16 - 18
16 Jahre
Den abgedunkelten Raum hatte seit Tagen niemand mehr betreten oder verlassen. Es roch hauptsächlich nach Schweiß und ungewaschenen Klamotten. Niemand war mehr in Erens Zimmer gewesen. Niemand hatte mit ihm geredet. Und er hatte niemanden mit sich reden lassen. Mikasa hatte es öfter Mal versucht. Doch er blockte sie ab. Seine Eltern versuchten zu ihm durchzudringen. Doch er blockte sie ab.
Sein Psychologe versuchte es. Doch er blockte ihn ab. Wenn er am Telefon war, sagte er nichts, sondern wartete darauf, dass er wieder auflegte.
Er ließ niemanden an sich ran. Wollte einfach nur alleine sein. Obwohl, nein. Das war falsch. Er wollte nicht alleine sein. Er wollte, dass Levi wieder kam. Er wollte, dass der Mann, der ihm das Leben gerettet hatte, wieder kam.
Auch, wenn alle anderen meinten, dass er sich das Gesicht seines Fantasiefreundes nur eingebildet hatte, als der Ersthelfer ihn wiederbelebte, so war er sich sicher: Er wurde nicht von einer Rettungskraft ins Leben geholt. Es war Levi. Er hatte seinen Namen gesagt. Und er hatte darauf reagiert.
Kaum hatte er das Thema wieder aufgebracht, begann die Therapie erneut. Carla und Grisha machten sich erneut Sorgen um ihren Sohn. War bei dem Unfall etwas in seinem Hirn beschädigt worden? Sie sorgten sich. Und das zu sehr.
Seit dem Unfall wurde Eren mehrmals wöchentlich ins Krankenhaus gebracht. Er hatte unzählige MRT's hinter sich. Er wollte einfach nicht mehr. Er war kaputt.
Seitdem hielt er sich zurück. Schloss sich in seinem Zimmer ein. Niemand brauchte verrückte Menschen in seinem Leben. Und Eren wollte nicht mehr der Verrückte sein. Nicht schon wieder. Die einzige Möglichkeit, die er sah, war totale Abschottung.
Und das funktionierte auch gut. Bis vor drei Wochen. Er war mit Mikasa und einigen Freunden auf einer Party. Rauchte ein wenig Gras und endete schließlich mit einem verstauchtem Bein unter einem Klettergerüst, von dem er gesprungen war.
Nun lag er in seinem Bett, hatte die Decke bis zur Nase gezogen, schaute gegen die Wand und ließ einfach zu, dass die Tränen nur so aus seinen grünen Augen flossen.
Es war ihm einfach nur egal.
Wieder klopfte es an seiner Tür. Wieder antwortete er nicht. Wieder öffnete Carla die Tür einen Spalt. Wieder sah sie, dass Eren noch immer in seinem Bett lag. Wieder seufzte sie traurig. Stellte Essen auf den Schreibtisch. Wieder schloss sie die Tür und wieder rührte Eren das Essen nicht an.
____
Mit brennenden Augen stand der 16-Jährige am Brückengeländer, sah hinunter. Noch nie sah Wasser so verlockend aus. Noch nie wollte Eren so sehr ins Wasser springen, wie jetzt.
Er kletterte über das Metall, krallte sich in den kalten Streben fest und schloss die Augen. „Wenn du nicht her kommst, werde ich-", er brach ab, sah wieder auf das Wasser, atmete tief durch. „Wenn du nicht her kommst, werde ich springen.", Eren konnte nicht wirklich einschätzen wie hoch diese Brücke wirklich war. Er meinte, dass sein Vater mal etwas von 30 Metern gesagt hatte.
Vermutlich würde es ihn nicht umbringen, wenn er springen würde – aber selbst wenn, fand er es nicht schlimm.
Er wollte nur Levi sehen. Er wollte nur Gewissheit darüber, dass er nicht verrückt war. Der Schwarzhaarige erschien ihm doch bereits um sein Leben zu retten. Vielleicht würde er es jetzt auch tun.
„Bitte.", hauchte er leise und merkte, wie seine Knie anfingen zu zittern. „Mach das nicht!", schrie plötzlich eine vertraute Stimme. Eren drehte sich um.
„Bitte mach das nicht.", außer Atem kam Mikasa bei ihm an, griff nach Erens kalten Händen und sah ihm in die grünen Augen. „Bitte nicht." – „Ich kann nicht anders."
17 Jahre
„Wie fühlst du dich?", fragte der Arzt und lächelte Eren freundlich an. „Wie siehts denn aus?", er hob nur kurz den vergipsten Arm und grinste schief. Mal wieder eine seiner manischen Phasen. Er hatte seinen Arm so lange gegen die Hauswand geschlagen, bis er seinen angeknacksten Knochen sehen konnte.
„Wie ist das passiert?" – „Hab nicht nachgedacht."
„Hast du das getan um Levi zu sehen?" – „Nein. Ich sage doch, ich habe nicht drüber nachgedacht."
„Hast du ihn denn dann gesehen?" – „Nein. Er existiert ja auch nicht."
„Sagst du das jetzt, weil du es glaubst oder weil du es glauben sollst?"
Darauf antwortete Eren nicht mehr. Er glaubte natürlich noch immer, dass Levi irgendwie existieren konnte. Auch wenn er sich nicht erklären konnte, wie das möglich sein würde. Er war davon überzeugt, dass Levi auch jetzt an seiner Seite war. Dass er immer da wäre und sich nur nicht zeigen wollte.
Und so war es auch. Der 25-Jährige saß auf dem Schreibtischstuhl des Arztes und beobachtete den Teenager. Erens Haare waren ungewaschen, lagen an seinem Kopf an und schimmerten fettig. Es war leider nicht mehr untypisch für ihn. In Phasen wie diesen war das normal.
Levi tat dieser Anblick weh. Er erinnerte sich an den kleinen fröhlichen Jungen, dem er vorgelesen hatte. Er erinnerte sich an Erens wunderschönes Lachen. Er erinnerte sich an die unzähligen Male in denen er vor Lachen schon Tränen in den Augen hatte. Er erinnerte sich an diese Zeit. An die Zeit, die seit zwei Jahren keine Relevanz mehr hatte.
Auch wenn es nie Levis Absicht gewesen war. Und er genau das immer vermeiden wollte: Er hatte es geschafft Erens Leben zu ruinieren. Er hatte dafür gesorgt, dass alle ihn für verrückt hielten. Hatte ihn psychisch krank gemacht. Hatte dafür gesorgt, dass er keine Freunde hatte. Hatte dafür gesorgt, dass er sich einsam fühlte. Er hatte Eren die Kindheit nicht erleichtert, wie er es eigentlich wollte. Er hat nur herausgezögert, was dank ihm unaufhaltbar war. Er hatte dafür gesorgt, dass Eren vor ein paar Monaten als bipolar diagnostiziert wurde. Er war Schuld daran, dass der Junge, den er immer beschützen wollte, Medikamente nahm. Er war Schuld und noch nie hatte er sich so sehr gewünscht in der Zeit zurück zu reisen, wie in diesem Moment.
Er würde zurück reisen, seinem damaligen Ich den Arsch aufreißen und solange auf ihn einprügeln, bis er schwören würde Eren niemals zu belästigen.
Das würde er tun. Das wollte er tun. Doch das war nicht möglich.
18 Jahre
„Happy Birthday lieber Eren, happy Birthday to you!", sang die Gruppe und lachte am Schluss. Auch dem Brünetten schlich sich ein bescheidenes Lächeln ins Gesicht. Seit er die Tabletten regelmäßig nahm und Mikasa bei ihm war, funktionierte es. Er konnte raus gehen ohne große Probleme. Konnte Leute in seine Wohnung einladen.
Er kam klar. Und das war erstmal alles, was wichtig war.
Es war egal, dass er noch immer Alpträume hatte. Es war egal, dass er manchmal nächtelang nicht schlafen konnte. Es war egal. Er kam klar. Er konnte sein Leben ein wenig genießen und das war gut. Es war besser, als was er sich vor einem Jahr noch vorgestellt hatte.
___
„Mach dir nicht immer Vorwürfe.", murmelte Erwin und klopfte seinem Freund auf die Schulter. Sie saßen gemeinsam auf dem Dach des Mehrfamilienhauses und sahen in die Sterne. „Wie könnte ich nicht?" – „Vielleicht musst du mal ein bisschen von ihm weg. Mach mal Urlaub."
„Ich kann ihn nicht alleine lassen.", sagte Levi ruhig und blickte in Erwins rote Augen. „Du bist verliebt, nh?"
„Sag das nicht!", entgeistert starrte Levi seinen Freund an. „Ich kenne ihn seit er ein Kind ist. Ich kann nicht in ihn verliebt sein." – „Und wie erklärst du dir dein Verhalten? Das ist keine einfache Beziehung zwischen euch beiden. Und dass du ihm immer wieder das Leben rettest heißt doch nur, dass du ihn nicht loslassen kannst. Dass du seine Nähe suchst und ihn beschützen willst. Unsere Aufgabe ist es die Kinder bis zu ihrem Lebensende zu begleiten. Du hast sein Lebensende jetzt schon mehrmals herausgezögert. Ohne sein Wissen. Du hast das entschieden, weil du nicht ohne ihn leben kannst. Und das nenne ich entweder eine Obsession oder Liebe."
___
Gerade verließen die letzten Gäste das Gebäude, als Levi all seinen Mut zusammen nahm, seinen Finger zur Türklingel bewegte ihn leicht auf Jäger legte und besagter Finger, wie von selber drückte. Nur kurze Zeit später öffnete sich die weiße Wohnungstür und Eren starrte in die blauen Augen seines Gegenübers.
Der Größenunterschied der beiden sorgte dafür, dass Levi nach oben schauen musste. Während Eren nur mit aufgerissenen Augen da stand, trat Levi langsam auf ihn zu. „Du- du bist nicht echt.", murmelte der Jüngere dann leise und wandte den Blick ab.
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