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Kapitel 28

Ohrenbetäubend laut knirschte der Kies unter seinen dunkelbraunen Lederstiefeln. Sein Körper zitterte wie Espenlaub und sein Herz trommelte so heftig gegen seinen Rippen, dass er meinte, es könnte ihm jeden Augenblick aus der Brust springen. Giuliano war blind für die Schönheit der Gärten um ihn herum. Denn jedes Mal, wenn er blinzelte, sah er in seinem Geist ihr Gesicht und die peinigende Qual in ihren Augen, die er ihr zufügte.
Von ganzem Herzen hasste er sich dafür, dass er sie so verletzen musste. Ein Teil von ihm verabscheute sogar Apollo, dass dieser sich damals auf einen Handel mit Lorenzo eingelassen hatte. Hätte sein Bruder ihn doch einfach sterben lassen, dann wäre das alles nicht passiert. Aber vor allem müsste niemand mehr wegen ihm leiden. Seine Familie hätte den Verlust mittlerweile verarbeitet und Fioretta hätte sich niemals in ihn verliebt. Sein Herz war mit dem ihren gebrochen. Nur eine simple Erklärung hatte sie von ihm verlangt und er hatte sie ihr einfach nicht geben können. Wie hätte er ihr auch von den Dingen erzählen können, die nicht einmal Lorenzo verstand? Wie hätte er von ihr verlangen können ihn mit einer antiken Gottheit zu teilen? Wie hätte er ihr den Glauben an Gott rauben können? Oder schlimmer: Wie hätte er jemals ertragen sollen, wenn sie ihn der Lüge und Ketzerei bezichtigte und ihn im schlimmsten Falle sogar bei der Kirche anzeigte?
Sollte sie ruhig glauben, er hielte sich wie sein Bruder für etwas Besseres und sei von Anfang an nur an dem Raub ihrer Unschuld interessiert gewesen. Sollte sie ihn für den Teufel persönlich halten, solange sie nur nicht dazu verdammt wurde Teil seiner komplizierten, alles Gute zerstörenden Welt zu sein.
Früher oder später hätte er ihre Freundschaft sowieso verloren. Je mehr Zeit er mit ihr verbracht und je besser er sie kennengelernt hatte, desto mehr war er ihr mit Haut und Haaren verfallen. Ihrer Liebe konnte er niemals würdig sein, solange er ihr nur seine Nächte schenken konnte. Fioretta verdiente einen Mann, der ihr alles gab und den sie mit niemandem teilen musste - weder in dieser noch in einer anderen Welt.
Aber warum wurde er das Gefühl nicht los einen gewaltigen Fehler begangen zu haben, wenn er das Richtige tat?
Wie in Trance erreichte er die kleine Treppe, die zur Villa hinauf führte. Gerade als er die erste Stufe erklimmen wollte, wurde das schwere Eingangsportal geöffnet und sein Herz setzte einen Schlag aus. Augenblicklich hielt er inne und wartete hoffnungsvoll mit angehaltenem Atem. Doch seine Hoffnungen wurden im Keim erstickt, als Sandros Gesicht auftauchte und ihn mit gerunzelter Stirn prüfend musterte. Wie konnte er auch so naiv sein zu hoffen, dass sie es sich anders überlegen und auf eine Erklärung verzichten würde. Was heute zwischen ihnen geschehen war, würden sie niemals überwinden können. Niemals durfte sie die Wahrheit über ihn erfahren.
„Geht es dir gut?", erkundigte sich Sandro aufrichtig besorgt und schnell versteckte Giuliano seine Gefühle hinter einem Lächeln. Mit einem Satz stand er neben seinem Künstlerfreund und legte ihm einen Arm um die Schultern. Statt seine Frage zu beantworten, versuchte Giuliano ihn abzulenken, indem er nachfragte, ob Sandro alles erledigt hatte. Obwohl der Künstler ihn sofort durchschaute, nickte er.
„Dann lass uns aufbrechen", schlug Giuliano in einem Ton vor, dessen Fröhlichkeit für jeden viel zu künstlich klang. Misstrauisch blickte ihn der Maler von der Seite an. Doch er blieb stumm und so schritten sie wortlos zu den Stallungen.
Ihre Pferde waren bereits zum Aufbruch fertig gemacht worden. Zwischen ihren Tieren stand ein junger Stallbursche, der noch ein halbes Kind war. Vermutlich hatte Fioretta alles Nötige veranlasst, damit Giuliano so schnell wie möglich aus ihrem Zuhause verschwand. Dieser Gedanke ließ den dumpfen Schmerz erneut in seiner Brust auflodern. Aber solange Sandro bei ihm war, konnte und wollte sich Giuliano seinen Gefühlen nicht stellen.
Als sie sich dem Jungen näherten, starrte der Stallbursche Giuliano mit unverhohlener Neugierde an. Wahrscheinlich sollte Giuliano mittlerweile daran gewöhnt sein, dass die Menschen ihn anstarrten, ganz gleich wohin er ging. Der Name seiner Familie eilte ihm jederzeit voraus und es war unmöglich seine Herkunft wie eine alte Jacke abzustreifen, deren Tragen zu unangenehm geworden war. Natürlich liebte Giuliano wie jeder anständige Sohn seine Familie und tat alles, um ihren Ruf zu schützen und ihren Ruhm zu mehren. Außerdem hatte er sein Leben lang jeden einzelnen Vorzug genossen, den er nur besaß, weil er als Medici geboren war. Doch an Tagen wie heute wollte er einfach übersehen werden. Heute wollte er sich einfach nur noch in die Welt seiner Gedanken und Gefühle verkriechen, ohne von einem anderen brutal aus dieser Zufluchtsstätte gerissen zu werden. An Tagen wie heute wollte er nicht wie ein exotisches Tier angestarrt werden, nur weil seine Familie reich und mächtig war. Besonders weil er sich in diesem Moment einfach nur leer, armselig und schwach vorkam. Doch der Stallbursche konnte den Blick nicht von ihm abwenden.
Als der Junge ihm die Zügel seines Hengstes überreichte, bedankte sich Giuliano mit leiser Stimme bei ihm. Während der aufsaß und darauf wartete, dass Sandro ebenfalls bereit zum Aufbruch war, wandte der Junge den Blick immer noch nicht von ihm. Vermutlich hätte Giuliano ihn ignorieren, losreiten und so lange davon galoppieren sollen, bis Sandro ihn irgendwann eingeholt oder er die Villa seiner Familie erreicht hatte. Doch das Verhalten des Stallburschen war so offensichtlich, dass Giuliano letztlich die Frage herausplatzte, was dem Jungen so auf der Seele brannte.
„Ich habe gesehen, wie ihr mit Signorina Gorini im Garten spaziert seid. Interessiert Ihr Euch für die Signorina?", wollte der Stallbursche neugierig wissen und blickte ihm auf so unschuldige Art in die Augen, dass Giulianos Herz schwer wurde. Nur ein Kind konnte eine solch aufdringliche Frage stellen.
„Wir kennen uns nur flüchtig. Signore Gorini ist ein guter Freund meines Schwagers", entgegnete Giuliano und seine Stimme klang schärfer als geplant. Der Junge fuhr erschrocken zusammen. Giuliano zwang sich zu einem freundlichen Lächeln und fragte sanfter nach, wie der Knabe auf diese Idee gekommen war. Wenn selbst Kinder seine Gefühle für Fioretta erkennen konnten, hatte er nur noch mehr Anlass sich von ihr fernzuhalten. Eines Tages würde ein Mann um ihre Hand anhalten und sie zu seiner Frau machen. Ein Mann, der ihrer würdig war.
Nachdenklich legte der Stallbursche seinen Kopf schief und seine Wangen färbten sich rosa, als wären ihm seine Gedanken nun, da er aufgefordert worden war sie auszusprechen, peinlich.
„Sie ist die schönste Dame, die ich je gesehen habe", gestand der Junge so leise, dass nur Giuliano ihn hören konnte. „Ich bin zu jung, zu arm, zu unbedeutend. Aber Ihr wirkt wie ein Mann, der ihrer würdig ist."
Mit einem Schlag klaffte in Giuliano eine Traurigkeit, die ihn zu verschlingen drohte. Oh, wie sehr er sich danach sehnte, die Worte des Jungen würden der Wahrheit entsprechen. Wie gern würde er Fiorettas Held sein, der sie vor einem Leben als alte Jungfer oder einer lieblosen Ehe bewahrte, die zu oft aus den geschäftlich getroffenen Arrangements entstanden. Für viele Zeitgenossen war eine Heirat nichts anderes als eine Transaktion. Für Liebe und Leidenschaft blieb oft kein Platz. Aber das konnte er nicht, denn er selbst würde niemals genug sein können. Sein Leben mochte für ihn allein schon kompliziert sein, es auch noch einer Frau zuzumuten war unmöglich und verantwortungslos. Vielleicht hätte er sich damals nicht so vehement gegen Lorenzos Wunsch der Kirche beizutreten sträuben sollen. Doch wie sollte er die Lehren der Christen mit guten Gewissen vertreten, wenn die Gottesdienste von einem griechischen Gott geleitet werden würden. Wie sollte er jemals für eine Institution arbeiten und ihre Werte verkörpern, wenn er an ihre Religion nicht mehr glauben konnte? Der Stallbursche und er waren ähnlicher, als er jemals vermutet hatte. Beide waren sie ihrer unwürdig.
Bevor er etwas erwidern konnte, trieb Sandro sein Pferd neben ihn und blickte ihn fragend an.
Die Zeit zum Aufbruch war gekommen. Giuliano blickte ein letztes Mal zum Haus und schalt sich innerlich sofort für seinen egoistischen Wunsch sie noch ein letztes Mal zu sehen. Wortlos nickte er dem Jungen zum Abschied zu, dann trieb er sein Pferd an und galoppierte den ganzen Weg zurück zur Villa Medici.

„Was sollte das?", fuhr Sandro ihn keuchend an, als er aus dem Sattel sprang. Zärtlich tätschelte Giuliano den Hals seines Hengstes, ein letztes Mal schmiegte sich das Tier leise schnaubend gegen ihn, dann wurde sein Pferd in den Stall gebracht, wo es weiter versorgt werden würde. Langsam drehte er sich zu seinem Freund um, der ihn mit hochrotem Gesicht und verwirrter Miene studierte.
„Hattest du nicht auch Lust auf ein kleines Wettrennen?", fragte Giuliano lahm. Ungläubig starrte Sandro ihn an, dann schüttelte er fassungslos den Kopf. Frustriert murmelte der Künstler so leise, dass Giuliano kein einziges Wort verstand. Doch er entschied das Verhalten seines Freundes zu ignorieren und als er geduldig darauf wartete, dass Sandros Pferd in die Stallungen gebracht wurde, hörte er plötzlich eine vertraute Stimme seinen Namen rufen. Langsam drehte er sich um und entdeckte seinen Bruder, der mit eiligen Schritten auf sie zukam. Anscheinend hatte Lorenzo sich letztendlich dafür entschieden seinen Rausch auszuschlafen, denn er wirkte erholt und frisch. Die dunklen Schatten unter seinen Augen waren ebenfalls verschwunden. Doch was Giuliano so beunruhigte, war das glückselige Strahlen, welches sein Bruder ausstrahlte. Wo war der mürrische, verkaterte Bruder vom Frühstück, der bei einer Erwähnung der Gorini bereits an die Decke ging, als hätte würde er Fioretta bereits als seine Schwägerin im Haus der Medici willkommen heißen. Bevor er es verhindern konnte, formte sich in seinem Geist das Bild von Fioretta, die mit einem schlichten, roten Brautkleid bekleidet zu ihm aufsah und vor Glück zu glühen schien. Doch Giuliano würde niemals an einem Altar auf sie warten, niemals würde er sie derart zum Strahlen bringen und erst recht würde er niemals erfahren, ob sich ihre Haut unter seinen Fingern so warm und seidig anfühlte, wie er sie sich in seinen kühnsten Träumen ausmalte. Dieses Bild bohrte sich so schmerzhaft wie ein stumpfer Dolch in sein Herz und raubte ihm den Atem.
Um sich abzulenken, wechselte Giuliano einen raschen Blick mit Sandro und war erleichtert, dass ihn Lorenzos Benehmen ebenfalls irritierte. Während er seinen großen Bruder aufmerksam beobachtete, wurde Giuliano das Gefühl nicht los, dass Lorenzo bereits genaustens darüber im Bilde war, was sich in der Gorini-Villa abgespielt hatte. Sein Unbehagen vermehrte sich und Giuliano überkam das drängende Bedürfnis seinem Bruder zu entfliehen. Er wollte mit Lorenzo nicht das Ende seiner liebsten Fantasie feiern, wozu dieser aber ganz offensichtlich in Stimmung war.
„Ist etwas in der Zeit unserer Abwesenheit vorgefallen?", wollte Giuliano vollkommen entgeistert wissen, als Lorenzo ihm auch noch überschwänglich auf die Schulter klopfte. Für diese Frage erntete er einen flüchtigen, irritierten Blick von seinem Bruder. Giuliano konnte beobachten, wie es im Kopf seines Bruders zu arbeiten begann und wie er nach einer Antwort suchte, mit der sich Giuliano zufrieden geben würde. Clarices Schwangerschaft konnte Lorenzo nicht verwenden, denn diese hatte er der Familie schon vor Wochen glückstrahlend verkündet.
„Ich freue mich einfach nur darauf jetzt Zeit mit meinem kleinen Bruder zu verbringen", meinte Lorenzo scheinheilig und Giuliano gab auf. Lorenzos Ton duldete wie üblich keine Widerworte. Warum sollte er jetzt mit seinem großen Bruder vor Sandro einen Streit beginnen, wenn Lorenzos Worte doch der Wahrheit entsprachen? Die Zeit, die ihm bei Tag in seinem eigenen Körper zur Verfügung stand, war zu kostbar, um sie mit Gezänk zu vergeuden.
So begleitete er Lorenzo auf die Terrasse, ließ sich mit Wein versorgen und beobachtete, wie seine Neffen und Nichten im Garten der Villa spielten, während sein großer Bruder und sein bester Freund gut gelaunt über die Welt philosophierten. Doch die Themen fesselten seine Aufmerksamkeit nicht. Zu der kleinen Diskussion steuerte er kaum etwas ein. Im Grunde sprach er nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ.
An jedem anderen Tag hätte er nichts lieber getan als sich in seinen Mußestunden mit Lorenzo und Sandro in geistreichen Gesprächen zu verlieren. Aber heute wollte er sich wirklich nur noch in sein Gemach verkriechen, die Welt aussperren und seine Gefühle mit Hilfe seiner Feder herauslassen.
Unaufhaltsam schweiften seine Gedanken immer wieder ab und begannen sich erneut um eine bestimmte Frau zu kreisen, die er vergessen musste. Auch wenn der gebrochene Ausdruck in ihren Augen ihn auf ewig verfolgen würde. Um nicht an sie denken zu müssen, nippte er an seinem Wein und beobachtete die Kinder seines Bruders. Doch dieser Anblick erinnerte ihn nur daran, was er mit ihr niemals haben konnte und ließ sein Herz nur noch stärker bluten. So trank er immer weiter, um seine Gefühle zu betäuben. Aber je mehr er trank, desto heftiger flammte diese alles verzehrende Sehnsucht nach ihr in ihm auf. Lorenzo hatte recht Fioretta zu fürchten. Denn Giuliano wollte sie, er brauchte sie und dennoch durfte er dieses eine Mal nicht egoistisch sein. Sie wäre es wert gewesen seinem Bruder zu trotzen. Aber dies änderte nichts an der Tatsache, dass er nicht gut genug für sie war und dies raubte ihm den Verstand.
Der jüngere Medici bemerkte nicht einmal, wie die Sonne langsam am Horizont herabglitt und die Dämmerung über sie hereinbrach. Die Kinder seines Bruders waren längst im Haus, vermutlich lagen sie schon in ihren Betten. Doch als sich Lorenzos Hand sanft auf Giulianos Schulter legte und ihm mitteilte, dass nun Zeit für das Abendmahl war, schrak er zusammen. Fieberhaft suchte er nach einer Ausrede, um sich endlich in sein Gemach zurückziehen zu können. Da beugte sich Lorenzo zu ihm herab und flüsterte ihm besorgt ins Ohr: „Der heutige Tag war schwer für dich, Bruder. Aber wir wissen beide, dass es früher oder später so hätte kommen müssen. Also stell jetzt das Glas weg, komm mit ins Haus und iss etwas mit uns. Dann kannst du dich meinetwegen verkriechen, bis Apollo deinen Platz einnimmt und Sandro morgen denkt, du hättest dich erholt."
Betreten wich Giuliano dem bohrenden Blick seines Bruders aus. Denn insgeheim hatte er genau darauf gehofft. Mit dem nächsten Sonnenaufgang würde er zwei Tage und eine Nacht in Apollos Körper auf dem Olymp verbringen, während Apollo in dieser Zeit Giulianos Körper zur Verfügung stand. Nur so konnten sie den magischen Vertrag zwischen ihnen erfüllen und verhindern, dass Giulianos schwacher, menschlicher Körper erneut erkrankte. In Apollos Körper war es leicht Abstand zu seinem sterblichen Leben zu gewinnen, weil er so den aufmerksamen Blicken seiner Mitmenschen entfliehen und ungestört seinen trübsinnigen Gedanken nachhängen konnte. Seit Giuliano denken konnte, war sein großer Bruder ein Meister der Verführung und der Manipulation gewesen. Schließlich hatten ihre Eltern ihn von klein an genau dazu erziehen lassen, weil er diese Fähigkeit als Leiter der Medici-Bank und Oberhaupt ihrer Familie benötigte. An Tagen wie diesen, an denen Giuliano düsterer Stimmung oder in einer miserablen Verfassung war, wirkten Lorenzos Tricks bei ihm und so kam sich Giuliano nach der kleinen Ansprache noch schäbiger vor und musste mit seinem schlechten Gewissen kämpfen. In diesem Moment hatte er das Gefühl, dass er seine Familie im Stich ließ. Lorenzo rühmte sich gern damit, dass er andere Menschen durchschauen konnte. Aber das stimmte nicht ganz, denn er konnte nur in den Menschen wie in einem Buch lesen, die er schon lange kannte. Manchmal war Lorenzo zu sehr in seiner eigenen kleinen Welt gefangen, um Augen für die Wirklichkeit zu haben. Abgesehen von ihrer Mutter kannte niemand Giuliano so gut wie Lorenzo und sein Bruder wusste ganz genau, wie er Giulianos Stimmung zu seinen Gunsten nutzen konnte. Giuliano nahm es ihm noch nicht einmal übel. Vermutlich war es für alle das Beste, wenn er die Illusion eines Leben mit Fioretta aus dem Kopf schlug und sich ganz auf seine wirkliche Familie konzentrierte.
So stellte er sein Weinglas auf dem Tisch ab, folgte seinem Bruder in das Innere des Landhauses und fand sich schließlich am Esstisch seiner Mutter gegenüber. Auch sie schien bester Stimmung. Sofort beschlich Giuliano der beunruhigende Verdacht, dass sie ebenfalls über die Ereignisse in der Villa Gorini im Bilde war. Immerhin war sie taktvoll genug ihn während des gesamten Abendmahls nicht direkt darauf anzusprechen.
Dennoch war Giuliano unwohl zumute und so nahm er erleichtert zur Kenntnis, dass sein Weinkelch bereits gefüllt war. Zügig nippte er daran, dann wurde auch schon der erste Gang serviert und er konnte vorgeben, als würde er sich vollkommen auf die Speisen und dem vorzüglichen Wein vor ihm konzentrieren.
Durch Lorenzos kleine Ansprache genötigt versuchte Giuliano sich mehr in das Gespräch einzubringen. Aber erneut musste er feststellen, dass er das dafür nötige Interesse weder aufbringen konnte noch wollte. Wie konnte er nur so einsam sein, während er von Menschen umgeben war, die ihn liebten? Doch je länger er mit seiner Familie am Tisch saß, desto mehr hatte er das Gefühl in Einsamkeit zu ertrinken.
Sobald der letzte Gang abgetragen war, entschuldigte er sich und zog sich in sein Gemach zurück. Den vielsagenden Blick, den Mutter Lorenzo zuwarf, ignorierte er dabei beflissen.
Obwohl er vollkommen erschöpft war, ließ er sich nicht in seine weichen Kissen sinken. In seinem Kopf lärmten zu viele Gedanken, während die unterschiedlichsten und widersprüchlichsten Gefühle in seiner Brust tobten. Solange er diese marternden Emotionen und Gedanken nicht herausließ, würde er keine Ruhe finde. So holte er sein Notizbuch aus seinem Geheimversteck hinter den anderen Büchern des Regals hervor, setzte sich an seinen Schreibtisch und klappte es behutsam auf. Dann griff er nach einer Feder und erlaubte sich den Schmerz ihres Verlustes wahrhaftig zu fühlen.
Als die Morgendämmerung einsetzte, legte er die Schreibfeder schließlich beiseite, klappte das Büchlein zu und versteckte es an seinem angestammten Platz im Regal. Vermutlich waren seine Gedichte um Welten besser als die peinlichen Schmachtverse, die sein Bruder vor Jahren auf seine damalige Geliebte Lucrezia Donati gedichtet hatte. Aber wenn er sich nur vorstellte, dass jemand anderes seine Verse las, bekam er panische Angst. Mit jedem einzelnen Wort offenbarte er seine Seele und gab seine dunkelsten Geheimnisse, Sehnsüchte und Wünsche preis. Er war noch nicht dafür bereits jemanden so tiefe Einblicke in sein Innerstes zu gewähren. Vermutlich würde er niemals so weit sein. Aber das Schreiben half ihm nicht den Verstand zu verlieren und deshalb konnte er nicht damit aufhören.
Erschöpft ließ er sich in seine Kissen sinken, schloss die Augen und glitt augenblicklich in einen traumlosen Schlaf.

Als er die Augen aufschlug, war er wieder in Apollos Körper. Seine Müdigkeit hatte er in seinem eigenen Leib zurückgelassen.
Irritiert betrachtete Giuliano den fremden Ausblick, der sich ihm bot. Normalerweise befand sich Apollo bei den Pferden im Stall oder schon im Sonnenwagen, wenn er mit Giuliano den Körper tauschte. Aber diesen Ort hatte Giuliano noch nie gesehen. Er stand am Fenster einer Villa und blickte auf den schönsten Garten, den er jemals gesehen hatte. Giuliano erblickte Rosen in den unterschiedlichsten Farbnuancen und Mohnblumen, Myrte, eine gigantische Linde stand zwischen Zypressen, reifen Apfel- und Walnussbäumen. In der Mitte des Gartens war ein rechteckiges, von Quittenbäumen gesäumtes Teichbecken, in welchem Schwäne ihre Bahnen zogen und an dessen Rändern Rosmarin und Oregano wuchsen. Die ersten Schmetterlinge flatterten von einer prallen Blüte zur Nächsten. Steinerne Statuen und Sitzbänke zierten die Wege und luden zum Verweilen ein. Ein kleiner Teil von ihm wünschte sich Fioretta diesen wunderschönen Ort zeigen zu können. Denn hier würde es ihr sicher gefallen.
Das unverkennbare Rascheln von Stoff in seinem Rücken verriet ihm, dass er nicht allein war. Langsam wandte er den Blick ab und nahm das kunstvoll eingerichtete Zimmer kaum wahr. Neben ihrer Schönheit verblich alles andere und verlor an Bedeutung. Das hellenistische Kleid betonte jede Kurve ihres weiblichen Körpers. Ihr Gesicht war ihm fremd und vertraut zugleich. Ihre Augen waren unergründlich, tausend Farben schienen in ihnen zu verschmelzen und es war unmöglich einen Ton für sie festzulegen. Ihre blonden Locken schimmerten sanft im Licht der aufgehenden Sonne. Ein freundliches Lächeln umspielte ihre sinnlichen Lippen. Obwohl Giuliano dem atemberaubend schönen Gesicht der Göttin keinen Namen zuordnen konnte, erkannte er Simonetta Vespucci in ihr wieder. Sie musste sich des sterblichen Körpers bedient haben, um unerkannt unter den Menschen in Florenz zu wandeln.
„Warum bin ich hier?", hörte er sich selbst sagen und zuckte beim Klang von Apollos samtig weicher Stimme erschrocken zusammen. In der Gegenwart der Göttin fühlte er sich so menschlich, dass er vollkommen vergessen hatte, dass er noch immer in Apollos Körper steckte. Ihr Lächeln wurde breiter und sofort fühlte er sich weniger fehl am Platz.
„Wir beide müssen uns unterhalten", erwiderte sie sanft und ihre Stimme klang so, wie er sich als Kind die Stimmen der Engel vorgestellt hatte. Der Blick ihrer undefinierbaren Augen war so intensiv, als ob sie ihm direkt ins Herz schauen wollte. Nervös fragte er, wer sich gerade um die Pferde kümmerte. Ihm kam nicht einmal der Gedanke, dass sein eigener Körper seelenlos in seinem Bett in Fiesole liegen könnten. Apollo musste dort sein, wenn Giuliano hier war.
„Ein Teil von Apollos Wesen befindet sich auf dem Wagen und sorgt dafür, dass die Sonne ihren natürlichen Lauf nimmt. Sobald unser Gespräch beendet ist, werde ich dir helfen dorthin zu gelangen", erklärte sie ungeduldig, als wäre dies vollkommen selbstverständlich. Giuliano hatte nicht einmal gewusst, dass Göttern dies möglich war. Aber auf der anderen Seite schien es nichts zu geben, was ihnen unmöglich war. Dunkel erinnerte er sich daran, wie Apollos Zwillingsschwester Artemis ihn zu ihrer Mutter Leto gebracht hatte. Dann zwang er sich dazu sich wieder auf die Gegenwart zu konzentrieren.
Einladend deutete sie auf eine gemütliche Sitzgruppe nah dem Fenster. Eilig kam Giuliano ihrer stummen Bitte nach und setzte sich auf einen der Sessel. Fasziniert beobachtete er, wie sie sich ihm anmutig gegenübersetzte und schenkte ihm ein besorgtes Lächeln. Fragend hob er die Augenbraue, wodurch er ihr ein kleines Seufzen entlockte.
„Für Formalitäten und Höflichkeitsfloskeln haben wir leider keine Zeit", meinte sie bedrückt. „Ich bin Aphrodite, die Göttin der Liebe und ich mache mir große Sorgen um dich, Giuliano."
Überrascht riss er die Augen auf und starrte sie verblüfft an. Sein Verstand hatte kurz aufgehört zu funktionieren. Denn bisher hatte er nicht einen einzigen Gedanken daran verschwendet, ob er neben Apollo weitere antike Gottheiten auf sich aufmerksam gemacht hatte.
Geduldig gab sie ihm einen Moment, um die Bedeutung ihrer Worte zu begreifen. Schließlich hatte er sich so weit gefangen, dass er sie fragen konnte, weshalb sie sich um ihn sorgte. Sie seufzte erneut, dieses Mal schwerer als zuvor.
„Kannst du den Grund dafür wirklich nicht selbst erkennen?", raunte sie. Dann straffte sie die Schultern und richtete sich selbstbewusst auf. „Ich möchte mit dir über Fioretta sprechen. Denn ich kann nicht begreifen, weshalb du sie kampflos aufgibst. Also bitte, erklär es mir."
Mit einem Schlag überkam Giuliano das dringende Bedürfnis sich ihr anzuvertrauen und bevor er sich daran hindern konnte, begann er zu reden. Ungefiltert berichtete er ihr von den Ereignissen, die sich zwischen Fioretta und ihm zugetragen hatten. Er erzählte ihr sogar von den Gedichten, die ihm halfen nicht an seinen Gedanken und Gefühlen zu ersticken. Während er sprach, hörte sie ihm aufmerksam zu. Nur ein einziges Mal unterbrach sie ihn, weil sie etwas in seinen wirren Ausführungen nicht auf Anhieb verstand und um eine nähere Erklärung bitten musste.
„Ich weiß genau, wie du dich fühlst", sagte sie mitfühlend und legte ihre kleine Hand auf seine. Ihre Haut war warm und weich wie die eines Menschen. Irgendwie hätte Giuliano erwartet, dass sie sich kalt und hart wie der Marmor anfühlen würde, in dem Künstler sie seit Jahrhunderten festzuhalten versuchten. Zweifelnd runzelte er die Stirn und legte den Kopf schief. Sofort zog sie ihre Hand zurück. Bekräftigend nickte sie und fuhr fort: „Du vergisst, dass von allen Emotionen die Liebe mein Spezialgebiet ist. Ich erkenne, wenn zwei Seelen zusammengehören so wie die von Fioretta und dir. Wenn es lediglich eine belanglose Affäre wäre, hättest du dich an von Anfang an Eros oder Anubis wenden müssen."
„Wieso an Anubis?", entfuhr ihm die Frage entgeistert, denn er konnte sich nicht erklären, wie ihm ein ägyptischer Totengott in Liebesdingen helfen sollte. Amüsiert lachte Aphrodite auf und schüttelte belustigt ihren hübschen Kopf, wodurch ihre Locken fröhlich auf und ab sprangen.
„Irgendwann begannen die Griechen ihn anzuflehen, damit er sie mit seiner Peitsche voller Leidenschaft und Sehnsucht gefügig in ihre Betten trieb", erklärte sie mit abwesendem Blick erheitert, als würde sie sich gerade an ein ganz bestimmtes Paar erinnern.
„Aber Anubis und Eros können nur ein flüchtiges Verlangen entfachen", schloss er vorsichtig und holte sie zurück in die Gegenwart.
„Wahre Liebe kann man nicht erzwingen", bekundete sie ernst. „Sie ist ein Geschenk, das nur wenigen im Laufe ihres Lebens zuteilwird. Eros und ich geben unser Bestes, aber manchmal kann Liebe nicht alles überwinden."
Ihre Anspielung verstand Giuliano sofort. Hatte er nicht bereits am Tag zuvor gewusst, dass er mit ihr mehr aufgab, als nur eine angenehme Freundschaft?
„Wenn du sie jetzt gehen lässt, wirst du deine Chance auf das Glück wahrer Liebe für immer verlieren, Giuliano. Willst du das wirklich?", fragte Aphrodite ernst und brachte in Giuliano eine Saite zum Klingen, die er schon für begraben gehalten hatte. Natürlich wollte er Fioretta nicht verlieren. Aber durfte er wirklich so egoistisch sein? Denn ganz gleich, was er auch fühlte, seine Gefühle änderten nichts an der Tatsache, dass sie mehr verdient hatte, als er ihr geben konnte.
Hoffnungslos begegnete er dem erwartungsvollen Blick der Göttin und kam sich so machtlos wie noch nie in seinem Leben vor. Ungeduldig trommelte sie mit den Fingerspitzen gegen die Armlehne ihres Sessels und in diesem Augenblick erkannte Giuliano, dass die Göttin vermutlich seine Gefühle wahrnahm, sich aber aus seinen Gedanken heraushielt. Sie wollte, dass er aussprach, was ihm auf der Seele brannte. Doch obwohl sie ungeduldig und neugierig zugleich vor ihm saß, drang sie weder in seinen Geist ein noch versuchte sie ihn in irgendeiner Form zu beeinflussen. Leise hörte er seine eigene Stimme, welche die Göttin müde um Rat bat. Sofort verharrten ihre Finger auf der Sessellehne.
„Warum sagst du ihr nicht einfach die Wahrheit?", schlug Aphrodite zugleich vor und ihre Leichtfertigkeit raubte ihm den Atem. Glaubte sie wirklich, dass ihm dies nicht schon viel eher in den Sinn gekommen war und er erst eine Göttin brauchte, die ihm ausgerechnet diesen Rat gab? Bei ihr klang es auch noch so, als ob es sich um die einfachste und logischste Sache der Welt handeln würde. Dabei war es für ihn so kompliziert.
Ungläubig schüttelte er den Kopf. Seine Gedanken begannen sich wieder im Kreis zu drehen und in Gegenwart einer antiken Gottheit konnte er sich keine Fehler erlauben. Selbst wenn Aphrodite Apollo sehr gewogen zu sein schien, wollte Giuliano die Göttin ganz sicher nicht zu seiner Feindin haben. Er hatte genug Mythen gelesen und ausreichend göttlichen Klatsch in Apollos Körper aufgeschnappt, um eine ungefähre Vorstellung davon zu haben, wozu Aphrodite fähig war. Besonders bei ihr musste er einen kühlen Kopf bewahren. Ihre Finger trommelten schon wieder gegen die hölzerne Lehne und straften ihr gelassene Miene Lügen.
Am liebsten wäre er aufgesprungen und im Zimmer auf- und abgegangen. Oft half es ihm seinen Gedanken zu sortieren, wenn er sich bewegte. Doch seine Mutter hatte ihm als Kind deutlich zu verstehen gegeben, dass dieses Verhalten während eines Gesprächs außerhalb des engsten Kreises der Familie sehr ungehörig war und so blieb er auf seinem Sessel sitzen.
„Ich weiß nicht, ob ich das kann", gestand er leise und öffnete sich der fremden Göttin noch mehr. „Die Wahrheit ist so kompliziert und für einen Menschen meiner Zeit so schier unerklärlich. Diesen Ort hätte ich nicht einmal in meinen kühnsten Träumen ausmalen können – nie finde ich die richtigen Worte, um ihn zu beschreiben. Wenn ich nicht mit jedem Sonnenaufgang in diesem Körper erwachen würde, könnte ich das alles niemals für möglich halten. Denn diese Welt steht gegen alles, was mir mein Leben lang gelehrt worden ist. In meiner Zeit werden die Menschen dazu erzogen diesen Ort als Produkt der Phantasie einfältiger, rückständiger Geister zu betrachten. Was soll ich nur tun, wenn sie mir nicht glaubt?"
Nun stand die Frage zwischen ihnen. Schweigen breitete sich aus, zog sich hin, bis Giuliano jegliches Zeitgefühl verließ. Doch diese Göttin, soweit er wusste, die älteste Gottheit des Olymps, musterte ihn nur aus ihren undefinierbaren Augen, die das Fenster zu ihrer Seele darstellten. Sie schien ihn zu verstehen, weil sie seine größten Ängste und geheimsten Sehnsüchte kannte. Denn sie war die Personifikation der Liebe. Sie hatte diese Gefühle, Befürchtungen, Zweifel und Begierden nicht nur selbst erlebt, schon unzählige Male hatte sie diese in anderen gesehen und ihnen zu helfen oder zu schaden versucht. Sie erkannte die Verzweiflung, die ihn in den Wahnsinn trieb. Dann blickte sie ihm tief in die Augen und entgegnete eindringlich: „Könntest du dir jemals verzeihen, wenn du es nicht einmal versuchst?"
Sofort hielt er dagegen, wie er ihr von seinem Handel mit Apollo erzählen sollte, ohne dass sie ihn als Verbündeten des Teufels betrachtete. Natürlich glaubte er nicht, dass Fioretta ihn an die Kirche ausliefern würde. Seine Familie war zu mächtig, denn der Bruder seiner Schwägerin war der Bischof von Florenz. Wenn sie mit ihm darüber sprach, würde er ihre Geschichte als Rache einer verschmähten Frau abtun. Eher würde Orsini Fiorettas Ruf zerstören als Giuliano der heiligen Mutter Kirche auszuliefern. Zumal seiner Familie der Vorwurf mit dem Teufel im Bunde zu sein nicht zum ersten Mal gemacht worden ist. Wenn man sein Vermögen als Bankier erwirtschaftet, bezweifeln viele Menschen die Aufrichtigkeit der Arbeit. Dabei waren Wucher und Zins in jüdischen Bankhäusern eher anzutreffen als in Christlichen, da die Kirche genau diese beiden Aspekte verbat.
„Du musst Vertrauen haben, Giuliano", meinte die Göttin behutsam. „Fioretta ist ein sehr intelligentes Mädchen. Ich habe nicht behauptet, dass es leicht werden wird oder ich davon ausgehe, dass du einfach zu ihr gehst, ihr alles erklärst und ihr bis ans Ende eurer Tage in Glückseligkeit vereint sein werdet. Niemals hat es ein Liebespaar gegeben, das sich nicht den Herausforderungen des Lebens stellen musste. Gewiss wird es nicht leicht sein. Doch ist es nicht besser für eine gemeinsame Zukunft alles zu geben, als nichts zu riskieren und sich ewig vorwerfen zu müssen niemals um die wahre Liebe gekämpft zu haben? Habe Vertrauen in die Liebe, die euch bereits verbindet und die ihr nur gemeinsam zum Erblühen bringen könnt."
Eine Weile schauten sie sich schweigend in die Augen, während Giuliano ihre Worte zu verarbeiten versuchte. Die Göttin hatte ihn bis ins Mark erschüttert und nun konnte er nicht anders als seine Entscheidungen in Frage zu stellen. Sein Leben lang hatte man ihm beibringen wollen, dass er eine Niederlage niemals akzeptieren durfte - vor allem keine kampflose. Als Medici war er Höherem verpflichtet als sich selbst. Niemals hatte er Schwäche zeigen dürfen und selbst das auswegloseste Gefecht in einen Sieg verwandeln müssen. Immer musste seine Familie gewinnen, sich behaupten und letztendlich durchsetzen – zum Wohl der Stadt, zum Wohl der Bank und natürlich zum Wohl der Familie. Lorenzo mochte keine Krone tragen, aber seine Verantwortung für die Bürger von Florenz entsprach der eines Königs. Als jüngerer Bruder war es Giulianos Pflicht Lorenzo zu stärken, um somit Florenz und den Medici die nötige Kraft für einen Sieg zu verleihen. Es widersprach seiner Natur das Feld zu räumen, bevor er überhaupt die Gelegenheit gehabt hatte sich zu beweisen.
„Findest du nicht, sie hat das Recht über ihr Leben selbst zu entscheiden?", fragte die Göttin vorsichtig und in ihren Augen las er Jahrtausende alten Schmerz. Augenblicklich bekam er eine Ahnung davon, welches Leid sie durchlebt haben musste. Auch sie konnte sich ihrem Schicksal nicht entziehen, ohne jemals nach ihrer Meinung gefragt worden zu sein. Vielleicht sollte er nun das tun, was für ihn das Richtige erschien und nicht das, was seine Familie billigen oder für ihn das Einfachste sein würde. Womöglich war es an der Zeit den wichtigsten Kampf seines Lebens zu bestreiten. Gab es einen verheißungsvolleren Preis als die Aussicht auf die Freuden wahrer Liebe? Konnte er wirklich seine Meinung so schnell ändern, nur weil eine griechische Gottheit ihm das Gegenteil von dem empfahl, was er schon entschieden hatte?
„Jetzt musst du noch keine Entscheidung treffen", fuhr sie schließlich leise fort. „Aber ich befürchte, dass du irgendwann in deinem Körper aufwachen wirst und feststellen musst, dass es zu spät ist. Dann wirst du bereuen, nicht mehr riskiert zu haben. Ich hätte lieber ein kurzes Leben voller Liebe geführt, als eine Ewigkeit auf sie warten zu müssen. Selbst mir wäre die Zeit fast davongelaufen und ich bin nicht sterblich. Deine Zeit ist so viel kostbarer als die meine, weil sie begrenzt ist. Versprich mir, dass du wenigstens darüber nachdenken wirst, was du wirklich für dein Leben willst. Denn letztendlich musst du mit den Konsequenzen leben und niemand sonst."
Bedächtig nickte Giuliano und versprach, worum sie ihn bat. Auch wenn er die Ironie ihrer Worte innerlich belächelte. Sie schien tatsächlich nicht in seinen Geist eingedrungen zu sein. Sonst hätte sie ihm dieses Versprechen niemals abgenommen. Darüber hinaus bezweifelte Giuliano, während er die schöne Göttin betrachtete, dass jemals ein Wesen - gleich ob Mensch oder Gott – über ihre Worte nicht hätte nachdenken können.
„Apollo hat mich gebeten dir etwas zu geben", meinte die Göttin mit heiterer Stimme und riss ihn aus seinen Gedanken. Ihr Ton verriet, dass für sie nun alles gesagt war. Sie hatte getan, was in ihrer Macht stand, um Fioretta und ihm zu helfen. Jetzt war es an Giuliano ihren Rat zu befolgen oder mit seinem Leben weiterzumachen, als wären sie einander nie begegnet.
Neugierig beobachtete er, wie die Göttin in eine Falte ihres altertümlichen Gewandes griff und einen Gegenstand hervorholte. Überrascht stellte er beim zweiten Blick fest, dass es sich um einen Dolch handelte. In ihren langen feingliedrigen Fingern wirkte die tödliche Waffe seltsam fehl am Platz. So als wären ihre Hände nicht für das Kämpfen geschaffen worden. Hatte Sandro nicht einmal erwähnt, dass Mars sich zu Venus nur hingezogen gefühlt hatte, weil sie ihm genau dies geben konnte: Frieden vom ewigen Krieg?
„Die Klinge enthält den Segen des Apollo", erklärte Aphrodite sachlich, als sie ihm den Dolch vorsichtig übergab. Die kleine Waffe lag erstaunlich gut in seiner Hand, da ihr Gleichgewicht perfekt austariert war. Das Griffstück des Dolches entsprach denen, die sich bereits im Besitz seiner Familie befanden. Es war schlicht verziert, elegant und traf den Geschmack seiner Zeit. Besonders fiel ihm der flache, runde Knauf ins Auge. Neugierig hielt Giuliano die Waffe ins Licht und musterte die kunstvoll geschwungenen Buchstaben, seine Initialen. GM. Gemächlich drehte er den Griff, sodass er die andere Seite des Knaufs betrachten konnte. Zu seiner Überraschung erblickte er dort nicht seine Initialbuchstaben, sondern das Wappen seiner Familie. Auf den ersten Blick war nur eine einzige Sache an der Stichwaffe außergewöhnlich: seine Scheide. Ihr Holz war sehr hell, beinahe weiß wirkte es.
Behutsam zog Giuliano den Dolch aus der Scheide und betrachtete das kurze, schlanke, zweischneidige Heft, welches silbrig schimmerte. Die Klinge erschien ihm stark und solide. Dieser Dolch war nicht nur ein hübsches Schmuckstück, welches die Männer seines Standes auf der Straße trugen. Im Falle eines Angriffes wäre Giuliano in der Lage sich zu verteidigen. Die Waffe gefiel ihm sehr, mehr als jedes Messer oder Schwert, welches er je zuvor gesehen hatte.
„Was bedeutet es, dass die Klinge den Segen des Apollo enthält?", erkundigte sich Giuliano und steckte den Dolch zurück in die Scheide, um der Göttin wieder in die Augen blicken zu können. Auf ihren Lippen erschien ein trauriges Lächeln.
„Apollo hat viele Eigenschaften", begann sie leise. „Es gibt einen Grund dafür, dass er von den Menschen nicht nur geliebt, sondern auch gefürchtet worden ist. Denn er vermag nicht nur zu heilen und zu dichten. Er ist nicht leicht zu erzürnen, doch wem er Rache schwört, ist einem grausamen Ende geweiht. Diese Waffe beschützt dich nicht nur, Giuliano. Sie ist das Versprechen, dass Apollo ihren Träger rächen wird. Deshalb hüte sie gut."
Lange musterte Giuliano das überirdische Gesicht der Göttin. Aber es war wie eine Maske, die keine flüchtigen Einblicke in die Welt ihrer Gedanken und Gefühle erlaubte.
„Ich war so frei und habe den Dolch ebenfalls gesegnet", sagte Aphrodite unvermittelt und zwinkerte Giuliano verschwörerisch zu. „Kein Schloss wird die verschlossen bleiben, wenn du dem Weg deines Herzen folgst."
Plötzlich schnipste die Göttin mit den Fingern und der Dolch verschwand. Fassungslos starrte Giuliano auf seine leeren Hände und sie kicherte leise. Natürlich nahm sie ihn nicht ernst. Doch trotz der langen Zeit in Apollos Körper war Magie für ihn noch immer ungewohnt und neu. Sofort verfinsterte sich seine Miene. Im nächsten Augenblick tauchte in Aphrodites Händen ein Spiegel auf, den sie ihm mit einem entschuldigenden Lächeln entgegenhielt. Missmutig schaute Giuliano in das Glas und stellte überrascht fest, dass er sich selbst erblickte. Denn ihm sah nicht Apollos perfektes Antlitz entgegen, sondern tatsächlich sein eigenes, menschliches Gesicht. Verschwörerisch zwinkerte der Spiegel-Giuliano ihm zu, dann deutete er auf einen Gegenstand an seinem Gürtel. Es war der Dolch, den er eben noch in seinen Händen gehalten hatte. Aphrodite schnipste erneut mit dem Finger und der Handspiegel löste sich in Luft auf.
„Ich fürchte, unsere gemeinsame Zeit ist nun abgelaufen", meinte Giuliano und die Göttin bedachte ihn mit einem warmen Lächeln. Unmerklich nickte sie. Zeitgleich erhoben sie sich von ihren Sesseln. Langsam trat sie an ihn heran und sofort fühlte er eine große, nervöse Unsicherheit in sich wachsen. Was hatte sie nur vor?
„Darf ich?", fragte sie sanft und hielt ihm ihre Hand entgegen. Verwirrt runzelte er die Stirn, ehe er ihre Hand ergriff und sich im nächsten Augenblick allein auf Apollos Sonnenwagen wiederfand. Seufzend fuhr er sich durchs Haar und versuchte sich krampfhaft den gesamten Tag nur auf seine Aufgabe zu konzentrieren.

Doch als die Pferde im Stall standen und er sich auf das gigantische Bett in Apollos Palast fallen ließ, konnte er das Gespräch nicht länger verdrängen und immer wieder hörte er ihre Worte von Neuem. Sie weckten seine Zweifel und doch konnte er keine böse Absicht in ihnen erkennen. Die Göttin wollte ihm helfen und in ihren Augen begann er einen schrecklichen Fehler. Aber tat er das? War sein Verhalten so selbstlos, wie er angenommen hatte oder versteckte er nicht vielmehr seine Angst vor ihrer Reaktion hinter einer Fassade der Uneigennützigkeit? Denn allein der Gedanke daran, dass Fioretta eines Tages die Wahrheit kennen würde, ließ sein Herz vor Angst schneller schlagen. Liebte er sie? Diese Frage konnte er nicht beantworten und dennoch stellte er sie sich immer und immer wieder. Was war der Unterschied zwischen sündhafter Lust und tugendhafter Zuneigung? Zwischen flüchtiger Verliebtheit und wahrer Liebe? Wie sollte er jemals erkennen, welcher Natur seine Gefühle für Fioretta entsprachen, wenn er gar nicht wirklich wusste, was Liebe war? Waren sie zwei Teile eines großen Ganzen, die einander auf ewig zur Vollkommenheit bedurften? War ihr Herz schon für immer an ihn verloren, so wie sein Herz schon längst ihr gehörte?

Als er bei Morgengrauen aus Apollos Bett kroch, sich für den Tag fertig machte und anschließend die Pferde vor den Wagen spannte, kreisten seine Gedanken immer noch um diese eine, verdammte Frage.
Als die Pferde ihren vertrauten Weg über den Himmel zogen, konnte er mit einem Schlag an nichts mehr denken als an Fioretta. Er erinnerte sich ihr herzerwärmendes Lächeln, die charmante Art, wie sie den Kopf zur Seite neigte, wenn sie nachdachte und wie ihre Augen glänzten, wenn sie wahrhaft begeistert war.
Doch erst als er in seinem eigenen Körper erwachte, musste er sich eingestehen, dass er die Antwort im tiefsten Inneren seines Herzens bereits gekannt hatte. Wie hätte er Fioretta nicht verfallen sollen, wenn sie alles war, was er je zu träumen gewagt hatte? Er konnte sich noch so oft einreden wollen, dass er sie zwar ihren Körper begehrte und ihren Geist reizend fand, aber dies änderte nichts an den aufrichtigen Gefühlen, die sein Herz für sie hegte. Wenn er sich weismachen wollte, dass nur er unter ihrem Streit litt, gab er sich einer Illusion hin. Zu deutlich erinnerte er sich an den tief verletzten Ausdruck ihrer Augen, als er ihr eine Erklärung für Apollos Verhalten schuldig geblieben war. Wenn er jetzt aufgab, würde sie vielleicht eines Tages über ihn hinwegkommen und einen anderen Mann heiraten. Aber würde sie diesen wahrhaftig lieben können? Würde sie glücklich sein? In diesem Punkt hatte Aphrodite keine Andeutungen gemacht.
Die Göttin hatte recht. Wenn jemand darüber entscheiden konnte und sollte, ob Fioretta ein Leben ohne ihn führen wollte, dann war diese Person nur Fioretta selbst. Wie konnte Giuliano sich anmaßen eine solch wichtige Entscheidung für sie zu treffen? Dieses Verhalten sah seinem Bruder ähnlich, nicht ihm. Er wollte Fioretta zurückgewinnen. Langsam nahm in seinem Geist ein Plan Gestalt an. Doch dafür musste er sich zuerst seiner größten Angst stellen. Er musste ihr die Wahrheit sagen.

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