Kapitel 8
Wie ein verängstigter Vogel schlug Simonettas Herz in ihrer Brust. Aber sie hatte zu viel zu verlieren. Sie konnte es einfach nicht riskieren ihre Tarnung für einen anderen Gott aufzugeben oder wegen ihm gar vor diesen Sterblichen enttarnt zu werden. Wachsam beobachtete sie ihn aus dem Augenwinkel und war sorgsam darauf bedacht niemals allein zu sein. Nur zu gut erkannte sie aus seiner Körperhaltung, dass er nur auf eine Gelegenheit wartete, um mit ihr zu sprechen. Aber sie fühlte sich nicht stark genug, um jemandem wie ihm in dieser Stadt entgegenzutreten.
Plötzlich spürte sie, wie seine Gegenwart verschwand. Überrascht wandte sie ihre Aufmerksamkeit von dem Medici, der gerade eine Rede über den Triumph seiner Familie hielt. Als sich ihre Blicke trafen, zuckte sie zusammen. Sein Gesicht war noch das Gleiche, aber der Ausdruck seiner dunklen Augen hatte sich verändert. Da war noch immer dieses Streben nach Antworten, aber zugleich wirkte er so verloren und so unsicher über sich selbst und seinen Platz in dieser Welt, dass ein Teil von ihr ihn am liebsten getröstet hätte. Aber er war nicht mehr er. Denn in diesem sterblichen Körper befand sich wieder eine sterbliche Seele und Simonetta war vollkommen durcheinander. Mit einem Schlag fühlte sie sich unendlich allein in dieser fremden Stadt, dass sie ihre Augen von ihm abwenden musste. Den Rest der Nacht versuchte sie sich in Gesprächen mit Fremden zu verlieren. Aber sie wurde dieses unerträgliche Gefühl nicht los, dass sie allein und isoliert zurückgeblieben war.
Endlich nach Hause zurückzukehren war eine Erleichterung. Sobald sich die schwere Eingangstür hinter ihr schloss, fühlte sie sich müde und erschöpft. Schnell entschuldigte sie sich und eilte zu ihrem Gemach.
Aber in ihrem Zimmer wartete eine weitere Überraschung auf sie. Lässig lag Eros auf ihrem Bett und begegnete voller Tatendrang ihrem müden Blick. War es wirklich schon wieder Zeit für ihr wöchentliches Gespräch? Wortlos fiel Simonetta neben ihn auf ihr Bett und hörte aufmerksam seinem Bericht über ihre gemeinsame göttliche Arbeit zu. Diese heimlichen Treffen waren die einzige Möglichkeit ihre Abwesenheit in der göttlichen Welt zu verbergen und wenn jemand Eros ansprach, von wem er seine Befehle erhalten würde, konnte er immer ohne rot zu werden auf sie verweisen. Als er seinen Bericht beendet hatte, erhob sich Eros, um sie für diese Nacht zu verlassen. Aber Simonetta hielt ihn mit der leisen Frage zurück: „Haben noch mehr Götter den Olymp verlassen?"
Langsam drehte sich Eros zu ihr um und Überraschung huschte über sein schönes, jungenhaftes Gesicht. Für einen Augenblick schien er ernsthaft über ihre Frage nachzudenken, doch dann schüttelte er nur ernst seinen Kopf.
„Wirklich?", fragte sie verwundert nach. „Ich war mir so sicher, dass ich nicht die einzige Gottheit in Florenz bin. Hast du wirklich keine Gerüchte von irgendwelchen Göttern gehört, die sich plötzlich anders verhalten als üblich?"
Genervt verdrehte Eros die Augen. Noch nie hatte er Aphrodites Angst, dass ihre geheime, sterbliche Identität aufgedeckt werden könnte, verstehen können. Eros liebte und lebte für seine göttlichen Pflichten... und für seine wunderschöne Frau Psyche. Er hatte jemanden, deren Liebe er sich jederzeit sicher sein konnte. Nie hatte Aphrodite eine solche Person in ihrem Leben gehabt und ein Teil von ihr hatte ihn immer um seine Beziehung mit Psyche beneidet. Sie hatte immer nur sich selbst gehabt.
„Aphrodite", sagte er und brachte sie zurück in die Wirklichkeit. „Ich bin so sehr mit meinen Aufgaben beschäftigt, dass ich kaum Zeit habe eine andere Gottheit neben meiner Frau zu treffen. Ich weiß... Da kommt jemand."
Und einfach so verschwand Eros. Im nächsten Moment wurde ihre Tür einen Spalt geöffnet und Marco steckte seinen Kopf in ihr Zimmer. Er schien sehr erleichtert sie noch immer vollkommen bekleidet vorzufinden.
„Können wir jetzt sprechen, meine Liebe oder bist du zu erschöpft?", fragte er und Simonetta nickte. Rasch betrat er ihr Zimmer, schloss die Tür hinter sich und setzte sich auf die Bettkante. Automatisch richtete sich Simonetta auf. Sie war begierig zu erfahren, weshalb ihr Mann sie so spät noch aufsuchte. Zum Glück kam Marco sofort zur Sache und verschwendete ihre Zeit nicht mit Belanglosigkeiten.
„Ich bekomme einfach deine heftige Reaktion auf Giuliano de' Medici nicht mehr aus meinem Kopf, meine Liebe", meinte er in einem Ton, von dem er glaubte, er höre sich eifersüchtig an. „Bist du ihm schon einmal in Genua begegnet?"
Verwirrt blickte sie zu ihm auf und versuchte seine wahren Beweggründe herauszufinden. Seine Gefühle waren so kalt und gleichgültig – sie bildeten einen starken Kontrast zu seiner gespielten Eifersucht. Sie musste all ihre Kraft aufwenden, damit er ihre Enttäuschung nicht erkennen konnte. Auch er wollte sie nur für seine eigene politische Karriere benutzen. Er war wie jeder andere. Niemand wollte sie um ihrer selbst willen, nur damit sie ihm einen Nutzen einbrachte. Ihr war das alles so überdrüssig.
„Nein, Marco", erwiderte sie emotionslos und er war nicht schnell genug, um seine Enttäuschung über ihre Nutzlosigkeit zu verbergen. „In meinem ganzen Leben bin ich ihm noch nie begegnet."
„Ich werde dich jetzt ruhen lassen", erklärte er eilig. „Aber er war genauso fasziniert von deiner Schönheit wie ich es gewesen war, als wir uns das allererste Mal begegnet sind. Ich weiß, dass du einen besseren Ehemann verdienst als mich. Aber dies ist die einzige Art von Liebe, die ich dir geben kann. Also bitte, Simonetta, sei vorsichtig, wenn es um Giuliano de' Medici geht. Er ist bekannt für seine sündigen Umtriebe mit wunderschönen Mädchen und Frauen wie du eine bist."
„Liebe ist Liebe", flüsterte Aphrodite, aber Marco hatte bereits die Tür hinter sich geschlossen und so blieben ihre Worte ungehört. Wieder war sie allein mit sich selbst.
Sobald Simonetta die Augen aufschlug, spürte sie, dass etwas fehlte. Atemlos sprang sie aus ihrem Bett und rannte zu ihrem Spiegel. Ihre Hände zitterten, als sie das kalte, silberne Glas berührten. Sofort fand ihre Magie ihn und vor ihren Augen verwandelte sich ihr Spiegelbild in sein hübsches Gesicht. Er saß auf dem Rücken eines Pferdes und im Hintergrund konnte sie Bäume erkennen. Er war in einem Wald. Der andere Gott hatte Florenz verlassen. Langsam glitten ihre Finger von dem kalten Spiegelglas und fielen nutzlos an ihren Seiten herab. Sie war wieder die einzige Gottheit in dieser Stadt. Sie sollte sich erleichtert oder befreit fühlen, doch stattdessen fühlte sie nichts als Leere.
Drei Wochen lang wachte sie jeden Morgen auf und rannte als Erstes zu ihrem Spiegel, um nach ihm zu sehen. Manchmal erblickte sie ihn reisend, manchmal genoss er gerade sein Frühstück und manchmal war sie so früh wach, dass sie ihn schlafend vorfand.
Am Anfang der vierten Woche seiner Abwesenheit entschied sie sich, dass sie ihre Morgenroutine ändern musste. Sie fühlte sich nicht besser, wenn sie sich immer wieder versicherte, dass er wirklich nicht mehr hier war. Die Leere in ihr wuchs mit jedem einzelnen Tag und sie wollte nicht verstehen, was dieses Gefühl für sie bedeutete. Denn auch wenn sie die Göttin der Liebe war und ein Teil von ihr nur zu genau darüber Bescheid wusste, war sie nicht bereit sich die Wahrheit einzugestehen. Noch immer hatte sie zu große Angst um die Konsequenzen.
So begann sie Florenz zu erkunden. Marco hatte Recht, Florenz war eine sehr schöne Stadt mit sehr freundlichen Einwohnern.
24 Tagen nach seiner Abreise begegnete sie zufällig Lucrezia Donati vor der Kirche, die sie an diesem Tag besichtigen wollte. Lucrezia Donati war freundlich genug ihr die Kirche zu zeigen und Simonetta genoss ihre Gegenwart. Dies überraschte sie nicht sonderlich, denn Lucrezia Donati war eine sehr intelligente Frau mit einem offenen und freundlichen Lächeln. Es war schwer sich in ihrer Gegenwart nicht wohlzufühlen.
Von nun an trafen sie sich regelmäßig. Lucrezia zeigte Simonetta ihre Stadt und erklärte ihr auf ihren Streifzügen die wichtigsten gesellschaftlichen und politischen Tatsachen. Die Gesellschaft von Florenz war sehr interessant und Simonetta hörte ihren Ausführungen aufmerksam zu. Bald schon begannen sie sich gegenseitig in ihren Häusern zu besuchen und einen Monat später erkannte Simonetta, dass Lucrezia Donati ihre allererste Freundin geworden war. Zum ersten Mal in ihrem langen Leben fühlte sich Aphrodite nicht vollkommen allein. Kurz darauf öffnete ihr ihre Freundschaft zu Lucrezia die Türen zu allen wichtigen Frauen des florentinischen Adels. Marco war sehr erfreut über ihren raschen Erfolg und überschüttete sie zur Belohnung mit neuen Kleidern und teurem Schmuck. Diese Geschenke musste sie ihren neuen Freundinnen immer sofort zeigen, weil er so begierig war ihre Reaktionen zu erfahren und passte sein Kaufverhalten dem Geschmack der Stadt an, nicht an den seiner Frau.
Drei Monate nach ihrer Ankunft in Florenz war Simonetta zu einer bekannten und wichtigen Figur der florentinischen Gesellschaft aufgestiegen. Dank Lucrezia. Simonettas Tage waren nicht mehr einsam, sondern voller gesellschaftlicher Verpflichtungen. An manchen Tagen besuchte sie sogar jede Stunde eine andere ihrer neuen Freundinnen, um sich auszutauschen. Irgendwie hatte Simonetta erwartet, dass diese Gespräche sie nach einer Weile langweilen würde. Aber anders als die Welt der Götter schien Florenz vor lauter Neuem überzusprudeln und Simonetta begann sich unter diesen Menschen heimisch zu fühlen.
Vier Monate nach ihrer Ankunft saß sie in Lucrezias Salon und hörte sich den neuesten Klatsch von Florenz an. Plötzlich setzte ihr Herz einen Schlag aus und Lucrezias fröhliche Stimme schwand dahin. Simonettas Atem ging unregelmäßig, ihr Körper zitterte und sie brauchte all ihre Kraft, um die heftige Reaktion ihres Körpers vor der sterblichen Zeugin geheim zu halten. Denn Simonetta fühlte, wie die mittlerweile vertraute Gegenwart die Stadt betrat und ihr Körper reagierte auf seine unerwartete Nähe sogar noch heftiger als bei ihrer eigenen Ankunft vor vier Monaten. Wie eine kleine Ewigkeit fühlte sich die Zeit seit seiner Abreise an und sie würde lügen, wenn sie sagte, dass sie nicht jeden einzelnen Tag seitdem gezählt hätte. Zu viele Nächte hatte sich ihr verräterisches Herz still nach ihm verzehrt. Aber sie vertraute ihren eigenen Sinnen nicht ausreichend.
Unauffällig zog sie ihren Weinkelch näher an sich heran und sobald ihre Fingerspitzen die blutrote Flüssigkeit berührten, erschien durch ihre Magie sein hübsches Gesicht in dem sich kräuselnden Wein. Sein Bild war so klar. Er war wieder in Florenz. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht auf. Nun hatte sie endlich die Gelegenheit ihm und ihren Gefühlen für ihn auf den Grund zu gehen.
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