Zorn der Götter
Geschichte für den Schreibwettbewerb „As cool as ice" von bierfreunde
Thema: 2 (Deine Geschichte muss beinhalten, was Regen für dich/für dienen Charakter bedeutet.)
Wörter: 1967
Regen bedeutet nichts für mich.
Jeder Tropfen fällt, jeder Tropfen landet.
Ob Nieselregen, Regensturm, Hagel oder Schnee, es bedeutet mir alles nichts.
Lange wusste ich nicht einmal, dass so etwas wie Regen überhaupt existierte. Weder mein Vater, noch meine Mutter hatten mir je von diesem Wunder erzählt. Sie hatten mir die ersten 16 Jahre meines Lebens diesen Einblick verwehrt. Bis ich eines Tages entschied, das Ganze selbst in die Hand zu nehmen.
Farben.
Man konnte sie riechen, sie schmecken, sie fühlen. Sie waren überall. Meine Welt war Farben, schon immer. Jeden Tag wachte ich auf, nur um meine Geliebten Farben wiederzusehen.
Bunte Korallen und Fische, das blaue Meer, goldene Sonnenstrahlen, die durch die Wasseroberfläche brachen, bis runter auf den sandigen Boden.
Mit geschlossenen Augen schwamm ich am Meeresgrund entlang, ließ meine Hand durch den weichen Sand gleiten, ab und zu durch eine Muschel unterbrochen.
Ich fühlte jedes einzelne Sandkorn und seine Farben. Meine langen Haare schwebten wie Seegras hinter mir her, krümmten sich in jeder Welle, umrahmten mein lächelndes Gesicht als ich anhielt.
Meine Flosse wippte im Takt der Strömung, trug mich von einem Ort zum anderen. Auch sie war bunt, schimmerte in allen Farben wenn die Sonne sie traf.
Es war ein warmer Tag, fast schon zu warm. Das Wasser um mich herum trank die Hitze der Sonne.
Ich schwamm durch unser Dorf, auf der Suche nach etwas, dass mich die nächsten Stunden beschäftigen könnte, bis meine Eltern von der Vorstellung der Tanzenden Wale zurückkamen. Eine Leere füllte meinen Körper, kroch durch mein Blut, machte mich müde.
Meine Gedanken verdüsterten sich, als ich mich erinnerte, dass ich alleine war. Keine Eltern, keine Freunde. Jeden Tag das gleiche, jeden Tag nur ich.
Versuchend, mich von diesem Gedanken abzulenken schwamm ich in meine Grotte. Sie war mein einziger Zufluchtsort, immer da wenn ich sie brauchte, immer voller Überraschungen und Abenteuer, sie füllte mich mit Wärme und Vorfreude. Die Höhle war tief und die Spitzen Steine machten es schwer, durch den Eingang zu schwimmen, aber ich war hier jeden Tag, kannte diesen Ort in und auswendig, wusste genau wie ich mich wenden musste um nicht aufgespießt zu werden.
Drinnen, geschützt von der Sonne war es kühler und schummriger. Man konnte jede Welle leise gegen die Felswände schwappen hören. Ich liebte meine Höhle, hatte sie letzten Sommer etwas entfernt von unserem Dorf gefunden. Sie war umringt von hohem Seegras, unsichtbar für jeden der nicht genau hinsah. Als ich sie fand, war sie gefüllt mit allen möglichen Schätzen: Alte Bücher, deren Seiten vom Wasser zerrissen wurden, auf den Grund gesunkene Metallteile, Schmuckstücke, Holzkisten, Angeln.
Es war ein wahres Wunder. Und bis heute hatte ich noch nicht alles entdeckt. Jeden Tag kam ich und entdeckte etwas Neues.
Die Höhle und ihre Schätze lenkten mich von der Realität ab, von der schrecklichen Wahrheit die ich noch nicht versucht hatte zu entdecken: Ich wusste nicht wer ich war. Ich wusste nicht was ich wollte, was ich brauchte. Ich war ein Fremde für mich selbst. Mein Leben lang war ich auf der Suche nach Antworten, nach einer Bestimmung, eines Sinnes. Denn im Moment machten für mich nichts mehr Sinn.
Mein Leben war ein reines Chaos.
Doch jetzt gerade, in meiner Höhle, vertrieb meine brodelnde Neugier die dunklen Schatten in mir. Sie zerrte an mir, forderte mich auf, zu entdecken, mutig zu sein.
Mit scharfem Blick lehnte ich mich gegen die Steinwand und schaute mich nach etwas um, das mir unbekannt vorkam.
Hinter mehreren, hoch gestapelten Kisten sprang mir ein Buch ins Auge. Im Gegensatz zu anderen Büchern, die ich hier gefunden hatte, war der Umschlag strahlend blau, wie das Meer an einem sonnigen Tag.
Eigenartig.
Ich schwamm rüber und nahm das schwere Buch in die Hand. Die Seiten schienen noch relativ intakt. Nur eine dünne Schicht Algen hatte sich um den Rücken des Buches gelegt. Ich wischte sie weg und betrachtete neugierig den Titel.
Regen sagte es in großen Buchstaben.
Mir war das Wort unbekannt, doch ich schlug das Buch auf und begann zu lesen.
Die Tinte auf dem nassen Papier erzählte von einem Mädchen. Sie hatte den Regen entdeckt, sich in ihm wiedergefunden, ihn verstanden, sich in ihn verliebt. Ich war fasziniert von dieser Menschengeschichte, sie zog mich tief in ihren Bann, ich verschwand die Geschichte wieder und wieder, nahm die Worte einzeln auf, ließ sie mit meiner Fantasie in meinem Kopf gedeihen und sprießen. Es machte so viel Sinn, schön alles so klar in meinem Kopf, außer der Regen selbst.
Was war Regen?
Das Buch beschrieb es als „Zorn des Himmels" was nicht sehr hilfreich war. Ich wurde panisch. Das verlange nach diesem Wissen, diesem Gefühl übermannte mich und ich blätterte hektisch durch das ganze Buch. Von vorne bis nach hinten. Und doch wurde mir die Antwort enthalten.
Frustriert schmiss ich das Buch zwischen die Türme aus Schätzen zurück.
Der plötzliche Ausbruch von Wut erschreckte mich. Doch ich schwieg, dachte nach und wartete.
Doch selbst als die Sonne schon fast die Wasseroberfläche berührte und zu untergehen drohte, wusste ich immer noch nicht was Regen war. Ich wusste, was er mit Menschen machte, was er auslösen konnte, doch nicht, was er war.
Frustriert machte ich mich auf den Weg zurück. Meine Gedanken spielten fangen und hielten keinen Moment inne. Sie waren erschöpfend, entzogen mir meinen letzten Nerv.
Meine Eltern waren schon wieder zuhause als ich ankam, beide schweigend, beide müde.
So war es jeden Tag. Als ich aufwachte waren sie bereits bei der Arbeit, als schlafen ging, waren sie noch weg. Immer angespannt, immer gestresst. Und doch waren sie meine Eltern und ich liebte sie. Meine Mutter, immer mit einer passenden Antwort parat, mein Vater liebevoll und voller unausgesprochener Zuneigung.
Trotzdem gelang es mir, mich allein zu fühlen, zurückgelassen, ignoriert.
Nach dem Abendessen und mehreren Minuten lobender Worte über den Wal-Tanz wurde es für einen Moment still und ich sah meine Gelegenheit. Meine Eltern wussten alles, auf jede Frage gab es eine Antwort, für jede Antwort eine Erklärung.
Vorsichtig, um meine Eltern nicht zu reizen, was schon mal schnell passieren konnte, setzte ich an:
„Sagt mal, wisst ihr etwas über Regen?"
Ich fühlte die Welt sofort ihren Atem anhalten. Meine Mutter senkte ihren Blick ruckartig zu Boden, was meistens bedeutete, dass sie nicht Antworten wollte und es jetzt Zeit war für meinen Vater zu reden.
Er zögerte, warf einen hilflosen Blick zu meiner Mutter und räusperte sich dann.
Warum seid ihr so?
„Regen ist ein Menschen-Phänomen. Es braucht dich nicht zu beschäftigen." meinem Vater schien diese schwammige Antwort zu genügen, doch meine Neugier gewann überhand und ich fragte weiter:
„Was ist Regen denn? Wie sieht er aus und kann man ihn sehen, wenn man an die Oberfläche geht?"
Erst dachte ich mir nichts bei den Fragen, doch beide Blicke meiner Eltern lagen sofort schockiert auf mir.
„Nera, du darfst unter keinen Umständen an die Oberfläche, weißt du eigentlich wie gefährlich das sein kann?" schnappt meine Mutter plötzlich.
Ich blinzelte ein paar mal verdattert bevor ich zu einer Antwort ansetzten wollte, doch mein Vater unterbrach mich.
„Kein weiteres Wort über den Regen oder die Oberfläche, haben wir uns verstanden?"
Ich hatte ihn noch nie so wütend gesehen. Mein Magen drehte sich um, als ich in seine Zorn durchzogenen Augen sah. Sie funkelten mich an wie messerscharfe Klingen.
Was war nur in ihn gefahren?
Sonst war er doch immer mein ruhiger, lieber Vater der keiner Fliege schaden würde, doch jetzt, jetzt war er getränkt in kalter Wut. Doch warum? Was hatte ich falsch gemacht? Was hatte ihn so erzürnt?
Ich senkte meinen Blick auf den Boden, ich konnte es nicht ertragen ihn so zu sehen, er machte mir Angst. Den Rest des Abends schwieg ich.
Als meine Eltern dann spät in der Nacht, als man den Mondschein schon durch die Wellen schimmern sah, zu Bett gingen, saß ich noch lange aufrecht in meinem Bett und starrte in Gedanken untergegangen durch das Fenster in das schwarze Meer.
Schlaf war unerreichbar in dieser Nacht, zu sehr wanderten meine Gedanken durch leere Räume, durch Bücher über Regen, durch die zornigen Augen meines Vaters.
Also entschied ich, meine Höhle erneut zu besuchen, ich wusste nicht, was ich sonst hätte machen können.
Die Müdigkeit legte sich schwer um meine Schultern, wie ein Mantel der belastend auf mir ruhte. Doch der Schlaf konnte mich nicht erreichen.
Erschöpft torkelte ich durch die dunklen Wellen auf der Suche nach meiner Höhle, doch es war schwerer als gedacht mich in dieser finsteren Nacht zu orientieren.
„Noch so spät auf?" ertönte plötzlich eine leises Flüstern hinter mir.
Einen Schrei unterdrückend drehte ich mich blitzschnell um. Ich war nur wenige Meter entfernt von einer kleinen Gestalt, die wie eine dunkle Silhouette vor mir im schwarzen Meer schwamm. Erleichtert atmete ich aus, als ich bemerkte, dass es nur meine Großmutter Arina war. Sie hatte die Angewohnheit, Leute zu erschrecken.
Arina schwamm auf mich zu und im Licht eines vorbei schwimmendem Leuchtfisches konnte ich die Falten auf ihrem Gesicht, die zu einem amüsierten Grinsen verzogen waren, erkennen.
Auch ich musste leicht lächeln, weil ich nicht darüber hinwegkam, wie sehr ich meine Großmutter liebte.
„Und, was hält dich heute Nacht wach, meine Liebe?" stellte sie die Frage, die ich mich auch selbst fragte.
Schulterzuckend antwortet ich, währen ich meinen Arm um ihre Schulter legte: „Ich weiß es nicht wirklich." dann zögerte ich kurz. Doch meine Großmutter war nicht wie meine Eltern. Sie unterstütze mich immer, egal wie viel Mist ich anstellte.
Also atmete ich tief ein und begann zu erzählen. Ich erzählte von dem Mädchen aus dem Buch, von meinen Eltern, vom Regen. Sie unterbrach mich nicht und hörte mir geduldig zu.
Als ich zünde geredet hatte, schwieg sie für ein paar Momente.
„Regen. Regen, Regen, Regen." sie gluckste „Es ist wahrlich ein erstaunliches Ereignis." Ich konnte das vorfreudige Lächeln in ihre Stimme hören, was mir sagte, dass jetzt eine ihrer Geschichten folgte.
„Regen ist Wasser, das vom Himmel strömt. Wenn die Wolken sich verdunkeln und vor die Sonne schieben, wenn die Götter ihre Wut an der Welt auslassen möchten." sie lächelte mich mit ihrem wundervollen Lächeln an. Sofort machten sich Bilder in meinem Kopf breit, von glitzernden fallenden Wassertropfen, die auf mein Gesicht fielen und über meine Wangen in das endlose Meer aus Regen strömten.
Ich fragte mich, woher sie all das über den Regen wusste, doch bei meiner Großmutter wunderte mich eigentlich nichts mehr. Sie war voller unentdeckter Geheimnisse, die es zu erforschen galt. Doch für heute reichte ein Abenteuer.
„Ich glaube" unterbrach sie meinen Gedankengang und blickt nach oben, wo man die Reflexion des Mondes auf der Wasseroberfläche schimmern sehen konnte „Ich glaube, wir haben Glück. Es sieht so aus als hätten die Götter genug von uns." Überrascht folgte ich ihrem Blick. Ich konnte nichts ungewöhnliches erkennen. Doch meine Großmutter nickte mir ermutigend zu. Ich zögerte, weil mein Vater es mir ausdrücklich verboten hatte. Aber ihr Zwinkern gab mir den letzten Energieschub.
Ich wollte den Regen so sehr sehen, wollte das Wasser auf meinem Gesicht spüren, wollte durch die glatte Oberfläche des Wassers brechen, im Zorn der Götter baden.
Also schwamm ich, ohne einen Blick zurück, mit aller Geschwindigkeit die ich in meinem Körper aufbringen konnte, senkrecht nach oben.
Je näher ich der schimmernden Oberfläche kam, desto schneller wurde ich, desto schneller raste mein Puls.
Dann brach ich durch das kühle Wasser und schwamm im Mondschein.
Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, doch was ich sah, glich nichts, was ich je gesehen hatte:
Schwarze, schwere Wolken hoben sich vom dunkelblauen Himmel ab, umrandet von glitzernden Sternen. Aus ihnen strömte ein eiskalter Tropfen nach dem anderen. Es war ein wüster Sturm, ein Kampf zwischen Wind und Regen, ein Tanz des Wassers.
Ich schloss meine Augen, konzentriert darauf, jede Sekunde dieses Spektakels aufzunehmen, diesen Moment niemals zu vergessen.
Ich verstand.
Regen war verstehen.
Regen war ich.
Die Idee für diese Geschichte ist entstanden, als ich eines Abends über den Sinn des Lebens nachdachte und dann irgendwann bei der Frage ankam, ob Fische Regen sehen könne, wenn sie unter Wasser sind.... XD
Das hat mich dann irgendwie zu Meerjungfrauen gebracht, fragt nicht wie.
L.G.
-AD
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