19 {Wieder vereint? Oder doch nicht?}
Come away with me - Tracey Chattaway
《Aus Charlottes Leben》
Wie konnte ich nur? Wie konnte ich hier so untätig sitzen und es mir gut gehen lassen? Meine Cousine ist gestorben und Phillipe liegt lebensgefährlich verletzt im Krankenhaus.
Während ich mit Jean gelacht habe haben meine Verwandten zuhause um Vivien getrauert. Und ich bin einfach verschwunden. In ein Land, das genau genommen nicht existiert. Ich bin schon immer ein Mensch gewesen, der auf Fakten zählte, nicht auf Wunder. Und das kann sich von einem Tag auf den anderen auch nicht ändern. Wie konnte ich denken, dass es funktionieren könnte. Das ich Phillipe von jetzt auf gleich vergessen könnte. Das mir Vivien egal wäre.
Sie war immer noch meine Cousine. Und sie wird es auch immer bleiben, obwohl sie mir meinen Freund ausgespannt hat. Denn es war ja auch Phils Schuld.
Ich schreie so laut, dass man es bestimmt bis zur Höhle hören kann. Jetzt weiß Jean wahrscheinlich, wo ich bin, aber das ist mir egal. ER ist mir egal. Im Moment zählt nur das, was ich verloren habe. Nicht das, was ich bekommen habe.
Ich habe mein altes Leben verloren. Alles, worauf ich früher zählen konnte ist auf einmal weg. Ein für alle male. Und jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Wenn ich zurück kommen werde, werde ich nicht mehr so sein, wie früher. Ich werde mich verändert haben. Ich habe mich bereits verändert, als Vivien starb. Es ist nichts in mir zusammengebrochen, nein. Ich habe meine Chance verpasst, Frieden zu schließen. Denn darum geht es eigentlich im Leben. Man zerstreitet sich, zofft sich bis zum geht nicht mehr und am Ende verträgt man sich wieder. Der Streit, oder eher die Funkstille, kann zwei Jahre andauern, oder nur zwei Minuten.
Ich lasse mich neben einen Baum fallen, Tränen sickern in den Boden. Ich schlage gegen den Stamm des Baumes. Es tut verdammt weh, aber es ist gut, den Schmerz zu spüren.
Wie konnte ich überhaupt glauben, dass ich Jean nahe sein würde? Ich kenne ihn gar nicht und er mich auch nicht.
Aber er hat mich in einem Zustand erlebt, den beinahe niemand kennt. Er hat mich weinend, fassungslos und traurig erlebt. Er hat mich gesehen, als ich den Halt verlor. Und er hat mich festgehalten.
Und was mache ich, die Idiotin? Ich stoße ihn von mir und renne vor ihm weg.
Es kommt mir so vor, als hätte ich bis jetzt nichts als Fehler gemacht.
Ich bin Schuld an Phillipes Verletzungen.
Ich bin Schuld an Viviens Tod.
Und jetzt habe ich schon wieder einen Fehler gemacht. Ich habe den einzigen Menschen, der mich noch erträgt von mir ferngehalten.
Doch was noch viel schlimmer ist... ich habe alles verdrängt.
~♡~
"Charlie! Charlotte! Wo bist du?" höre ich ihn schreien. Soll ich antworten?
"Hier." rufe ich schwach. "Wo ist 'Hier'? Hier kann überall sein." Man kann sein Grinsen förmlich hören. "An einem Baum." antwortete ich sarkastisch. "Mmh, also deine Spuren sind ja kaum zu übersehen. Ich glaube, ich finde dich."
"Jean, hör auf." Ich merke, dass er mir immer näher kommt.
"Mit was aufhören?"
"Hör auf, so fröhlich zu sein."
Daraufhin schweigt er. Bis ich ihn sehe. "Da bist du ja!" ruft er erleichtert. "Ich hab mir solche Sorgen gemacht."
"Aha."
"Ach, Charlie..." Als er bei mir ankommt, lässt er sich zu Boden fallen und legt einen Arm um mich. "Willst du darüber reden?"
"Nein. Worte können verletzen. Worte können auf einen wirken wie eine Pistole. Oder ein Messer. Schweigen ist manchmal auch nicht gerade das beste, aber wenigstens geht dadurch niemand zugrunde." Ich schlucke.
"Warum weinst du denn?" Er versucht, mich noch enger an sich zu drücken, doch ich rutsche weg. "Phillipe ist ein Arsch und das weißt du. Du bist nur zu naiv, um es dir einzugestehen. Du hast nichts falsch gemacht, okay? Du warst nicht mit im Auto, du hast Phillipe noch nicht mal provoziert. Du warst nur auf dieser Party. Und der Unfall ist danach passiert. Da warst du schon längst Zuhause. Du hättest sie nicht retten können und sie sind auch nicht wegen dir auf dieser Autobahn gewesen. Du bist nur Viviens Cousine und gleichzeitig Phillipes Ex-Freundin. Zwischen euch hat es keinen Streit um ihn gegeben, gar nichts."
"Ich bin also naiv. Wärst du nicht auch ein klitzekleines bisschen erschüttert, wenn deine Cousine stirbt, kurz nachdem ihr einen unausgesprochen Streit hattet?" Ich schüttele den Kopf. "Entweder du bist ein Egoist oder du verstehst den Ernst der Lage einfach nicht."
"Charlie, allein der Umstand, dass ich hier sitze zeigt doch, dass ich nicht egoistisch bin. Und das du mir etwas bedeutest." Lächelnd nimmt er meine Hand. "Wir können zurückkehren und dir einen Therapeuten besorgen, wenn du einen brauchst. Alles kein Problem."
Ich stocke kurz. Zuhause. Dort sollte ich tatsächlich jetzt sein. Bei Tante Dana und Onkel Henry. Und bei meinem Cousin Robin. Bei Mère und Père.
"Wenn du dich so für mich interessierst, WIESO versuchst du dann nicht, mich zu verstehen? Du sitzt hier nur und erklärst deine Sichtweise. Wer hat denn gesagt, dass ich nicht schuldig bin?"
Jean steht auf. "Vivien ist schuldig. Und Phillipe. Die beiden haben etwas miteinander angefangen, sie waren im Auto..."
"Aber ich war in das ganze involviert!"
"Charlie... als du noch Zuhause warst hast du den beiden die Schuld gegeben, was auch richtig ist. Deine Meinung kann sich aber auch nicht durch das alles hier verändert haben. Du warst einfach nur abhängig von Phillipe."
Ich verdrehe die Augen. "Du hast doch keine Ahnung! Du kennst mich noch nicht mal!" schreie ich und gehe von ihm weg. "Ich versuche nur, dir Halt zu geben!" verteidigt er sich.
Mein Halt. Er hilft mir. Er ist immer für mich da.
Wann war Jean mal nicht für mich da?
"Wenn du mir helfen willst... Dann lässt du mich jetzt los. Für einen Moment. Bitte." Ohne ihn ein weiteres Mal anzusehen drehe ich mich um und renne los. Richtung See.
Ich klettere die glitschigen Felsen hoch, bis ich hoch oben am Fluss stehe. Diesmal habe ich keine Angst, ich will nur nach Hause, bin überzeugt, dass es mir dann besser gehen wird. Lächelnd blicke ich hinunter. Bald wird alles besser. Ich werde das Buch mit den Zaubersprüchen vergessen, genauso wie Jean, Mister Acorn und das Tal der Tränen. Ich werde mir eine andere Uni suchen und dann weiter machen wie bisher. Nur ohne Vivien und Phillipe. Und ich werde niemals mehr weinen.
"Nie wieder..." flüstere ich, bevor ich in den Fluss steige. Er liegt ruhig da. Langsam tauchen meine Füße ins Wasser, dann folgen meine Beine. Sicher stehe ich im Fluss. Gerade will ich an die Böschung treten, an der der Fluss den Wasserfall hinunter stürzt, als das Wasser um mich herum auf einmal anfängt, Wellen zu schlagen. Dadurch kann ich mich kaum mehr auf den Beinen halten und verliere das Gleichgewicht. Außer Atem tauche ich wieder auf, als ich die Hand bemerke, die mir hingehalten wird. "Komm raus, Charlotte. Das ist keine gute Idee."
"Wieso nicht?" frage ich trotzig. "Alte Wunden werden aufgerissen, also..."
"Ich will aber!" Und somit trete ich wieder an die Böschung. "Jean, du kannst mich mal." Und dann springe ich.
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Unglaublich... Im Tal der Tränen hat über 300 Reads. Genial!
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