Kapitel 22
Das Erste, was er spürte, als er in seinen Körper zurückkehrte, war die kleine Hand in seiner. Sofort erkannte er den vertrauten Raum und erinnerte sich, dass seine Familie an diesem Abend ein Fest gab. Den Anlass hatte Giuliano vergessen, aber er spürte, dass der Grund keine Rolle spielte. Seine Familie gab ein Fest, weil sie ein Fest geben mussten. Einen anderen Anlass brauchten sie nicht, um alle anderen großen Familien von Florenz in ihrem Palazzo zu versammeln. Immerhin waren sie die Medici.
In angemessener Geschwindigkeit drehte er den Kopf und blickte in die tiefsten blauen Augen, die er jemals gesehen hatte. Ihre Schönheit war aus der Nähe betrachtet noch umwerfender und unmenschlicher. Am liebsten wäre Giuliano auf der Stelle gegangen. Vor ihm stand niemand anderes als Simonetta Vespucci, deren Körper von einer Göttin genutzt wurde. Nur welche Göttin sich in ihr verbarg, hatte er bisher nicht herausfinden können und zu seiner eigenen Überraschung erkannte er, dass er ihre Identität eigentlich gar nicht wissen wollte.
Bestimmt zog er seine Hand zurück und verbeugte sich leicht vor ihr. Als er ihr höflich anbot sie zu ihrem Mann zurückzubringen, tauchte Lorenzo neben ihm auf und gab ihm zu verstehen, dass nun er an der Reihe sei mit der Göttin zu tanzen. Die Art, wie er ihm dies mitteilte, ließe keine Zweifel, dass Apollo ein Spektakel veranstaltet hatte, um seinen Bruder vor allen Anwesenden vorzuführen. Am liebsten wäre Giuliano vor Scham im Boden versunken. Stattdessen drehte er sich um und verließ die Tanzfläche. Sonderlich weit kam er allerdings nicht. Auf halbem Wege fing ihn seine Mutter ab, drückte ihm einen Kelch Wein in die Hand. Dankbar lächelte er sie an, dann leerte er hastig den Kelch. Als er ihn senkte und sich ihre Augen begegneten, gab sie ihm mit einem strengen Blick zu verstehen, dass er den nächsten Tanz nicht ausfallen lassen konnte.
Einen Herzschlag spielte Giuliano mit dem Gedanken sich ihr zu widersetzen. Doch dann formte sich das Bild der schreienden Göttin in seinem Kopf, die Apollos Mutter war und er brachte es nicht übers Herz gegen seine eigene Mutter anzukämpfen. Immerhin hatte er eine Mutter, die sich um ihn kümmerte und ihm Befehle gab, um den Ruf der Familie zu schützen. Also schenkte er ihr ein strahlendes Lächeln, küsste sie flüchtig auf die Wange und forderte seine Schwester Maria, die direkt neben Mutter stand, zum Tanzen auf.
So fand sich Giuliano auf der Tanzfläche wieder, die er soeben verlassen hatte. Doch dieses Mal stand er wenigstens fast am Ende der Aufstellung. Automatisch wanderte sein Blick an die Spitze der Reihe von Tanzpaaren und musterte seinen Bruder, der schweigend neben seiner umwerfend schönen Tanzpartnerin wartete. Bevor sich Giuliano den Kopf über Apollo und diese maskierte Göttin zerbrechen konnte, setzte die Musik ein. Einen Augenblick schloss er die Augen und nahm den Rhythmus ganz in sich auf. Dann schlug er die Augen wieder auf, atmete tief aus und begann mit seiner Schwester zu tanzen.
„Wie geht es deinem Mann und den Kindern?", fragte er leise und sofort fing sie an vor Glück über das ganze Gesicht zu strahlen. Die Worte sprudelten nur so aus ihrem Mund und während er seiner Schwester aufmerksam zuhörte, wurde er sich mit einem Schlag der Leere bewusst, die sein Leben bestimmte. Sein Herz war nicht tot, dank Apollo schlug es sogar ziemlich kräftig und beständig in seiner Brust. Doch sein Herz war nichts weiter als Eis. Kalt. Gefühllos. Stumpf. Er spürte nichts. Weder Freude noch Leid. Nichts.
Plötzlich war Maria fort und er tanzte mit der Ehefrau eines Geschäftspartners. Sie mussten einander vorgestellt worden sein, als Apollo in seinem Körper war, denn Giuliano kannte ihren Namen nicht. In seiner Gegenwart brachte sie kein einziges Wort heraus. So tanzten sie schweigend und Giuliano sehnte sich mit jeder Faser seines Körpers, dass dieser Tanz bald vorbei sein würde.
Aber er wurde nicht erlöst. Als er schon zu hoffen wagte, dass der Tanz nun endlich vorüber sei, erklang erneut das Signal den Partner zu wechseln. Genervt unterdrückte Giuliano einen Fluch und wartete darauf, dass eine neue Partnerin an seiner Seite auftauchte. Plötzlich prallte ein Körper gegen seinen und brachte ihn beinahe aus dem Gleichgewicht. Instinktiv streckte er die Arme nach ihr aus und hielt sie fest, damit sie ihn nicht mit sich zu Boden riss. Irritiert blickte er auf den dunklen Schopf hinab. Ihre langen, schwarzen Haare waren zu einer simplen, aber zugleich eleganten Frisur aufgesteckt, die vermutlich gerade der neuesten Mode entsprach. An ihren Ohren baumelten schlichte Perlenohrringe. Ihr ganzer Schmuck war ausgesprochen schlicht. Auch das Kleid war modern, aber alles andere als prunkvoll. Doch vor allem war sie winzig. Sie reichte ihm gerade so bis zur Brust. Giuliano war sich sicher, dass er sie noch nie in seinem Leben gesehen hatte.
Langsam hob die Fremde den Kopf und lächelte ihn entschuldigend an. Ihre Augen hatten das wärmste Braun, welches er je gesehen hatte. Ihre Nase zierten ein paar Sommersprossen und ihr Teint war nicht so unnatürlich blass wie der der anderen Frauen, weshalb er annahm, dass sie der Sonne keineswegs aus dem Weg ging, als wäre diese mit dem Teufel im Bunde. Nur einen Wimpernschlag benötigte er, um jedes kleine Detail an ihr zu bemerken und sofort hatte er das Gefühl, als würde er sie sein Leben lang kennen. Doch dieses Gefühl war nicht der Grund, weshalb er den Blick nicht mehr von ihr abwenden konnte. Von ihr war er vollkommen fasziniert, denn sie hatte ihm den Atem geraubt. Ein Blick aus ihren warmen Augen genügte, damit die Welt um sie herum aufhörte zu existieren. Giuliano vergaß alles andere. Wer er war, wo sie waren, weshalb sie hier waren und wer bei ihnen war. All das spielte mit einem Schlag keine Rolle mehr. Denn auf einmal gab es nur sie und er hatte das Gefühl, als würde er zum ersten Mal seit Jahren wieder frei atmen können, obwohl er immer noch gebannt den Atem anhielt. Als ihm schwindelig wurde, atmete er schnell tief ein und ihr feiner Duft traf ihn mit voller Wucht. Sie roch wie ein Meer aus Wildblumen. Fein und intensiv zugleich und vollkommen einmalig. Doch da war noch etwas anderes in ihrem Duft, was er nicht genau benennen konnte. Vielleicht ein Hauch Sommer.
„Könntet Ihr mich bitte loslassen, Messer", bat sie ihn sanft und der Klang ihrer Stimme war ebenso warm und weich wie ihre Augen. „Wenn wir noch länger so nah beieinanderstehen, ohne zu tanzen, werden wir die anderen Paare stören."
Unmerklich schüttelte Giuliano den Kopf und versuchte den Sinn ihrer Worte zu erfassen. Ein Teil von ihm wollte sich rasch vergewissern, ob sie die anderen Tanzpaare bereits behinderten. Aber er konnte den Blick einfach nicht von ihrem Gesicht abwenden.
„Verzeiht", erwiderte er heiser, doch er konnte sich nicht mehr bewegen. Er wollte sie nicht loslassen. Zu seiner Überraschung warf sie den Kopf in den Nacken und brach in das wohlklingendste und melodischste Lachen aus, welches er je gehört hatte. Es war vollkommen natürlich und ungekünstelt. Ihr Lachen war ebenso wunderschön wie ihr Gesicht und es gab keine Musik, die ihm mehr gefiel. Die Fremde in seinen Armen war nicht übermenschlich schön wie Simonetta Vespucci, sondern einfach menschlich schön. Für ihn erreichbar schön.
Widerwillig zog er seine Hände zurück und vermisste sofort ihre Wärme, als sie einen Schritt zurücktrat. Erwartungsvoll blickte sie zu ihm auf und ihre warmen Augen blitzten vor Lebenslust. Vollkommen verzaubert erwiderte er ihren Blick, bis ihm aufging, dass sie mit ihm tanzen musste. Über sich selbst lachend reichte er ihr seine Hand und wisperte verführerisch: „Darf ich bitten, Signorina?"
Kichernd nahm sie die ihr angebotene Hand und als er ihre Haut berührte, durchfuhr ein Blitz seinen Körper. Sein Lächeln wurde breiter, als sie zu tanzen begann. Sie dachte gar nicht daran auf ihn zu warten, nur damit er sie führen konnte. Sie schien vor purer Lebensfreude von innen zu glühen. In seinem ganzen Leben war er noch nie einem Mädchen wie ihr begegnet.
„Wer seid Ihr?", fragte er neugierig und ließ sie keinen Augenblick aus den Augen. Die Schritte des Tanzes kannte er blind und es faszinierte ihn, wie offen ihr Gesicht war. Der kleinste Anflug eines Gefühls zeichnete sich sofort auf ihren Zügen ab.
„Antonia Gorini", antwortete sie prompt. Verwirrt runzelte er die Stirn und versuchte ihre Familienamen einzuordnen. Irgendwo hatte er ihn schon einmal gehört. Aber seine Erinnerungen waren verschwommen.
„Mein Vater Antonio arbeitet als Professor an der Universität", fügte sie erklärend hinzu. „Er ist ein gern gesehener Gast im Haus von Bernardo Rucellai."
Lächelnd hob Giuliano seinen Arm, damit sie sich darunter drehen konnte und er registrierte zufrieden, dass sie ihm dabei viel näherkam, als nötig. Sanft strich ihr wirbelnder Rock über den Stoff seiner Hose und er genoss die neue Welle an Wildblumenduft, der ihn einhüllte. Wenn er jetzt die Augen schließen würde, könnte er sich einreden, dass sie beide allein auf einer Wiese in der Nähe des Landgutes seiner Familie tanzten. Aber er wollte keinen Augenblick vergeuden, in dem er sie betrachten konnte.
Wenn ihr Vater ein Freund seines Schwagers Bernardo war, dann hatte vermutlich Nannina sie eingeladen. Im Geist nahm er sich leise vor, dass er später unbedingt seine Schwester über dieses Mädchen ausfragen musste.
„Und wer seid Ihr?", erkundigte sie sich und er konnte nicht anders, als über ihre Frage zu lachen. Beleidigt wandte sie den Blick von seinem Gesicht ab und sofort fühlte er sich furchtbar. Augenblicklich wurde er vollkommen ernst.
„Verzeiht, dass ich gelacht habe", murmelte er betreten. „Es ist nur so, dass ich mich nicht erinnern kann, wann mich das letzte Mal jemand nach meinem Namen gefragt hat. Mein Gesicht ist in dieser Stadt einfach zu bekannt."
Sofort funkelten ihre Augen interessiert auf und ihre Mundwinkel hoben sich. Lächelnd blickte sie wieder zu ihm auf und er meinte ihren Verstand arbeiten zu sehen.
„Oh, dann habe ich bestimmt schon von Euch gehört", zwitscherte sie fröhlich und runzelte dann angestrengt die Stirn. Giulianos Herz setzte einen Schlag aus.
„Seid Ihr vielleicht der berühmte Sandro Botticelli?", fragte sie und erneut musste Giuliano über ihre Aussage lachen. Die Vorstellung mit Sandro verwechselt zu werden, war einfach zu amüsant.
„Nein", antwortete er, als er sich ein wenig beruhigt hatte. „Mein Leben dreht sich vor allem um Bücher und nicht um Farben."
Forschend blickte sie ihn von der Seite an und bombardierte ihn dann mit einer Flut an Namen, die sie von ihrem Vater aufgeschnappt haben musste. Giuliano kannte nur die wenigsten Männer, doch die Namen, die ihm tatsächlich etwas sagten, gehörten allesamt Gelehrten oder Dichtern. Es war erfrischend und aufregend zugleich, dass sie ihn nicht kannte. Noch mehr amüsierte ihn allerdings, dass sie nicht einmal mit dem Gedanken spielte, er könnte ein Medici sein. Dabei hatte er immer angenommen, dass ihn seine Nase als solcher sofort verriet. Sicherlich war seine Nase nicht ganz so groß wie die seines Bruders, aber dennoch hatte sie die typische Form der Medici. Erst letzte Nacht hatte er einen Anhänger der Pazzi sich über die Nasen der Medici lustig gemacht. Dieser war der Ansicht gewesen, dass die Medici mit ihren Nasen gar nicht anders konnten als Geld zu erschnüffeln wie Schweine Trüffel. Der Bankier in ihm hatte über diesen Vergleich nur amüsiert gelächelt. Vermutlich hätte er sich beleidigt fühlen müssen.
Automatisch musterte er die Nase seiner Tanzpartnerin. Sie war niedlich geformt und ebenso zierlich wie der Rest ihrer Gestalt. Am liebsten hätte er sich vorgebeugt und einen federleichten Kuss auf ihre Nasenspitze gedrückt. Doch er hielt sich zurück. Wenn er mit ihr herumalberte, war es leicht so zu tun, als wären sie die einzigen Personen im Saal. Aber er wusste nur zu gut, dass dies nicht stimmte.
Nach einer Weile gingen ihr die Namen aus und sie verstummte. Nachdenklich blickte sie zu ihm auf und legte den Kopf dabei auf hinreißende Art und Weise schief. Schließlich stieß sie frustriert die Luft aus und verkündete, dass sie aufgab.
„Giuliano di Piero de' Medici", stellte er sich mit einer kaum merklichen Verbeugung vor und zog ihren Handrücken an seine Lippen, um den Hauch eines Kusses darauf zu platzieren. Sofort wich das begeisterte Strahlen aus ihren braunen Augen. Rasch nahm er ihre Hand von seinem Mund und zu seiner Freude bemerkte er, dass sie blinzelnd auf seine Lippen starrte.
„Ihr seid also der goldene Medici", murmelte sie und ein Anflug von Enttäuschung schwang in ihrer Stimme mit. Schnell wich sie seinem überraschten Blick aus und drehte sich, obwohl die Figur noch gar nicht an der Reihe war. Schweigend wartete er auf eine Erklärung und wurde auch nicht enttäuscht.
„Ich habe tatsächlich schon einiges von Euch gehört", sagte sie und versuchte vollkommen unbeeindruckt zu wirken. Aber er spürte, dass sie sich zunehmend vor ihm verschloss. Sein Name schreckte sie mehr ab, als ihm lieb war und er konnte nicht anders als sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie er sie wieder in das unbeschwerte, lebensfrohe, witzige, umwerfende, natürliche Mädchen zurückverwandeln konnte, die ihm so den Atem geraubt hatte.
„Hoffentlich nur Gutes", gab er zurück und der Blick, mit dem sie ihn bedachte, sprach mehr als tausend Worte. Sie schien genau zu wissen, wer er war. Doch er konnte nicht anders, als sie aufzuziehen. Herausfordernd hielt er ihrem Blick stand und schließlich gab sie sich mit einem Seufzen geschlagen. Sofort tauchten in seinem Kopf Bilder auf, wie er ihr dieses kleine Stöhnen auf angenehmere Art entlocken konnte. Unmerklich schüttelte er den Kopf, um seiner Fantasie Einhalt zu gebieten.
„Eure Schwester meint, dass Ihr die Frauen von Florenz pflückt wie ein Gärtner Blumen", gab sie leise zurück und Giuliano kämpfte gegen den Drang Antonia stehen zu lassen, um zu seiner Schwester Nannina hinüberzugehen und diese an Ort und Stelle zu erwürgen. Doch Antonias kleine Hand hielt ihn auf der Tanzfläche gefangen. Um nichts in der Welt wollte er diese letzte Verbindung zwischen ihnen zerreißen. Antonias Lippen bewegten sich immer noch und er war sich sicher, dass sie noch eine ganze Menge Gerüchte über ihn wiedergab. Aber keines ihrer Worte drang zu ihm durch.
Vollkommen unvermittelt blieb sie stehen und schaute unschlüssig zu ihm auf. Erst als er die Kälte in ihren warmen Augen bemerkte, ging ihm auf, dass der Tanz vorüber war. Sein Herz setzte einen Schlag aus. Er wollte nicht, dass sie ihn jetzt schon verließ.
Sein Körper reagierte, bevor sein Verstand begriff, was er da gerade tat. Wortlos schob er seine Finger zwischen ihre und zog sie mit sich von der Tanzfläche. Blind für die Menschen um sie herum schritt er aus dem Saal und führte sie in den Innenhof. Abrupt blieb er stehen und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Stolpernd prallte sie gegen ihn und sofort fühlte er sich schuldig. Sie war so winzig, bestimmt hatte sie große Probleme gehabt ihm bis hierher zu folgen.
Langsam drehte er sich zu ihr um und bewunderte, wie wunderschön ihr dunkles Haar im schwachen Licht des Mondes schimmerte. Misstrauisch schaute sie zu ihm auf und wich automatisch vor ihm zurück. Seufzend ließ er sich auf die kleine Holzbank fallen, die er bereits als Kind so sehr geliebt hatte. Von hier hatte er den perfekten Blick auf das Arbeitszimmer seines Vaters.
„Wir sind hier ganz allein", meinte sie und verlagerte unruhig das Gewicht von einem Bein auf das andere. Unbekümmert zuckte Giuliano mit den Schultern. Genau das hatte er gehofft und er würde nicht lügen, bloß damit sie sich wohler fühlte. Nur gedämpft drangen die Musik und die Stimmen der Gäste zu ihnen und für einen Moment befürchtete Giuliano, dass sie einfach auf dem Absatz kehrtmachen und ihn verlassen würde. Aber sie blieb, wo sie war und blickte ihn aus großen, braunen Augen unsicher an. Fragend legte er den Kopf schief und musterte sie stumm.
„Es schickt sich nicht", erklärte sie leise und erst jetzt begriff er, dass sie keine Abneigung gegen ihn hatte, weil er ein Medici war. Vielmehr fürchtete sie sich vor ihm, weil er Giuliano de' Medici und ein berüchtigter Frauenheld war.
„Ich verspreche Euch, dass, falls Euer Ruf durch mich in irgendeiner Weise geschädigt werden sollte, ich alles in meiner Macht Stehende unternehmen werde, um Euch und Euren Ruf zu schützen", versicherte er ernst und war selbst vollkommen überwältigt von der Wahrhaftigkeit, die in seiner Stimme mitschwang. Denn in diesem Augenblick begriff er, dass er tatsächlich alles für diese Frau tun würde, wenn sie ihn nur darum mit ihren warmen Augen bat. Ein Blick von ihr genügte und sein Herz brannte für sie. Sie musste ihm einfach glauben. Denn er wollte sie. Er brauchte sie und er konnte den Gedanken nicht ertragen sie zu verlieren. Auch wenn er die Gründe nicht verstand, so spürte er nur allzu deutlich, dass dies die Wahrheit war: Sie war anders als alle Frauen, denen er je begegnet war. Für ihn war sie besonders, vollkommen einmalig und wenn er sie jetzt gehen ließ, würde er sie für immer verlieren, ohne sie jemals wirklich besessen zu haben. Dieser Gedanke brach ihm das Herz und brachte ihn fast um den Verstand. Sie brachte eine Saite in ihm zum Klingen, die er noch nie gehört hatte. In ihrer Gegenwart fühlte er sich zum ersten Mal seit vielen Jahren lebendig.
Unsicher trat sie einen Schritt näher. Dann noch einen. Denn nachdem sie sich einmal in Bewegung gesetzt hatte, konnte sie nicht mehr aufhören. Wie hypnotisiert kam sie zu ihm und ließ sich neben ihn auf die Bank nieder. Als sie sich setzte, streifte ihr Arm den seinen und ein wohliger Schauer durchlief seinen Körper. Eine Weile genoss er die Stille zwischen ihnen. Lächelnd legte er den Kopf in den Nacken und genoss den Anblick des Mondes. Vermutlich hätte er den Mond hassen müssen, weil er sich kaum noch an den Anblick der Sonne erinnern konnte. Aber in diesem Augenblick war einfach alles perfekt. Lächelnd huschte sein Blick zu dem Mädchen, das schweigend neben ihm saß und ihn mit ihren großen, warmen Augen neugierig musterte.
„Ihr zittert ja", stellte er bestürzt fest, zog seine Jacke aus und legte sie ihr um die Schultern. Unsicher schlossen sich ihre Finger um den weichen Stoff und er war sich sicher, dass sie seine Jacke ablehnen würde. Doch dieses Mädchen überraschte ihn immer wieder aufs Neue. Mit bebenden Fingern zog sie die Jacke enger um ihre Schultern und lächelte ihn dankbar an.
„Ich habe Euren ersten Tanz gesehen", hauchte sie und das Lächeln auf ihrem Gesicht verschwand. Mit wachsender Bestürzung beobachtete er, wie sich ihr Gesicht immer mehr verdüsterte.
„Sie ist wunderschön", flüsterte sie und in ihren Augen schimmerten Tränen. Verzweifelt versuchte Giuliano zwischen den Zeilen zu lesen und ihre Gedanken zu erraten. Aber er konnte nicht verstehen, worauf sie hinauswollte. „Eine wahre florentinische Lilie."
Behutsam streckte er die Hand nach ihr aus und seine Fingerspitzen strichen sanft über ihre Wange. Ein Zittern durchlief ihren Körper. Automatisch drängte sie sich ihm entgegen und bestätigte seine Vermutung, dass sie dieses Mal nicht vor Kälte erbebte.
„Ihr, Signorina Gorini", raunte er ihr sanft ins Ohr. „Ihr seid die schönste Blume, die ich jemals erblickt habe. Antonia klingt so ernst, dieser Name passt nicht zu Euch. Bitte erlaubt mir, dass ich Euch von nun an Fioretta nenne. Meine liebste Blume."
Schwach nickte sie und er überlegte, ob er es einfach wagen sollte. Ihre Lippen wirkten so weich, dass sie ihn förmlich anschrien sie zu küssen. Langsam hob er den Blick von ihren Lippen und sah ihr tief in die Augen. Sie waren ein Spiegel seines eigenen Verlangens. Zögernd näherte er sich ihrem Mund und genoss ihren feinen Wildblumenduft. Seine Hand fuhr von ihrer Wange über die zarte, empfindliche Haut ihres Halses. Sie war ihm so nah, aber immer noch nicht nah genug. Er musste den Geschmack ihrer Lippen kosten. Sofort. Mit einem Satz sprang sie von der Bank und blickte atemlos auf ihn herab. Unbemerkt glitt seine Jacke von ihren Schultern und flatterte lautlos zu Boden. Ihre Augen funkelten mit den Sternen über ihnen und hielten ihn in ihrem Zauber gefangen.
„Ich weiß, dass ich niemals gut genug sein werde, um Eure Frau zu sein", sagte sie mit schriller Stimme. „Aber ich bin ganz gewiss zu gut, um Eure Geliebte zu sein, Messer Medici!"
So als könnte sie seinen Anblick keinen weiteren Augenblick ertragen, machte sie auf dem Absatz kehrt und eilte davon.
„Und wenn wir einfach nur Freunde wären?", rief er, als sie zwischen die Säulen trat und sie erstarrte. Langsam drehte sie sich zu ihm um und auf ihren Wangen glitzerten Tränen. Mit zwei langen Schritten war er bei ihr und wischte sie fort.
„Ich glaube nicht, dass wir jemals Freunde sein könnten", erwiderte sie mit erstickter Stimme. Zärtlich zog er sie in seine Arme und weinend sie vergrub das Gesicht in seinem Hemd. Beschwichtigend fuhr er ihr über den Kopf und genoss, wie seidig sich ihr Haar unter seinen Fingern anfühlte.
„Dann werde ich einen Weg finden, damit wir auf deine Weise zusammen sein können", versprach er und erneut spürte er, dass er die Wahrheit sagte. Er wusste, dass es nicht leicht werden würde. Sie war die Tochter eines Professors und er war ein Medici. Weder ihre noch seine Familie würden eine Verbindung zwischen ihnen begrüßen. Doch er konnte die Gefühle, die sie in ihm weckte, nicht ignorieren. Wenn er Fioretta verlieren würde, würde er sich selbst verlieren. Daran zweifelte er keinen einzigen Augenblick. Zu lange war er nur ein stiller Beobachter seines Lebens gewesen. Nun bekam er die Chance endlich sein Leben wieder ein kleines bisschen selbst zu leben. Als sich ihre Blicke kreuzten und er ihr die Tränen von den Wangen wischte, ließ ihn die Hoffnung in ihren Augen erschauern. Dieses Mädchen musste ihm einfach gehören. Am liebsten für immer und er wusste, dass sie gemeinsam einen Weg finden würden. Denn er würde eher sterben, als sie zu verlieren.
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