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Kapitel 31

Eine einzige Kerze thronte auf dem ordentlichen aufgeräumten Schreibtisch und beleuchtete die verschließbaren Schränke, hinter deren Türen die wertvollen Dokumente und Bücher lagerten, in denen ein Teil der Geschäfte der Medici-Bank erfasst und archiviert worden. Zumindest jene Aufzeichnungen, in die seine Familie der Stadt Einblicke gewährte. Die heikleren, inoffiziellen und korrekten Geschäftsbücher waren sicher in einem Geheimraum im Palazzo verstaut, zu dessen Tür nur drei Schlüssel existierten. Als Oberhaupt der Familie war der erste Schlüssel natürlich in Lorenzos Besitz, den Zweiten hütete ihre Mutter und der andere klimperte fröhlich an dem Schlüsselbund in Giulianos Jackentasche. Bisher hatte er diesen Schlüssel nur ein einziges Mal verwendet, weil Lorenzo seinen eigenen in der Bank vergessen hatte und dringend eine Eintragung vornehmen musste, während ihre Mutter gerade eine ihrer Freundin besucht hatte.
Zahlen hatten schon immer eine beruhigende Wirkung auf ihn ausgeübt und normalerweise machte es ihm nichts aus Apollos Arbeit zu überprüfen. Doch seitdem er nach Florenz zurückgekehrt war, warf er nur einen flüchtigen Blick auf die Einträge des Tages. Dann klappte er die Bücher zu, verstaute sie in den Schränken und schloss hinter sich ab. Denn die kurze Zeit, die ihm in seinem eigenen Körper zur Verfügung stand, musste er dafür nutzen, um für sie zu kämpfen. Es reichte schon, dass alle anderen Bereiche seines Lebens von seiner Familie bestimmt wurde. Diese eine Entscheidung würde und musste er selbst treffen.
Zum Abschied nickte er einem Bankier zu, dessen Name er nicht kannte, weil dieser sich nur Apollo vorgestellt hatte. Als er auf die Straße trat, hatte er das Gefühl freier atmen zu können. Für einen Moment schloss Giuliano die Augen und sog die reine Nachtluft tief in sich ein. Nach der abgestandenen und stickigen Luft des Kontors war die kühle Frische eine Wohltat für seinen Körper und seinen Geist. Mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen beobachtete er, wie sein Atem als Dampf vor seiner Nase aufstieg, ehe er sich auf seinen mittlerweile gewohnten Weg begab.
Doch an diesem Abend wurde er enttäuscht. Der Torwächter gab ihm deutlich zu verstehen, dass die Herrschaften keinen Besuch empfangen würden und so tröstete sich Giuliano auf dem Heimweg, dass er es wenigstens versucht hatte. Auch wenn er bezweifelte, dass der Mann den Gorini seine Nachricht überbringen würde. Sein Gespräch mit der Göttin der Liebe hatte ihm neue Hoffnung und seinem menschlichen Dasein wieder einen Sinn gegeben. Endlich gab es wieder etwas, worum es sich zu kämpfen lohnte.
Der Abstecher zum Haus der Gorini war zu einem abendlichen Ritual geworden. An den meisten Abenden veranstaltete der Hausherr Abendessen für seine Freunde und da es sich bei ihnen fast ausschließlich um Intellektuelle handelten, die häufig erst zu später Stunde erschienen, war Giuliano selten der letzte Gast, der zu diesen Runden dazustieß. Nur mit Fioretta hatte er seit ihrem Streit auf dem Land kein privates Gespräch mehr führen können. Denn obwohl ihr Vater jedes Mal seiner Bitte nachkam und sich der junge Bankier neben die schöne Tochter des Gastgebers setzen durfte, tauschte sie mit ihm nur einige belanglose Floskeln aus, bevor sie ihn ignorierte und sich kurze Zeit nach seinem Erscheinen auf ihr Zimmer zurückzog. Jeden Abend hatte er nach ihrem Verschwinden auf eine Gelegenheit gewartet ihr zu folgen, aber es hatte sich keine ergeben und so übte er sich in Geduld.
Gedankenversunken schlüpfte Giuliano durch den Hintereingang und atmete die Gerüche seines Zuhauses ein. Das Abendessen hing noch in der Luft und brachte seinen Magen zum Knurren. Warum konnte Apollo nicht besser auf die Bedürfnisse seines sterblichen Körpers achten? Jeden Abend war er vollkommen ausgehungert, wenn er in sein eigenes Leben zurückkehrte.
Auf spitzen Zehen schlich er durch den schmalen Gang zur Küche und schnappte sich eine Hühnerkeule, die seine Familie freundlicherweise für ihn übrig gelassen hatte. Lächelnd setzte er sich wie ein kleiner Junge auf die hölzerne Arbeitsplatte und begann sein einsames Abendessen. Beim ersten Bissen merkte er, dass es sich um Fasan handelte. Auch kalt war er köstlich und prächtig. Ganz nach Lorenzos Geschmack. Die Speisen im Hause Gorini waren simpel und schmackhaft. Ganz nach Giulianos Geschmack. Eines Tages würde er in seinem eigenen Haus wohnen und nur das zu sich nehmen, was ihm wirklich schmeckte. Doch bis er so weit war den Palazzo seiner Familie hinter sich zu lassen, würde er sich Lorenzos Vorlieben beugen müssen.
Rasch füllte Giuliano einen Becher mit Wein und spülte den teuren Protzvogel seine Kehle hinunter. Nachdem er sein Mahl beendet hatte, wusch er sich die Hände und widmete sich dann ganz seinem Gesöff. Die Enttäuschung des Abends hatte zu viele negative Gefühle und Gedanken in ihm hervorgerufen, die er nun betäuben musste und in seinen schwachen Momenten verfiel er immer in seine alten Muster. Denn mit jeder weiteren Nacht, die er ohne ein richtiges Gespräch mit Fioretta verschwendete, wuchs seine Angst, seine Chance auf eine glückliche Zukunft mit ihr verloren zu haben. Wenn er ihr zu viel Raum gab, würde sie ihn niederschmettern und zerstören, bis in ihm nichts mehr übrig war, das er Fioretta hätte geben können.
„Schon zurück?", ertönte eine sanfte Stimme hinter ihm. Ertappt schrak Giuliano zusammen, sprang von der Arbeitsplatte, stieß dabei beinahe seinen Weinkelch um und drehte sich zur Sprecherin um. Auf der Schwelle stand Clarice und rieb sich müde die Augen. Die Arme hatte schon wieder ein Kind von seinem Bruder empfangen, nachdem sie ihm erst am Anfang des Jahres die kleine Luisa geboren hatte. Dies war nun ihre siebte Schwangerschaft. Tiefe Schatten lagen unter ihren Augen und ihre Haut wirkte selbst im schwachen Licht der Kerzen fahl.
„Solltest du dich nicht ausruhen?", erkundigte er sich und verfluchte seine Schwäche, als er das leichte Lallen in seiner Stimme hörte. In all den Jahren war sein Verhältnis zu seiner religiösen Schwägerin kompliziert gewesen. Clarice war das gütigste und sanftmütigste Wesen, dem er jemals begegnet war und wenn ihm jemand seine Sünden vergeben würde, dann sie. Doch sie würde niemals verstehen, was mit ihm jeden Tag aufs Neue geschah und so versuchte er ihr aus dem Weg zu gehen.
„Piero hatte einen Albtraum und er ist erst eingeschlafen, nachdem ich ihm vorgesungen habe", erklärte Clarice müde und streckte auffordernd die Hand nach einem Becher aus. Stumm schenkte ihr Giuliano von seinem Wein ein und reichte ihr das Getränk. Dankbar nickte sie ihm zu, ehe sie in kleinen Schlucken zu trinken begann. Plötzlich überkam ihm das überwältigende Bedürfnis der Situation zu entfliehen. Die schwangere Clarice erinnerte ihn nur durch ihren Anblick an all die Dinge, die sein Bruder schon in seinem Leben erreicht hatte und die sich Giuliano gerade erst zu wünschen begann. Würde er jemals beobachten können, wie die schwangere Fioretta in seiner Küche stand und sich mit seinem Wein stärkte? Wenn er nicht bald die Gelegenheit bekam mit ihr zu sprechen, sicherlich nicht.
„Warst du heute Abend gar nicht bei den Gorini?", erkundigte sich Clarice und deutete neugierig auf die abgenagten Knochen. Matt schüttelte er den Kopf. Doch dann wurde er plötzlich stutzig. Denn er hatte niemandem erzählt, wohin er jeden Abend ging. Natürlich war er nie so dumm gewesen anzunehmen, dass sein Fehlen nicht weiter auffallen würde. Aber wenn Clarice wusste, wohin er verschwand, konnte dies nur eines bedeuten.
Ohne ein weiteres Wort drängte sich Giuliano an seiner überraschten Schwägerin vorbei und stürmte direkt in das Zimmer seines Bruders. Aufgebracht riss er die Tür auf und baute sich vor Lorenzo auf, der noch an seinem Schreibtisch saß und ungerührt einen Brief schrieb.
„Du spionierst mir nach!", entfuhr es Giuliano anklagend. Aber Lorenzo verdrehte nur die Augen und bedeutete ihm zu warten, bis er sein Schreiben beendet hatte. Sein ganzer Körper begann vor Wut zu zittern und er spürte, wie er dank des Weins die Kontrolle über sich verlor. Er hatte es schon immer verabscheut, wenn sich Lorenzo mehr wie sein Vater als sein Bruder aufführte. An den meisten Tagen konnte Giuliano ihm seine Großspurigkeit und Ignoranz nachsehen, weil er genau wusste, welche Last sein Bruder schon seit Jahren für ihre Familie trug. Doch manchmal hasste er Lorenzo für all die Dinge, die er hinter seinem Rücken entschied. Wäre sein Bruder stärker gewesen, dann würde sich Giuliano nicht den Körper mit einem Gott teilen müssen.
Zornig fegte Giuliano die Dokumente vom Tisch und bekam endlich Lorenzos Aufmerksamkeit. Wenn sich Lorenzo wie sein Vater aufspielte, dann würde Giuliano ihm genau aufzeigen, was er in wenigen Jahren von Piero und Giovanni erwarten durfte.
„Wieso lässt du mich beschatten?", verlangte Giuliano zu erfahren und sah seinem Bruder tief in die Augen, weil er keine einzige Regung verpassen wollte. Doch Lorenzo wirkte nur zornig aufgrund der Störung, nicht schuldig oder gar reumütig wegen seiner Tat.
„Welche Wahl lässt du mir denn, wenn du meist erst vor Tageseinbruch nach Hause kommst und dich mir nicht anvertraust?", gab Lorenzo genervt zurück und erhob sich, um ihm ebenbürtiger zu erscheinen. Aber Giuliano war schon seit Jahren größer als sein Bruder und dieses Mal würde er sich von ihm weder einschüchtern noch verunsichern lassen. Zumal Lorenzo noch nicht einmal leugnete, ihn beschatten zu lassen.
„Wieso sollte ich dir irgendetwas anvertrauen, wenn du mir immer wieder beweist, dass ich dir nicht vertrauen kann!", erwiderte Giuliano aufgebracht. Mit einem Schlag wurde Lorenzos Gesicht rot vor Zorn.
„Ich habe dir gesagt, dass du dich von ihr fernhalten sollst!", schrie sein Bruder ihn an. Am liebsten hätte Giuliano laut losgelacht. Wann hatte er jemals den Befehlen seines Bruders blind gehorcht? Lorenzo war nicht sein Vater und es interessierte Giuliano nicht, dass er mittlerweile nach Außen das Oberhaupt der Familie war. Die Verantwortung für diese Familie, für ihre Bank und diese Stadt trugen sie seit Jahren gemeinsam, weil Lorenzo mit ihr allein niemals zurechtkommen würde! Gemeinsam mit Apollo half er seinem Bruder mehr, als er müsste, eben weil er kein unmündiger Sklave war! Niemals würde Giuliano seinem Bruder eine solche Macht über ihn geben! Solange er in seinem Körper steckte, war dies sein Leben und weder Gott noch Mensch würde ihm verbieten eigene Entscheidungen zu treffen! Niemals wieder. Eine gefährliche Mischung aus Wut und Trotz stieg in ihm auf und er zwang sich ruhig zu werden. Wenn er sich wie ein kleines Kind verhielt, hatte Lorenzo jedes Recht ihn wie eins zu behandeln.
Mit einem Seufzen strich sich Lorenzo eine Strähne seines glatten, schwarzen Haares aus dem Gesicht. Langsam wich die Zornesröte aus seinen Wangen. In versöhnlichem Ton schlug er vor: „Wenn du endlich bereit bist dich an jemand anderen zu binden, werde ich dir meine Favoritinnen nennen und mit den Familien in Verhandlungen treten."
Ungläubig starrte Giuliano seinen Bruder an und brach in schallendes Gelächter aus. Ungeduldig trommelte Lorenzo mit den Fingern auf die Holzplatte seines Schreibtisches. Sofort verging ihm das Lachen. Wieder ernst antwortete Giuliano gelassen: „Entweder heirate ich Fioretta oder keine!"
Süffisant grinsend schüttelte Lorenzo den Kopf und setzte zu einem Monolog an, der Giulianos Blut zum Kochen brachte. Wie er es hasste, wenn sein Bruder ihn so von oben herab behandelte. Würde er in ihm jemals einen gleichberechtigten Partner oder immer nur den kleinen, dummen, unerfahrenen, flatterhaften Bruder sehen? Wieso konnte er seine Emotionen nicht ernst nehmen und ihn unterstützen? Begriff Lorenzo wirklich nicht, wie schwer es für Giuliano gewesen war sich seine Gefühle für Fioretta endlich selbst einzugestehen? Erst die Göttin der Liebe hatte ihn überzeugen können, dass er seine Empfindungen nicht länger bekämpfen konnte. Von seinem großen Bruder hatte er einfach mehr erwartet. Vermutlich weil er fast sein ganzes Leben lang schon versuchte Lorenzo so zu akzeptieren und zu lieben, wie er war und ihn in allen Belangen zu unterstützen, solange dies in seiner Macht stand.
„Ich begehre sie nicht, Bruder, ich liebe sie!", schrie Giuliano, als er Lorenzos Rede schlicht nicht mehr ertragen konnte. „Ich liebe sie mit jeder Faser meines Körpers und nicht mit ihr zusammen sein zu können, ist schon eine Qual. Aber diese Ungewissheit, ob ich meine Chance auf ein Leben mit ihr bereits verloren habe, weil ich ihr im entscheidenden Moment nicht die ganze Wahrheit sagen konnte, bringt mich um!"
„Du weißt doch gar nicht, was Liebe ist!", lachte Lorenzo amüsiert und machte eine Handbewegung, die Giuliano verdeutlichen sollte, dass das Gespräch jetzt beendet wäre und er ihn nicht länger mit seinen Animositäten stören sollte, weil Lorenzo als Oberhaupt der Familie wichtigere Dinge zu tun habe.
„Weißt du es denn?", entgegnete Giuliano ruhig. „Sie ist die Frau, auf die ich mein Leben lang gewartet habe. Sie ist alles, was ich immer gesucht habe, ohne es zu wissen. Außerdem ist sie die Frau, die..."
„Die was, Giuliano?", unterbrach Lorenzo ihn ungeduldig. Giuliano atmete tief durch und nahm all seinen Mut zusammen. Dann gestand er: „Sie ist die Frau, die Aphrodite als meine wahre Liebe erkannt hat. Ihre Seele und meine sind gleich, weil wir zwei Teile eines großen Ganzen sind. Es spielt für mich keine Rolle, dass ihre Familie unter unserer steht. Denn in Florenz gibt es keine Familie, die der unseren noch ebenbürtig ist. Deshalb hat Mutter dir eine Frau aus Rom besorgt. Es gibt für mich nur sie. Warum kannst du das nicht akzeptieren und mich unterstützen?"
Lorenzos Blick war Antwort genug. Enttäuscht wandte sich Giuliano von seinem Bruder ab und verließ dessen Gemächer.
Als er auf sein Bett sank, realisierte er, was gerade geschehen war. Lorenzo verweigerte ihm seinen Segen und obwohl dies Giuliano mehr verletzte, als er bereit war sich selbst einzugestehen, brauchte er Lorenzos Erlaubnis nicht. Es war ihm egal, ob sein Bruder seine Gefühle verstand oder eine Beziehung mit Fioretta missbilligte. Lieber wollte er alles verlieren, wenn er dadurch nur sie wieder in seinem Leben haben würde.

So kämpfte er weiter. Es kümmerte ihn nicht, dass er nicht jeden Abend in ihr Haus eingelassen wurde. Er versuchte es dennoch jede Nacht und ihr Vater schien ihn langsam ins Herz zu schließen.
Als sie sich eines Abends wieder frühzeitig vom Essen zurückzog, schürzte er Unwohlsein vor und entschuldigte sich bei seinem Gastgeber. Dann huschte er in den Garten und wie er vermutet hatte, leuchtete in einem Fenster nicht weit von der Bibliothek ihres Vaters eine einsame Kerze.
Wenn er es geschickt anstellte, konnte er vielleicht von der Bibliothek in ihr Zimmer klettern. Im ersten Moment erschien ihm der Plan irrsinnig. Vermutlich war er sogar lebensmüde. Aber Giuliano war ganz sicher verzweifelt genug, um es zu versuchen. Außerdem war es nicht zum ersten Mal in einer solchen Situation und bisher hatte er jeden seiner waghalsigen Pläne überlebt.
So schlich er durch die dunklen Gänge in die Bibliothek und bevor er es sich anders überlegen konnte, öffnete er das Fenster, kletterte auf die Fensterbank und musterte den schmalen Mauerabsatz, der die untere Etage von dieser hier trennte. Ein letztes Mal holte er tief Luft, um all seinen Mut zusammenzunehmen, dann setzte er seinen Fuß auf den Absatz und tastete sich langsam nach vorn. Wie lange er sich so vorarbeitete, wusste er nicht. Doch als er endlich das Fenster mit der Kerze erreichte, ertappte er sich bei einem kleinen Stoßgebet an Aphrodite. Wer sonst konnte ihm in dieser Situation beistehen? Der Gott der Christen ganz sicher nicht.
Behutsam kletterte Giuliano auf den Fenstersims, stützte sich mit der linken Hand am Fensterrahmen und blickte direkt in Fiorettas hübsches Gesicht. Wie ein dunkler Wasserfall ergoss sich ihr schwarzes Haar über ihren Rücken.
Als sie ihn entdeckte, riss sie sofort erschrocken die Augen und den Mund auf. Beschwichtigend hob er seine freie Hand und im letzten Moment schlug sie die Hand vor die Lippen, um einen Schrei zu unterdrücken. Langsam beruhigte sie sich.
„Hast du den Verstand verloren?", zischte sie. Mit einem Satz war sie bei ihm und zog ihn in ihr Zimmer. Ihr zarter Blumenduft hüllte ihn ein und zauberte ihm ein Lächeln ins Gesicht. Automatisch zog er sie an sich und wollte schon das Gesicht in ihrem Haar vergraben, als ihm etwas sehr Wichtiges auffiel: Sie trug bereits ihr Schlafkleid, dessen Stoff sehr dünn war und seiner Fantasie wenig Spielraum ließ.
Ein letztes Mal atmete er ihren herrlichen Duft tief ein, dann trat er einen Schritt zurück, schälte sich aus seiner Jacke und legte sie ihr bestimmt um die Schultern. Verwirrt blickte sie zu ihm auf.
„Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn du so aussiehst", murmelte er heiser und wich ihrem Blick aus. Behutsam schlossen sich ihre Finger um sein Kinn und zwangen ihn ihr in die Augen zu sehen. Sie war ihm so nah. Zu nah.
„Wieso kannst du mich nicht in Ruhe lassen?", fragte sie und in ihren Augen glitzerten Tränen. Sein erster Gedanke war sie zu küssen, bis sie alles vergaß und nichts anderes mehr von Belang war. Zumindest hätte er sich so bei jeder anderen Frau verhalten. Aber Fioretta war anders. Nur sie brachte ihn dazu sich nach Dingen zu sehnen, die über das rein körperliche Begehren hinausging und deshalb musste er sie auch anders behandeln als seine übrigen Gespielinnen.
„Weil ich dich so sehr liebe, dass ich einfach nicht das Richtige tun kann", gestand er. „Ich kann mich nicht von dir fernhalten, auch wenn es besser für dich wäre. Mein Leben ist verdammt kompliziert. Aber ohne dich macht es keinen Sinn."
Sprachlos blickte sie ihn an und dann tat sie etwas, dass sie beide überraschte. Unvermittelt strich sie ihm eine wirre Haarsträhne aus dem Gesicht, nur um danach ihre Hand zurückzuziehen und sich von ihm zu entfernen. Reflexartig griff Giuliano nach ihrem Handgelenk und hielt sie fest. Unsicherheit flackerte in ihren braunen Augen auf und er musste das Bedürfnis niederringen sie beschützen zu wollen.
„Ich möchte, dass du die ganze Wahrheit über mich kennst", fuhr er mit sanfter Stimme fort. „Ich will, dass du weißt, weshalb ich mich manchmal so verhalte, als wäre ich eine andere Person. Du musst wissen, weshalb ich dir nicht sofort die Wahrheit sagen konnte, als du sie hören wolltest. Bitte, lass mich dir alles erklären und wenn du mir nicht glauben kannst, werde ich gehen und dich nie wieder belästigen."
Sie antwortete nicht sofort und nahm sich die Zeit über seine Worte nachzudenken. In ihren braunen Augen konnte er den Konflikt erkennen, der in ihr tobte. Denn obwohl sie von Natur aus sehr neugierig war und wissen wollte, was es mit ihm auf sich hatte, war ein Teil von ihr zu gekränkt und verwirrt, als dass er ihm noch eine weitere Chance zugestehen wollte.
Sein Herz hämmerte gegen seinen Brustkorb und kalter Schweiß rann ihm über den Rücken. Das Schweigen dehnte sich zwischen ihnen aus und er musste sich immer wieder ermahnen jetzt ja nicht ungeduldig zu werden. Schließlich blinzelte sie ihn kurz an, dann nickte sie und er geleitete sie vorsichtig auf den Stuhl vor ihrem Schminktisch. Denn er hielt es für besser, wenn sie saß und die einzig andere Sitzgelegenheit stellte ihr Bett da. Sobald sie Platz genommen und ihn erwartungsvoll anschaute, holte Giuliano tief Luft und mit einem Mal sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus. Er erzählte ihr alles. Die komplette, ungeschönte Wahrheit. Von seiner Krankheit. Von Lorenzos Gebet an Apollo. Von seiner eigenen Abmachung mit dem Gott. Von seinem Doppelleben. Von der Einsamkeit, die er nicht einmal mit Flirts und Wein betäuben konnte. Wie er sich immer weiter von seiner eigenen Familie entfernt hatte, weil er sie kaum noch sah. Wie er den Glauben und die Liebe zu Gott verloren hatte, weil er jeden Tag aufs Neue mit der Schönheit der überirdischen Welt konfrontiert war. Wie Simonetta in Wahrheit die Tarnung einer Göttin gewesen war, in die sich Apollo verliebt hatte. Wie Fioretta schließlich in sein Leben gestolpert war und ihm wieder einen neuen Sinn verliehen hatte. Wie er sie jede Nacht besucht hatte, weil er ihre Gespräche und ihre Nähe mehr genoss, als alles andere auf der Welt. Wie er sich langsam, aber sicher in sie verliebt hatte und wie er gelitten hatte, als Apollo sie so schäbig behandelt hatte, obwohl der Gott sie nie kennengelernt hatte und nicht ahnen konnte, wie viel sie Giuliano bedeutete. Wie gern er ihr die Wahrheit über sich schon viel eher erzählt hätte, aber es aus so vielen Gründen nicht gekonnt hatte. Um ihre Weltansicht nicht zu zerstören. Um ihr den Glauben nicht zu nehmen, so wie er ihm genommen worden war. Um sich davor zu schützen, dass sie ihm die Wahrheit nicht glauben konnte. Um ihr Leben nicht komplizierter zu machen. Damit sie ihn aus ihrem Herzen verbannen und es für einen Mann öffnen konnte, der ihr mehr geben konnte als die Nächte seines Lebens. Und letztendlich um sich einreden zu können, dass er das Richtige getan hatte. Aber es sich nicht einen Augenblick richtig angefühlt hatte und erst die Göttin der Liebe ihm neuen Mut verliehen hatte.
Es tat so gut mit jemandem über all diese Dinge zu sprechen, auch wenn sie noch so unglaublich oder verrückt erschienen mochten. Fioretta unterbrach ihn kein einziges Mal. Keine einzige Frage stellte sie ihm, obwohl er eine gefühlte Ewigkeit sprach, bis ihm schlicht die Worte ausgingen. Sie saß nur auf ihrem Stuhl, blickte ihn stumm an und lauschte seinen Worten.
Doch als er geendet hatte, fiel Giuliano auf, wie ausdruckslos ihr Gesicht und wie leer ihr Blick geworden war. Mit einem Schlag fühlte er sich seltsam nackt und entblößt. Denn er hatte ihr sein tiefstes Inneres offenbart und sie schaute ihn nur stumm an.
Nach einer Weile drückte sie sanft seine Hand und erst jetzt fiel ihm auf, dass ihre Finger miteinander verschränkt waren. Dann seufzte sie tief und eine Welle der Übelkeit stieg in Giuliano auf.
„Ich würde dir so gerne glauben", wisperte sie. „Ich weiß nicht, ob ich es jemals können werde. Mir fällt zwar kein einziger Grund ein, weshalb du all diese Dinge erfinden solltest. Doch jedes deiner Worte steht im Widerspruch zu allem, was ich mein Leben lang gelernt und woran ich immer geglaubt habe. Es ist einfach..."
Hilflos suchte sie nach dem richtigen Wort und Giulianos Herz setzte einen Schlag aus.
„Zu viel", schloss sie und für einen Augenblick sah sie aus, als ob sie am liebsten in Tränen ausbrechen wollen würde. Behutsam hockte er sich neben sie und legte seine Arme um sie. Am ganzen Leib zitterte sie wie Espenlaub und er strich ihr beruhigend über den Rücken.
„Ich kann dich verstehen", flüsterte er sanft in ihr Ohr. „Ich werde jetzt gehen und dir alle Zeit geben, die du zum Nachdenken brauchst. Ich werde auf dich warten, auch wenn es eine Ewigkeit dauern wird. Auf dich werde ich immer warten."
Vorsichtig löste er sich von ihr und obwohl sein törichtes Herz aufschrie, erhob er sich und ging zum Fenster. Traurig stieg er auf die Fensterbank und tastete nach dem Rahmen. Kurz blickte er über seine Schulter zu ihr und sog ihren melancholisch schönen Anblick in sich ein. Dann kletterte er aus ihrem Fenster und arbeitete sich langsam zum Fenster der Bibliothek zurück.
Als er das Fenster hinter sich schloss, hörte er Schritte. Wahllos schnappte er sich eines der Bücher des Regals zu seiner Rechten, dann huschte er flink zurück und setzte sich auf die Fensterbank, schlug das Buch in der Mitte auf und tat so, als wäre er vollkommen versunken in die Buchstaben, die vor seinen Augen zu einem Wirrwarr aus Tinte verschmolzen. Sein Herz raste in seiner Brust, seine Muskeln ächzten von der Anstrengung der Kletterei und sein Atem ging stoßweise. Mit seiner ganzen Willenskraft brachte er seine Atmung unter Kontrolle, da wurde auch schon die Tür geöffnet.
Das Kerzenlicht blendete ihn. Blinzelnd sah er von seiner Lektüre auf und nachdem sich seine Augen an die neuen Lichtverhältnisse gewohnt hatten, erkannte er Fiorettas Vater in der Tür, der ihn verdutzt musterte.
„Ihr seid noch hier, Messer Medici?", wollte Antonio Gorini überrascht wissen. Verlegen schlug Giuliano das Buch zu und erfand irgendeine Erklärung, die der alte Professor ihm erstaunlicherweise sofort abkaufte. Seine Mutter hätte ihn sofort durchschaut und nachgebohrt. Aber Antonio meinte nur: „Ja, das kenne ich. Aber es ist schon spät. Wollt ihr die Nacht hier verbringen?"
„Nein!", rief Giuliano unbedacht aus. Ein Frühstück mit Fioretta war zwar alles, wonach sich sein Herz sehnte. Aber sobald die Sonne über Florenz aufgehen würde, würde Apollo in den Genuss ihrer Gesellschaft gelangen und aus irgendeinem Grund wolle Giuliano das Mädchen nicht mit dem Gott teilen.
„Meine arme Mutter wird schon ganz außer sich vor Sorge sein. Ich danke Euch für Eure Gastfreundlichkeit. Aber ich muss mich jetzt auf den Heimweg machen", fuhr Giuliano in ruhigerem Ton fort und verfluchte sich selbst, dass er seine Mutter mit in sein Chaos hineinzog.
Der Professor nickte nur. Schnell stellte Giuliano das Buch zurück an seinen Platz, dann verließ er die Bibliothek und machte sich auf den Heimweg. Als er in die Nacht hinaustrat, bemerkte er erst, dass er seine Jacke in Fiorettas Zimmer vergessen hatte. Kurz hoffte er, dass dieses Kleidungsstück sie nicht in Verlegenheit bringen würde. Doch dann fiel ihm ein, wie klug das Mädchen war. Sie würde einen Weg finden ihm seine Jacke unauffällig zurückzugeben, ohne dass in der Zwischenzeit unangenehme Fragen aufgeworfen werden würden und bis es so weit war, würde sie wenigstens etwas von ihm haben, was sie an ihn erinnerte. Er hatte nur seine Erinnerungen.
Bis er die Abgeschiedenheit und Ruhe seines Gemachs erreicht hatte, ging Giuliano immer wieder in Gedanken das Gespräch in ihrer Schlafkammer durch. Er wollte so sehr, dass sie ihm glaubte. Denn erst wenn sie ihn verstand und seinen Worte Glauben schenkte, würden sie einander wahrhaftig lieben und ein gemeinsames Leben aufbauen können. Nichts wünschte er sich mehr.
Bevor er zu Bett ging, setzte er sich an seinen Schreibtisch, holte das Notizbuch aus seinem Versteck und schrieb sich im Schein der Kerze seine Gefühle von der Seele. Als er bei Morgengrauen die Verse überflog, fiel ihm etwas auf. Durch sein verrücktes Leben mochte er vielleicht den Glauben an Gott verloren haben, aber aus ganzem Herzen vertraute er auf die Kraft der wahren Liebe.

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