Kapitel 2
Februar 1469, Florenz
Langsam fiel der Schnee und hüllte die Hügel der Toskana ein wie eine kalte Decke. Nervös und ängstlich saß Simonetta Cattaneo in ihrer Kutsche und versuchte sich von ihren Gefühlen abzulenken. Also schaute sie aus dem kleinen Fenster hinaus und versuchte die atemberaubend schöne Winterlandschaft zu genießen. Bald würde sie Florenz erreichen und dort ihr neues Leben beginnen.
Aphrodite lebte nun schon so lange in Simonettas Körper, dass sie sich mittlerweile an das menschliche Leben gewöhnt hatte. Selbst der Name war ihr so vertraut wie ihr eigener. Während ihres langen, unsterblichen Lebens hatte sich ihr Name immer wieder so viele Male gewandelt, aber den Namen Simonetta mochte sie wirklich sehr. Simonetta war ihre Chance der göttlichen Langeweile zu entfliehen und Cattocchina Spinola hatte ihr die Liebe geschenkt, die Aphrodite in ihrem langen Leben nie zuvor widerfahren war: die Liebe einer Mutter. In Erinnerung an Cattocchina trug Aphrodite den Namen Simonetta mit Stolz.
Ein paar Monate nach Cattocchina Sponilas Tod war Simonetta in die Ehe mit einem Adligen aus Florenz gezwungen worden. Marco Vespucci war sein Name. In Genua war sie Marco zuvor bereits ein paar Mal begegnet und ihre innere Göttin hatte sein Antrag sehr überrascht. Denn Marco Vespucci war nicht auf diese Art an Frauen interessiert. Bereits während ihrer zweiten Unterhaltung hatte Aphrodite bemerkt, dass Marco Probleme mit seiner Sexualität hatte. Vielleicht war dies der Grund, weshalb er sie gefragt hatte ihn zu heiraten. Natürlich hatte ihre Familie dem Antrag zugestimmt, ohne sie nach ihrer Meinung zu fragen. Aber immerhin war er nett.
Und nun saß sie ihm in einer ruckelnden Kutsche gegenüber, einen Mann, den sie vor ein paar Tagen geheiratet hatte. Vor Marco Vespucci hatte sie keine Angst, aber sie war sehr nervös aufgrund der neuen Stadt, in die sie sich begab. Sie war noch nie gut darin gewesen neue Freunde zu finden. Die meisten Menschen, denen sie begegnete, waren kalt und abweisend zu ihr und es gab Momente, in denen sie sich darüber immer noch wunderte. Wohin sie auch ging, sie schien nie zu den anderen zu passen. Sie war eine olympische Gottheit, aber auf dem Olymp hatte sie sich immer anders gefühlt und unter den Sterblichen war sie so verzweifelt darauf bemüht nicht aufzufallen, aber auch darin versagte sie immer wieder. Seit Cattocchinas Tod fühlte sie sich in dieser Welt sehr einsam. Vielleicht war eine neue Stadt genau das, was sie gerade so dringend brauchte.
Aber Marco Vespucci hörte einfach nicht auf über Florenz zu sprechen und ihr Unbehagen wuchs mit jedem weiteren Wort. Die Stadt klang sehr schön nach Marcos Beschreibung. Wenn es nicht die Menschen geben würde, die darin lebten. Er erzählte ihr alles über die adligen Familien und sie hoffte, dass er nicht von ihr erwartete, sich an alles zu erinnern, wenn sie diesen Menschen begegnen würde. Ein Name stach heraus und begann in ihren Ohren nachzuklingen, weil er ihn so oft nannte. Medici.
„Wach auf, meine Liebe", rief Marco begeistert und Simonetta schrak mit einem kleinen Schrei aus ihrem Dämmerzustand hoch. „Schau, wir sind kurz davor Florenz zu erreichen. Du darfst auf keinen Fall diesen Anblick verpassen."
Bevor sie antworten konnte, sprang Marco aus der Kutsche und im gleichen Augenblick registrierte sie, dass sie sich nicht mehr bewegten. Überrascht folgte sie ihrem Mann und als sie die Kutsche verließ, schlug ihr die kalte Winterluft entgegen. Sofort schlang sie die Arme um sich selbst und trat näher zu ihm.
„Das ist mein Florenz", meinte er aufgeregt und ein gewaltiges Grinsen flackerte auf seinem Gesicht auf. Mit einem höflichen Lächeln blickte Simonetta auf die geschäftige Stadt unter ihnen. Sie war beeindruckend und so voller Leben. Sie war beinahe so beeindruckend wie das antike Rom. Aber diese schöne Silhouette der Stadt erinnerte sie an ihre Sorgen und Ängste. Was, wenn sie wieder nicht dort hineinpassen würde?
Ihr ganzer Körper begann zu zittern und sie befürchtete umzukippen, als sich die Welt um sie herum zu drehen begann. Instinktiv griff sie nach Marcos Arm und versuchte ihr Gleichgewicht wiederzufinden. Aus weiter Ferne hörte sie seine Stimme ihren Namen rufen. Es war seine Stimme, welche ihre dunklen Gefühle vertrieb.
„Es geht mir gut", sagte sie und schenkte ihm ein schwaches Lächeln. „Weil ich dich an meiner Seite habe."
Sanft lächelte er sie an und drückte einen zarten Kuss auf ihre Wange. Dann nahm er ihre Hand und führte sie zurück zur Kutsche.
Den Rest des Weges saß er neben ihr. Er hielt ihre Hand und erzählte ihr mehr über seine Familie. Seine Verwandten klangen wirklich reizend, wie eine ganz normale, sterbliche Familie und sie begann sich darauf zu freuen, seine Familie bald kennenzulernen. Sie war bereit.
Am Stadttor ließ Marco ihre Hand los und wechselte ein paar Worte mit den Wächtern. Als er sich wieder neben ihr entspannte, begann sich die Kutsche zu bewegen. Im gleichen Augenblick als die Räder über die Stadtgrenze rollten, fühlte sie etwas, dass ihre Welt ins Wanken brachte, weil sie es schon seit vielen Jahren nicht mehr gefühlt hatte. Aphrodite spürte die Anwesenheit einer weiteren Gottheit.
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