Beyla OS - Nicht Alleine 2
Nachdem ihr alle sehr einstimmig für eine Fortsetzung gestimmt habt, hier ist sie:
(-Ich springe innerhalb von "Kapiteln" in dem Fall OS's mittlerweile nur ungerne, da es die Handlung immer so nen bissl unterbricht, aber in dem Fall war es leider nötig und ich denke mit dem kleinen Zeitsprung den ich ansonsten mit "~~~" gekennzeichnet hätte, lässt es sich trotzdem ganz gut lesen)
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Sich Leyla
Die Stimmung im Auto war angespannt, das Radio aus, weil die Musik keinen von uns vor dem Kommenden bewahren würde und unser beider Gefühle nicht in einem Lied der Welt zusammengefasst werden konnten. Einzig das Navi des Autos durchbrach die Stille, die sich zwischen Ben und mir ausgebreitet hatte immer wieder, während es mich durch die Straßen Hamburgs lotzte. Und obwohl ich vereinzelt einen Blick auf eines der alten Gebäude der Altstadt, einen Blick auf die Elbe erhaschen konnte, so war es mir kaum möglich die Schönheit seiner "Heimat" wahrzunehmen.
Ob man diesen Ort überhaupt so nennen konnte? Seine Heimat? Ich warf einen schnellen Blick zu meinem Freund herüber, der sich, seitdem wir in die Nähe Hamburgs gekommen waren, scheinbar weigerte aus dem Fenster zu sehen, bevor ich zurück auf die volle Straße sah - wollte ich doch nicht auch noch einen Unfall verursachen.
Nein, wenn man ihn fragen würde, würde er bestimmt nicht behaupten, dass hier sei seine Heimat, sein Zuhause. Ich seufzte und blickte im Widerspruch meines Verstands ein weiteres Mal zu Ben herüber, war der Schmerz, den er mit Stadt überall um uns herum verband mittlerweile fast greifbar, die Angst vor der nächsten Zeit hörbar, seine Augen ganz glasig... Ich wollte ihm so gerne helfen, wusste ich nur nicht wirklich wie ich das anstellen sollte. Was ich sagen könnte, das ihm helfen würde. Er hatte seinem Kopf gegen die Fensterscheibe gelehnt und sah doch wie gebannt auf seine Füße; sein Handy, das er anfangs noch unruhig in den Händen gedreht hatte, war zurück in meine Tasche gewandert und beim genaueren hinsehen fiel mir auf, dass eben diese Hände leicht zu zittern begonnen hatten, woraufhin er sie in einer schnellen Bewegung anhob, einmal schüttelte und schließlich neu positionierte, woraufhin sie -vorübergehend- wieder zur Ruhe kamen. Doch etwas an der Anspannung, die das Zittern erst ausgelöst hatte ändern konnte es nicht.
Die ganze Situation ließ mich fast wahnsinnig werden und ich hatte große Mühe meine Konzentration zumindest überwiegend auf den Verkehr zu halten. So sehr ich meinen Freund, die Sorge und die Angst um seine beste Freundin auch verstand, so machte ich mir mindestens genauso große Sorgen um ihn. Meinen Freund, den das alles so unfassbar mitnahm. Meinen Freund, den ich so unfassbar liebte und den ich so gerne vor all dem beschützen würde. Meinen Freund, den ich selten so emotional und gleichzeitig so unfassbar still erlebt hatte, wie in den letzten Tagen. Seit dem Anruf seines Vaters, der seitdem ich ihn kannte, noch so selten Gutes mit sich gebracht hatte.. Ich erinnerte mich noch gut an den Tag. Wie ich ihn hockend vor dem Klinikum entdeckt, Marc mir gleichzeitig Julianas Bilder gezeigt hatte. Wie mir sofort bewusst geworden war, dass Zweiteres in dieser Sekunde nicht halb so wichtig war wie Ben. Dass ich diese Infos auch anderen Weges bekommen würde, ich jedoch nur in diesem Moment für ihn da sein konnte, wie er es in eben diesem Moment gebraucht hatte. Wie wichtig das war, wurde mir erst an selbigem Abend, an dem Abend vor 2 Tagen bewusst... wie sehr er gelitten hatte und immer noch litt, aber vor allem wie entschlossen er war, sich um Juliana zu kümmern - Bis zur letzten Sekunde. Komme was wolle, er wollte bei ihr sein. Und das bewunderte ich so sehr an ihm. Ganz egal wie schlecht es ihm selbst mit einer Situation ging, im Zweifel waren die Menschen um ihn herum wichtiger - Wichtiger als er selbst. Menschen, die er zu seiner „Familie" gemacht hatte. Menschen wie Juliana einer war.
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Es war eine kurze Bewegung von Ben, die mich Aufsehen ließ und mir bewusst machte, dass ich irgendwann angehalten hatte.
Angehalten vor einem prächtigen, weißen Gebäude, das mehr als nur surreal auf mich wirkte. Ein wenig zweifelnd, ob das hier wirklich ein Klinikum, das Klinikum war, von dem ich ausging, das es war, sah ich nach wie vor ein wenig von meinen Gedanken benebelt, auf das Navi und schluckte. Wir waren da. Erneut wanderte mein Blick auf das Gebäude, das sich als das Klinikum Bens Eltern enttarnt hatte und schüttelte dann sprachlos mit dem Kopf. Im Gegensatz zu dem JTK war das hier ein... mir fiel kein passendes Wort für das große, zugegebenermaßen faszinierende Gebäude ein. Zwei Menschen hatten das hier aufgebaut. Zusammen und doch alleine. Und auch wenn man ihnen in Sache „Eltern sein" viel vorwerfen konnte, das Handwerk ihres Berufes verstanden sie voll und ganz. Trotzdem war ich mir Eines sicher - Wenn man sich voll und ganz der eigenen Karriere widmen wollte, sollte man sich gut überlegen, ob man ein Kind kriegen wollte oder nicht. Das war keine Entscheidung nur für die zwei zukünftigen Eltern, sondern auch für das Wohl des entstehenden Kindes.
Obwohl ich mehr als froh war, dass es Ben gab - Sein Wohl stand bestimmt nicht immer an erster Stelle ihres Handelns. Denn das was sie getan hatten war keineswegs ein kleines "Fehlerchen" in seiner Kindheit gewesen, von dem er nichts mehr wusste, es war ein in mehrere Richtungen, oft immer noch wachsender, verästelter Baum, der ihn noch heute beschäftigte, Fragen um ihm herum sich in seinem Kopf drehten - Fragen die kaum zu beantworten waren.
Darüber hinaus war ich mir sicher, dass die Stimmung im Inneren des Gebäudes nicht annähernd so warm und herzlich war, wie im JTK - Alleine das stereotypische Weiß der Fassaden zeugte davon.
Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie mein Freund nun doch, den wohl ersten Blick aus dem Fenster warf, seitdem wir in Hamburg eingetroffen waren und seine Hand gleich darauf kopfschüttelnd durch seine Haare fahren ließ. Er wollte das hier nicht. Ich konnte es mit jeder Faser meines Körpers spüren, doch Juliana lag hinter diesen Mauern und er würde zu ihr gehen, ganz egal was das mit ihm machen würde... was seine Eltern mit ihm machen würden. Und trotz der Sorge um Ben wusste ich - Das war richtig. Sie brauchte ihn und wenn er nicht zu ihr gehen würde, wäre das weder für ihn noch für sie besser. Es war trotz all dem Schmerz richtig.
„Ben?" Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern und erst als mein Freund wenige Sekunden später mit seiner linken, nach meiner rechten Hand griff war ich mir sicher, dass er mich gehört hatte. Ich atmete leise einmal tief durch - War ich, wenn auch nicht annähernd so sehr wie Ben, doch nervös. Ich hatte seine Eltern bis heute, trotz all der Zeit in der wir schon ein Paar waren, all den Dingen die wir gemeinsam erlebt hatten, kaum sehen können und in wenigen Minuten auf sie zu treffen, ließ mich, mich zunehmend unwohler fühlen. Die ersten Eindrücke, die Zeit seines Unfalls und all das Erzählte, das wie ich Ben kannte jedoch nicht ansatzweise alles beschrieb, was er erlebt hatte, hatten doch einen bitteren, einen sehr bitteren Geschmack hinterlassen. Und dann war da noch Juliana, die ich bis heute kaum kannte und die im wahrsten Sinne des Wortes todkrank war.
„Denk daran - Wir gehen da zusammen rein. Wir - Du und ich. Ich werde die ganze Zeit an deiner Seite sein!" Vorsichtig hob ich die Hand meines Freundes ein wenig an und drückte ihm einen liebevollen Kuss darauf, in der Hoffnung das würde ihm doch ein wenig helfen. Ich wollte einfach daran glauben, dass die Gewissheit, dass ich bei ihm war, ihm die kommende Zeit ein kleines bisschen leichter machte.
Als er gleich darauf zu mir herüber sah, musste ich erneut schlucken, als ich den Schmerz sah, der wie ein Feuer in seinen blauen Augen aufgelodert war. Ein eisiges Feuer, dass ihm selbst wohl mehr weh tat, als allem das es darüber hinaus noch entfachen sollte.
Erneut wünschte ich mir, ich könnte ihn irgendwie vor dem ganzen Schmerz beschützen, doch das konnte ich nicht und diese Tatsache ließ ein Gefühl von Hass in mir zurück. Hass war so ein gewaltiges Wort und in jedem anderen Fall vermied ich es irgendeines meiner Gefühle gegen irgendjemanden als Hass zu betiteln, da eben so einer so viel verursachen konnte, doch wie das hier ausgehen würde, konnte ich mir kaum vorstellen, aber das es nicht schön sein würde, wusste ich. Und ich konnte absolut nichts tun, um das zu verhindern. Ich konnte da sein. Und das würde ich. Ich konnte da sein und trotzdem würde es weh tun. Und das hasste ich. Ich würde zusehen müssen, wie Ben leidet und konnte absolut nichts dagegen tun.
„Ich hab' Angst Leyla." Ben sah einen kurzen Moment zu mir herüber und schüttelte dann erneut leicht mit dem Kopf und auch wenn ich im ersten Moment gerne etwas gesagt hätte - Ihm gesagt hätte wie gut ich das verstand - blieb ich aus einem Gefühl heraus still, belies es bei einem einfachen Nicken, einem kaum hörbaren „Ich weiß." Erneut loderte das Gefühl in mir auf ihn aus der Schusslinie zu halten, denn gerade lief er schutzlos in bereits geöffnete Messer, doch wurde mir gleichzeitig einmal mehr bewusst, dass ich das nicht konnte. Weder ihn noch Juliana für die das alles genauso schwierig sein musste. Sie war eine junge Frau! Sie war jünger als ich und sollte voraussichtlich nie so alt werden! Das hatte sie nicht verdient - Niemand hatte das verdient.
Sicht Ben
Ich blieb noch einmal stehen und sah nach oben; spürte wie Leyla meine Hand daraufhin leicht drückte; eine Bewegung die mir wohl nochmal verdeutlichen sollte, dass sie bei mir war. Wir standen direkt vor dem Eingang - Durch die Glastüren konnte man bereits den Empfangsbereich der Klinik erkennen, doch wagte ich es nicht weiter zu gehen. Mein Blick hing an der oberen Kante des Gebäudes und beobachtete die Wolken, die sich dahinter auftürmten. Es würde noch regnen. Die Sonne, die in diesem Moment noch über Hamburg stand, würde noch von dunklen, grauen Wolken abgelöst werden und diese würden schon dafür sorgen, dass es hier draußen bald nicht mehr ganz so gemütlich sein würde. Wolken, die deutlich besser zu dem passte, das jetzt auf Leyla und mich zu kam.
„Na komm...!" Eben diese zupfte nun vorsichtig an meiner Hand und nickte leicht in das Innere, in den Empfangsbereich der Klinik meiner Eltern und ich atmete nickend noch ein weiteres Mal tief ein und aus, bevor ich ihrer Aufforderung weiterzugehen nachkam. Vor mittlerweile über 5 Jahren hatte ich mir geschworen, dass ich hier nur noch im größten Notfall reingehen würde und inständig gehofft, dass dies nie der Fall sein würde. Dass er jetzt gekommen war, machte mich unfassbar nervös. Ich wollte meine Eltern eigentlich gar nicht sehen und doch musste ich das in den nächsten Tagen wahrscheinlich deutlich öfter, als mir lieb war. Es war in ihrem Klinikum kaum zu vermeiden…
Mit jedem folgenden Schritt spürte ich wie mein Herz schneller schlug und ich mich immer unsicherer fühlte. In der Zeit zurück gesetzt. Bilder blitzten in meinem Kopf auf; längst in den Hintergrund gerückte Erinnerungen und Gefühle und ich drückte Leylas Hand ein wenig fester. Ich war so froh, dass sie da war!
„Ben! Das gibt's doch nicht!" Leyla und ich hatten kaum 2 Schritte auf den Empfangstresen zu gemacht, die Türe war gerade wieder ins Schloss gefallen, als die Schwester hinter eben diesem lachend und mit ausgebreiteten Armen auf mich zukam. Eine zugegebenermaßen schon etwas in die Jahre gekommene Krankenpflegerin, die mich nun an sich drückte. Meine Gedanken drehten sich immer noch, um andere Dinge als sie sollten und auch Juliana war mit dem Eintreten wieder mehr als präsent geworden, weswegen ich ein paar Sekunden länger brauchte, als der Frau lieb war, um sie zu identifizieren.
„Jetzt sag' nicht du erinnerst dich nicht mehr an mich!" Stirnrunzelnd sah sie mich an und stemmte die Arme in die Seite, was ihrer Rolle von damals einmal mehr gerecht wurde. Ihre kurze „Warnung“ ließ mich in ein „Doch. Doch. Klar." hinein grinsen, bevor ich mich zu Leyla drehte. Wie könnte ich sie je vergessen? „Leyla, darf ich vorstellen?" Ich deutete mit der Hand auf die Pflegerin von eben, woraufhin meine Freundin ein wenig skeptisch aber lächelnd nickte. Sie war sichtlich unsicher, was sie von ihr denken sollte. „Ich bitte darum!" „Das ist Christa - wenn ich hier im Klinikum sein musste, als Kind, hat sie auf mich aufgepasst." erklärte ich schnell, woraufhin sie lächelnd nickte. Mit einem Mal hatte sie den warnenden Ton in ihrem Blick zu Christa verloren und gegen einen warmherzigen abgelöst. Während ich das feststellte, wendete ich mich an meine frühere „Aufpasserin": „Und Christa, das ist meine Freundin, Leyla."
Es folgte ein kurzes Begrüßen zwischen den beiden, bevor sie sich wieder mir zuwendeten. „Dann haben deine Eltern, also doch die Wahrheit gesagt, was?" Sie drückte meinen Oberarm liebevoll und lächelte. „Ihr Sohn ist wirklich hier." Erneut fing ich an zu grinsen, stöhnte jedoch ein wenig gequält. Diese Tatsache war mir schmerzlich bewusst und hier herum zu erzählen, dass ich kommen würde, sah den beiden Leitern des Krankenhauses ähnlich. „Nicht ganz freiwillig, aber ja." Ich nickte zur Unterstreichung meiner Worte und beobachtete wie der Blick der Frau mitleidiger wurde. Dann nickte sie ebenfalls leicht, seufzte gleich darauf. „Ich hab' schon gehört. Juliana Schieber." Sie warf mir einen fragenden Blick zu und Leyla an meiner Seite bejahte die Frage schnell. Christas Aussage erinnerte mich erneut daran, dass hinter irgendeiner der vielen Türen in Patientenzimmer, meine beste Freundin lag. Wahrscheinlich alleine. Ich wollte endlich zu ihr.
Doch Christa sprach einfach weiter, konnte sie meine Gedanken schließlich nicht hören: „Keine schöne Geschichte, wenn du mich fragst. Wenn du möchtest, bring ich euch beide gleich hin! Oder wollt ihr auf deine Eltern warten?"
Sowohl meine Freundin, als auch die tatkräftige Pflegerin, die uns beiden in den kommenden Tagen sicherlich noch öfter über den Weg laufen würde, sahen mich fragenden Blickes an und ich fuhr mir unsicher durch die Haare, ließ meine Hand an meinem Nacken liegen. Ich wusste, dass meine Eltern erwarteten, dass wir auf sie warteten, doch eigentlich waren die Erwartungen dieser beiden Menschen keine, denen ich noch freiwillig nachkam. Außerdem wollte ich meine beste Freundin endlich in den Arm schließen können. Ich wollte für sie da sein, ihr zeigen, dass ich da war und ihr bewusst machen, dass ich nicht gehen würde. Ich wollte zu ihr, aber eine kleine, unscheinbare Stimme in meinem Kopf hielt mich davon ab, genau das den Menschen um mich herum klar zu machen. Eine Stimme für die wohl eben diese Eltern verantwortlich waren.
„Weißt du was? Ich werde sie einfach kurz anrufen, sie müssten gerade in ihrem Büro sein und wenn sie nicht kommen wollen, kann ich euch beide immer noch zu Juliana bringen!" beschloss Christa nach ein paar weiteren Sekunden und ich nahm das nickend hin. Ihre Wortwahl überraschte mich zwar ein wenig, da ich sie nie hatte etwas annähernd kritisches zu der Beziehung zwischen meinen Eltern und mir hatte sagen hören, doch auch das ließ ich unkommentiert. Es wäre zusätzliche Zeit, wenn auch nur Sekunden, die ich nicht bei Juliana sein konnte. Trotzdessen war Ihr Ansatz wahrscheinlich der Richtige. - War es wohl besser, wenn ich Charlotte und Richard Ahlbeck nicht jetzt schon verärgern würde, wusste ich nur zu gut, was mich andernfalls erwarten würde. Ein Augenzwinkern Christas sollte mir wahrscheinlich erneut Mut machen, doch fühlte ich mich nach anfänglichen Herzlichkeiten zunehmend unwohl, während ich Leyla zu den Stühlen im Wartebereich gleich neben dem Empfangstresen lotzte - Zu viele Dinge, die mir in Verbindung der älteren Dame in den Kopf, in Erinnerung gerieten.
Leyla und mein Unfall.
Von all den Tagen, die ich früher in der Klinik meiner Eltern verbringen musste, wusste ich, dass es hier mehrere Möglichkeiten gab, wohin ein Fax geschickt werden konnte. Zum einen gab es da Eine in dem Büro meiner Eltern, die was meine Patientenakte von damals anging, zugegebenermaßen nicht ganz unwahrscheinlich war. Aus Erfahrung wusste ich aber- Der Drucker am Empfangstresen, an dem die Pflegerin gerade versuchte meine Eltern zu erreichen, wurde meistens genutzt. Warum sollte es damals nicht auch so gewesen sein? Dieser Gedanke machte mir unsagbare Angst; ich spürte wie meine Finger unruhig zu kribbeln begannen und konnte kaum noch still sitzen. Das würde nicht nur bedeuten, dass sie von der Amputation wusste, das wohl kleinere Übel, das würde auch heißen, dass es jede/r hier wissen könnte. Ein wenig unsicher sah ich den Flur entlang und stellte fest, dass tatsächlich ein paar Blicke der Pflegekräfte an Leyla und mir hängen blieben. Blicke, die jedoch nicht ansatzweise in Richtung meiner Beine wanderten. Es waren Blicke in unsere Gesichter und damit verbundenes Getuschel. Innerlich schüttelte ich über mich selber den Kopf - Den Sohn der Ahlbecks kannten hier alle. Natürlich schauten sie!
Das war der nächste Punkt an den mich meine ehemalige Betreuerin erinnerte, die wie ich mit einem kurzen Blick zu ihr herüber, feststellte immer noch in das Telefon sprach - Die Zeit mit meinem Eltern. Die Zeit im Internat. Die Zeit hier, im Krankenhaus meiner Eltern. Die Zeit bei meinem Eltern; die Zeit „Zuhause". Dabei war das alles hier so wenig „Zuhause". Hamburg war eine schöne Stadt - Keine Frage! Die Strände an der Elbe, die Altstadt, das alles hatte seinen Reiz und lockte jährlich tausende Touristen/-innen her, aber mein Zuhause war das nicht. Weder heute noch damals.
Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken, als ich feststellte, dass ich vor Leyla und Erfurt nie so richtiges etwas gehabt hatte, das ich Zuhause nennen konnte und drückte ihr intuitiv einen Kuss auf die schwarzen Locken. Einmal mehr ruf ich mir ins Gedächtnis, dass ich jetzt ein Zuhause, eine Heimat hatte. Ich hatte Leyla! Und das war das Wichtigste! Und damals hatte ich Juliana - So ganz ohne Zuhause war ich auch damals nicht.
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„Ben? Leyla?"
Ohne, dass es Leyla, die überrascht aufsah, als sie erneut die warme Stimme Christas hörte, und ich es bemerkt hatten, hatte eben diese ihr Gespräch beendet und setzte sich jetzt zu uns, während sie erklärte: „Deine Mutter wurde gerade zu einer Not-Op gerufen-" Ich ließ sie gar nicht erst ausreden, sondern atmete die Luft, von der ich nicht bemerkt, dass ich sie angehalten hatte, hörbar aus. Das war ja eigentlich klar gewesen. Irgendetwas war immer selbst wenn es eine Not-OP war, für die sie eigentlich nichts konnte - Sie war die Chefin und wenn sie jemanden gebeten hätte, für sie zu übernehmen, hätte diese/r das mit Sicherheit getan! Und auch wenn ich es nur ungern zugab, würde mir gerade bewusst, dass ich sie gerne in meiner Nähe gewusst hätte. Mit ihr hatte ich mich immer besser verstanden und auch wenn das ganze Chaos auch in der Beziehung zu ihr, unschöne Spuren hinterlassen hatte, war ich unter den Umständen bereit, diese Tatsache in den Hintergrund rücken zu lassen. Gegenüber ihr und meinem Vater. Ich hatte einfach nicht die Kraft mich jetzt auch noch damit auseinander zu setzen.
„Ben, sie wäre wirklich gerne bei dir gewesen! Und glaub mir sobald sie kann, wird sie nach kommen, aber bis dahin ist nur dein Vater da. Er ist gerade auf dem Weg." Ich nickte und bedankte mich in wenigen Worten bei ihr. Sie nahm sie in Schutz. Wie immer.
Ein paar Sekunden blieb es daraufhin still zwischen uns dreien und auch wenn ich eigentlich damit gerechnet hatte, dass mein Vater schneller war, wunderte es mich wenig, dass er noch Zeit brauchte. „Ben. Die Situation ist alles andere als günstig, aber ich glaube, ich muss mich bei dir entschuldigen..." Ein wenig überrascht über die Worte, die das Schweigen brachen, sah ich auf und fing noch bevor ich sie sah an, auf die Pflegerin einzureden. Dass sie absolut nichts getan hatte, dass eine Entschuldigung benötigte und dass ich ihr sehr dankbar war, für all das was für mich getan hatte und auch heute schon wieder tat, doch als ich ihren traurigen von Reue gefüllten, dunklen Augen sah, verstummte ich. Da schien es wirklich etwas zu geben, was sie mir sagen wollte, was sie mir sagen musste. Und auch wenn ich mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte, was das sein sollte, sah ich ihr an, dass sie das hier mehr als ernst meinte. „Du hattest einen Unfall... Vor knapp 4 Jahren." Es war keine Frage - Es war eine Feststellung, die mich an den Gedanken mit dem Fax eben erinnerte.
Ich spürte, wie auch Leyla, die zwar die ganze Zeit sichtlich aufgeregt war, mit einem Mal wie ich auch unruhiger wurde und neugierig zu der Pflegerin herüber sah, gleichzeitig nickte ich. „Weißt du... An dem Tag an dem dein Fax hier ankam, war hier die Hölle los. Die benachbarten Kliniken waren alle überfüllt, deswegen sind die ganzen Patienten zu uns gebracht worden. Deine Eltern waren eigentlich den ganzen Tag im OP und als das Fax dann angekommen ist, war ich gerade zufällig hier, um eine Akte wegzubringen. Ich hab' das erst gar nicht so richtig wahrgenommen, aber als ich gesehen hab', wessen Namen da steht... Oh Gott - Ben ich wollte nicht reinschauen! Wirklich! Da stand der Name deiner Eltern drauf und ich hab mir vorgenommen die Akte einfach zu ihnen hoch ins Büro zu bringen, damit sonst niemand reinschaut, aber umso länger ich sie in der Hand hatte, umso neugieriger wurde ich. Ich hab' mir Sorgen gemacht! Und dann war ich oben in dem Büro, aber deine Eltern waren nicht da."
Sie stockte und schluckte einmal. Sie war sichtlich nervös und wusste, wie es aussah nicht wirklich, wie sie mir klar machen sollte, was ihr so ein schlechtes Gewissen bereitete, dabei konnte ich es mir mittlerweile fast denken. Ich konnte spüren, wie meine Freundin neben mir, sich mehr und mehr anspannte und als ich zu ihr herüber sah, sah ich, dass das Warmherzige, Liebevolle das sich eigentlich gegenüber Christa in ihre Augen gelegt hatte, fast vollständig verschwunden war. Mittlerweile sprühten ihr Augen fast Funken. Offensichtlich ahnte sie auch etwas und es gefiel ihr nicht.
,, Ich wusste..." Mit einem Mal wurde sie leiser, sah sich kurz um, als wöllte sie sicher gehen, dass uns niemand hörte, bevor sie aussprach, was ich mir bereits gedacht hatte. ,,... Ich wusste, dass sie deinen Unterschenkel...'' Erneut stockte sie und sah unsicher von meiner langen Hose, die diese Tatsache gekonnt verdeckte auf, direkt in meine Augen. Dann schüttelte sie mit dem Kopf und sprach weiter. Wie ich Christa kannte, wollte sie mit dieser Pause herausfinden, ob und wie sie aussprechen konnte was passiert war, ohne dass sie mich dabei zu sehr verletzte, doch ich war mehr als froh, als sie endlich zum Ende kam. ,,Dass sie ihn dir amputieren mussten. Ich wollte dich besuchen kommen, Ben... Keine Ahnung, was mich aufgehalten hat.''
Die Schwester konnte meinem Blick nur schwer standhalten, als sich kurze Zeit später eine Träne einen Weg über ihre Wange bahnte und auch ich schlucken musste. Ich wusste, dass es jetzt an mir lag etwas zu sagen, doch ich brachte keinen Ton über die Lippen. Ob es an den Dingen lag, die sie mir gerade offenbart hatte, die ganzen Gefühle, die mein viel zu schnell, in meiner Brust schlagendes Herz, in meinem Körper verteilte oder die Gedanken, die mein Kopf mir schickte, war mir nicht wirklich bewusst. Dabei gab es so viel, dass ich ihr sagen wollte, doch das ich mir nicht Mal sicher war, ob ich wütend war oder nicht machte es mir nicht unbedingt leichter.
,,Schwester!'' Die kräftige Stimme meines Vaters, hallte durch den Empfangsbereich und sorgte dafür, dass zweifelsohne jede/r, der/die sie hören konnte zu ihm aufsah. Es war mehr als offensichtlich, dass er der Chef war und alle Schwestern, die feststellen, dass nicht sie gemeint waren, widmeten sich regelrecht überschwänglich wieder ihrer Arbeit. Sein scharfer Blick landete auf dem Stuhl direkt neben mir und als er auch noch ein "Ich denke Sie haben besseres zu tun, als sich mit meinem Sohn zu unterhalten!" zu uns herüber warf, war klar, dass er Christa meinte. Sein plötzliches Auftreten verhinderte, dass ich noch etwas sagen konnte, also beließ ich es bei einem leisen „Ist schon gut!“ als sie der indirekten Aufforderung meines Vaters nachkam und aufstand. Bevor sie sich wieder ihrer Arbeit widmete, schickte sie mir ein kurzes Lächeln, als sie meine Worte hörte, doch fast gleichzeitig spürte ich Leylas Hand, die meine sachte drückte und den damit verbundenen bohrenden Blick in meinem Rücken. Sie schien das nicht einfach so glauben zu wollen. In dem Moment in dem ich zu ihr herüber sah, ihr durchaus skeptisches Gesicht erblickte wurde noch ein wenig deutlicher, dass Leyla meiner Aussage misstrauisch gegenüber stand und ich seufzte leise. Ich verstand ihre Beweggründe auch wenn sie nichts sagte gut. Sie hatte mich damals erlebt. Meine Wut, die Trauer, die Enttäuschung und all die Verzweiflung; die Nächte in denen ich teilweise schreiend aufgewacht war, weil ich von dem Unfall geträumt hatte und die Tage an denen es mir, auch heute noch, nicht gut mit der Amputation ging doch wenn ich mir in einem sicher war, war das, dass ich momentan sicherlich nicht in der emotionalen Verfassung war, hier herum zu laufen, mit dem Wissen, dass es noch etwas zwischen Christa gab, Leyla und meinen Motorradunfall, das geklärt werden musste. Juliana. Hier ging es nur um Juliana! Ich wollte jetzt einfach endlich zu ihr…
Letzter Teil folgt
Ursprünglich für diesen OS gedacht, war das Eintreffen von Ben und Leyla bei Juliana. Allerdings habe ich mich beim Schreiben in der Storyline verloren und letztendlich ist das hier dabei entstanden. Da es mir aber wichtig ist, dass dieser OS noch ein vernünftiges Ende kriegt - es ist ja auch noch lange nicht alles erzählst - werde ich mich in der kommenden Zeit an das Schreiben des letzten Teils machen.
Bis dahin freue ich mich über Votes, Kommentare und alles was ich von euch an Rückmeldung erhalte.
LG,
J_A_W_W
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