Kapitel 6
Lorenzo fing an ihm auf die Nerven zu gehen, mehr als es der Gesundheit des törichten Sterblichen zuträglich war. Warum konnte er nicht einfach die Grundregeln lernen? Apollo war ein Gott. Unsterblich. Höher. Er erwartete, dass sich der Sterbliche auch so verhielt. Aber was tat dieser Sterbliche? Immer noch behandelte er ihn wie seinen kleinen, sterblichen Bruder und erwartete von ihm seine wahre Stärke zu verbergen, sodass Lorenzo derjenige sein würde, der heute den Sieg davontragen würde. Und natürlich hatte er dies von ihm nur wegen Lucrezia Donati verlangt – einer Frau, die Lorenzo niemals wirklich besitzen konnte, weil sie bereits verheiratet war. Liebe war schon immer grausam gewesen. Apollo wusste dies besser als jeder andere.
„Ich gehöre nicht in den Schatten meines kleinen Bruders", belehrte ihn Lorenzo gerade und unterbrach Apollos Gedanken. „Giuliano weiß das."
„Oh, aber du bist doch bereits in meinem Schatten, mein lieber Bruder", entgegnete Apollo und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Abrupt blieb Lorenzo auf der Stelle stehen und hob eine Augenbraue. Immer noch grinsend deutete Apollo zur Sonne. Während Lorenzo genervt die Augen verdrehte, blickte er sich gleichzeitig um, um sich zu versichern, dass sie nicht belauscht wurden. Erst dann setzte sich der Medici wieder in Bewegung. Apollo hinderte sich selbst daran loszulachen. Ja, Lorenzo war ein ausgesprochen anstrengender Sterblicher und er neigte dazu, ihn zur Weißglut zu bringen, aber er war auch ein besonders witziges Exemplar. So war Lorenzos Anwesenheit für ihn letztendlich einigermaßen annehmbar.
Aus dem Augenwinkel beobachtete Apollo, wie Lorenzo versuchte ihre letzte Unterhaltung zu verarbeiten und gleichzeitig seinen Geist nach einer guten Antwort durchforstete. Mit Worten konnte Lorenzo sehr gut umgehen. Er war nicht so gut wie die Dichter, mit denen er einen großen Teil seiner Zeit verbrachte, aber er war gut genug ein paar sehr unterhaltsame Gedichte zu verfassen und Apollo war nun mal auch der Gott der Dichtkunst. Er erkannte gute Dichtung, wenn sie ihm unter die Nase kam.
In Schweigen gehüllt erreichten sie ihr Zelt und in Schweigen bereitete sich ein jeder von ihnen für sich auf das Turnier vor. An einem modernen Turnier hatte Apollo noch nie zuvor teilgenommen. Sein letzter Wettstreit war ein Dichtwettstreit gegen den römischen Kaiser Nero gewesen und seitdem war einfach viel zu viel Zeit verstrichen. Natürlich hatte Apollo diesen Wettstreit gewonnen und Nero war so beschämt gewesen, dass er jeden einzelnen Zeuges seiner schmachvollen Niederlage hinrichten ließ. Verglichen mit Nero war Lorenzo ein süßes, kleines Lamm.
Apollo war sehr aufgeregt und jede Faser seines Körpers war bereit für diese neue Erfahrung. Er konnte es gar nicht abwarten endlich an dem Turnier teilzunehmen. Ohne es selbst zu bemerken begann Apollo ein altes Lied von einem seiner liebsten, griechischen Dichter zu summen. Natürlich handelte es sich dabei um einen Hymnos, der an ihn selbst gerichtet war.
„Hör zu", sagte Lorenzo und drehte sich zu ihm, damit er ihm tief in die Augen blicken konnte. Sofort wurde Apollo wieder still und seine Finger, die gerade dabei waren die Knöpfe seiner Jacke zu schließen, hielten mitten in der Bewegung inne. Lorenzo war bereits vollständig gekleidet – nun, er hatte auch mehr Übung im Tragen von Hosen, Hemden und Jacken. Apollo war sich sicher, dass Lorenzo vollkommen hilflos sein würde, wenn er einmal einen Chiton oder eine Toga alleine anlegen müsste. Aber immerhin hatte Apollo es beinahe geschafft sich selbst anzukleiden.
„Bitte, verhalte dich wie ein Mensch", Lorenzos flehende Stimme war nicht mehr als ein leises Wispern und Apollo konnte die Angst in den Augen des Sterblichen sehen. Für Lorenzo war dieses Turnier kein neues Abenteuer oder ein neues, aufregendes Spiel, mit dem er seine Langeweile vertreiben konnte. Für Lorenzo war dieses Turnier ein sehr wichtiges politisches und soziales Ereignis und im Gegensatz zu Apollo erwartete von Lorenzo jeder, dass er den Sieg erringen würde. Aber in ganz Florenz gab es niemanden, der seinen Sieg mehr erwartete als sein eigener Vater. Es stimmte, dass Lorenzo meist die Würdigung von Apollos oder Giulianos Leistungen erhielt. Aber egal was Lorenzo auch tat, für Piero war es nie genug. Nur zu gut kannte Apollo dieses Gefühl und den Druck.
Apollo konnte nicht länger dem Blick des Sterblichen standhalten. Also schaut er zu Boden und nickte stumm.
„Ich danke dir, Apollo", flüstere Lorenzo, bevor er sich umdrehte und endlich das Zelt verließ. Mit ihm ging auch die Anspannung und sofort war Apollo wieder aufgeregt und glücklich. Rasch schloss er die noch offenen Knöpfe seiner Jacke und strich den Stoff glatt. Steige auf und strahle, sagte er sich selbst mit einem Grinsen und folgte Lorenzo. Augenblicklich begann die Menge zu toben und begeistert ihre Namen zu rufen. Oh Götter, wie sehr hatte Apollo es vermisst.
Apollo hätte es nie für möglich gehalten, dass dieses Turnier so verdammt langweilig sein würde. Die anderen Kämpfer brauchten Jahre, um ihre Partner zu erhalten und die Richter verschwendeten so viel Zeit damit die Regeln zu erklären und der Menge die zugeteilten Kämper zu präsentieren und noch eine ganze Reihe nervige Dinge zu tun, sodass Apollo kurz davor war auf dem Absatz umzukehren und in seinem Zelt zu verschwinden, bis sein eigener Kampf endlich beginnen würde. Das Ganze ging ihm gehörig auf die Nerven, weil sein ganzer Körper vor Anspannung zitterte. Sein Körper sehnte sich danach für die Ehre der Medicifamilie zu kämpfen und diese Schwachköpfe verschwendeten seine kostbare Zeit in Giulianos Körper. Die schreiende und ihn anfeuernde Menge war großartig, aber sie schreien und feuerten auch andere Teilnehmer an und Aufmerksamkeit hatte Apollo noch nie gerne geteilt. Als Gott hatte er diese bereits zu oft teilen müssen. Aber diesen Umstand jetzt zu erdulden war sogar noch nerviger, weil er Lorenzo versprochen hatte sich wie ein Mensch zu verhalten und er dieser untreuen Menge keine Lektion erteilen konnte, auf dass sie in Zukunft loyaler zum Namen Medici stehen würden. Eine Schande. Wirklich. Es wäre eine Möglichkeit gewesen der Veranstaltung ein bisschen einzuheizen. Aber ein Versprechen war ein Versprechen und Apollo versuchte nicht zu viele seiner Versprechen zu brechen.
Endlich standen die Kämpfer für die erste Runde fest und Apollo war überrascht, dass ihm Guglielmo de' Pazzi zugeteilt worden war, während Lorenzo Guglielmos kleinen Bruder Francesco bekam. Francesco de' Pazzi war ein riesiger Idiot mit dem Selbstbewusstsein eines Gottes und dem Aussehen eines Gnomes. Jede einzelne Bewegung von Francesco provozierte Apollos göttliche Natur und er genoss es den Sterblichen in seine Schranken zu weisen. Angefangen hatte er mit einem sehr einfachen, aber effektiven Spitznamen: Franceschino. Vielleicht war es wirklich das Beste, wenn Lorenzo gegen Francesco antreten würde. Gegen den jüngeren Pazzi würde Apollo sich nicht zurückhalten können.
Die erste Runde begann und Apollo konzentrierte sich auf die Kämpfe. Er musste die modernen Regeln dieses Wettkampfes verstehen und dies konnte er am besten, wenn er den Anderen beim Kämpfen zusah und ihre Strategien analysierte. Denn anders als Ares oder Athene war er nicht von Natur aus bereits ein großartiger Kämpfer und Stratege. Aber er hatte sie lange genug beobachtete, um sich ein paar Dinge von ihnen abzuschauen und mittlerweile war er selbst auch ein hervorragender Kämpfer. Natürlich war es nicht so, als ob die anderen Götter dies bemerkt hätten. Aber er hatte es weder für sie noch für seinen Trottel von Vater getan. Er hatte dies ganz für sich getan und er liebte es zu sehen, wie andere ihn unterschätzten, um sie eines Besseren zu belehren. Apollo war der Gott der Sonne, der Dichtkunst, der Heilkunst und der Weissagung. Für jeden einzelnen dieser Titel hatte er gearbeitet, aber Sterbliche und Götter schienen dies zu vergessen, weil sie in ihm nur ein weiteres, hübsches Gesicht sahen.
In ein paar Runden würde sein eigener Kampf gegen Guglielmo beginnen und Apollo begann sich auf sich selbst zu konzentrieren. Mittlerweile hatte er genug gesehen und in seinem Kopf hatte er sich bereits eine Strategie zurechtgelegt, wie er gewinnen konnte, ohne dadurch Lorenzo in seinen Schatten zu verbannen. Jedes System hat einen wunden Punkt und er musste herausfinden, welcher Guglielmos war. Apollo war so tief in Gedanken versunken, dass er nicht registrierte, wie eine neue Welle der Begeisterung die Menge ergriff. Er bemerkte weder die Ankunft einer sehr schönen, unbekannten Frau noch fühlte er die Anwesenheit der Göttin, die sich im Körper der Sterblichen versteckte. Alles, was er fühlte, war er selbst. Seine göttlichen Kräfte prickelten direkt unter der sterblichen Haut und wurden ungeduldig in ihrem Fordern freigelassen zu werden.
So sehr konzentrierte er sich darauf die Kontrolle zu behalten, dass er sie vor Überraschung beinahe verlor, als er das vertraute Gefühl von göttlichen Kräften registrierte, die ganz in seiner Nähe benutzt wurden. Sofort sah er sich nach Lorenzo um und für eine Sekunde wollte er sich schützend vor den Sterblichen werfen. Aber bevor er reagieren konnte, wurden die göttlichen Kräfte abgestellt und Apollo war erleichtert, dass niemand Lorenzo Schaden zugefügt hatte. Was stimmte nicht mit ihm? Apollo scherte sich nicht um diesen törichten Sterblichen. Aber warum hatte er plötzlich dieses Verlangen gespürt ihn zu beschützen? Bevor ihm eine kleine Stimme in seinem Kopf die Antworten auf diese Fragen zuflüstern konnte, erinnerte sich Apollo an die Präsenz, die er am Tag zuvor gespürt hatte. Wie hatte er nur vergessen können, dass es eine weitere Gottheit in Florenz gab? Dieses Flackern göttlicher Kraft hatte den gleichen Geschmack wie die Präsenz. Der andere Gott musste ihm nun sehr nah sein. Seinen Sinnen folgend überraschte es ihn, dass er sie nicht schon viel früher wahrgenommen hatte. Ihre Präsenz war überwältigend. Die andere Gottheit musste sehr, sehr mächtig sein. Vielleicht so mächtig wie er.
Und dann sah er sie. Sie saß auf der Tribüne und augenblicklich trafen sich ihre Blicke. Ihre großen, blauen Augen weiteten sich vor Schock und sie öffnete unmerklich ihren Mund. Ihm war, als würde ihr kleines Aufkeuchen sein Gesicht treffen. Noch nie zuvor hatte er dieses Gesicht gesehen. Aber Apollo hatte lange genug unter Menschen gelebt, um zu wissen, dass ihr Gesicht mehr als nur menschlich war. Ihre göttliche Seele hatte den sterblichen Körper bereits geformt und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis ihre Seele aus ihrem sterblichen Gefängnis ausbrechen würde. Götter waren nicht dazu bestimmt sich in den Körpern der Sterblichen aufzuhalten.
Das Gesicht der Sterblichen musste bereits sehr schön gewesen sein, bevor sie von ihrem Körper Besitz ergriffen hatte. Aber mittlerweile hatte das Gesicht etwas Engelsgleiches, Himmlisches, um nicht zu sagen etwas Göttliches bekommen. Jedoch fühle er genau, dass sie viel mehr als nur ein hübsches Gesicht war. Eine Welle des Begehrens durchströmte seinen Körper und für einen Moment wünschte er sich nichts sehnlicher als zu ihr herüberzugehen und mit ihr zu sprechen. Es war einfach nicht genug, sie nur aus der Ferne zu sehen. Er musste ihr nah sein. Er musste herausfinden, wer sie war, weil er fühlte, dass sie... Er fühlte, dass sie der Schlüssel zu allem war, was er immer zu erfahren begehrt hatte. Sie war das fehlende Teil. Was auch immer dies für sie beide bedeutete.
„Jetzt bist du an der Reihe, Giuliano", schrie Lorenzos Stimme in sein Ohr und nur so konnte sein magischer Moment mit der maskierten Göttin gestört werden. Verwirrt blinzelte Apollo Lorenzo an, ehe er sich erinnerte, warum er überhaupt hier umgeben von so vielen schreienden Menschen war. Nun war es an der Zeit sich ein bisschen mit diesen Sterblichen zu vergnügen. Später würde er sich mit der Göttin beschäftigen und vielleicht würde er dann sein Vergnügen auch mit ihr haben.
Mit einem selbstbewussten Lächeln saß Apollo auf seinem Pferd auf, richtete sich zu seiner vollen Größe im Sattel auf und nahm seine Waffe aus den Händen eines Dieners. Götter, wie sehr hatte er das vertraute Gewicht eines Speers in seinen Händen vermisst und der frischer Schub Energie durchströmte seinen Körper. Seine Sinne waren geschärft und seine Haut prickelte vor Kampfeslust.
In dem Moment, in dem er das Zeichen bekam, gab er seinem Pferd die Sporen und das erste Vergnügen begann. Wie von selbst formten sich seine Lippen zu einem umwerfenden Lächeln. Sein Blick kreuzte Guglielmos und er wusste, dass er diese Runde nicht nur für den Ruf der Medici oder des Jungens gewinnen würde. Was er gerade tat – er tat es nur für sich selbst. Viel zu früh traf seine Lanze Guglielmos Schild, wodurch sein Gegner das Gleichgewicht verlor. Apollo schloss die Augen und genoss die frisch durch seinen Körper pulsierende Kraft. Die tobende Menge schrie seinen Namen und er verlor sich selbst in ihrer Bewunderung. So lebendig hatte er sich seit Jahrhunderten nicht mehr gefühlt.
Als er seine Augen wieder aufschlug, blickte er direkt in ihre geheimnisumwobenen Augen. Dieses Mal las er in ihnen keine Angst. Er konnte nicht sagen, ob sie von seinen Fertigkeiten beeindruckt gewesen war oder nicht. Sie sah ihn so intensiv an, als ob sie direkt in seine Seele blicken würde. Neugierde flackerte für einen flüchtigen Augenblick in ihren Augen auf, die bereits mit dem nächsten Schlag ihrer langen Wimpern erlosch. Aber dies genügte ihm, um zu wissen, dass sie ihn ebenso gerne durchschauen wollte, wie er durch ihre sterbliche Maske auf die Göttin blicken wollte.
Sein Pferd stoppte er, bevor er mit der ersten Sitzreihe kollidierte. Sie war ihm nun so nah. Spielerisch zwinkerte er ihr zu, bevor sein Blick zu dem Mann huschte, der direkt neben ihr saß. Die neue Frau an Marco Vespuccis Seite war eine Göttin. Mit einem kleinen Lächeln nickte er Vespucci zu, dann wendete er sein Pferd und kehrte in sein Zelt zurück.
Wie die Sonne war er aufgestiegen und hatte in seiner Runde gestrahlt. Aber nun musste er sein Versprechen halten. In seiner eigenen, kleinen Runde gegen Franceschino würde Lorenzo de' Medici ihn überstrahlen. Dafür hatte Apollo gesorgt. Jetzt hatte der Gott der Sonne ein neues Ziel, welches er um jeden Preis erreichen wollte. Dem weiteren Verlauf des Wettkampfes konnte er nicht länger verfolgen und ehrlich gesagt, interessierte er ihn einfach nicht mehr. Er konnte seine Augen einfach nicht mehr von ihr abwenden. Sie war sein Mysterium, sein neues Abenteuer und hoffentlich auch sein kostbarster Triumph.
Das Turnier war für die Medici ein großer Erfolg gewesen. Aber das Turnier war nichts im Vergleich zu dem Bankett, welches die Medici im Anschluss veranstalteten, um ihren Sieg zu feiern. Apollo wünschte sich sagen zu können, dass die Feiern der Medici genau so waren, wie er sich eine vollkommene Feier vorstellte. Aber Apollo hatte vermutlich einfach nur zu viele griechische Symposia und römische Conviva besucht, als dass er nun wirklich offen für diese Art von Feier war. Ihm fehlten die für ein Symposion so typischen tiefen, philosophischen Gespräche und die traditionellen Wettkämpfe. Ihm fehlten die vollkommenen Gerichte eines römischen Convivums. Aber was ihm am meisten fehlte war das Liegen. Alles, was er auf einer Medici Feier tat, war herumstehen oder tanzen. Nur das Abendessen war die einzige Gelegenheit, an der er sich wenigstens einmal hinsetzen konnte. Wie konnte sich nur eine solch kultivierte Gesellschaft derart verändern, dass man sein Essen nicht mehr im Liegen, sondern im Sitzen einnahm? Brauchten diese Sterblichen wirklich keine Pause von dem ganzen Herumgestehe und Gequatsche? Er vermisste seine Liege mehr, als er sollte.
Aber das heutige Bankett war anders. Sein ganzer Körper vibrierte vor Aufregung. Nur mit halbem Ohr lauschte er den verschiedenen Reden, die Lorenzos Sieg priesen. Sie war hier. Ganz deutlich fühlte er, dass sie ihm ganz nah war, aber er konnte sie noch nicht sehen. Langsam ließ er seinen Blick immer wieder über die versammelten Gäste wandern und endlich konnte er einen Blick auf ihr purpurnes Kleid erhaschen. Ihr Kleidungsstil war fast schon ironisch. Purpur war schon immer die Farbe der Götter. Vielleicht sollte auch er öfter Purpur tragen.
Aus dem Nichts erschien Marco Vespucci neben ihm und Apollo musste all seine Selbstkontrolle zusammennehmen, damit er ihm nicht zu viele Fragen über seine Frau stellte. Er durfte nicht riskieren zu viel Interesse zu zeigen, sonst würde es nur verdächtig aussehen. Vespucci konnte sich doch nicht über ihre wahre Identität im Klaren sein, oder doch?
Vespuccis Frau war von den Frauen des florentinischen Adels umgeben und aus dem Augenwinkel registrierte Apollo jede einzelne ihrer Bewegungen. Mechanisch lauschte er den Gesprächen um sich herum und ab und zu war er in der Lage ein paar eigene Kommentare einfließen zu lassen. Aber was er wirklich tat, war auf seine Chance zu warten mit ihr zu sprechen. Sie musste sein indiskretes Starren bemerkt haben, denn mit einem Schlag spannte sich ihr ganzer Körper wachsam an. Nur für einen Wimpernschlag kreuzten sich ihre Blicke und er sah Angst in ihren ozeanblauen Augen aufflackern sehen. Warum fürchtete sie sich vor ihm? Kannten sie sich etwa?
Bevor Apollo sich in den Tiefen ihrer Augen verlieren konnte, wandte sie den Blick ab und schenkte ihre ganze Aufmerksamkeit Lucrezia Donati, Lorenzos Geliebte. Gut. Sie knüpfte schnell die richtigen Verbindungen. In kürzester Zeit würde sie zur Oberschicht der Stadt gehören.
Apollo bemerkte, dass Sandro Botticelli, ein sehr talentierter Maler, der gerade neben ihm stand, seinem Blick gefolgt war und sie nun mit so viel unverhohlener Bewunderung in den weit aufgerissenen Augen anstarrte, dass Apollos Herz einen Schlag aussetzte. Ein sehr vertrautes, sehr unschönes Gefühl durchströmte seinen Körper und vernebelte seine Gedanken. Aber bevor er etwas Unhöfliches unternehmen konnte, legte Sandro eine Hand auf seinen Arm und hielt ihn zurück. Zum ersten Mal, seit sie den Raum betreten hatte, war Apollo in der Lage die Augen von ihr abzuwenden und sich vollkommen auf den Sterblichen an seiner Seite zu konzentrieren. Sandros Gesicht glich dem eines Kindes, welches endlich das Geschenk bekam, nachdem es sich schon so lange gesehnt hatte. Er sah aus, als wären mit einem Schlag all seine Träume wahr geworden. So schnell wie die Eifersucht in seiner Brust emporgekrochen war, verrauchte sie. Auf Sandro konnte er einfach nicht böse sein. Es war nicht die Schuld des Künstlers, dass sie göttlich vollkommen war und es wäre ungerecht Sandro für die Gefühle zu hassen, die Apollo selbst ebenfalls empfand.
„Venus", wisperte Sandro aufgeregt und Apollo verdrehte die Augen. Jede abgesehen von ihr, flehte er die Schicksalsgöttinnen an, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf Sandro richtete und ihn bat diese Aussage näher zu erklären.
„Kannst du es nicht sehen, Giuliano?", wollte der Künstler ungläubig wissen. „Hast du jemals solch eine Schönheit in nur einer Frau vereint gesehen? Sie ist perfekt. Sieh nur, wie erhaben jede einzelne ihrer Bewegungen ist. In dem Augenblick, in dem ich sie erblickt habe, wusste ich, dass ich sie malen muss. Kannst du nicht sehen, wie das azurblaue Wasser hinter ihr gegen die Küste Zyperns schlägt, während sie aus den Wellen steigt wie eine Göttin?"
„Bitte, hör einfach auf zu reden", flehte Apollo genervt und versuchte die von Sandro heraufbeschworenen Bilder aus seinem Kopf zu bekommen. Er hatte sich nie wirklich für Aphrodites Geburt interessiert, aber... Sandros Worte waren zu farbenfroh und nun musste er Aphrodite unbedingt aus seinen Gedanken verbannen, bevor sie es bemerken und erneut ihre Wut auf ihn entflammt werden konnte. Gegen sie konnte er nicht gewinnen. Das hatte er nie und er wollte sie nie wieder zur Gegnerin haben. In den letzten Jahrhunderten hatte sie ihn und den Rest des Olymps ignoriert und wenn es nach ihm ging, konnte sie ihm noch weitere tausend Jahre aus dem Weg gehen. All ihre Schönheit konnte ihn nicht den Schmerz vergessen lassen, den er durch ihre Grausamkeit erfahren hatte.
Sandro blicket ihn so verletzt an, dass Apollo sich augenblicklich schuldig fühlte. Schon immer hatte er eine Schwäche für Dichter und Künstler gehabt und Sandro war einer der angenehmsten Sterblichen, denen Apollo in seinem unsterblichen Leben jemals begegnet war.
„Hör zu, mein Freund", sagte er in einem sanfteren Ton. „Sie ist eine verheiratete Frau und ihr Mann steht nur wenige Schritte von uns entfernt. Du kannst über sie nicht so reden, solange wir nicht allein sind. Was, wenn ihr Ehemann dich hören würde? Behalte deine Gedanken einfach für dich, in Ordnung?"
Sandro nickte schwach, aber er konnte die Augen noch immer nicht von ihr abwenden. Automatisch wanderte Apollos Blick ebenfalls zu ihr zurück und er fühlte Wut in sich aufsteigen. Ihr ganzer Körper war angespannt, aber ihr Lächeln war so bezaubernd, dass seine Knie weich wurden. Selbst in einer sterblichen Hülle strahlte sie heller als die Sonne. Götter, wer auch immer sich in diesem sterblichen Körper versteckte, musste sogar in ihrem eigenen Körper noch schöner sein.
Plötzlich war Lucrezia dabei sich von ihr zu entfernen und Apollo trat automatisch nach vorn. Ein strahlendes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Aber im nächsten Herzschlag war die Schönheit bereits wieder mitten in ein Gespräch mit einer anderen Adligen vertieft. Galant hatte sie ihm den Rücken zugekehrt, aber er konnte schwören, dass sie dies mit voller Absicht getan hatte.
Immer noch lächelnd drehte er sich um und legte eine Hand auf Sandros Schultern. Zwei können dieses Spiel spielen, Kleines.
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