31 {Neuer Auftrag?}
《Aus Charlottes Leben》
Obwohl ich am liebsten viel länger den Ausblick durch das Fenster genossen hätte, gehe ich wieder runter, weil ich nicht will, dass Fay erfriert. Irgendwie will ich nicht, dass jemand von diesem besonderen Ort erfährt, weshalb ich ihr nicht erzähle, was ich dort gesehen habe.
"Du hattest Recht, nur Staub und ein paar alte Möbel", sage ich und grinse schief. "Lass uns wieder zurück in die Höhle gehen."
Nach einer viertel Stunde Fußmarsch stehen wir wieder in der Eingangshalle. Fay bringt kurz das Pferd zurück, bevor wir uns in die Kantine zum Abendessen begeben. Ein paar Botschafter sind schon da. Sie unterhalten sich aufgeregt. Unter den Südafrikanern schnappe ich einen Satz auf. "Ein paar sind gerade erst zurück." Was hat das zu bedeuten?
Ich setze mich einfach wieder neben Fay, die die Unruhe ebenfalls bemerkt zu haben scheint. Gespannt schaut sie immer wieder zur Tür. "Man, Nic, wo bleibst du?" Sie stopft das Essen regelrecht in sich hinein, als Nic endlich mit einer Gruppe anderer Männer in seinem Alter reinkommt. Seelenruhig nimmt er sich sein Essen, bevor er sich schließlich von seinen Freunden verabschiedet und unsere Ecke ansteuert. "Na, wo wart ihr denn? Ich wollte einmal zu dir, Fay, aber mir hat nur deine Mitbewohnerin aufgemacht." Sie schluckt kurz, bevor sie antwortet. "An der alten Villa." Er nickt wissend. "Tja, während eurer Abwesenheit kam eine Nachricht auf allen Tablets." Sofort stelle ich mein Wasserglas wieder ab. "Es geht jetzt schon mit dem nächsten Auftrag los." Ich schnappe nach Luft und Fay lässt ihren Löfffel einfach in ihre Suppe fallen. "Warum das denn?" fragt sie seelenruhig, während ich nur an eines denken kann. Jean ist noch nicht zurück. Er ist erst drei Tage weg. Mr Acorn sagte, bis zur nächsten Reise würde es noch dauern!
"Wir müssen schneller voran kommen. Die Weltbevölkerung steigt täglich an und es gibt immer mehr Menschen, die unsere Hilfe brauchen. Fay, pass auf, wenn du mir jetzt widersprichst, stellst du deine Arbeit als Botschafterin in Frage. Du könntest suspendiert werden." Beruhigend legt Nic eine Hand auf den Arm seiner besten Freundin. "Mich beruhigen? Es ist noch nicht mal eine Woche vergangen, seit wir zurück sind. Die Verkündung der neuen Mission ist keinen Monat her! Nic, ich habe einen Job! Ich habe ein Leben außerhalb von dem allen hier! Ich will Zeit mit meinen Freunden und meiner Familie verbringen können, ohne die ganze Zeit die Menschen im Hinterkopf zu haben, die meine Hilfe benötigen."
Ein alter Kubaner dreht sich betont langsam zu ihr um. "Mein Leben dreht sich nur um meine Tätigkeit als Botschafter. Ich kann es mir gar nicht mehr ohne sie vorstellen. Es ist eine Schande, es nicht wert zu schätzen, ausgewählt worden zu sein. Wenn du diese Verluste nicht riskieren möchtest, werden sie dich schnell ersetzen und bei der nächsten Mission haben wir jemanden Neues, der den Job für die USA übernimmt." Es folgt zustimmendes Gebrüll von den Brasilianern und Argentiniern.
"Botschafter, was ist hier los? Gibt es ein Problem?" Mr Acorn betritt den Raum. Seine Haare sind nicht so unordentlich wie sonst, sondern ordentlich gekämmt. Er bietet einen kompletten Gegensatz zur aufgeheizten Stimmung im Raum.
"Ja, sie!" Der Kubaner zeigt anklagend auf Fay. "Sie respektiert unsere Arbeit nicht. Sie denkt, sie sei Zeitverschwendung!"
"Ich habe nie gesagt, dass unsere Arbeit Zeitverschwendung ist. Ich habe nur gesagt, dass auch andere Dinge wichtig sind." Bittend sieht sie Mr Acorn an. "Da stimmen Sie mir doch zu, oder?"
Ein paar Sekunden lang ist es komplett still, bis Mr Acorn antwortet. "Fayuna Baids, wie kommen Sie zu dieser Auffassung? Die Botschaft zu überbringen ist eine Lebensaufgabe. Sollten Sie sie nicht mit vollster Überzeugung ausführen bitte ich Sie, jetzt zu gehen." Alle Blicke sind auf Fay gerichtet. Doch sie rührt sich nicht. "Na los, raus hier! Du hast es nicht verdient, hier zu sein!" Der Kubaner haut mit einer Faust auf den Tisch.
"Nein!" Nic starrt zunächst hasserfüllt ihn an und wendet sich dann Fay zu. "Du bist die Richtige für diesen Job und keine andere. Ich kann mit niemandem die Botschaft besser überbringen als mit dir!" Sie seufzt. "Wenn du auf meiner Seite bist, Nic, komm mit mir mit. Ich lasse mir von solchen Leuten nichts sagen und ich werde auf keinen Fall mit ihnen arbeiten." Wütend steht sie auf. "Komm mit, Nic!"
Er zögert offensichtlich und weiß nicht, was er tun soll. "Fay, bitte, denk nochmal drüber nach. Das bringt doch niemandem etwas", versucht er sie zu besänftigen. "Was bringt es noch, hier zu bleiben, wenn die anderen mich nicht hier sehen wollen? Wenn dir wirklich etwas an mir liegen würde, würdest du mit mir kommen. Wir könnten ein ganz normales Leben führen und den ganzen Quatsch vergessen, aber du stehst anscheinend auf der Seite der anderen. Auf Nimmerwiedersehen!" Mit diesen dramatischen Worten stürmt sie hinaus, natürlich nicht, ohne die Tür ordentlich zu zuknallen.
"Sie ist so stur", murmelt Nic. Ich frage mich, ob es entschuldigend gemeint ist oder nicht. "Das war eine gute Entscheidung, Mr Lawrence." Urlo Acorn lächelt ihm ehrlich zu. "Liebe Botschafter", beginnt er dann, "Wie Sie auf Ihren Tablets bereits gelesen haben, beginnen wir bereits verfrüht mit dem zweiten Auftrag dieser Mission. Es tut mir leid, aber anders können wir es nicht bewerkstelligen. Natürlich weiß ich", sein Blick schnellt kurz zu mir, "Das einige Botschafter noch nicht zurückgekehrt sind. Jedoch sind alle anderen, bis auf diese kleine Ausnahme, spätestens heute von ihrem ersten Auftrag zurückgekehrt. Demnach geht es weiter. Ich werde gleich die zugehörigen Namen vorlesen. Zunächst aber noch eine gute und eine weniger gute Nachricht."
Hoffentlich hat es etwas mit Jean zutun. Hoffentlich kommt er bald zurück. Am besten noch heute. Ich kann doch nicht ohne ihn den nächsten Auftrag antreten!
"Ich beginne mit der Schlechten. Es hat sich herausgestellt, dass Abraham Sjlas nicht auf unserer Seite ist." Der ganze Saal schnappt hörbar nach Luft. Was hat das zu bedeuten? "Wie Jean Levevre mir gestern Abend mitteilte, hat er einige schwerwiegende Fehler begangen. Da Sie das Recht haben, zu erfahren, was er gemacht hat, werde ich es Ihnen nun berichten.
Nun, als Jean sich mit seiner Freundin Lilly von Staulingen, dem Beobachtungsobjekt von Abraham und Safira, traf, erzählte diese ihm von einem ungewöhnlichen Hausmeister, der kürzlich an ihre Wohnungstür klopfte. Manche von Ihnen wissen vielleicht bereits, was passiert ist." Ein Seitenblick auf mich folgte. "Abraham wies Lilly an, die Musik leiser zu stellen, die angeblich aus ihrem Zimmer kam. In Wirklichkeit allerdings, lief die Musik zwei Stockwerke über ihr. Damit zog er schon sehr viel Aufmerksamkeit auf sich, doch es geht noch weiter. In den Tagen danach kam Abraham immer wieder zu Lilly, allerdings ohne mit ihr zu sprechen. Eines Tages fragte er sie nach der Buchhandlung Barthet in Paris. Nachdem sie ihm den Weg dorthin beschrieben hatte, kam er mit dem Buch zurück. Unserem Buch." Ich schnappe nach Luft. Das Buch, welches ich mir damals gekauft habe?
"Er hat es ihr geschenkt. Seit dem ist Abraham offenbar untergetaucht, weder Jean Levevre noch ich konnten ihn bisher ausfindig machen." Mr Acorn legt eine kunstvolle Pause ein. "Das ist eine Katastrophe. Eine Katastrophe, wie wir sie noch nie erlebt haben." Eine Frau aus Sierra Leone traut sich, etwas zu fragen. "Kann sie hier hin gelangen?"
Mr Acorn sieht sie zum Teil traurig, zum Teil verzweifelt an. "Das ist ja das Problem. Ich weiß es nicht. Ich habe überall nachgeschaut. In allen Aufzeichnungen. Doch ich finde einfach nichts. Unsere einzige Möglichkeit bisher besteht darin, dass Jean es schafft, Lilly das Buch unbemerkt abzunehmen, möglichst ohne Aufsehen zu erregen. Danach wird er aber wieder hierher kommen, damit Sie alle Ihren zweiten Auftrag ohne Einschränkungen erledigen können." Wieder lächelt er mir zu. Heißt das, wir warten doch, bis Jean wieder zurück ist? Mr Acorn muss die Hoffnung in meinem Blick gesehen haben, denn er schüttelt entschuldigend den Kopf. "Leider können wir aber nicht darauf warten, dass dies geschieht. Deshalb werden Sie bereits in wenigen Stunden aufbrechen müssen. Ich nenne nun die Namen der zu beobachtenden Personen."
Nic und ich schauen uns an. Wir wissen beide, was das heißt. Ich werde auf jeden Fall erst einmal alleine zurecht kommen müssen und er auch, wenn er es nicht mehr schafft, Fay zu überreden, doch weiterzumachen. Denn so schnell kann Mr Acorn wohl keine Vertretung finden.
"Lu Martin und Ismael Tucarem: Eduard Ignác. Bütnahr Bütnahrson und Erna Bütnahrson. Madhia Sistani. Diego Gusto und..." Namen werden genannt, die ich nicht erfasse. Alles rauscht an mir vorbei. Nur Nics Person bekomme ich wirklich mit. Und ein paar Namen später werde bereits ich genannt.
"Charlotte Dubois und Jean Levevre: Mali Black." Ich erinnere mich an den Namen. Auf dem Tablet stand, dass sie verheiratet und eine Rechtsanwältin ist und in Chigaco wohnt. Chigaco. Da wollte ich schon immer mal hin. Aber alleine?
~❤️~
"Nic Lawrence, so lange ihre Partnerin sich weigert, weiter zu machen, teile ich Ihnen eine Vertretung zu. Meine ehemalige, überaus reizende Partnerin Esther wird Sie begleiten. Charlotte Dubois, Sie werden zunächst alleine nach Chicago reisen, ihr Partner wird sicher spätestens in ein paar Tagen zu Ihnen stoßen. Wir sehen uns in zwei Stunden beim Wasserfall." Nachdem er noch einmal seinen Blick über uns schweifen ließ, ging er hinaus. Und nach ein paar Sekunden des Schweigens setzt das allgemeine Getuschel wieder ein.
~❤️~
Achim erwartet mich bereits, als ich die Tür zu meinem Zimmer aufstoße. Meine Mitbewohnerin ist zum Glück noch nicht da, auf ihre netten Impulse kann ich echt verzichten.
"Oh, Miss! Sie sind ja ganz dreckig!" Verdutzt schaue ich an mir hinunter. Doch er hat Recht. Meine Hose ist unten ein bisschen aufgeweicht und an meinen Schuhen klebt Dreck. "Ich war den ganzen Nachmittag draußen. Entschuldigung." Sofort ziehe ich die Schuhe aus. "Gut, dass ich heute noch in Ihrem Haus war und Ihnen ein neues Paar Schuhe mitgebracht habe." Er hält mir meine rosafarbenen Sneaker hin, die ich letztes Jahr bei einem Shoppingtrip mit Vivien gekauft habe. Ich beiße mir kurz auf die Lippe, fange mich aber schnell wieder und stelle sie unter die Garderobe. Dann hole ich meinen Koffer hervor, der noch nicht einmal ganz ausgepackt ist.
"Wie wäre es, wenn Sie mir die Kleidungsstücke reichen und ich falte sie und lege sie in den Koffer, Miss?" schlägt Achim vor. "Ja, das ist eine gute Idee."
Achim schafft es, mich für eine halbe Stunde abzulenken. Ihm gelingt es sogar, mir Vorfreude auf Chicago zu machen. "In diesem Briefumschlag befinden sich alle nötigen Papiere. Sie werden höchst wahrscheinlich in einer freien Ecke im Flughafen ankommen. Ihren Koffer sollten Sie dann schleunigst am Gepäckband abholen. Offiziell saßen Sie in einem Flugzeug von Paris nach Chicago, allerdings unter dem Decknamen", er schaut kurz auf seine Papiere, "Marie Chevalier. Danach nehmen Sie sich ein Taxi und nennen diese Adresse hier." Er zeigt wage auf das Blatt. "Noch Fragen?"
Ich nicke. "Wie viele Sterne hat das Hotel, in dem ich unterkommen werde?" Er lacht. "Kein Hotel, Miss. Sie werden die neue ausländische Babysitterin für Mrs Blacks Kinder. Wie heißt dieses Wort nochmal?"
"Au Pair?"
"Genau. Auf diese Weise kannst du wesentlich schneller Mrs Black's Vertrauen erlangen. Und es bleibt mehr Geld für Spaß übrig." Achim zwinkert mir zu, während er mir beim Schließen des Koffers hilft. "Danke, Achim. Du warst mir eine große Hilfe. Kommst du gleich noch mit zum Wasserfall?" Während ich mit Jean telefoniere, was ich gleich tun werde, will ich allein sein, aber gleich könnte ich etwas Unterstützung brauchen.
"Selbstverständlich, Miss. Wenn Sie das wünschen." Er verbeugt sich und geht hinaus.
Nach einem kurzen Tuten meldet sich Jean bereits. "Salut! Gut, dass du jetzt anrufst. Morgen steht schon der Umzug an. Hoffentlich gelingt es mir dann, an das Buch zu kommen. Mr Acorn hat euch bestimmt schon davon erzählt, oder?" Beginnt er drauf los zu reden.
"Jean... Der zweite Auftrag steht an."
"Was? Aber ich bin doch noch gar nicht zurück!"
"Trotzdem geht es jetzt los. Wir haben offenbar keine Zeit mehr. In einer Stunde breche ich nach Chicago auf. Wenn du fertig bist, stößt du dann hinzu. Achim hat mir gerade erzählt, dass ich als Au Pair dort im Haus leben werde. Ich denke, was für eine Rolle du spielen wirst, hängt davon ab, wann du kommst. Ach, und ich trete dort unter falschem Namen auf. Ich werde Marie Chevalier heißen." Er schnaubt. "Ernsthaft? Das ist ein Aller-Welts-Name!"
"Charlotte ist auch ein häufiger Name", bemerke ich daraufhin nur. "Also ich bringe damit nur dich in Verbindung und keine andere.
Marie. So hieß eine frühere Klassenkameradin von mir. Sie ist das komplette Gegenteil von dir."
"Blond, arm und nett also?" frage ich. Er lacht. "Nein. Blond, fett und arrogant. Woher kommt diese Unsicherheit, Charlie?" Das ist eine gute Frage. Ich habe keine Ahnung.
"Ich weiß es nicht. Beeil' dich, ja?"
"Immer doch, Süße. Wenn es gut läuft, bin ich schon morgen Abend bei dir. Bis bald!"
~❤️~
Ein Botschafter nach dem anderen springt ins Wasser. Es sind nur noch drei, bis Nic dran ist. Er hat alles versucht, um Fay zum Bleiben zu überreden, doch es ließ sich nichts machen. Sie ist schon gesprungen, bevor alle anderen da waren. Bevor ich da war.
"Glaubst du, sie ist auch böse auf mich?" Ich weiß, dass er jetzt andere Sorgen hat, doch ich muss Nic diese Frage unbedingt stellen. "Ganz bestimmt nicht. Du hast nichts gegen sie gesagt, wie die anderen."
"Aber ich habe sie auch nicht verteidigt", gebe ich zu Bedenken. "Ich auch nicht. Und trotzdem hat sie mir gerade noch gesagt, wie sehr sie mich liebt."
Mein Gesicht spricht wohl für sich, denn er sagt sofort: "Nur freundschaftlich."
"Nic Lawrence!" Mr Acorn winkt ihn zu sich. "Esther wartet schon auf dich, wenn du ankommst. Grüß sie bitte von mir."
Nachdem er in den Fluss gestiegen ist, reiche ich ihm die kleine Holzkiste. Er umklammert sie fest. "Viel Glück!" sagen Mr Acorn und ich gleichzeitig. Dann springt er hinunter.
Fünf Minuten später bin ich schon dran. "Charlotte. Pass auf, dass du dich bei jedem als Marie Chevalier vorstellst. Und hab ein bisschen Spaß in Chicago." Mr Acorn zwinkert mir zu. Er muss meinen angespannten Gesichtsausdruck bemerkt haben.
Achim gibt mir meinen Koffer und meine Handtasche, in der sich die Truhe befindet.
"Viel Glück!" ruft Mr Acorn auch mir zu und stößt Felicitas an, die bereits neben ihm steht. Sie ist die nächste. "Ja, viel Glück", sagt sie gelangweilt. Ich nehme all meinen Mut zusammen und springe.
In einer freien Ecke im Flughafen. Das hat Achim mir gesagt. Das mit einer freien Ecke auch eine Männertoilette gemeint sein kann, habe ich leider nicht bedacht, sonst hätte ich mir vorher einen Notfallplan überlegt. Die vielen Geräusche deuten daraufhin, dass ich keines Falls allein bin. Was soll ich bloß tun? Mich blamieren oder warten? "
Ich entscheide mich dafür, Jean eine Nachricht zu schreiben, um ihn um Hilfe zu bitten.
Hätte niemals gedacht, in einer Männertoilette anzukommen. Was soll ich denn jetzt machen?
😂 Keine Ahnung. Deine Haare verstecken und ne Jacke anziehen und so tun, als wärst du einer?
Danke für das Kompliment. Das kann man auch an meinem Gesicht sehen!
Wirklich??? 😂 Oder du schminkst dich einfach ab. Ohne Make-up siehst du eh aus wie ein Geist. Keiner wird dich ansprechen, weil jeder Angst vor dir hat!
Oder ich bin mutig und gehe einfach so raus. Aber ich bin mir da nicht so sicher...
Wieso? Dich kennt eh niemand.
Hier riechts irgendwie komisch.
Das ist normal. Bei Grad 1 der Luftverpestung solltest du einfach so schnell es geht flüchten. Bei Grad 2 reicht es meistens, wenn du dir die Nase zu hälst. Grad 3 ist die totale Eskalation. Hier brauchst du einen Schutzanzug mit Gasflasche, da sich die Luft im Raum definitiv nicht mehr zum Atmen eignet.
Ich atme einmal tief durch, muss aber sofort Husten, dieser Gestank ist einfach unerträglich. Dann öffne ich die Tür.
Ein Kerl, der sich gerade die Hände wäscht, fängt direkt an zu lachen. "Hast dich wohl in der Tür geirrt." Ich tue so, als hätte ich ihn nicht gehört und wasche mir so schnell es geht die Hände. Ein weiterer Typ tritt aus einer Klokabine und grinst mich an. "Was ist hier denn gelaufen?" Er zieht vielsagend die Augenbrauen hoch.
Um ihn zu verwirren, murmele ich ein paar französische Schimpfwörter und fange dann an, über belanglose Dinge, wie das Wetter, zu reden. Schließlich komme ich auf den Geruch in diesem Raum und den Ungehorsam mancher Männer zu sprechen, als er mich unterbricht.
"Halt mal deine Klappe, ich verstehe dich nicht! Weiber, ey."
"Sorry?" Mit einem unschuldigen Lächeln blicke ich ihn an und verlasse die Toilette. Natürlich nicht, ohne vorher überall fleißig Deo herum gesprüht zu haben.
Nachdem ich meinen Koffer abgeholt habe, kämpfe ich mich durch die Menschenmasse. Draußen schlüpfe ich schnell in ein Taxi und nenne die Adresse der Familie Black. Die Taxifahrerin, eine um die 60-Jährige Blondine, ist eine von der gesprächigen Sorte. Sie erzählt mir ihre gesamte Lebensgeschichte. Wir sind gerade bei der Geschichte von der Theateraufführung ihres Sohnes, der mitten auf der Bühne gestolpert ist und das gesamte Bühnenbild mitgerissen hat, als wir angekommen sind.
Das Haus der Familie Black liegt in einer reicheren Gegend von Chicago, die man schon fast als Vorstadt bezeichnen konnte. Ich bezahle kurz und stehe dann alleine auf der dunklen Straße. Nervös klingele ich an der Haustür des Einfamilienhauses. Ein Rufen ertönt. "Mum, es hat geklingelt!"
"Ja, ja, ich komme schon." Jemand hastet eine Treppe hinunter und die Tür öffnet sich.
"Guten Tag, ich bin Marie, das neue Au Pair", stelle ich mich mit dem Satz, den ich mir bereits im Taxi zurecht gelegt habe, vor. "Schön dich kennenzulernen." Die Frau schüttelt meine Hand. "Ich bin Mali Black. Es tut mir so leid, dass wir dich nicht vom Flughafen abholen konnten, Marie. Ich hoffe, du hattest eine angenehme Reise." Sofort nicke ich. "Ja, ist alles glatt verlaufen."
"Komm doch rein!" Sie zeigt mir erst das Haus, bevor sie vor einer Tür im ersten Stock stehen bleibt. "Das ist Pearls Zimmer. Und das da hinten Emeralds", erklärt sie, klopft an die Tür und tritt ein. "Hey, Pearl. Marie ist da." Das Mädchen, was schon mindestens zehn ist, schaut mich prüfend an. "Hallo. Ich bin Pearl. Ich bin schon elf, also brauchst du gar nicht erst versuchen, mit mir zu spielen oder sonst etwas."
"Eigentlich ist sie sehr nett", versichert mir Mali, bevor sie mir noch ihre andere Tochter zeigt. Diese ist gerade fünf geworden und freut sich auf eine neue Spielkameradin. Mein neuer Job ist es also, die beiden möglichst lange zu bespaßen und ihrer Mutter näher zu kommen. Und das hoffentlich bald gemeinsam mit Jean.
3106 Wörter, ein neuer Rekord. 😂
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