Kapitel 29
"Ja...ich weiß, es tut mir Leid, es war nur irgendwie alles zu viel für mich."
Celine sah beschämt zu Boden. Luzifer schien nicht all zu bekümmert zu sein. "Naja, da hattest du noch mal Glück, du findest allein zurück?"
"Nein!", wollte Celine sagen, aber der Teufel hatte sich schon wieder in eine Lichtwolke verwandelt. Kurz gesagt: Sie war wieder alleine.
Seufzend sah sie sich genauer um. In einer Ecke des kellerartigen Raumes stand ein überdimensionaler Tisch, sowie ein farblich passender Schrank. Die Tür stand einen Spalt breit auf, sodass sie Kleiderbügel und daran hängende Taschen erkennen konnte.
Und sie versuchte es wirklich, aber sie konnte sich wahrhaftig nicht vorstellen, wie diverse gefallene Engel am Ende eines langen Arbeitstages ihre Taschen packten und sich gemeinsam zurück in ihre Löcher verzogen.
Langsam ging sie die Regalreihen an den Wänden ab. Sie waren vollgestellt mit bauchigen Flaschen, in denen dunkler Sand rieselte. Mal von oben nach unten, mal andersherum. Ab und zu erkannte sie Gesichter, verzerrte Fratzen oder schäbige Gebäude darin.
An jeder Flasche klebte ein Etikett mit einer Nummer.
Celine warf einen Blick auf den Schreibtisch. Ein Ordner lag aufgeschlagen auf dem dunklen Holz, direkt neben einem gelben, halbgefüllten Kaffeebecher.
Adrian Ramm
- männlich
- Tod durch Erkrankung
- SV aufgrund von Regelbrüchen
Nr° 558902
Unterschrift:
Sie schluckte, wissend, das ihr beinahe das widerfahren wäre, was Person 558902 die Seele gekostet hatte.
"Das tut mir Leid, Adrian", murmelte sie und klappte den Ordner zu.
Sie würde noch eine Weile hierbleiben. Wenigstens gab es in dieser Grotte Licht. Die Neugier hatte sie gepackt. Adrian Ramms Nummer musste hier doch auch irgendwo sein. Sie schlenderte die Regale entlang.
...898
...899
...901
Da war sie. Unschlüssig starrte Celine durch das Glas. Das Gesicht, das ihr ab und zu im rieselnden Sand erschien, war schmal und blass, mit tiefen Sorgenfalten auf der Stirn. Adrians Augen waren leer, nur selten blitzte ein Sandkorn durch sie hindurch und füllte sie für einen Moment mit dem Leben, das er verloren hatte.
Celine wollte nicht in dieses Regal. Besser war es, in der Hölle zwischen Betrügern und Mördern zu sitzen und auf den Himmel zu warten.
Betrügern.
In diesem Moment hörte sie Schritte aus dem Gang. Sie fuhr herum und riss dabei fast Adrian Ramm von seinem Platz im Regal. "Sorry", nuschelte sie ehrfürchtig, bevor sie sich wieder auf das, was vor ihr lag fokussierte.
Es war...
"...Dan?!"
Celine atmete auf. "Wie...so seid ihr hier?"
Patrick trat neben seinem Sohn in die Grotte. "Abgefahren", sagte er motiviert und wirkte völlig fehl am Platz.
"Oh Gott, du lebst!"
Es war Dan, der ihr um den Hals fiel und für eine Zeit lang nicht losließ. Verwundert stand Celine einfach nur da und versuchte fragende Blicke an Patrick weiterzureichen, der nur leider viel zu abgelenkt von Seris und Tamiels Seelenhaushalt war.
"Ich würde nicht direkt sagen leben", presste Celine hervor und deutete schwammig auf ihre noch immer blutverschmierte Stirn. Dan runzelte seine.
"Was ist in deiner Tasche?", fragte sie, ehe er etwas sagen konnte. "Ich könnte dich nicht hassen...niemals! Ich will nur wissen, was–"
Dan seufzte. Dann griff er zögerlich in seine Hosentasche. Zuerst zog er den altbekannten Flummi hervor und drückte ihn ihr in die Hand. "Halt das, bitte."
Aus der anderen Tasche zog er eine Pistole.
******
"Daniel! Was zum Henker ist denn das?"
Patrick starrte fassungslos seinen Sohn an. Celine sog zischend die Luft ein.
"Warum hast du die?", fragte sie leise.
Dan sah zu Boden. "Ich...also..." Er fing an sein Hemd aufzuknöpfen, bis die blutüberströmte Wunde an seinem Bauch sichtbar wurde. Er gestikulierte nervös mit seiner freien Hand und der Schusswaffe.
"Das..." Celine bemerkte es erst in diesem Licht. "Das ist kein Hundebiss...oder?"
Dan schüttelte sanft seinen Kopf, den Blick weiterhin gesenkt.
"Das war ich."
Hinter sich hörte sie Patrick erschrocken einatmen.
"Du hast dich selbst umgebracht?" Entsetzt starrte Celine ihn an, unfähig ein weiteres Wort von sich zu geben. Warum hatte er ihr das nicht gesagt? Wieso?
"Deshalb bist du in der Hölle?", fragte Patrick mit zittriger Stimme und trat einen Schritt näher an das Geschehen heran.
Dan schüttelte den Kopf.
"Mhm", machte er nach einer kurzen Pause, in der niemand einen Ton von sich gab.
"Es tut mir Leid, wie das alles so...gekommen ist", kam es plötzlich mit einigem Nachdruck aus ihm heraus. Schuldbewusst, wie ein Welpe, der eine Vase umgeschmissen hat hob er seinen Blick und sah direkt an Celine vorbei in die Augen seines Vaters.
"Wovon sprichst du?", hauchte Celine. Dan sah unglaublich traurig aus, eine Träne rollte seine Wange hinab, dann noch eine, bis er sich schließlich nicht mehr zurückhalten konnte und leise schluchzend zu Boden sank.
"Daniel! Wo-von-sprichst-du?" Patrick verschränkte die Arme, sodass Elvis' Kopf wie ein Wappen vor seiner Brust hing.
Dan schloss die Augen.
******
<< Rückblick >>
Köln, ca. eine Woche zuvor
Türen knallten, die Glasvitrine im Wohnungsflur wackelte gefährlich. Wütend hatte Dan das Haus verlassen und stapfte nun fröstelnd durch eine kühle Nacht in Mühlheim.
Immer und immer wieder grummelte er Verwünschungen vor sich hin. Verwünschungen an seinen Vater. Er hätte sein Leben genießen können, alles, was er sich wünschte, war die Musik auf der Bühne. Hunderte, gar tausende Zuschauer, die wohlwollend Beifall gaben, kaum dass er seiner Nummer beendet hatte.
Ballett war sein Leben.
Doch das sollte es nun nicht mehr sein.
"Das ist zu teuer Dani! So ernst kannst du es nicht meinen, kannst du dir nicht ein günstigeres Hobby suchen?", hatte sein Vater gesagt.
Und ob es ihm ernst war. Die Ausbildung als Tischler machte zwar Spaß, aber sie erfüllt ihn nicht. Viel mehr nahm sie ihm das Gefühl, zu fliegen.
Eilig hatte er seine Sachen gepackt. Dan hatte weder genug Geld, noch ausreichend Mut, sich allein durchzuschlagen, trotzdem würde er noch am selben Abend in einen Zug am Hauptbahnhof steigen, der ihn in die Hauptstadt bringen würde.
Berlin.
Eine Metropole der Kunst und Kultur. Der Jugend, des Lebens und der Freiheit. Schon oft hatte Dan sich überlegt, seinen Lebensabend in dieser Stadt zu verbringen. Aber jetzt sollte es erst einmal dieser Abend sein.
Es war überraschend wenig los. Etwas mehr als eine Stunde lang war er durch die Straßen gewandert, und nun, den Kölner Dom im Nacken, stand er an seinem Ziel.
Hastig begab er sich an einen Ticketschalter, um noch den nächstbesten Zug nach Berlin zu bekommen.
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Die Reise kam ihm endlos vor. Der unfreundliche Schaffner beobachtete ihn mit strengem Blick. Erst, als der Zug am Berliner Hauptbahnhof hielt und die Türen sich unter leisem Ächtzen öffneten, ließ er von ihm ab.
Erleichtert atmete Dan die Luft ein, die hier so neu und anders war, als in seiner Heimatstadt.
Zu seiner Freude, befand sich gleich am Ausgang eine schäbige Eckkneipe. Gut gelaunt, voller neuer Hoffnung trat er ein. Er würde kurz etwas trinken, sich derweil einen günstigen Schlafplatz suchen und direkt am nächsten Morgen zum Friedrichsstadt - Palast laufen.
Dort würde er eine Chance haben, aufzublühen. Eine Chance, die er von seinem Vater nie bekommen würde.
Gut gelaunt ließ er sich auf einen Barhocker fallen und bestellte das billigste Bier, das er auf der Tafel hinter dem Barkeeper finden konnte.
"Du siehst ein wenig verloren aus...", sagte eine Stimme zu seiner Rechten. "Lass mich dir helfen, mein Name ist Angelo!"
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