8 - Eine allerletzte Chance
„Bedeutet dieser Kuss, du verzeihst mir und gibst mir noch eine allerletzte Chance?" Dan schaut mir so tief in die Augen, dass mir kurzzeitig schwindelig wird. Da ist dieses winzige hoffnungsvolle Funkeln in seinen Pupillen, das mein Herz zum Tanzen bringt.
Vermutlich habe ich zu voreilig über Dan geurteilt.
Nach meiner Kuss-Flucht hätte auch ich das Gespräch mit ihm suchen können oder vielleicht sogar müssen, aber das habe ich nicht getan. Wie ein Feigling habe ich darauf gewartet, dass Dan den ersten Schritt macht, dabei hat er das schon viel zu oft getan.
Jetzt ist es an der Zeit, dass ich den ersten Schritt wage.
„Ich verzeihe dir", grinse ich Dan an, während ich meine Arme in seinem Nacken verknote. „Und ich gebe dir auch noch eine allerletzte Chance. Aber nur unter einer Bedingung!"
Dan wird hellhörig. Seine Augenbrauen wandern so weit in die Höhe, dass sie beinahe unter seinem Haaransatz verschwinden.
Nur mit Mühe und Not kann ich mir ein albernes Kichern verkneifen.
„Lass uns nochmal auf ein Date gehen, auf dem wir uns richtig kennenlernen können. Ganz in Ruhe und ohne Druck. Was hältst du davon?"
Ein glückliches Grinsen, das seine Augen zum Strahlen bringt, zupft an Dans Mundwinkeln. „Was ich davon halte?", möchte er leise von mir wissen und nähert sich dabei langsam meinem Gesicht.
Ein paar Sekunden schauen wir uns atemlos an, ehe unsere Lippen erneut zu einer Einheit des Glücks verschmelzen.
Sofort explodiert ein Feuerwerk aus Schmetterlingen in meinem Magen, das angenehme Blitze der Wärme durch meinen Körper pumpt. Meine Knie werden weich wie Wackelpudding und meine Gedanken überschlagen sich.
Solch intensive Gefühle habe ich noch nie zuvor verspürt. Erst recht nicht bei einem Mann, den ich kaum kenne.
Ob es wirklich eine gute Idee ist, sich auf Dan Lewis einzulassen?
Um ehrlich zu sein, weiß ich es nicht.
In meiner Vergangenheit wurde ich schon so oft von anderen Menschen enttäuscht, verraten und verletzt, dass ich diesen Schmerz eigentlich nie wieder erleben möchte, doch mein Herz sagt mir, dass ich Dan eine Chance geben sollte.
Schon in dem Moment, in dem er mir vor ungefähr zwei Wochen im Café geholfen hat, habe ich gespürt, dass er besonders ist.
Damals war er vielleicht noch besonders dumm, aber heute ist er besonders einzigartig für mich.
Immer wieder treffen Dans und meine Lippen aufeinander und liebkosen sich. Während meine Arme in Dans Nacken verknotet sind, lässt er seine Hände zärtlich über meine Seiten wandern.
Ohne es kontrollieren zu können, breitet sich eine Gänsehaut auf meinem Körper aus.
Ich genieße jede einzelne Sekunde, in der ich Dan so nahe sein kann, in vollen Zügen.
Leider wird unsere Zweisamkeit aber viel zu schnell von einer schrillen Stimme gestört. „Oh mein Gott, ich wusste es!", kreischt Amy auf einmal so laut neben meinem Ohr, dass ich erschrocken von Dans samtweichen Lippen ablasse. „Du schuldest mir einen Drink, Tanja!"
Wie bitte?
Vollkommen verständnislos schaue ich meine beste Freundin an, die wie ein Honigkuchenpferd vor mir steht und spielerisch mit den Augenbrauen wackelt.
Wie gut, dass ich keinen Einblick in ihr perverses Kopfkino habe ...
„Nun schau doch nicht so überrascht, Süße", grinst mich Amy an und legt mir keine Sekunde später überschwänglich ihren Arm um die Schulter. „Tanja und ich haben gewettet, ob ihr euch küsst oder nicht. Da ich gewonnen habe, muss mir Tanja nun einen Drink spendieren. Cool, oder?"
Automatisch verdrehe ich die Augen. War ja irgendwie typisch, dass Amy um so einen Schwachsinn wetten würde.
„Solange mein bester Freund glücklich ist, zahle ich sehr gerne den Drink", mischt sich Tanja in unser Gespräch ein. Je besser ich sie kennenlerne, umso mehr mag ich sie und ihre aufgeschlossene Art.
Tanja und Amy geben ein hübsches Paar ab. Außerdem glaube ich, dass Tanja Amy sehr guttut und sie aus ihrem Schneckenhaus hervorlocken könnte.
„Möchtet ihr zwei auch etwas trinken?" Tanjas dunkle Augen wandern erst zu Dan, der einen Arm um meine Taille gelegt hat, und dann zu mir.
Gute Frage. Eigentlich wollte ich mich heute Abend mit Alkohol zuschütten, um einen gewissen Mister Nice Guy aus meinem Kopf zu spülen, aber das scheint nicht mehr nötig zu sein.
Abwartend schaue ich zu Dan und lasse ihn entscheiden.
„Geht ruhig allein zur Bar", zwinkert Dan seiner besten Freundin zu. „Stella und ich drehen mal eben eine kurze Runde auf der Tanzfläche."
„Ach ja? Tun wir das?" Meine Augen nehmen vermutlich die Größe von Untertassen an. Allein schon der Gedanke daran, eng umschlungen mit Dan zu tanzen, entfacht ein Feuer der Leidenschaft in meinem Herzen.
„Ja!", erwidert Dan enthusiastisch. „Also komm mit."
Ganz der Gentleman bietet mir Dan seinen rechten Arm an, in dem ich mich auch sogleich einhake. Kurz bevor wir die Eingangstür zum Tanzsaal erreicht haben, höre ich noch, wie uns Amy lachend hinterherruft: „Macht bloß nicht zu wild miteinander rum! Nicht, dass Stella noch mitten auf der Tanzfläche ausläuft!"
Während Dan dämlich grinst, hebe ich meinen Mittelfinger in die Luft; in der Hoffnung, dass Amy diese Antwort überhaupt noch sieht.
Manchmal sollte ihr jemand ihr großes Mundwerk verbieten. Hoffentlich übernimmt Tanja in der Zukunft diesen Job.
Gemeinsam mit Dan betrete ich wieder den riesigen Saal, in dem bunte Scheinwerferlichter kreisen. Einige ältere Paare befinden sich bereits auf dem Parkett und bewegen sich langsam zum Takt der Musik.
Ausgerechnet jetzt wird so langweilige Schlafmusik gespielt, zu der man nur einen klassischen Wiener Walzer tanzen kann. Einen Tanz, den ich überhaupt nicht mag.
Leider scheint Dan meine Meinung nicht zu teilen, denn er streckt mir grinsend seine Hand entgegen und fragt förmlich: „Darf ich um diesen Tanz bitten?" Zusätzlich verbeugt er sich sogar vor mir, weshalb ich schmunzeln muss.
Wäre Dan wirklich nur ein Trophäensammler, würde er sich nicht so viel Mühe geben, mir zu imponieren.
Oder?!
Bevor ich mich in den Fängen meiner Gedankenflut verlieren kann, antworte ich augenverdrehend: „Wenn es sein muss ..."
„Ja! Muss sein!"
Begleitet von einem zufriedenen Lächeln platziert Dan seine Hände an meiner Taille. Direkt strömt eine angenehme Wärme durch meinen Körper, die mein Herz zum Salti schlagen animiert.
Ein paar aufgeregte Atemzüge später lege ich meine Hände auf Dans Schultern.
Auch wenn wir uns schon mehrfach geküsst haben, ist es merkwürdig, ihm plötzlich so nahe zu sein.
Seine braunen Teddyaugen strahlen wie die Sterne am Nachthimmel und bohren sich bis zu meiner Seele hindurch. Keine einzige Sekunde lässt mich Dan aus den Augen.
„Habe ich dir eigentlich schon gesagt, wie wunderschön du heute aussiehst, Wattebäckchen?"
Ganz sanft bewegt Dan unsere Körper im Takt der Musik hin und her. Im Gegensatz zu mir wirkt er nicht wie ein steifes Brett, sondern frei und losgelöst.
„Das Kleid steht dir wirklich gut", macht mir Dan ein weiteres Kompliment, nachdem ich ihm nicht antworte.
„D-Danke." Meine Stimme zittert. Die Nervosität umgibt mich wie eine zweite Aura und lässt meine Gedanken Achterbahn fahren. „Du, ähm, du siehst auch ganz gut aus."
Der schwarze Anzug schmeichelt Dan. Er setzt seine Muskeln gekonnt in Szene und bildet zudem einen interessanten Kontrast zu seinen zerzausten Locken.
Es grenzt an ein Wunder, dass Dan ausgerechnet mit mir auf der Tanzfläche steht, immerhin ruht die Aufmerksamkeit aller weiblichen Wesen in diesem Raum auf ihm.
„Ganz gut?" Dan lacht. „Kann es sein, dass du etwas nervös bist, Wattebäckchen?"
Bei dieser Frage spüre ich, wie Hitze in meine Wangen schießt. Ist es etwa so auffällig, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen kann und mein Körper einer aufgeladenen Steckdose gleicht?
Oh man, ich brauche dringend eine Abkühlung.
„Ähm, können wir uns vielleicht doch einen Drink holen?", ignoriere ich Dans Frage, ohne dabei in seine leuchtenden Augen zu schauen.
Es ist mir furchtbar unangenehm, dass ich gerade dermaßen die Kontrolle über mich selbst verliere. Normalerweise bin ich nicht so aufgeregt in der Gegenwart von anderen Männern, aber irgendwie hat Dan es geschafft, mich verlegen werden zu lassen.
Bisher hatte ich nur einen einzigen Freund in meinem Leben.
Sein Name war Lukas und wir waren in der siebten Klasse ein Paar. Für geschlagene zwei Monate, drei Wochen und einen Tag.
Danach hatte ich zwar mehrere Dates, auf denen auch der ein oder andere Kuss gefallen ist, aber eine Beziehung ist leider nie zustande gekommen. Jedes Mal wurde ich hintergangen, ersetzt oder anderweitig verletzt.
Das ist vermutlich auch der Grund, weshalb ich Dan gegenüber immer noch ein bisschen misstrauisch bin.
Er ist zu perfekt, um wahr zu sein.
Da ich mich so sehr in meinen eigenen Gedanken verliere, realisiere ich erst ein paar Minuten später, dass mich Dan von der Tanzfläche gezogen und zu der Getränkebar geführt hat. Ein fröhliches Lächeln umspielt seine Lippen, als er wissen möchte: „Was darf es sein, my Lady?"
Ohne großartig zu überlegen, sage ich: „Cola!"
Zucker ist jetzt genau das, was ich brauche. Hoffentlich werde ich danach wieder ein bisschen lockerer und entspannter. Nicht, dass sich Dan doch noch gegen unser Date entscheidet ...
Während Dan unsere Getränke bezahlt, lasse ich meinen Blick durch den Saal wandern. Wie ein Magnet wird er von Tanja angezogen, die mit schnellen Schritten und einem panischen Gesichtsausdruck geradewegs auf uns zusteuert.
Oh oh.
Im ersten Moment habe ich Angst, dass etwas mit Amy passiert sein könnte, doch sobald ich sie ein paar Meter hinter Tanja erblicke, atmet mein Herz erleichtert auf.
„Dan!" Außer Atem drängt sich Tanja zwischen uns. Kurz wirft sie mir einen entschuldigenden Blick zu, ehe sie Dan etwas ins Ohr flüstert.
Auch wenn ich nicht hören kann, was sie sagt, zeigen ihre Worte eine Wirkung.
Dans ganzer Körper versteift sich. Eine nachdenkliche Falte bildet sich auf seiner Stirn, wohingegen ein Fünkchen Angst in seinen dunklen Iriden aufleuchtet.
Hektisch schaut er sich in dem riesigen Saal um. Beinahe so, als würde er sich vor jemandem fürchten.
Noch bevor ich nachhaken kann, ob es ein Problem gibt, murmelt Dan an mich gewandt: „Tut mir leid, Stella, aber ich muss gehen. Ich hole dich Dienstagabend um 18 Uhr ab."
Ein letzter Kuss auf die Wange, dann werden Tanja und Dan von der Menschenmasse verschluckt.
Vollkommen überrumpelt von diesem überstürzten Abgang bleibe ich an der Bar zurück und nippe an meiner Cola. Am liebsten würde ich Dan erneut als einen Lügner beschimpfen, schließlich hat er mich eiskalt stehenlassen, aber Tanjas Gesichtsausdruck nach zu urteilen, muss etwas vorgefallen sein.
Hilfesuchend schaue ich zu Amy, die sich neben mich auf einen Barhocker plumpsen lässt. Ihre wasserstoffblonden Haare, die zuvor zu einer kunstvollen Flechtfrisur nach oben gesteckt waren, hängen ihr mittlerweile in wirren Strähnen im Gesicht.
Eindeutig ein Zeichen dafür, dass sie sich mit Tanja vergnügt hat.
Am liebsten würde ich Amy über ihre Knutscherei ausfragen, um auf andere Gedanken zu kommen, doch die Ungewissheit in meinem Herzen siegt.
„Weißt du, warum Tanja und Dan so plötzlich verschwunden sind?", möchte ich neugierig von meiner besten Freundin wissen.
Leider ist Amy genauso ahnungslos wie ich, denn sie zuckt nur deprimiert mit den Schultern.
So haben wir beide uns diesen Abend definitiv nicht vorgestellt! Jetzt gibt es nur noch eine Möglichkeit, um ihn zu retten.
„Betrinken?"
Amy zögert kurz, ehe sich ein Grinsen auf ihre Lippen schleicht.
„Betrinken!"
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