37.
Vielleicht habe ich ja wirklich falsch reagiert? Ich weiß nicht so recht ... Aber ist es denn nicht auch komisch, wenn ich mich durch eine SMS so schnell umstimmen lasse? Ich sollte meine eigene Meinung haben, und nicht so naiv sein.
Ich habe mich mit Manuel zum gemeinsamen Kochen bei ihm in der Wohnung verabredet. Ich hoffe, dass er die Geschichte von gestern nicht mehr anspricht. Irgendwie ist es mir unangenehm.
Also stehe ich um dreiviertel zwölf, nach vier Stunden Arbeit im Büro, vor seiner Tür und muss höllisch aufpassen, damit mir die Einkaufstaschen nicht runterfallen. Erleichterung macht sich in mir breit, als Manuel endlich aufmacht und mir etwas abnimmt.
"Wow, soviel hättest du doch nicht kaufen müssen! Wir können auch einfach 'ne Pizza bestellen." Ich schüttle meinen Kopf.
"Ich kann kochen. In den fünf Jahren habe ich genug Zeit gehabt, das zu lernen. Immerhin habe ich täglich einen Mann bekocht." Darauf antwortet er nichts, sondern geht in die Küche und stellt die Taschen ab.
"Was willst du heute überhaupt zubereiten?", will Manuel wissen, und räumt alles in den Kühlschrank ein. "Spaghetti?" Neckend grinst er mich an.
"Lachsfilet auf Rucolasalat mit Cherrytomaten, Birne und leckerem Balsamico-Honig-Dressing." Geschockt sieht mich Manuel an.
"Das kannst du?!" Ich lächle triumphierend.
"Sicher. Was denkst du denn von mir?", necke ich ihn nun zurück.
Das fertige Essen schmeckt gut; so toll habe ich es noch nie hingekriegt. Ich bin stolz auf mich.
Etwas später, nachdem der Abwasch auch geschafft ist, machen wir es uns auf dem Sofa gemütlich und schieben eine DVD in den Player. Ted 2.
Während dem Film merke ich, wie mir Manuel immer näher kommt. Er will wirklich mehr von mir. Doch ich fühle mich einfach nicht bereit dazu. Kann ich ihm denn vertrauen?
"Manuel, was wird das?", frage ich leise, aber dennoch bestimmt.
"Was wird was? Was meinst du?" Mit gerunzelter Stirn mustert er mich.
"Na, du kommst mir die ganze Zeit näher. Du rückst mir richtig auf die Pelle."
"Oh, sorry. Ich glaube, das liegt einfach daran, dass mir so kalt ist, und du mich mit deinem heißen Körper wärmst."
"Was ... Oh mein Gott!" Ich seufze. "Dein Ernst jetzt? Du kannst es aber auch nicht lassen, oder?" Mit einem Dackelblick schaut er in meine Augen und zieht zusätzlich noch einen Schmollmund. Auf eine gewisse Art und Weise sieht er süß aus. Wieso eigentlich nicht? Ich atme tief ein und beuge mich dann nach vorne.
Mit dem hat Manuel anscheinend nicht gerechnet, denn er reißt seine Augen auf und sitzt da, als hätte er einem Besen verschluckt. Seine Lippen fühlen sich weich und zart an. Renés sind irgendwie rauer. Hannah, reiß dich zusammen! Du küsst gerade einen anderen, also vergiss ihn!
"Hannah, ich ..."
"Pssst." Ich drücke erneut meine Lippen auf die von Manuel. Dieses Mal ist er nicht mehr so erstaunt und erwidert. Auch wenn ich es versuche; immer wieder kehrt René in mein Gehirn zurück. Ich kann es unmöglich verhindern. Das ist nicht zu schaffen!
Aber ich mache einfach weiter. Mein Gegenüber kommt plötzlich in Schwung, und entdeckt seine Lust wieder, denn schon schieben sich seine Hände unter meine weiße Bluse und probieren am BH-Verschluss herum. Ich lache in den Kuss hinein.
"Der geht nicht hinten auf, sondern vorne." Wir lösen uns kurz voneinander. Ich knöpfe mein Oberteil auf und lege es beiseite. Gierig versucht Manuel, alles in sich aufzusaugen, was ihm seine Augen sehen lassen. Dann zeige ich ihm, wie mein komplizierter BH aufgeht. In der Brustmitte ist ein Magnet, der mit einem einfachen Auseinanderziehen aufzumachen ist.
"Oh shit. Seltsames, neues Ding; da kenn' ich mich nicht aus. Es war ja schon eine Herausforderung, die normalen BHs aufzukriegen, und jetzt kommst du mit sowas." Ich grinse und schließe wieder die Lücke zwischen uns.
"Ich liebe dich, Hannah", nuschelt Manuel. Ich entledige ihm seiner Kleidung. Die ganze Zeit vergleiche ich ihn mit René. Verdammt! Er soll endlich aus meinem Kopf verschwinden! Es ist endgültig aus!
"Hast du was da?"
"Ähm, ja in der Schublade dort drüben."
Als ich die Kondompackung rausnehme, realisiere ich, was da gerade abgeht. Ich werde in wenigen Minuten mit einem anderen Mann schlafen. Oh Gott. Ich verdränge den aufkommenden Schmerz in meiner Brust und widme mich wieder dem nackten Manuel. Meine Zweifel verschwinden erst komplett, als er bereits in mir drin ist.
Es ist schon das zweite Mal, dass ich mit Manuel in einem Bett aufwache, doch heute ist er schon wach und betrachtet mich.
"Es war wunderschön gestern", flüstert er und küsst mich kurz auf meine Nasenspitze. Ich schmunzle leicht. "Ja", stimme ich ihm zu.
Das gemeinsame Frühstück genießen wir beide. Es gibt Toast, Schinken, Käse, Nutella, Kirschmarmelade, Gemüse, Obst und weichgekochte Eier.
"Das hab ich extra besorgt, damit wir einen schönen Morgen nach einer schönen Nacht erleben dürfen", erklärt mir Manuel und schnappt sich eine Semmel, auf die er sofort eine zwei Zentimeter dicke Schicht Nutella schmiert. Danach beißt er genüsslich hinein. Etwas später, als er eine Banane verspeist, packen ihn seine männlichen Triebe. Er tut so, als wäre die Frucht ein Penis, und führt sie langsam in seinen Mund, dann leckt er sexy daran herum und versucht, unwiderstehlich dabei auszusehen, was ihm aber nicht so recht gelingen mag. Dadurch weckt er nur den Anschein, schwul zu sein. Länger kann ich das Lachen nicht mehr zurückhalten. Ich falle in einen heftigen Anfall und kann beinahe nicht mehr aufhören, unkontrolliert zu kichern.
Doch sehr lange kann ich nicht bleiben, denn die Arbeit ruft. Mit einem etwas zu leidenschaftlichen Kuss verabschieden Manuel und ich uns voneinander und ich mache mich schweren Herzens auf den Weg ins Büro.
Ich habe mich nicht verliebt; ganz bestimmt nicht. Auch wenn es schwer ist. Ich liebe René. Ich vermisse ihn so sehr. Als ich eine Nacht darauf alleine in meinem kalten Bett liege, und endlich einschlafen konnte, träume ich von ihm.
"Hannah?"
"René?" Ich zögere. "Du bist es wirklich!" Lachend laufe ich auf meinen René zu und falle ihm in die starken Arme.
"Wie lange haben wir uns jetzt nicht gesehen?"
"Ich weiß es nicht. Drei Wochen vielleicht?" Es fühlt sich viel länger an. Wie drei Jahre.
Langsam, in Zeitlupentempo, nähert sich mir René. Ein Kribbeln breitet sich in meiner Magengegend aus. Doch bevor mich seine rauen Lippen berühren, wache ich auf.
Mein Herz pocht, als hätte ich einen wilden Alptraum gehabt. Eigentlich ist nicht viel passiert, aber die Gefühle sind so verdammt echt gewesen.
Eine Weile liege ich im Bett, doch um halb fünf halte ich es nicht mehr aus. Ich reiße das Fenster auf und lehne mich auf das Brett. Wo ist eigentlich der Blumentopf, der hier immer gestanden hat? Ich seufze.
In ein paar Tagen müsste Vollmond sein. Eine kleine Delle ziert den weißen Ball am Himmel. Ich habe mich das schon oft gefragt, wie es sein kann, dass das Universum unendlich ist. Das ist doch unlogisch! Irgendwo muss es doch ein Ende geben, oder nicht? Das All muss eigentlich wunderschön sein. Mit den unzähligen Sternen und der Milchstraße und den vielen Planeten. Ich kenne mich auf diesem Gebiet nicht wirklich aus, aber ich finde es faszinierend.
Auf einmal höre ich ein Geräusch. Es ist von weiter hinten gekommen. Etwa von meiner Zimmertür. Langsam tapse ich zur Tür. Auf dem Weg dorthin stoße ich mir meine Zehe an, und ich stolpere fluchend vorwärts. Ich lausche und öffne die Tür einen Spalt breit. Ich höre Stimmen.
Vorsichtig, um ja keinen Laut zu verursachen, schleiche ich zum Treppenansatz und spähe hinunter. Irgendjemand ist da unten, und dieser 'Jemand' scheint etwas zu suchen. Ist es womöglich Mum, die Tabletten gegen Kopfschmerzen will?
Treppe für Treppe lasse ich hinter mir und greife mir im Vorbeigehen einen Schuhlöffel, der zufällig da gewesen ist. Falls es ein Einbrecher ist, bin ich bereit, mich zu wehren. Der Eindringling, oder meine Mutter befindet sich nun in der Küche. Etwas fällt mit einem lauten Scheppern zu Boden. Ich höre wen flüstern. Es hört sich an, als würde derjenige in Panik geraten, denn nach nur wenigen Sekunden wirft er wieder etwas hinunter und seine Schritte beschleunigen sich. Plötzlich huscht ein Schatten an mir vorbei, und läuft geradewegs in mich hinein. Mit einem Schrei falle ich nach hinten auf die Kante der ersten Stufe. Als ich den Schmerz zu spüren bekomme, ziehe ich die Luft durch meine Zähne. Au!
Meine Hand bewegt sich zum Lichtschalter und alles wird hell.
"Papa?!"
"H-Hannah. Ähm, tut mir leid."
"Was tust du hier?" Mein Vater hilft mir auf, sodass ich vor ihm stehe.
"Ich ... Ich weiß nicht, wo ich schlafen soll, und deswegen hab ich ..."
"Was soll das werden?!", ertönt die laute Stimme von Mum. Erschrocken und ertappt zugleich schweift Dads Blick zu seiner Frau. Oder eher Exfrau. Sie steht oben am Treppenansatz, ihre Arme vor der Brust verschränkt, und feuert Papa giftige Blicke zu.
"Eva, ich ..."
"Nein! Halt deinen Mund und verschwinde! Wenn du keinen Platz zum Übernachten hast, dann ist mir das ehrlich gesagt egal! Wieso gehst du nicht zu dieser Linda?! Oder suche dir einfach ein Hotel!"
"Verdammt, weil sie nichts mehr von mir will! Sie hat gesagt, dass das nie etwas wird zwischen uns und ich denke nun genauso. Bitte, Eva. Nimm mich zurück."
Mama schnaubt. "Soll ich dich nochmal eigenhändig rausbefördern?"
Er seufzt. "Seit wann bist du nur so nachtragend..." Meine Mutter kommt langsam herunter, bis sie schlussendlich zwei Stufen über Papa steht. Auffordernd zieht sie eine Augenbraue hoch und wartet, dass Dad das tut, was sie von ihm verlangt. Er soll für immer verschwinden.
"Muss das sein? Warum könnt ihr euch nicht einfach vertragen und ein glückliches Ehepaar sein?", mische ich mich ein.
"Hannah, was verstehst du nicht unter dem Wort 'Betrug'?! Er hat mit einem Mädchen rumgemacht, das zwei Jahre jünger ist als du! Ist das nicht Grund genug, um ihn zu verlassen? Ich werde demnächst die Scheidung einreichen!" Den letzten Satz schreit sie Papa ins Gesicht, dann dreht sie sich um und geht wieder nach oben.
"Wenn du dich hier noch einmal blicken lässt, rufe ich die Polizei!", brüllt sie noch. Eine Tür fällt mit einem ohrenbetäubenden Kracher ins Schloss.
"Dad, ich glaube es ist besser, wenn du jetzt gehst. Sonst macht sie ihre Drohung noch wahr." Als sich unsere Blicke treffen, sehe ich den Schmerz in seinen Augen. Ich wende mich ab und mache die Haustür auf. Nun bin ich diejenige, die jemanden rausschmeißt. Doch dieses Mal verschwindet er wirklich. Mit einem letzten Blick zu mir steigt er die wenigen Stufen hinab und trottet den Gehweg entlang. Mein Herz wird schwer, als ich meinen eigenen Vater so sehe, mit schrecklichen Schuldgefühlen und Ratlosigkeit in den Augen.
Als ich am Morgen aufwache, habe ich eine ungelesene Nachricht auf meinem Handy. Die Nummer ist geblockt. Stirnrunzelnd öffne ich sie und lasse beinahe das Gerät in meinen Händen fallen.
Nachricht von Unbekannt (07:03)
Mach dich bereit, in dein Verderben zu laufen. Ich will Blut fließen sehen.
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