Dunkelrot
»Joana«, ruft mich eine Stimme. Ich drehe mich um und sehe Lizzy auf mich zurennen, da schließt sie mich auch schon fest in die Arme, sodass sie mich beinahe erdrückt.
»Ich habe dich vermisst…«, murmele ich dumpf gegen ihre Schulter - sie war schon immer größer als ich. »Schon klar, Kleine, schon klar.« Oh, ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich ihr engelsgleiches Lachen vermisst habe. Jeden Tag habe ich es vor mir gesehen, dabei ist es drei Jahre her, dass ich weggezogen bin. Drei Jahre, in denen so viel passiert ist, dass wir uns nicht treffen konnten.
Aber jetzt ist das alles vergessen, denn jetzt bin ich hier. Auf der gleichen Wiese, auf der wir uns schon so oft getroffen haben, auch das letzte Mal.
Ich schließe die Augen, schluchze, Freudentränen fließen über meine Wangen und durchnässen ihr dunkelrotes T-Shirt. Mein dunkelrotes T-Shirt, ich muss es wohl bei ihr vergessen haben. Es gibt tausend Gründe, warum ich weine, als mir klar wird, dass sie dieses Kleidungsstück trägt.
»So dunkel wie getrocknetes Blut« schießt es mir durch den Kopf. Obwohl, eigentlich ist es eher ein Hämmern. Sind das die Schmerzen der Realität?
»Jo? Jo, ist alles gut?« Ich fühle mich schlecht, weil sie so besorgt klingt und wische mir über die Augen. Meine Stimme zittert, genau wie meine Unterlippe. »Ja… Natürlich. Ich bin nur so froh, dich zu sehen.« Erst klinge ich etwas heiser, räuspere mich kurz. Obwohl es stimmt. Ich bin froh. Ich habe sie vermisst.
Vermisse sie jetzt - sie sollte nicht hier sein. Ihre Stimme klingt in meinen Ohren, aber ihre Hand liegt nicht in meiner. Vielleicht ist es auch besser, sie wäre so kalt...
Zum ersten Mal ist sie für beinahe eine ganze Minute still, schaut mir nur tief in die Augen, als würde sie dahinter etwas anderes sehen, so wie ich hinter ihren, und wenn es nur dieses schmerzhafte blendende Weiß ist. »Komm mit, ich will dir etwas zeigen.«
Das Pochen in meinem Kopf wird stärker, auch mein Herz pocht jetzt, auf zwei Arten - gut und schmerzhaft. Diese Worte hallen weiter in meinem Kopf nach. Unerbittlich tickt in mir der Countdown und sagt mir, wie viel Zeit uns noch zusammen bleibt.
Es ist schlimmer, als ich erwartet habe - müsste ich es nicht eigentlich schon wissen? Aber ich habe wohl vergessen, wie schön es war. Überall die bunten Lichter, die vielen Kissen und noch mehr Pflanzen. Wie eine riesige Feier nur für uns beide.
Aber ohne uns. Dabei ist es noch viel zu früh - erst in der Nacht würde es wirklich schön werden. Das wird sie mir als nächstes sagen - und als eines der letzten Dinge.
Ich kann nicht mehr. Viel zu lange habe ich den Zusammenbruch hinausgezögert, jetzt ist es doch soweit. Aber bevor ich auf dem Boden aufkomme, finde ich mich in ihren Armen wieder, die mich so fest halten, dass ich wohl nie damit gerechnet hätte, dass das jemals endet.
Ich fühle mich beinahe so schwach wie damals, auch wenn mich heute nicht die Euphorie erdrückt, sondern die Angst, dass man mir sagen könnte, dass sie es nicht geschafft hat. Jede Sekunde ist es soweit. Wie eine Zeitbombe, die bei der Eins stehengeblieben ist und trotzdem jede Sekunde piept.
Jetzt lässt sie mich nicht mehr los, anscheinend traut sie meinen Beinen noch weniger zu, mein Gewicht zu tragen, als ich es tue. Ihre Stimme ist ein Flüstern. Sanft, aber auch irgendwie erschöpft. Wenn mir das damals aufgefallen wäre…
Hätte es wohl nichts geändert, zumindest sagt mir das ihre Stimme in meinem Kopf. Und die Ärzte sagen es auch. Ihre Chancen würden so oder so gegen Null stehen, auch wenn Lizzy das noch nicht weiß.
Vielleicht wusste sie es auch, aber der Moment, als sie mich in ihren Armen hält, ist zu perfekt für solche Gedanken. »Es wird noch schöner sein, wenn es dunkel ist.«
Jetzt ist er gefallen, der schicksalsträchtige Satz. Und ich kann mich nicht zu einer Antwort durchringen, meine letzte Waffe aus der Hand legen, um diesen Moment noch ein bisschen anhalten zu lassen, als ich spüre, wie meine Hand langsam feucht wird.
Meine Hand, die an ihrer Seite liegt. Ich muss sprechen, die Zeit läuft und davon.
»Das glaube ich kaum… Dann sehe ich dich nicht mehr.« Bitte, lass es rechtzeitig gewesen sein, um noch einmal ihr herzliches Lachen zu hören. Ihr Lachen, das schon jetzt in ein Husten übergeht, nur kurz. Der metallische Geruch lässt mich das Gesicht verziehen, bisher habe ich ihn unter ihrem lebendig duftenden Parfum gar nicht wahrgenommen. Mehr sagt sie nicht, kein »Ach Joana« mehr, wie sie es eigentlich sagen müsste.
Obwohl es zu spät ist, kann ich nichts gegen die Panik tun. Tränen verschleiern mein Gesicht. »Lizzy!«, rufe ich schrill. Tippe so schnell wie möglich auf meinem Handy herum, um einen Krankenwagen zu rufen, auch wenn dieser hierher sowieso viel zu lange brauchen wird.
Dunkelrot. Dieselbe Farbe hat auch die Decke, nachdem ich in der Hektik versucht habe, damit die Blutung zu stillen, ohne zu wissen, wie. Bis heute weiß ich nicht, wer ihr das angetan hat, aber es ist auch nicht wichtig. Nichts ist mehr wichtig in diesem Moment. Auch nicht, dass ich vergessen habe, was dann passiert ist. Oder es wohl eher gleich gar nicht mitbekommen, so wie auch den Sturz, als sie mich nicht mehr festhält.
Und jetzt bin ich also hier. Habe nichts gegessen, nicht getrunken, nicht geschlafen. Wie denn auch? Ich warte nur. So lange, bis sich etwas verändert. Bis ihre Mutter den Raum verlässt, mich mit vom Weinen geröteten Augen ansieht und mir sagt...
Ja, was wird sie mir sagen? Das ist der Gedanke, der mich die ganze Zeit schon beschäftigt, mich auch gestern schon beschäftigt hat. Und der mich auch Tage später noch beschäftigen wird. Tage später, wenn ich mir doch etwas zu essen hineingezwungen habe. Wenn ich nachts doch immerhin ein paar Stunden geschlafen habe. Der mich auch dann noch beschäftigt, als ich endlich meinen Namen höre. »Joana? Sie ist wach...«
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I know, zum Ende hin ein bisschen unübersichtlich, I'm sorry for that. Ich habe es nur einfach nicht über's Herz gebracht, hier jetzt kein Happy End hinzupacken. Wie immer freue ich mich über eure Meinung. Und außerdem noch eine Frage: Ist es bei noch jemandem so, dass ihr einfach ein Gefühl habt, das euch die Namen sagt?
Have a lovely Evening (or whatever time you read this).
Sincerely, Queen✨
(P.S. Was haltet ihr von dem neuen Cover?)
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