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"Oh fuck." Ellie war sichtlich überfordert mit der Situation. Man sah ihr deutlich an, dass sie damit überhaupt nicht gerechnet hatte, was mich tatsächlich etwas verwunderte. Dabei dachte ich, sie will unbedingt, dass ich auf Will stehe. "Cassy, es tut mir so leid! Ich wollte dich damit nie aufziehen. Ich dachte immer, du magst ihn nicht und beobachtest ihn deshalb die ganze Zeit. Und gestern sind wir nur so schnell aus der Küche, weil wir dich ärgern wollten", Ellie redete wie ein Wasserfall und ihre Stimme brach aufgrund der Schuldgefühle. Das entlockte mir ein Lächeln und ich wischte die Tränen weg. Wie gut es tut, mal alle Gefühle loszuwerden. "Ellie", unterbrach ich ihren Redeschwall und lächelte sie müde an. "Es ist okay. Mir ist es selber erst gestern klar geworden", beichtete ich und sah wie die Erleichterung in ihre Augen trat, gemischt mit neuer Neugier. "Gestern wirklich?" Ich nickte und fing an zu erzählen, wie ich mich in seiner Anwesenheit gefühlt hatte und dass er mich auch nach Hause gefahren hat. Sofort fingen die Augen meiner besten Freundin noch mehr das Strahlen an und man sah, wie ihr Kopf ratterte. "Er hat dich allerernstes heimgefahren?", fragte sie mit einer Begeisterung in der Stimme, die mir fremd war. So euphorisch kannte ich sie gar nicht. Ich nickte. "Ich weiß auch nicht warum", erwiderte ich und sah weg. Ganz plötzlich war es mir unangenehm und ich wollte nicht mehr darüber reden. Und es gab ja einen zweiten Grund warum ich aus dem Haus musste. "Hast du es schon gehört?", fragte ich ehe Ellie noch etwas wegen Will sagen konnte. "Michelle wurde gefunden", es tat mir fast weh, den nächsten Teil auszusprechen, da Ellie mich glücklich und erwartungsvoll ansah. "Aber sie ist tot."
Wie in zeitlupe wich jegliche Emotion aus dem Gesicht. Ihr Lächeln schwand und das Entsetzten breitete sich in ihren braunen Augen aus. "Was?", entwich es ihr keuchend und sofort bereute ich es, ihr davon erzählt zu haben. Ich brachte nur ein Nicken zustande und erneut schnürrte sich meine Kehle zu. "Es kam heute im Radio, aber mehr weiß ich nicht." Ellie wich meinem Blick aus und starrte auf den Boden. Stillschweigend sah ich sie an und ließ ihr die Zeit, um alles zu verarbeiten. Für Ellie musste es noch schlimmer sein als für mich, da sie Michelle gekannt hatte. Sie haben ja auch zusammen an der Schülerzeitung gearbeitet. Ich kannte Michelle bloß vom Sehen. Nach einer Weile schüttelte meine beste Freundin den Kopf. "Das gibt es doch nicht. Wie?" Tut mir leid, Süße. Darauf hatte ich auch keine Antwort. So blieb mir nichts anderes übrig, als ihr meine Hand tröstend auf die Schulter zu legen.
Plötzlich stand sie auf, sodass auch der Dackel, der vor sich hin döste, erschrak. Ihre Augen waren nun rot und ihre Stimme brüchig. "Es tut mir leid, Cassy. Ich möchte jetzt nach Hause gehen." Sofort nahm ich ihre Hand und mein Herz blutete bei ihrem Anblick. "Bist du sicher? Du kannst auch zu mir kommen. Oder wir unternehmen was zur Ablenkung", schlug ich vor, doch Ellie nickte. "Nein, ich möchte jetzt alleine sein. Bis dann", mit gesenkten Kopf ging sie davon und blieb nichts anderes übrig als ihr nachzusehen und die Hilfslosigkeit runterzuschlucken, die meinen Körper entlang floss.
Noch eine Weile saß ich da, ehe ich mich dazu entschieden, langsam zu gehen. Doch ich ging nicht nach Hause, sondern schlenderte den Rest des Morgens umher, alleingelassen mit meiner Einsamkeit und den wirren Gedanken. Eigentlich müsste ich zurück gehen, mich vergewissern, dass es Ellie gut ging. Doch ich konnte das nicht. Ich konnte nicht zu ihr zurück, weil ich selber keine Kraft hatte, mich jetzt damit auseinander zu setzen. Ich brauchte Abstand davon, obwohl ich wusste, dass ich nicht davon laufen konnte. Es war bereits dreizehn Uhr als ich mich langsam auf den Heimweg machte. Und zum ersten Mal an diesem Tag sah ich in meine Nachrichten. Natürlich war keine für mich da, doch ohne zu zögern ging ich auf den angepinnten Chat von Ellie und schrieb:
Hey, es tut mir wahnsinnig leid, dass ich dich mit der Situation allein gelassen habe. Das hätte ich nicht tun dürfen, auch wenn du gesagt hast, du brauchst jetzt Zeit für dich. Das versteh ich vollkommen, schließlich musste ich auch erstmal alles verarbeiten. Aber dennoch, das ist kein Grund dich alleine zu lassen. Ich hoffe dir geht es - einigermaßen - gut. Du weißt, dass du mich immer anrufen kannst, wenn was ist. Ich bin sofort bei dir. Hab dich lieb.
Beim Schreiben dieser Nachricht kam tatsächlich eine neue rein, die ich jedoch ohne sie zu lesen weggewischt habe. Nun sah ich, dass Charly mir geschrieben habe und mein Herz machte einen Sprung. Ich hatte ganz vergessen, dass er heute vorbeikommen wollte! Mist!
Mit zittrigen Händen öffnete ich die Nachricht und las sie mir durch.
Moin, Cassy! Ich wollte nur bescheid sagen, dass ich gleich bei dir bin. Ich war mit Will noch in der Auto Werkstatt, sein Motorrad wurde endlich repariert. Wir fahren gleich zu dir und er setzt mich bei dir ab.
Oh nein, auch das noch! Mit schnellen Schritten lief ich nach Hause. Kaum bog ich in meine Straße hielt auch ein schickes, schwarzes Motorrad vor meiner Wohnung und sofort erblickte ich die breite Statur von William, der gerade seinen Helm abzog, während Charly vom Motorrad abstieg. Ich war wie gefesselt von Will, der nun eine zottelige Frisur hatte und dessen schwarze Lederjacke seine muskulöse Figur betonte. Mein Herz raste erneut und die Schmett in meinem Bauch fuhren Achterbahn. Er sah so gut aus. Unbewusst war ich langsamer geworden und kam gemächlich auf die beiden Jungs zu. Inzwischen hatte Charly seinen Helm abgesetzt und Will war ebenfalls von seiner echt robusten Maschine abgestiegen, hatte sich eine Zigarette angezündet und sog daran.. jetzt hasste ich mich dafür, dass ich mir keine ordentliche Hose angezogen habe. "Hallo, Jungs!", begrüßte ich so gelassen wie möglich die beiden. Doch es war gar nicht mal so leicht, Will NICHT anzustarren. Charly lächelte. "Hey, Cassy! Was eine Überraschung dich hier unten zu sehen", begrüßte er mich. Verlegen verlagerte ich mein Gewicht auf die linke Seite und versuchte, Will's stählernen Blick auszuweichen, der uns beide stumm beobachtete. "Ja, ich war etwas spazieren", sagte ich und blickte zum ersten Mal Will direkt an. Sofort spürte ich die Wärme in meinen Wangen und Schweiß sammelte sich in meinem Handflächen. "Ist das deins?", fragte ich, bevor ich darüber nachdenken konnte. Will sah mit einem Anflug von Stolz auf das Motorrad. "Ja", erwiderte er knapp und Charly übernahm das Reden. "Er hatte einen Schaden, deswegen waren wir in der Werkstatt. Aber alles wieder gut und nun bin ich bereit für Biologie." Zum zweiten Mal an diesem Tag hatte ich die Nachhilfestunde vergessen. Aber wie soll man bitte klar denken, wenn der gutaussehende und attraktive William Baker vor deiner Wohnung stand und solche Gefühle in dir auslöste? Tatsächlich sträubte sich jede Faser meines Körpers davor ihn zu verlassen. Ich wollte nicht gehen, ich wollte bei ihm bleiben. Sollte ich ihn fragen, ob er mitkommen möchte? Ach Quatsch, das ist doch lächerlich!
"Was macht ihr denn?", fragte Will und pustete Rauch aus seinem Mund. Seine Augen funkelten. War das Misstrauen? Nein, da musste ich mich irren. Aber ich war unheimlich froh, dass Charly das Reden übernahm, da ich jetzt schon spürte, dass ich keinen anständigen Satz herausbringen würde. "Cassy will mir etwas bei Biologie helfen, da wir doch nächste Woche den Test haben. Ich kann's mir nicht leisten noch eine schlechte Note zu kassieren", er verzog das Gesicht, doch Will sah nur zwischen uns beiden hin und her bevor er nickte. Viele Worte hatte er nicht übrig, aber so kannte ich nur. Ich habe selten mitbekommen, dass er ein gesprächiger Mann war. Eher hatte ich das Gefühl, er behielt seine Gedanken gut behütet für sich. Das ist deine Chance, Cassy. Frag ihn! Mit Mühe öffnete ich meinen Mund, mein Herz raste vor Nervosität und Aufregung doch ich schaffte es, den Satz über meine Lippen zu bringen: "Magst du mitmachen?" Während ich den Atem anhielt, sah Will mich an. Seine Mimik verriet nichts über seine Gedankenwelt. "Au ja!", rief Charly. "Komm schon, Will. Wir würden beide davon profitieren. Also, nicht, dass du es brauchen würdest, aber eine Note besser sieht doch immer gut aus, oder?" Ich beneidete Charly für seine Motivation und Offenheit. Auch war ich ihm unendlich dankbar dafür, dass er Will überreden möchte, mitzukommen und gleichzeitig nicht meine wahre Absicht durchschaute. Nicht wegen Nachhilfe habe ich gefragt, schließlich kannte ich seine Noten nicht. Ich wollte ihn nur bei mir haben. Wenigstens für eine Weile. Will sah mich nach wie vor und ich hielt seinem Blick stand. Na gut, ich versank in seinen wunderschönen Augen. Und endlich nickte er. "Von mir aus, ich komm mit."
Ich konnte es nicht glauben, Will kam zu mir nach Hause!
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