45.
"Mama, lass das! Du ruinierst es sonst noch!", zische ich lachend.
"Ach komm schon. Ich will mich noch einmal in meinem Leben wie ein Teenager fühlen. Es ist fast so wie auf einer Klassenfahrt." Ich schüttle meinen Kopf und packe ihre Hände. Sie hat versucht, das Fenster aufzukriegen, obwohl darauf steht, dass man es nur im Notfall einschlagen soll. Hoffentlich hat es keiner bemerkt, dass sich meine Mutter so aufführt.
"Mum!" Sie grinst und bietet mir dann ihre Wasserflasche an. Als wir nach sechs Stunden endlich am Bahnhof ankommen, und uns Richtung Gardasee bewegen, zweifle ich wiederholt an meiner Taktik. Ich weiß nicht, wie ich meine Mutter beschäftigen soll, während ich einen Menschen suchen muss.
"Mum, du hast tatsächlich recht. Ich wollte nicht ohne Grund hierher."
"Das habe ich mir schon gedacht. Ich kenne dich, Hannah."
Ich seufze und zögere einen Augenblick. "Ich ... Ich habe Manuel vor einiger Zeit versprochen, seine Ex-Freundin zu finden, und sie zu überreden, zu ihm zurückzukehren."
"Glaubst du, ist das eine gute Idee? Nach allem, was er dir angetan hat?"
"So mache ich es wieder gut, Mum."
"Was denn bitte gutmachen? Dass du dein Baby verloren hast?! Hannah, nein! Sei nicht so naiv und tu das! Wie stellst du dir das überhaupt vor? Außerdem gibt es bestimmt einen Grund, warum sich die beiden getrennt haben, oder?"
"Ja, aber ich weiß immerhin ihren Vornamen und dass sie in der Nähe des Gardasees wohnt."
Meine Mutter lacht kurz auf. "Das ist doch nicht dein Ernst." Jetzt ist sie enttäuscht. Das sehe ich an ihrer Mimik.
"Tut mir leid. Wir können ja trotzdem eine tolle Zeit miteinander verbringen. Gehen wir was essen?"
Nach einem Seufzer antwortet sie schlussendlich: "Zuerst das Zimmer beziehen."
Aufgrund Italiens bestelle ich mir eine Pizza und meine Mutter Spaghetti mit Tomatensauce.
"Na gut, ich helfe dir, aber unter einer Bedingung!", rückt Mum schließlich raus.
"Ja?"
"Du verschwindest nie wieder einfach so, verstanden?"
"Ich kann zwar meistens nichts dafür, aber okay. Ich verspreche es." Wir lächeln uns an und verspeisen dann unsere Mahlzeiten.
"Ist dir wenigstens bekannt, auf welcher Seite des Sees diese Frau wohnt?"
"Ich glaube er hat damals erwähnt, sie wohne im Süden. Also ganz unten."
"Wir sind einstweilen im Norden. Dann müssen wir wohl weiterfahren."
Die Strecke neben dem Gardasee ist zwar schön, aber auch mühsam wegen des vielen Verkehrs. Wir haben drei Stunden gebraucht, obwohl man normalerweise mit der Hälfte dieser Zeit auskommen müsste! Aber dann haben wir es doch geschafft, und wir beschließen, auf einem kleinen Marktplatz zu halten.
"So, hier wären wir. Ihr Name ist Leyla hast du gesagt?" Ich nicke. Ich versuche schon die ganze Zeit, mich an etwaige Hinweise von Manuel zu erinnern.
"Es hat keinen Sinn, irgendjemanden anzuquatschen, oder?", vermutet meine Mutter.
"Nein, wahrscheinlich nicht. Oh verdammt! Warum hab ich ihm das versprochen?"
"Hannah, wir kriegen das hin. Schlafen wir einfach eine Nacht drüber und schauen morgen weiter." Ich stimme ihr zu und wir machen uns auf den Weg, ein Hotel zu suchen.
Am nächsten Morgen stehen wir früh auf und ich durchsuche das Internet, obwohl ich schon weiß, dass ich dadurch nicht klüger werde. Ein riesiger Zufall müsste passieren, damit ich Leyla finde.
Und der geschieht auch. Am dritten Tag, den Mum und ich in Italien verbringen, fällt mir eine junge Frau mit langen braunen Haaren auf. Sie hat sie zu einem hohen Zopf zusammengebunden, und trotzdem reichen sie ihr bis zur Mitte ihres Rückens. Sie sieht genauso aus wie auf dem Foto.
"Ähm, entschuldigen Sie?" Erst als sie von ihrer Freundin aufmerksam gemacht wird, dreht sie sich zu mir um. Meine Mutter steht einstweilen ruhig ein paar Meter weiter hinten.
"Ich glaube ich kenne Sie."
Sie spricht irgendetwas auf Italienisch. "Können Sie Deutsch?" Ich bekomme nur skeptische Blicke.
"Na gut. Kennen Sie einen Manuel Hochkörner?"
Ihre Gesichtszüge verändern sich, aber nur für den Bruchteil einer Sekunde, sodass ich es fast nicht gesehen hätte, hätte ich sie nicht so intensiv angestarrt.
"Nein, tut mir leid."
"Sind Sie Leyla?"
"Ja, die ist sie!", mischt sich nun ihre Freundin ein. Die vermutliche Leyla zischt irgendwas Richtung der anderen, die neben ihr steht, und sieht danach wieder mich an.
"Woher kennst du ihn?", will sie nun doch wissen. Die Hoffnung in mir steigt. Habe ich gerade wirklich Manuels Ex-Freundin gefunden?!"
"Er ist ein Freund von mir, und er vermisst seine damalige Freundin namens Leyla. Er hat dieses eine Bild von euch beiden noch immer in seiner Wohnung auf der Kommode im Wohnzimmer stehen. Ich habe ihm versprochen, dass ich dich zu ihm zurückbringe." Bin ich zu weit gegangen? Ich verdränge den Gedanken und warte gespannt auf ihre Antwort. Sie scheint nicht zu wissen, was sie sagen soll.
"Äh, na ja. Wenn ich noch was von ihm wollen würde, wäre ich schon längst zurück nach Deutschland gefahren. Also hast du kein Recht darauf, eine komplett fremde Frau anzuquatschen und zu behaupten, der Exfreund möge sie wieder zurück. Verschwinde!"
"Also bist du Leyla?", frage ich nach, und ignoriere ihren Vortrag. Mama tritt nun näher.
"Und wer ist das? Vielleicht eine, die dir hilft, mich abzuschleppen, falls es nötig werden sollte?!"
Ich schmunzle kurz, dann erwidere ich: "Nein, keine Sorge. Das ist meine Mutter. Ich bin mit ihr hierhergekommen. Leyla, natürlich kann ich dich nicht zwingen, zu Manuel zurückzugehen, und ich finde es auch schrecklich, dass du vor eurer Hochzeit fremdgegangen bist, aber er liebt dich noch immer." Ich sehe, dass sie schwer schluckt. Ihre Freundin schiebt sie von uns weg und setzt sie in den warmen Sand, wo sie sich beruhigen soll.
"Also erst einmal: Ich bin Nicole und Leylas Schwester. Und ich finde es ein bisschen ... na ja, seltsam, dass auf einmal zwei Frauen vor uns stehen, und etwas von dem Exfreund meiner Schwester erzählen, aber ich kann mich noch sehr gut an die Zeit erinnern, in der die beiden zusammen waren, und sie haben perfekt zusammen gepasst. Ehrlich gesagt bin ich vollkommen deiner Meinung, dass sie zu ihm zurückgehen muss. Aber bist du dir sicher, dass er sie nicht wieder wegschickt?"
"Ich bin mir zu hundert Prozent sicher!", versichere ich Nicole und ich kann mein Glück kaum fassen. Nicole wirft ihrer Schwester einen Blick zu. "Hier ist unsere Adresse. Kommt morgen oder besser übermorgen vorbei. Bis dahin spreche ich mit Leyla und versuche sie umzustimmen. Es ist nicht so, dass sie Manuel nicht mehr mag. Sie hat einfach nur große Angst vor der Reaktion, wenn sie vor ihm steht." Ich nicke und lächle ihr dankbar zu. Dann geht sie zu Manuels Ex-Freundin und Mum und ich kehren um.
"Das war einfacher, als ich es mir vorgestellt habe", gebe ich zu und umarme dann meine Mutter. "Bis übermorgen können wir uns aber entspannen, oder?" Grinsend nicke ich.
Es ist ein kleines Haus mit einem ordentlichen Vorgarten. Als ich die Klingel neben der dunkelbraunen Tür betätige, werde ich ein bisschen nervös. Als mir Nicole öffnet, und sie sich wieder an mich erinnert, beginnt sie zu lächeln.
"Ich habe Hoffnung, meine Lieben!" Wir werden gebeten, uns auf das kleine graue Sofa in dem ebenfalls winzigen Wohnzimmer zu setzen. "Wollt ihr einen Tee? Oder vielleicht Kaffee?", fragt Nicole.
Nachdem sie unsere Antworten erhalten hat, verschwindet sie für kurze Zeit in die Küche.
"Ich hoffe so sehr, dass sie mit uns kommt", flüstere ich Mum zu, obwohl ich das schon tausend Mal erwähnt habe. Es gäbe im Moment nichts Schöneres für mich, als Manuel glücklich zu sehen.
"So, bitteschön. Ist Kräutertee in Ordnung?" Jetzt ist es sowieso zu spät, um nein zu sagen, denke ich mir und nicke trotzdem.
"Wo ist Leyla denn gerade?", will meine Mutter nun wissen.
"Sie müsste jeden Augenblick nach Hause kommen. Sie war einkaufen, damit sie uns heute ein leckeres Abendessen kochen kann. Ihr seid natürlich eingeladen."
"Oh nein, das ist doch nicht nötig! Wir wollen doch nur zwei Menschen zusammenführen, und das war's", widerspreche ich und schüttle dabei meinen Kopf. "Ach komm schon. Sei nicht so doof und lass' dich von Leyla bekochen." Sie grinst schon wieder - oder eher noch immer.
"Wie geht es deiner Schwester denn nun? Was hält sie von der 'Sache'?", gehe ich es also an.
"Tja, sie redet nicht viel darüber. Sie meidet das Thema, aber ich habe sie letztens gesehen, als sie ein altes Foto von ihr und Manuel angesehen hat. Sie wollte es eigentlich verbrennen, aber sie hat es nur unter ihren BHs versteckt", erzählt Nicole und nimmt einen Schluck ihres Kaffees.
Nur wenige Minuten später hört man Schlüssel. Dann erscheint auch schon Leyla im Türrahmen. Doch ihre Freude meine Mum und mich zu sehen (die Verrückten vom Strand), ist nicht sonderlich groß. "Was machen die denn hier? Nici, wir müssen reden!"
Dann sprechen sie auf Italienisch weiter. Ich muss an damals denken, als René und ich bei Alessandro waren. Es ist schon so lange her...
Die zwei Schwestern verlassen den Raum und es wird ruhig. Seufzend nehme ich meine schneeweiße Tasse und trinke daraus.
Ich spüre die Hand meiner Mutter am Rücken. "Hannah, wir kriegen das hin. Immerhin ist Nicole auf unserer Seite. Außerdem vermisst Leyla Manuel. Das hast du doch aus der Erzählung von ihrer Schwester gehört." Ich nicke. Mein Handy beginnt plötzlich zu klingeln, und ich zucke zusammen. Hektisch greife ich in meinen Taschen herum, bis ich schließlich draufkomme, dass es neben mir liegt. Ich habe es zuvor herausgetan, weil ich die Uhrzeit wissen wollte.
"Entschuldige mich", gebe ich von mir und lasse Mama alleine im Wohnzimmer zurück.
"Hannah? Bist du dran?"
"Ja. Ja, René. Hey, was gibt's?" Natürlich habe ich ihm meine Idee mitgeteilt, und ihm eingeschärft, bloß nichts zu verraten.
"Wie läuft es? Habt ihr das Mädchen schon gefunden? Ich habe im Internet nach ihr gesucht, und nicht wirklich was Erwähnenswertes gefunden." Wir haben wirklich einen riesigen Zufall erlebt.
"Ja, wir haben Leyla, aber sie ist noch nicht sehr begeistert. Ich bin mir jedoch sicher, sie ändert ihre Meinung."
"Gut, ich hoffe es. Schließlich brauche ich keine unglückliche Hannah bei mir!" Ich merke, dass er lächelt. Ich bin so froh, ihn wieder zu haben.
"Ja, ich tue, was ich kann. Ich muss jetzt auch wieder los. Leyla ist gerade vom Einkaufen zurückgekommen, und nun wartet ein Gespräch mit ihr auf Mum und mich."
"In Ordnung. Viel Glück."
"Danke." Kurzes Schweigen entsteht. Schlussendlich entscheide ich mich doch dafür, es zu sagen. Was für ein blöder Zweifel! "Ich liebe dich."
Ich höre, dass sich der Mann auf der anderen Seite der Leitung freut. "Ich dich auch, Hannah."
Als ich die Tür zum Wohnzimmer öffne, sitzen Mama, Nicole und Leyla schon um das Glastischchen herum. Alle Augen richten sich auf mich.
"Entschuldige", murmle ich und lasse mich wieder neben Mum nieder.
Unauffällig mustere ich Manuels Ex-Freundin. Ich beneide ihre Haare. Sie fallen in sanften braunen Welle über ihren Rücken hinunter bis zum Po.
Erst jetzt fällt mir auf, wie unruhig meine Mutter aussieht. Ich lächle ihr leicht unsicher zu und weiß nicht, was ich sagen soll. Warum ist es hier denn so leise?!
"Ich gehe jetzt, das ist doch Bullshit", meint Leyla dann. Als sie weg ist, kann ich Tränen in meinen Augen verspüren. Ich springe auf und laufe dem Mädchen nach. Ich finde sie im oberen Stockwerk wieder, wo sie gerade dabei ist, auf ihren Balkon zu gehen. Ich verfolge sie und stütze mich am Geländer ab. Mein Blick schweift eine Weile über die Landschaft. Von hier aus kann man den See erblicken. Davor sind viele Häuser, ob Große oder Kleine, und natürlich Bäume.
"Manuel ist ein guter Freund. Bei ihm fühle ich mich grundsätzlich sehr wohl, und wir verstehen uns toll, und doch fehlt in seinem Leben etwas", beginne ich, und bete dafür, nichts Falsches gesagt zu haben. "Ich bin nicht die Richtige für ihn, aber du. Wenn es ihm nicht so schwer fallen würde, hätte er höchstwahrscheinlich die ganze Zeit nur von dir gesprochen. Er braucht dich, und du brauchst ihn. Ich kenne dich zwar nicht, Leyla, aber ich bin mir sicher, dass ich Recht habe."
Die junge Frau neben mir seufzt leise; fast unhörbar.
"Ich habe Angst."
"Wovor?" Ich bin überglücklich, dass sie überhaupt mit mir redet.
"Dass ich ihn erneut enttäusche. Ich habe damals unsere Beziehung den Bach runtergekippt. Und ich habe immer gedacht, es seien die Männer, die fremdgehen ...", gibt sie in einem ebenfalls wispernden Ton von sich. Sie scheint sich zu schämen.
"Niemand ist fähig dazu, sagen zu können, ob du das Gleiche wieder machst, aber einen Versuch ist es doch wert, oder nicht? Du hast im Moment keinen Partner, und Manuel auch nicht. Und ich meine jetzt nicht, dass er dein Versuchskaninchen ist, oder umgekehrt." Ich mache eine kurze Pause. "Ich möchte ihn einfach nur lachend sehen. Mit einer Frau an seiner Seite. Und du bist die Perfekte."
Ich weiß nicht, woher ich mir auf einmal so sicher bin, dass sie ihn nicht wieder verletzt, aber irgendwie spüre ich es. Ich folge meinem Herzen.
Sie sieht mich an. Tränen schimmern in Leylas blauen Augen. "I-Ich ..." Sie kämpft damit, Worte aus ihrer Kehle zu pressen, aber es kommt nichts raus. Nach ein paar Sekunden gibt sie es auf. Sie schließt ihre Augen. "Willst du mich kurz drücken?", flüstert sie dann. Ich kann momentan gar nicht glauben, um was sie mich da gebeten hat, aber ich erfülle ihr auf jeden Fall ihren Wunsch. Es ist ein seltsames Gefühl, als ich Leyla so nahe bin. Wir sind uns zwar unbekannt, haben noch nicht sehr viele Worte ausgetauscht, haben uns wegen eines komischen Grundes getroffen, und doch stehen wir jetzt auf ihrem Balkon und haben die Arme umeinander geschlungen.
Als wir wenig später meine Mutter und Nicole besuchen, und sich Leylas Stimmung total verändert hat, schaut mich Mama zufrieden an. Ich schmunzle und habe nun das Gefühl, als hätte ich es beinahe geschafft.
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Hallo wieder einmal!
Ich habe schon lange nicht mehr gefragt, wie es euch geht. Und was denkt ihr über Leyla? Es kommen nicht mehr viele Kapitel (vielleicht zwei bis drei) und dann heißt es endgültig: Ciao Hannah und René!
Aber so weit sind wir ja noch nicht.
Und noch was: Kennt jemand eine Person auf Wattpad, die Covers für Bücher macht? Ich bräuchte nämlich jemanden :)
Bis bald, eure Lina_Cel_
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