Von Diamanten im Dorngestrüpp und Gefühlscocktails
„Tschuldigung“, vernahm ich das vertraute Piepsen irgendwo aus dem Hintergrund, doch ich war nicht in der Lage darauf zu reagieren. Mein Kopf war zu beschäftigt damit, zu analysieren was hier gerade passiert war. Ich meine..., im Grunde war ja gar nichts passiert oder? Ich hatte mich nur erschrocken, mich so plötzlich Auge in Auge mit Elijah zu befinden und hatte eine Schrecksekunde lang gebraucht um wieder Abstand zwischen uns zu bringen. Und das mit dem Kribbeln lag bestimmt an den Hormonen. Oder es war eine der Nebenwirkungen von dem Essen, das ich hier vorgesetzt bekam. Ja, so musste es sein. An was anderes vermochte ich nämlich nicht mal zu denken. Nicht auszumalen was es bedeuten würde, wenn... Nein, ausgeschlossen. Entschieden wies ich jegliche Gedanken von mir, die in eine falsche Richtung gingen. „Lässt du mich vorbei?“, fragte ich sobald ich meiner Stimme wieder traute. Trotzdem klang sie ein wenig kratziger als sonst und ich traute mich auch nicht Elijah direkt anzusehen, auch wenn es irrational war. Schließlich hatte ich ja gerade für mich beschlossen, dass überhaupt nichts zwischen uns passiert war. Als Elijah stumm Platz machte um mich vorbeizulassen, spürte ich seinen durchdringenden Blick auf mir liegen und ein Schauder lief meinen Rücken hinunter. Mit starr auf Sisty gerichteten Blick drückte ich mich an Elijah vorbei und war mir seiner Präsenz dabei nur allzu bewusst. Als ich ganz kurz seinen Arm streifte, breitete sich dort eine Gänsehaut wie eine Laolawelle über meinen Arm aus und ich musste mich zwingen so zu tun, als hätte ich es nicht bemerkt und den Arm nicht mit einem Mal an mich heranzuziehen. Es verwirrte mich. Wieso brachte mich das gerade so aus dem Gleichgewicht? Mich nervte es ungeheuer etwas nicht unter Kontrolle zu haben. Es machte mich panisch, weil Kontrollverlust so oft ein negativer Begleiter in meinem Leben gewesen war. Und man konnte nur Dinge kontrollieren, die man auch verstand. Und das hier verstand ich eindeutig nicht. Ich verstand nicht warum ich eben nicht hatte zurückweichen können, obwohl ich Angst vor Nähe hatte. Ich verstand nicht wie Elijah mich in der einen Sekunde wie ein gefühlloses Wesen behandeln konnte und im nächsten Moment dafür sorgte, dass ich ins Bett konnte, weil er merkte, dass ich erschöpft war. Und am wenigsten verstand ich das aufgeregte Kribbeln in meinem Magen, welches sich anfühlte als würden tausende von Flummis in meinem Bauch herumspringen. Normalerweise versuchte ich in so einem Fall was auch immer es war so genau wie möglich zu erkunden und zu verstehen versuchen. Aber in diesem Fall war ich mir gar nicht so sicher ob ich es wirklich wissen wollte. Also hielt ich es wie bei allen Dingen die unangenehm waren: Ich ignorierte es und hoffte, dass es sich in Luft auflöste. Das klappte selten, war aber immerhin besser als mir stundenlang den Kopf deswegen zu zerbrechen. Mit einem ungeschickten Flattern erhob sich Sisty wieder in die Höhe und ich konnte nur bewundern, wie sie das überhaupt hinkriegte. Es war ein bisschen wie bei Hummeln. Physikalisch gesehen sollte es eigentlich unmöglich sein, dass sie fliegen konnten, aber weil die Hummeln das nicht wussten, machten sie es trotzdem. „Is hab euch beim Bussimachen unterbrochen oder?“, fragte Sisty aufgeregt und mit deutlich bekümmertem Unterton. So viel dazu nicht mehr darüber nachzudenken. Bevor ich ihr versichern konnte, dass sie sich da irrte und das überhaupt nicht zwischen uns passiert war, nahm Elijah mir das auch schon ab. „Keine Sorge. Den Rotschopf würde ich nicht mal küssen, wenn sie die letzte Frau auf der Erde wäre. Sie ist absolut nicht mein Typ. Nicht mal für eine Nacht“. Okay, es war wirklich nichts zwischen uns passiert, aber musste er deswegen gleich so übertreiben? Das kränkte mich jetzt wirklich und weil Elijah meine schlechtesten Eigenschaften in mir hervorrief, schoss ich auch direkt zurück: „Ich würde dich nicht mal mit der Kneifzange anfassen. Eine Nacht mit mir wäre also so weit von der Realität entfernt, dass du nicht mal davon träumen könntest“. Doch Elijah grinste mich nur spöttisch an, als hätte er gerade sein Ziel erreicht. „Wenn es darauf ankommen würde, würdest du mir auch nicht widerstehen können“. Ich schnaubte. „Du überschätzt dich und dein Aussehen gewaltig“. „Ach ja, dann lässt dich das hier also völlig kalt, ja?“, fragte er und riss sein Shirt so schnell hoch, dass ich nicht rechtzeitig reagieren und mich wegdrehen konnte. Er hatte klar definierte Bauchmuskeln, die zeigten, dass er sich in Form hielt, aber nicht jeden Tag trainierte. Während die meisten anderen Mädchen – oder vielleicht auch der ein oder andere Junge - bei dem Anblick wohl angefangen hätte zu sabbern, wurde mir übel. Eine Gänsehaut kroch meine Arme hoch und ich musste fest schlucken. War er mir eben auch schon so nah gewesen? Irgendjemand musste der Luft den Sauerstoff entzogen haben, denn anders konnte ich mir nicht erklären wieso ich keine Luft mehr bekam. Keuchend griff ich mir an meine Brust und drehte mich von Elijah weg. Und plötzlich waren sie wieder da.
Hände die meine Handgelenke gegen die Wand pinnten.
Feuchte Lippen die sich ihren Weg über meinen Hals bahnten.
Das Geräusch von reißenden Klamotten.
Waren das etwa blaue Flecken an meinen Handgelenken?
Nein, meine Augen vor denen schwarze Flecken tanzten spielten mir Streiche.
Braune Locken tauchten in meinem Sichtfeld auf und ich taumelte erschrocken zwei Schritte zurück. Braune Locken? Will hatte blonde Haare. Das war nicht Will. Und ich war nicht in dem Badezimmer des Grauens, sondern im Wald. Vor mir stand Elijah, der mich fragend anstarrte. „Hast du Angst vor mir?“, fragte er ungläubig. Sofort nahm ich eine abwehrende Position ein und verschränkte die Arme vor der Brust. „Natürlich nicht!“, stritt ich schnell ab. Im Prinzip stimmte das ja auch, da es nicht er persönlich war, der diese Angst in mir ausgelöst hatte. Aber in Anbetracht der Umstände nahm er mir das natürlich nicht ab. Schnaubend verschränkte er ebenfalls seine Arme vor der Brust und lehnte sich gegen einen Baum. „Das sah aber gerade sehr danach aus“.„ Ich habe den blau-gelben Gürtel in Karate. Wieso sollte ich vor dir Angst haben“, versuchte ich weiter ihn zu überzeugen. „Ja, das wüsste ich ebenfalls gerne“. Er war mit einem Mal ungewöhnlich ernst geworden und sah mich nachdenklich an. „Du bist zwar eine Zicke und echt nervtötend, aber du solltest keine Angst vor mir haben. Ich würde dir nie etwas tun. Das solltest du wissen“. Dass ich vor Will Angst haben müsste war mir auch nie in den Sinn gekommen, bevor er mir das angetan hatte. Doch das Leben war nicht so einfach. Es setzte uns Wölfe in Schafspelzen vor die Nase und versteckte Diamanten immer im Dornengestrüpp. Auch wenn Elijah in diesem Moment vollkommen ernst aussah, darauf konnte ich nicht mehr vertrauen. Nie wieder. Deswegen wandte ich meinen Blick von ihm ab ohne etwas zu erwidern. Irgendwie wollte ich Elijah nicht zeigen wie wenig ich ihm vertraute. Und das nicht nur, weil ich keine Schwächen offenbaren wollte, sondern auch weil es mir irgendwie unangenehm war. Dabei war das völlig absurd. Wir kannten wir uns gerade mal knapp drei Tage. Andererseits hatten wir in diesen drei Tagen wahrscheinlich mehr gemeinsam erlebt, als manche Menschen in ihrem ganzen Leben. Eine plötzliche Bewegung vor mir riss mich ziemlich unsanft in die Gegenwart zurück und wie immer nach einer Panikattacke, die mich sensibilisiert hatte zuckte ich prompt zusammen. Elijah streckte seine Hand nach mir aus – anscheinend um seinen Standpunkt zu verdeutlichen – und schien sich dann aber eines Besseren zu besinnen anhand meiner Reaktion und zog sie wieder zurück. Mit
resignierter Miene fuhr er sich durch die Locken. „Leya, ich will dir wirklich nichts Böses. Ich weiß, dass wir nicht den allerbesten Start hatten, aber ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir uns gegenseitig ein wenig mehr vertrauen. Wenn ich dir dafür versprechen muss, dass ich dir nicht zu nah komme und dich nicht mit irgendetwas überfalle, was in dir offensichtlich schlechte Erinnerungen hervorruft, meinetwegen. Aber bitte betrachte mich nicht als deinen Feind“. „Ich wünschte, ich könnte das“. Überrascht schlug ich mir die Hände auf den Mund. Das hatte ich eigentlich nicht sagen wollen. Das war mir einfach rausgerutscht. Und ich stellte fest, dass es stimmte. Ich wollte Elijah vertrauen. Ich wollte im Zelt liegen und mir nicht Gedanken darüber machen müssen, was er mit mir anstellen könnte, sobald ich eingeschlafen war. Wollte nicht abwägen müssen, ob ich am nächsten Morgen ausgeschlafen sein wollte oder ob ich die Schlaftabletten lieber weglassen sollte, weil mich das noch schutzloser gegenüber Elijah machte. Ich wollte nicht jedes Mal sobald er mir auch nur einen Zentimeter zu nah kam sofort von Erinnerungen überfallen werden. Doch das war leider die Realität. Die Vergangenheit war so tief in mir eingebrannt, dass sie viel zu oft zu meiner Gegenwart wurde. Sie füllte jede Faser meines Körpers aus und erstickte jegliche Glücksgefühle oft im Keim. Es war zwei Jahre her und seine Berührungen brannten noch immer auf meiner Haut. Und obwohl ich seitdem schon unzählige Male geduscht hatte fühlte ich mich beschmutzt. Wills Berührungen waren ein Teil von mir, ein ständiger Begleiter unter meiner Haut, der nur die schönsten Momente von mir abpasste um mich wieder auf den Boden zu schmettern. Ich hatte meinen Körper trainiert und auch mein mentales Schutzschild undurchdringlich gemacht, doch gegen meine Erinnerungen war ich machtlos. Sie machten mich immer wieder zu dem Mädchen das ich zu der Zeit gewesen war. Ich war gezwungen immer und immer wieder mitzuerleben wie Will mir das nahm, was er mir niemals hätte nehmen dürfen. Und solange das zu meiner Realität gehörte, würde es immer Momente geben in denen ich Angst vor Elijah hatte. Momente in denen ich ihn für Will hielt, Momente in denen seine Augen ihre Farbe wechselten und zu denen wurden in denen ich meine Albträume sah. Doch das alles konnte ich Elijah nicht erklären und er schien ebenfalls zu bemerken, dass er gerade gegen eine Wand redete, denn nach einem letzten Seufzen straffte er seine Schultern. „Okay, ich habe eben schon Mal einen Blick auf die Karte geworfen. Die Strecke die sich im Moment darauf abzeichnet scheint alles ganz normaler Wald zu sein – ich konnte zumindest keine unheilversprechenden Bezeichnungen irgendwo entdecken, allerdings muss das ja nichts heißen“. Den letzten Nebensatz hatte er trocken eingeschoben und ich musste ihm Recht geben. Auch wenn ich mir wirklich wünschte, dass ich wenigstens einen Tag Pause von all den nervenaufreibenden Dingen hatte, nahm ich trotzdem nicht an, dass dieser seltsame Wald Rücksicht darauf nehmen würde, dass ich meine Tage hatte und noch dazu ein paar wirklich schockierende Neuigkeiten zu verarbeiten hatte. „Aber wenn wir Glück haben können wir nach dem Gespräch mit Elias mindestens bis hier kommen“, fuhr er fort und zeigte auf eine Stelle der Karte. „Ich habe gestern die Karte ein wenig im Blick behalten um abzuschätzen wie schnell sich unsere Punkte auf der Karte bewegen und so vielleicht ein bisschen vorausplanen zu können. Wenn wir eine Essenspause und das Gespräch mit Elias einplanen und in etwa das Tempo von gestern einhalten, könnten wir eigentlich sogar noch ein Stück weiterkommen“, erklärte er mir. Dann warf er einen durchdringenden Blick auf meine Hand, die sich noch immer auf meinen Bauch presste und ich zog sie hastig weg. „Aber ich glaube, dass es wahrscheinlich sinnvoller ist, wenn wir es heute ein bisschen langsamer angehen“. Sprachlos starrte ich ihn an. Hatte er gerade etwa aus Sorge darum, dass es mir zu viel zumutete mehr Zeit eingeplant? Als Elijah meinen Blick auffing schlich sich ein spöttisches Lächeln auf seine Lippen: „Komm mal runter Rotschopf. Ich will nur nicht, dass du mich den ganzen Weg über anzickst und volljammerst. Ich mag zwar manchmal eine etwas längere Leitung haben, aber selbst ich habe mittlerweile verstanden, dass du deine Tage hast. Und in Anbetracht der Tatsache, dass du schon unter normalen Umständen eine Zicke bist, will ich mir nicht auch noch die doppelte Dröhnung antun“. Und das war es auch schon wieder mit der kurzen Gedankenverirrung, Elijah könnte einmal in seinem Leben etwas Nettes für mich machen, ohne mir hinterher noch einen blöden Spruch reinzudrücken. Ich sah es in Elijahs Gesicht, dass er selbst nicht ganz zu wissen schien, was er da gerade tat. Widerstreitende Gefühle spiegelten sich in seinem Gesicht wider. Einerseits schien er mir auf seine Weise wahrscheinlich wirklich ein bisschen helfen zu wollen, aber andererseits schien er mich das nicht wissen lassen zu wollen und trotzdem unser Verhältnis nicht noch weiter durch Spannungen verkomplizieren. Er war gut darin Gefühle zu verbergen – wie ich – und doch hatte ich es gesehen. Ganz kurz war in seinem Gesicht die Wirkung dieses Gefühlscocktails zu sehen gewesen, der auch meine Sinne immer wieder verwirrte und durcheinanderbrachte und hatte mir gezeigt, dass er mehr war als er mich die meiste Zeit sehen ließ. Und dieser kurze Moment der widerstreitenden Gefühle berührte etwas in mir. Egal wie sehr ich versuchte es zu leugnen: Elijah machte etwas mit mir. Und ich wusste nicht was ich damit anfangen sollte.
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So ganz lässt Leya den Gedanken ja nicht zu, dass zwischen ihr und Elijah was sein könnte 🤔. Allerdings wäre es auch nicht Leya, wenn sie es direkt einsehen würde.
Sisty ist ein kleiner Cutiepie 😍. Aber manchmal hat sie die Angewohnheit in Situationen renizuplatzen, in die sie besser nicht reingeplumpst wäre 😬
Elijah hat sich ja einige Gedanken gemacht die Route betreffend. Ehrlich gesagt kam es für mich selbst auch ein wenig überraschend, dass er so organisiert ist 😂
Ein Gefühlscocktail in Elijahs Augen 😏. Was es damit auf sich hat erfahrt ihr im nächsten Kapitel 🤭. Da freue ich mich drauf.
Ich weiß, dass im Moment viel zwischen den beiden und wenig in der Geschichte passiert - wenn ihr wisst was ich meine. Ich hoffe es ist nicht langweilig. Bald ist auch nochmal ein Kapitel bei unserer liebsten Cara und ihrem Begleiter geplant 🙃
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