[17] 17|Mittwoch
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Ronja steht in dem Gewissen auf, dass es heute mal wieder einen normalen Mittwoch geben wird. Einen routinemäßigen Mittwoch, einen neuen routinierten Mittwoch.
Zunächst in den Park gehen, dann wieder nach Hause, die E-Mail-Beratung beginnen, zum Hafen schlendern, dort Elmar treffen, wieder nach Hause gehen und die Arbeit fortführen.
Auf diesen Tag ohne viel Trubel freut sie sich schon. Sowie auf ihren Feierabend, den sie je nachdem, wonach ihr der Sinn stehen wird, mit verbringen und den Abend einfach ausklingen lassen möchte.
Nach der Parkrunde und ihrer Vorbereitung zu Hause setzt sie sich mit dem Laptop auf die Terrasse. Bevor sie beginnt, die einzelnen Mails abzuhören, denkt sie noch einmal an die Mail ihres Vorstands. Morgen ist die Vorstandssitzung, was bedeutet, dass sie ab nächster Woche mit einer Rückmeldung rechnen könnte. Hoffentlich, denn es sind schon wieder einige Neuanfragen reingeflattert, wünscht sie es sich nun umso mehr.
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Klatsch, es ist 10:38 Uhr. Ronja macht Woody das Geschirr um und treten hinaus an die frische Luft. Obwohl Ronja früh dran ist, ist Elmar schon da. Die Tatsache, dass Elmar sitzt, wundert sie jedoch mehr, als das er bereits da ist. Sie setzt sich daneben.
„Na du, wie kommt es, dass du dich heute hingesetzt hast?"
„Ich bin aufgeregt."
„Gut aufgeregt?"
„Weiß ich nicht."
„Wieso bist du denn aufgeregt?"
„Wegen dem Geschenk von Joe."
„Ah, ich verstehe. Aber warum genau bist du jetzt so derart aufgeregt?"
„Ich bin schon früher gekommen. Wollte gucken, ob ich Joe sehe, ob ich irgendwie erkennen kann, welches sein Boot ist. Aber ich weiß es nicht."
„Und jetzt wartest du schon länger hier auf mich?"
„Ja genau."
„Es tut mir leid Elmar. Ich weiß leider nicht, wo das Boot von Joe hier ist. Aber ich weiß, dass Joe den Tag über in seinem Laden arbeitet, also nicht hier ist."
„Aber gestern war er auch nicht im Laden."
„Ja, das stimmt. Da hat er sich für deinen Geburtstag freigenommen."
„Oh okay, das ist ja nett."
„Ja finde ich auch."
„Kannst du ihn fragen, wie sein Boot heißt? Und kannst du ihn fragen, wann wir uns auf seinem Boot treffen?"
„Ja, das mache ich."
„Danke Ronja."
„Das mache ich gerne."
„Bis morgen Ronja."
„Bis morgen Elmar."
Die trippelnden Geräusche haben glücklicherweise während des Gesprächs abgenommen. Elmar scheint immer noch etwas mitgenommen, aber dennoch bereits leichter.
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Wieder zu Hause am Computer setzt sich an die Beantwortung der vielen Anfragen per E-Mails, darunter ebenso einige Neuanfragen. Eine nach der anderen beantwortet sie. Parallel dazu hat sie zwei E-Mail-Beratungen, die sich heute um die Themen Feststellungsverfahren bezüglich einer Schwerbehinderung drehen sowie welche Vor- oder Nachteile sich daraus ergeben könnten. Insbesondere betreffend der Arbeitswelt.
Ronja schildert ihre eigenen Erfahrungen, markiert diese auch als solche:
Meiner Erfahrung nach birgt eine Schwerbehindertenfeststellung, und daraus resultierend ein Schwerbehindertenausweis, den mensch sich dadurch ausstellen lassen kann, mehr Vor- als Nachteile.
Die Gesetzeslage ist weitgehend dahin verändert worden, dass Menschen mit einem solchen Grad der Behinderung gleichberechtigt teilhaben können sollen. Natürlich hapert es auch mal an der Umsetzung.
Manchmal schließt eine Gleichberechtigung eine sogenannte Bevorzugung wie beispielsweise in einem Bewerbungsverfahren um einen Arbeitsplatz nicht aus. Diese Bevorzugung gilt jedoch nur, wenn die gleiche geforderte Qualifikation vorhanden ist.
Zudem haben Menschen mit einem Grad der Behinderung von mindestens fünfzig einen besonderen Kündigungsschutz und fünf Tage mehr Urlaub im Jahr, was ich für gerechtfertigt halte, da ärztliche Praxen oder anderweitige Termine während der Arbeitswoche besser integriert werden können und viele generell eine Mehrbelastung im Alltag haben.
Andere Vorteile können bei hohem Grad der Behinderung oder entsprechenden Merkzeichen, wenn die Voraussetzungen als erfüllt angesehen werden, ebenso dazu kommen.
Als Nachteil angesehen werden kann, dass manche Firmen das als Makel sehen, jedoch dürfen sie einen deswegen nicht vom Bewerbungsverfahren ausschließen!
Aber ich möchte Sie fragen: Würden Sie denn überhaupt für einen Betrieb arbeiten wollen, der schon von vornherein etwas gegen einen hat?
Ronja auf jeden Fall nicht und hofft dies für ihre Klient*innen ebenfalls. Daher geht sie ebenso auf die Themen Selbstbild und -stärkung ein. Es gibt weitere Vorteile und bestimmt weitere Nachteile, jedoch sind dies die wichtigsten für sie. Ronja verbleibt mit ihren Klient*innen so, dass sie ihnen rät, sich gegebenenfalls aufkommende Fragen in der kommenden Woche zu notieren und sich noch mal Gedanken dazu zu machen. In der nächsten Beratung werden sie dann alles gemeinsam noch einmal analysieren und reflektieren.
Alice hat wirklich einen guten Sinn fürs Timing. Gerade als Ronja das Mailprogramm schließen wollte, hört sie den Ton, der ihr signalisiert, dass eine Mail eingeht.
Liebe Ronja,
ich hoffe dich erreicht die Mail noch. Wenn nicht, habe ich selbst Schuld, weil ich seit Stunden vor der Mail sitze, aber bis kurz vor deinem Feierabend abwarten wollte. Warum ich mir diese Frist gesetzt habe, – frag mich nicht, ich weiß es nicht, aber so hier meine Mail, die ich bereits heute Morgen geschrieben habe:
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Guten Morgen Ronja,
ich weiß nicht, wem ich schreiben soll und dir fühle ich mich nah. Noch nie fühlte ich mich jemandem nah. Wenn ich mich dir so offen zeige, habe ich Sorge, dass du mich für unreif, idiotisch oder noch etwas Schlimmeres hältst und mich eventuell von dir wegstoßen möchtest. Du hast mir nun schon ein paar Mal gesagt, dass es nicht so ist. Ich habe letztens gelesen, dass das Gehirn hundert Wiederholungen braucht, bis es neue Infos und Verhaltensweisen richtig verknüpfen kann. Und wie ich meinte, ich hatte noch nie so eine ehrliche und wohlwollende Person an meiner Seite, wie du es bist. Ich habe Angst und Sorgen wegen des Babys, in meiner Wohnung, vor der Zukunft, aber vor allem, weil ich mich einsam und mich hier nicht wohlfühle.
Liebe Grüße, Alice
Liebe Alice,
du hast ein gutes Timing, das weißt du doch. Ich war gerade mit der Arbeit fertig und kurz bevor ich das Programm schließen konnte, kam deine Mail.
Ich bin froh, dass du schreibst, du kannst mir immer schreiben. (Unten habe ich dir meine private Mail hingeschrieben, dann werde ich die Mails immer schneller sehen, nicht nur, wenn ich arbeite.)
Es tut mir leid für dich, dass du dich so fühlst. Ich verbringe gerne Zeit mit dir zusammen. Ich mag dich. Gerne sage ich dir das hundert Mal oder öfter, kein Problem. Du brauchst dir wegen mir keine Sorgen machen. Das mit deiner Wohnung tut mir leid. Geht es denn bis Freitag, bis ich dich besuchen komme? Wenn du was anderes brauchst, dann sag es mir bitte.
Liebe Grüße, Ronja
Schon wieder wartet Ronja auf das Geräusch einer eingehenden Mail, doch das bleibt aus. Es scheint, als würde es Alice leichter fallen, den ersten Schritt per Mail zu gehen, als wäre da noch eine weitere Zwischenwand, die ihr mehr Distanz verschaffen würde. Doch bei einer Antwort kann sie auf Nachrichten über das Handy übergehen. Ein kleines Lächeln huscht auf Ronjas Gesicht.
Alice:
»Du bist ein Schatz. Morgen
schaffe ich es bestimmt auch
noch. Ich freue mich auf
Freitag. LG, Alice«
Ronja:
»Okay, wenn du etwas brauchst,
telefonieren u. schreiben willst,
egal, dann melde dich, okay?!
LG, Ronja«
Alice:
»Danke, das versuche ich.
Gute Nacht.«
Ronja:
»Gute Nacht.«
Ronja kocht sich einen wohltuenden Ingwertee auf und setzt sich mit diesem noch ein Weilchen raus.
Sie ist froh darüber, dass Alice ihr schreibt und nicht wieder zu macht und sich komplett verschließt. Sie mag sie auch sehr, das beruht auf Gegenseitigkeit. Beruhen unsere Gefühle denn auf Gegenseitigkeit? Sie schiebt die Frage gleich wieder von sich weg.
Sie trinkt den Tee aus und geht hinein und ins Bett. In der Hoffnung, dass Alice auch einen ruhigen Schlaf finden möge, nickt sie ein.
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