33.
Ein paar Tage später - an einem Dienstag - findet die Beerdigung von Felicias Mutter statt. Sie hat mich gebeten, zu kommen. Ich muss meiner Freundin beistehen und ihr zeigen, dass sie nicht alleine ist.
Das Begräbnis läuft wie jedes andere ab. Gerede, Tränen, Blumen, Wünsche und andere Dinge. Wenn man den verstorbenen Menschen nicht kennt, kann man auch nicht wirklich trauern. Trotzdem versuche ich, wenigstens ein bisschen so auszusehen, als wäre ich unglücklich. Nicht, dass ich gut drauf bin, aber irgendwie kommt es mir einfach nicht so real vor.
Danach verabschiede ich mich von Feli und gehe dann nach Hause. Zum Essen wollte ich nicht mehr bleiben. Ich hätte mich sowieso nur fehl am Platz gefühlt.
"Hannah? Warte mal kurz!", ruft meine Mutter, als ich gerade dabei bin, die Treppen zum ersten Stock hinaufzusteigen. Nur wenige Sekunden, nachdem sie mich gerufen hat, taucht Mum auch schon auf.
"Ich habe eine Frage an dich." Sie sieht mich an. "Hast du vielleicht Lust, mit Papa und mir in ein anderes Land zu fliegen, um einmal richtig abzuschalten? Schließlich solltest du René vergessen, und bei einem schönen Familienausflug geht das doch am besten, richtig?"
"Ähm, dieser Vorschlag kommt jetzt ein bisschen überraschend." Ich bin überhaupt nicht in der Stimmung dafür, da ich gerade von einer Beerdigung komme. "Ich überlege es mir noch, okay?"
"Ist in Ordnung. Ach ja, und noch eine Sache. Du kannst deinen neuen Freund gerne mitnehmen." Ich erstarre und blicke meiner Mutter nach, die gerade ins Wohnzimmer verschwindet. Meint die etwa Julian? Oder ... Manuel?!
"Mama!" Ich laufe ihr nach und schreie wieder nach ihr.
"Was denn?"
"Wer soll bitte mein Freund sein?!"
"Na ja, ich hab mir gedacht ..."
"Was hast du dir gedacht?"
"Heute, als du weg warst, hat ein junger Mann angeläutet und nach dir gefragt. Ich habe ihm gesagt, dass du erst in circa zwei Stunden kommst und da hat er einen Brief für dich dagelassen."
"Hast du ihn gelesen?!"
"Nein!", antwortet Mum auf der Stelle. "Natürlich nicht. Ich hab mir doch nur Gedanken gemacht. Wie es Mütter halt tun."
"Mama, er ist nur ein Freund. Ein Freund, und nicht der eine Freund. Kapiert? Ich habe einstweilen genug von Beziehungen."
Sie kommt mit einem traurigen Lächeln auf den Lippen zu mir und legt ihre Hände auf meine Oberarme.
"Schatz, wenn du reden willst, dann komm ruhig zu mir, okay?" Ich nicke und gehe dann hoch in mein Zimmer.
Nein, Manuel und ich sind bestimmt nur gute Bekannte. Wir mögen uns, und wie es scheint, sind wir passende Gesprächspartner für den jeweils anderen. Er versteht mich, glaube ich. Oder besser gesagt: Er würde es sicherlich verstehen, wenn ich ihm die ganze Wahrheit sage.
Der Brief liegt auf meinem Bett auf der violetten Bettwäsche. Ich nehme ihn, reiße ihn auf und werfe mich auf die weiche Matratze.
Hey, Hannah!
Das hier wird kein Liebesgedicht oder sowas, falls du das erwartet hast, muss ich dich leider enttäuschen. Ich möchte dir dafür danken, dass wir uns begegnet sind, denn du bist mir sehr wichtig geworden. Auch, wenn wir uns noch nicht lange kennen. Ich mag dich sehr gerne (oh nein, das wird ja doch ein bisschen sentimental!) und ich hoffe, dass du mich nicht nur ausnützt. ;) Ach ja, und falls du doch jemanden zum Reden brauchst wegen deinem Freund René: Ich bin da! :D
Dein Manuel
Er hat 'Dein' geschrieben. Und wer schreibt heutzutage schon einen Brief? Aber ich finde es süß von ihm. Ich beschließe, ebenfalls einen Brief zu verschicken. Das habe ich, glaube ich, seit über zehn Jahren nicht mehr gemacht. Wie fängt man mit so etwas eigentlich an?
Lieber Manuel
Danke für deinen Brief; ich war total überrascht, dass es heutzutage noch so etwas gibt. Eine SMS ginge schließlich viel schneller. Aber eine gute Idee!
Es tut mir auch gut, dich kennengelernt zu haben. Und ja, ich weiß, dass du mir immer zuhören würdest, wenn ich dir mein Herz ausschütten will. Danke!
Sollte ich 'Deine' schreiben? Ich zucke mit den Achseln und mache es einfach. Danach falte ich den Brief zusammen und schiebe ihn in das Kuvert.
Ich suche mir im Internet den am kürzesten entfernten Briefkasten raus und laufe dann auch schon los. Um 18 Uhr ist die nächste Leerung.
Ein paar Tage später, als ich gerade bei Feli zu Hause bin, und ihr Gesellschaft leiste, gibt mein Handy zwei kurze Töne von sich. Ich werfe meiner Freundin einen entschuldigenden Blick zu und lese dann die gerade eben empfangene SMS durch.
Danke für den Brief, ich hätte nicht gedacht, dass du auch einen zurückschickst! ;)
Schmunzelnd schreibe ich:
Gern geschehen. Ich bin überrascht, dass es überhaupt funktioniert hat. Haha^^
Wie geht's dir so? Ich hab schon lange nichts mehr von dir gehört.
"Tut mir leid", gebe ich von mir und widme mich wieder Felicia.
Ihre Familie ist noch immer geschockt und nicht wirklich ansprechbar. Meine beste Freundin erzählt mir sehr viele Dinge, die sie mit ihrer Mutter erlebt hat. Auch, wenn ich im Schauspielern nicht gut bin; trotzdem schaffe ich es, dass man wenigstens den Eindruck bekommt, ich würde mich überall hineinversetzen können. Das Problem ist ja, dass ich selbst einige Problemchen habe, und diese mir ständig im Kopf herumschwirren. Seit Tagen höre ich nichts anderes mehr, als diese endlosen Geschichten von Felicia und ihrer Mum. Langsam habe ich das satt. Ich kann natürlich verstehen, wie erschüttert Feli jetzt ist, aber muss es denn die ganze Zeit sein?
"Weißt du was? Wir gehen heute shoppen!", rufe ich einfach so heraus, und unterbreche somit ihre Erzählung.
Perplex starrt sie mich an. "Ist das jetzt dein Ernst?", flüstert meine Freundin entgeistert.
"Nein, so habe ich das nicht gemeint. Tut mir leid, ich wollte dich nicht unterbrechen. Ich hab mir nur gedacht, dass ein wenig Ablenkung für dich nicht schaden würde."
Sie schaut weg und schweigt. Nach einer Weile holt sie tief Luft und nickt. "Okay, wenn du meinst. Vielleicht hast du ja Recht. Ein bisschen Ablenkung tut mir bestimmt gut."
Wir schlendern an den Schaufenstern vorbei und zeigen hin und wieder auf dieses und jenes Kleid, weil es uns gefällt. Da ich nicht so der Shoppingfan bin, geht heute alles etwas lahm voran. Erst einmal dauert es ewig, bis wir beschließen, in ein Geschäft hinein zu gehen, und dann hat Felicia auch noch überhaupt keine Lust, in den Markenteilen herum zu wühlen und zehn verschiedene Sachen in die Umkleidekabine mit zu nehmen, wie ich es von ihr gewohnt bin. Heute ist irgendwie alles anders.
"Wie wär's mit diesem Rock? Du hast doch so ein lachsfarbenes Top; da würde das super dazu passen", meine ich und betrachte das Kleidungsstück. Skeptisch mustert ihn nun auch meine Freundin. Endlich scheint sie zu erwachen und sie fängt langsam an, den Laden zu durchstöbern. Ich bin erleichtert, es doch noch hingekriegt zu haben.
Am Ende gönnen wir uns mit ziemlich vielen Einkaufstaschen in der Hand, ein Eis. Ich liebe Haselnuss; deswegen nehme ich auch diese Sorte. Feli entscheidet sich für Zitrone.
"Hast du eigentlich was von René gehört?", will Felicia etwas später wissen. Die Sonne brennt herunter und die Luft steht. Es ist schwül.
Ich schüttle meinen Kopf und knabbere an meiner Eistüte herum.
"Glaubst du denn, dass er sich mal meldet?" Wieder zucke ich nur mit meinen Schultern und seufze.
"Keine Ahnung, aber ich will ihn eh vergessen." Diese Worte habe ich noch nie ausgesprochen, und jetzt gibt es mir einen Stich ins Herz. Sie klingen so hart. Ich muss mich zusammenreißen, damit ich nicht unter den ganzen Erinnerungen, die schon wieder auftauchen, weich werde.
"Ja, ich denke, das ist das Beste. Hannah, glaub mir. Such dir jemand anderes, der nicht kriminell ist und unschuldige Mädchen entführt." Ich kaue auf meiner Unterlippe und habe ein schlechtes Gewissen. René hat mich weggeschickt; gesagt, dass ich gehen soll, und ich mich nicht wieder blicken lassen soll. Doch was ist, wenn er plötzlich anders denkt?
"Dann wird er zu dir kommen, oder schreckliche Schuldgefühle haben, ein so tolles Mädchen wie dich verloren zu haben. Du bist viel zu gut für ihn!", beantwortet Felicia meine Frage. Ich habe meine Gedanken laut ausgesprochen. Wir schlecken unser Eis fertig und gehen dann.
"Danke, dass du mich überredet hast, shoppen zu gehen. Sonst wäre ich nur wieder in meinem Zimmer gewesen und hätte in die Luft gestarrt."
"Kein Ding. Ich habe schließlich schon oft genug deine Nerven strapaziert, als wir noch in der Hauptschule waren." Wir lachen beide. Mit dreizehn habe ich meinen ersten 'Freund' gehabt. Ich habe mich aber sofort wieder von ihm getrennt, weil er es eklig gefunden hat, jemanden zu küssen. Ich schüttle meinen Kopf und grinse. Typisch Teenager!
"Schreiben wir heute noch?" Ich nicke.
"Aber du solltest mal zu deinem Dad gehen und ihn ganz fest umarmen. Deine Familie braucht jetzt mehr Aufmerksamkeit als ich."
Feli sieht mich an.
"Er wird sich freuen."
"Ja, das habe ich schon lange nicht mehr gemacht", flüstert sie.
In der Küche fülle ich mir erst einmal Wasser in ein Glas und schalte dann mein Handy ein. Eine Nachricht.
Ganz gut, aber du fehlst mir. Treffen? :)
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