Sie sah genervt zu ihren Kidnappern hinauf und schnippte das blöde Ding in einer lässigen Bewegung weg. "Jetzt halt endlich still."
Kisame sah sie ungläubig an, doch dann räusperte er sich nur und sah hinunter auf den Boden. Dass so ein winziges Hindernis ihm solche Probleme bereitet hatte, dass erst eine trainierte Ärztin wie Sakura seine Schmerzen lindern konnte, vertrug sich anscheinend nicht sehr gut mit seinem Ego.
Sakura war es völlig egal, was ihm Schmerzen bereitet hatte. Ob es ein Holzsplitter oder ein verdammtes Schwert war, als Ärztin durfte sie nicht wählerisch sein. Ihre erste Aufgabe war immer überall Schmerzen zu beseitigen.
Und genau das tat sie nun. Ihre Hände wanderten Kisames Wade auf und ab, um den Heilungsprozess anzuregen.
"Besser?", fragte sie nach einer Minute der stillen Arbeit.
"Ja."
"Dann kannst du ja gehen."
Sakura erhob sich wieder von dem harten, dreckigen Steinboden und stand Sasuke gegenüber, der noch immer äußerst unzufrieden und misstrauisch hinunter auf Kisames Bein schaute.
War es das, was er sich vorgestellt hatte? Bei ihrem Kampf an der Brücke hatte Sasuke gesagt, dass er wusste, Sakura war Ärztin.
Es war nun zwar schon eine ganze Weile her, doch dieser Moment spukte trotzdem manchmal noch in Sakuras Kopf herum. Er warf so viele Fragen auf. Woher wusste Sasuke von ihrem Leben? Warum wusste Sasuke von ihrem Leben? Wofür das ganze? Bis heute hatte ihm diese Information keinen wirklichen Vorteil beschert.
Natürlich, jedem Erstklässler in der Akademie wurde als erste Lektion eingetrichtert, man solle sein gegenüber studieren und verstehen. Kenne deinen Feind.
Und doch wunderte es Sakura. Eine Menge Dinge an Sasuke Uchiha wunderten Sakura.
"Wie hast du es gemacht?", fragte Kisame plötzlich.
Sie hatte gar nicht gewusst, dass er überhaupt noch hier war.
"Was?" Wollte er etwa einen detaillierten Bericht der Krankenversorgung von ihr oder wie sollte sie das verstehen?
"Sasori. Wie konntest du ihn töten?", harkte er dann jedoch nach.
Sakura hielt drei quälend lange Sekunden die Luft an. Vielleicht, wenn sie einfach wegen Sauerstoffmangels umfallen würde, müsste sie sich heute nicht ihrer Vergangenheit stellen.
Sie sprach nicht gern über diesen Tag. Nicht nur, weil Sakura nicht alle hatte retten können, sondern auch, weil sie an diesem Tag eine Menge über sich selbst gelernt hatte, dass sie lieber niemals erfahren hätte.
"Ich hatte Hilfe." Chiyo.
"Nein, ich meine, als Ärztin", erklärte Kisame das Offensichtliche. "Wie konntest du das Ganze mit deinem Gewissen vereinbaren?"
Konnte sie nicht. Hatte sie nicht. Tat sie nicht.
Natürlich wäre sie heute nicht hier, atmend und sprechend, wenn sie sich nicht verteidigt hätte. Es war nicht direkt Reue, die sie spürte, wenn Sasori erwähnt wurde, es war eher so etwas wie Bedauern. Enttäuschung. Hilflosigkeit. Sie hatte ihn nicht retten können. Ihn nicht und seine Großmutter auch nicht.
"Gar nicht. Es war er oder ich in dem Moment. Könnte ich zurückgehen und einen anderen Weg wählen, würde ich es tun." Sakura räusperte sich und schluckte.
Sie stand noch immer verloren und klein in diesem winzigen Raum, umgeben von zweien der tödlichsten Männern dieses Planeten. Doch sie fürchtete sich nicht. Sie fühlte sich nur plötzlich sehr, sehr müde.
Kisame nickte, sagte nichts und verschwand durch die hölzerne Tür. Im Rahmen blieb er stehen und sah in den Raum, wo Sakura und Sasuke noch immer nur Zentimeter voneinander entfernt standen. Viel mehr Abstand ließ das Zimmer nicht zu.
"Du hättest verschwinden sollen, als du es zum ersten Mal angedroht hast", murmelte Sasuke und wand sich zum Gehen.
Sakura suchte nach einer Antwort, doch nur ein Gedanke fühlte sich wirklich richtig an. Die Wahrheit.
"Vielleicht mag ich es hier ja."
•
Hey meine Lieben,
Ich hoffe, es geht euch allen gut und das Jahr behandelt euch soweit gnädig.
Ich kann gar nicht fassen, dass vor fast 3 Jahren die Covid Quarantäne begann. Seitdem ist so viel passiert.
Aber sprechen wir lieber über erfreulichere Themen. Habt ihr denn schon Theorien, wie es in der Story weitergehen könnte? 👀👀
Bliebt gesund und munter xoxo
cxrxlnxx22
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