Kapitel 33
Unbarmherzig kalt schnitt ihm der Wind ins Gesicht. Hastig schlüpfte er in seine Jacke und stellte den Kragen auf, um seinen Hals vor der Herbstluft zu schützen. Sofort stieg ihm ihr blumiger Duft in die Nase. Seufzend schloss Giuliano die Augen und nahm sich einen Augenblick, um ihren vertrauten Geruch zu genießen. Mit einem Lächeln fantasierte er, wie sie sich in seiner ihr viel zu großen Jacke auf ihr Bett legte und über sein Geständnis so lange grübelte, bis sie eingeschlafen war. Dann schlug er die Augen auf, verdeckte seine teure Kleidung unter einem schlichten Umhang und ließ sich seine Kapuze tief ins Gesicht fallen. Früh hatte Giuliano gelernt, wie er über die nächtlichen Straßen von Florenz wandeln konnte, ohne Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Jede Nacht außerhalb der Mauern des Palazzos seiner Familie war ein Abenteuer, das nur ihm gehörte.
Doch seit er wusste, dass sein Bruder Lorenzo ihn beobachten ließ, fühlte er sich nicht mehr frei. Von Anfang an war ihm klar gewesen, dass er seine Besuche bei den Gorini nicht würde geheim halten können. Aber nie im Traum hatte er sich vorstellen können, dass sein Lorenzo seine Männer auf ihn ansetzen würde. Noch nie in seinem Leben hatte er sich von seinem eigenen Bruder verraten gefühlt – nicht einmal, als dieser ungefragt den Handel mit Apollo abschließen wollte.
Während sich Giuliano immer weiter von Fiorettas Haus entfernte, kamen seine Ängste und Sorgen wieder hoch. Nur zu deutlich hatte sie ihm signalisiert, dass sie noch nicht bereit war ihm seine Geschichte zu glauben. Aber hatte er wirklich etwas anderes erwartet? Immerhin hatte er sie erst gestern in sein größtes Geheimnis eingeweiht. Gewiss brauchte sie einfach nur mehr Zeit, um über seine Worte nachzudenken, ehe sie eine Entscheidung fällen konnte. Ganz gleich wie diese ausfallen würde, Giuliano würde sie akzeptieren und respektieren.
Um sich abzulenken, spielte er immer wieder die Szene an ihrer Haustür im Kopf durch. So bestimmt und energisch hatte er sie noch nie erlebt. Mit einem Lächeln erinnerte er sich an die Autorität, die sie ausgestrahlt hatte, als sie den Türwächter mit einer einzigen Handbewegung zum Schweigen gebracht hatte. In diesem Augenblick hatte sie ihn an seine Mutter erinnert. Fioretta war alles, was er sich von einer Ehefrau wünschte. Sie war ebenso klug wie hübsch, sodass er sich nicht nur an ihrem Anblick erfreuen, sondern auch auf ihren Rat vertrauen konnte. Sie war ehrlich, loyal und natürlich. Außerdem erregte sie in ihm Gefühle, von denen Giuliano nie gedacht hatte, dass ein Mensch so empfinden könnte - vor allem nicht er. Sie weckte in ihm nicht nur das Bedürfnis sie zu beschützen, sondern auch für eine gemeinsame Zukunft zu kämpfen. Aber er hätte nie damit gerechnet, dass ausgerechnet Lorenzo seine Wahl nicht unterstützen würde. Nach allem, was sie gemeinsam erlebt und füreinander getan hatten, war er enttäuscht von der Ablehnung seines Bruders. Doch dieses Problem würde er lösen, sollte sich Fioretta dazu entscheiden ihm zu glauben und sich darüber hinaus auch noch auf ein Leben mit ihm einlassen wollen. Mit ihr gemeinsam würde er alles schaffen können.
Mit jedem Atemzug inhalierte er ihren Geruch und kam sich weniger allein vor. Als er durch die Hintertür den Palazzo seiner Familie betrat, traf ihn eine Welle der Wärme. Eilig zog er den schäbigen Umhang aus und richtete seine Jacke. Vermutlich hätte er sie ebenfalls ablegen sollen, aber er war noch nicht bereit ihren Geruch abzustreifen.
Wahrscheinlich hätte er nun in die Küche gehen und sich etwas zum Essen nehmen sollen. Doch er verspürte keinen Hunger und so machte er sich auf den Weg in sein Zimmer. Lässig schlenderte er durch die vertrauten Gänge seines Zuhauses und lauschte. Aber seine Familie musste schon zu Bett gegangen sein, denn seine Schritte waren das einzige Geräusch, welches an sein Ohr drang.
Entspannt steckte er die Hände in die Taschen seiner Jacke. Mit einem Schlag war er hellwach. Irgendetwas befand sich in seiner linken Jackentasche. Neugierig tastete er danach und nahm gar nicht wahr, wie er seine Zimmertür mit dem Ellbogen öffnete und seine Gemächer betrat. Aufgeregt fuhren seine Fingerspitzen über das Material, das sich glatt und warm an seiner Haut anfühlte. Automatisch griff er danach und zog es heraus. Der Gegenstand war ein Pergamentfetzen, der einmal in der Mitte gefaltet war. Neugierig trat er ans Fenster in den schwachen Schein des Mondlichts und entfaltete das Stück. Die dunkle Tinte zeichnete sich deutlich von dem hellen Pergament ab und obwohl ihre Schrift schon schwer zu lesen war, wenn sie nicht in Eile schrieb und die Lichtverhältnisse besser waren, entzifferte er mühelos ihre Worte.
Gib mir einen Grund.
Sprachlos blickte er auf Fiorettas Botschaft und versuchte deren Bedeutung zu verstehen. Vorsichtig faltete er den Zettel und verstaute ihn in seiner Jackentasche. Dann schloss er die Augen und inhalierte ihren blumigen Duft. Während er so im Schein des Mondes badete, rasten seine Gedanken und nicht einmal ihr Parfum konnte seinen Geist beruhigen.
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