Aber was wäre, wenn es ohne dich ginge?
Ich steige in die Bahn. Noch immer klingt mir deine Stimme in den Ohren, wie du mir sagst, dass du mich nie mehr sehen willst.
Die Kette mit dem Herz, sie hängt auf einmal wie ein Mühlstein um meinen Hals und scheint mir die Kehle zuzuschnüren. Habe ich denn keine zweite Chance verdient?
Auch wenn die Stellen unter meiner Kleidung versteckt sind, weiß ich, dass dort morgen blaue Flecken sein werden. Einzelne Haarsträhnen hängen lose in mein Gesicht und verstecken meine geröteten Augen. Zum Glück ist noch ein Platz frei, sodass ich mich ans Fenster setze und nach draußen schaue. Ich nehme kaum wahr, wie die Stadt an mir vorbeizieht, dann Wiesen, Felder und Dörfer. Bevor ich es merke, erkenne ich nur noch mein Spiegelbild in der Scheibe. Gut sehe ich nicht aus, eher ziemlich elend. Zum Glück, wenn man hier von Glück reden kann, trage ich lange Kleidung. Ich will mich jetzt wirklich niemandem erklären müssen - meine geröteten Augen sagen schon mehr als genug und ich bin momentan wirklich nicht in der Verfassung, um mir irgendwelche egal wie gut gemeinten Ratschläge anhören zu müssen. Dass Fernbeziehungen sowieso nicht funktionieren können. Dass es wichtigere Dinge gibt. Dass du nicht der Richtige bist. So etwas ist ja der Grund, weshalb ich jetzt nur noch nach Hause will, so weit weg von dir wie ich nur kann, und dementsprechend erleichtert bin, als endlich die Durchsage kommt und ich aufstehe. Meine Beine sind steif vom langen Sitzen, aber ich bin froh, da zu sein und trete auf den spärlich beleuchteten Bahnsteig. So spät ist der Bahnhof ziemlich leer, wer sollte auch mitten in der Nacht hier hin wollen? Außer mir natürlich.
Die Straßen sind dunkel und verlassen, nur die Fenster hier sind hell erleuchtet, als ich die Haustür aufsperre. Das einzige Licht hier kommt vom Mond, den man immerhin gut sehen kann. Dafür ist es aber auch kalt - meine Hände kribbeln, während ich mich langsam drinnen aufwärme und mir einen Tee mache, mit dem ich mich ans Fenster setze. Die Kette um meinen Hals erscheint mir scharfkantig, sodass ich sie abnehme. Auf eine Art ist es ja besser so, denke ich. Es hätte sowieso nie funktioniert. Du warst ja nicht einmal bereit, auch nur ein einziges Mal drei Stunden zu fahren, um meinen Heimatort zu sehen. Dir auch nur einmal ein Wochenende freizunehmen, um ganz bei mir sein zu können. Ich war ja nur Beschäftigung.
Vielleicht war es auch ein Fehler, zu dir zu kommen. Ich weiß doch wie du bist, wenn du getrunken hast und dass man dich dann nicht ansprechen sollte. Dir schon gar nicht widersprechen sollte. Aber jetzt ist es auch schon passiert.
Wir haben wohl beide Fehler gemacht. Wir werden auch wieder Fehler machen. Aber nicht mehr so wie bisher. Denn ich fange an, daraus zu lernen.
Und als ich schließlich aufstehe und mir leise die Musik anmache, erklingt wieder einmal mein Lieblingslied. Und auch wenn meine Schritte noch zögerlich sind, spüre ich, wie sich jede Zelle meines Körpers mit Leben füllt. Und während ich mich schneller drehe, kann ich die Welt um mich vergessen. Und als ich dann spät in der Nacht erschöpft in mein Bett falle, wird mir klar, dass ich dich nicht brauche, um geborgen zu sein.
Und wenn du mich morgen wieder anrufst, gibt es keine Ausreden mehr. Und dann kannst auch du mir dieses Gefühl geben, das wir beide so dringend brauchen.
*****************************************
~568 Wörter
Mein Beitrag für den Schreibwettbewerb von LinaewenFinduilas
Schaut gerne mal bei ihr vorbei, sie ist echt nett.
Have a nice day ✨
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro