13 - Der Morgen danach
Am nächsten Morgen werden Dan und ich viel zu früh von einem klingelnden Handy geweckt.
Orientierungslos tastet Dan nach dem Unruhestifter, bis er wenig später sein Smartphone in der Hand hält und scheinbar einen eingehenden Anruf entgegennimmt.
Wie viel Uhr ist es überhaupt?
Kurz nach acht.
An einem Sonntagmorgen zu solch unmenschlichen Zeiten anzurufen, sollte als Verbrechen gewertet werden ...
„Ja?", meldet sich Dan verschlafen.
Auch wenn es nur ein einziges Wort ist, das seinen Mund verlässt, jagt mir seine raue Morgenstimme eine angenehme Gänsehaut über das Rückgrat.
Es ist niedlich, wie verschlafen Dan noch ist, denn er schafft es nicht, seine braunen Teddyaugen zu öffnen. Außerdem entflieht ihm immer wieder ein Gähnen, das er mit seiner Handfläche vor mir zu verstecken versucht.
Unglaublich, dass ich die vergangene Nacht gemeinsam mit Dan verbracht habe!
So sicher und geborgen habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Das letzte Mal, als Dad noch gelebt und mich nach einem Streit mit Tilly aufgemuntert hat.
Meine rosaroten Gedankenwolken verpuffen in dem Moment, in dem sich Dan plötzlich kerzengerade aufrichtet und fassungslos fragt: „Was? Das ist nicht dein Ernst, Tanja, oder?"
Das Entsetzen ist Dan förmlich ins Gesicht geschrieben. Seine Augen sind geweitet, seine Stirn ist in tiefe Furchen gelegt und ein Ausdruck der Unzufriedenheit zupft an seinen herabhängenden Mundwinkeln.
Zu gerne wüsste ich, was Tanja gerade zu Dan gesagt hat, aber leider verstehe ich kein Wort. Ich sehe nur, dass Dan ziemlich aufgewühlt ist.
Etwa ein weiterer Familienzwischenfall?
„Alles klar. Ich bin gleich da!" Kaum sind diese Worte verebbt, beendet Dan das Telefonat und springt wie vom Blitz getroffen aus dem Bett. Ohne mir auch nur einen sekundenschnellen Blick zuzuwerfen, zieht er sich seine Kleidung vom Vorabend an und murmelt dabei: „Tut mir leid, aber du musst jetzt gehen, Stella."
Im ersten Moment denke ich, dass ich mich verhört habe, doch sobald sich Dan zu mir umdreht und mich seine emotionslosen Augen treffen, realisiere ich, dass ich mir seine Aufforderung nicht bloß eingebildet habe.
Dan möchte, dass ich gehe. Einen Grund dafür liefert er mir nicht.
Da ich vor meinem Abgang noch klären möchte, was genau das jetzt zwischen uns ist, erwidere ich möglichst selbstbewusst: „Zuerst sollten wir über unsere gemeinsame Nacht sprechen, Dan."
Ich mag es nicht, mit der Ungewissheit zurückgelassen zu werden.
Ich muss wissen, ob ich weiterhin an eine gemeinsame Zukunft glauben kann oder ob meine aufkeimenden Gefühle nicht erwidert werden.
Dan soll ehrlich zu mir sein. Lieber er bricht mir jetzt das Herz als dann, wenn es bereits von Liebe ertränkt wird.
„Ich kann nicht. Die Zeit drängt", winkt Dan ab.
Tatsächlich besitzt er die Dreistigkeit, mir meine Klamotten zuzuwerfen und danach aus dem Schlafzimmer zu verschwinden.
„Hey!", rufe ich Dan wütend hinterher, doch es folgt keine Antwort.
Was zum Teufel passiert hier gerade? Ein bisschen fühle ich mich wie in einem falschen Film.
Um Dans plötzlichen Stimmungsschwankungen auf den Grund zu gehen, krabbele ich müde aus dem Kingsize Bett, schnappe mir meine Kleidung und suche Dan abschließend in seiner Wohnung.
Vor der Tür werde ich fündig. Dan hat sich seine Schuhe und eine Jacke angezogen, wohingegen sein Schlüsselbund klirrend in seiner Hand tanzt.
„Du bist ja noch gar nicht umgezogen, Stella", stellt Dan mit einem vorwurfsvollen Unterton fest, als seine dunklen Augen auf mich treffen. Hektik und eine Emotion, die ich nicht richtig deuten kann, verschleiern seine Pupillen.
Einerseits habe ich etwas Mitleid mit Dan, weil er ziemlich aufgewühlt aussieht, aber andererseits lasse ich nicht zu, dass er mich erneut wie eine Spielfigur behandelt – erst recht nicht nach vergangener Nacht.
„Bitte lass uns kurz reden, Dan", flehe ich meinen Gegenüber an. „Nur zwei Minuten, ja?"
Hoffnungsvoll bleibe ich vor Dan stehen. Unsere Blicke nehmen einander gefangen und bringen mein Herz zum Rasen.
„Es-", setze ich an, werde allerdings direkt unterbrochen.
„Ich habe dir gesagt, dass es gerade nicht geht, Stella!", erhebt Dan wütend seine Stimme. „Bitte sei so gut und akzeptiere das! Ich habe keine Zeit mehr! Ich melde mich später bei dir. Oder so ..."
Mit diesen Worten greift Dan nach meinem Handgelenk und zieht mich aus der Wohnung raus. Geräuschvoll kracht die Tür ins Schloss und lässt eine unangenehme Gänsehaut über mein Rückgrat fegen.
Nicht, dass mir Dan wehgetan hätte, aber ich bin dennoch schockiert, dass er mich mit leichter Gewalt aus seiner Wohnung gezerrt hat.
„Wir sehen uns, Stella!"
Ich bin so überfordert, dass ich erst ein paar Minuten später realisiere, dass Dan das Treppenhaus hinabeilt, in seinen schwarzen BMW steigt und mit quietschenden Reifen davonsaust. Mich lässt er einfach im Schlafanzug vor seiner Wohnung zurück. Wie bestellt und nicht abgeholt ...
Ohne es kontrollieren zu können, löst sich eine Träne der Enttäuschung aus meinem Auge.
Dan hat mir gerade ein Gesicht gezeigt, von dem ich geglaubt habe, es würde nicht existieren.
Schmerzlich wird mir bewusst, dass mein Herz wieder einmal von einem Mann gebrochen wurde.
Ich hätte mich von Anfang an von Dan Lewis fernhalten und auf mein Bauchgefühl hören sollen. Jetzt, wo ich bereits einen Teil meines Herzens an ihn verschenkt habe, ist der Schlag der Abweisung nur noch härter und schmerzhafter.
Immer mehr Tränen kullern über meine Wangen und verwandeln mich in ein schluchzendes Wrack.
Dan hat es geschafft: Er hat mich gebrochen. All die Splitter meines Herzens, die ich mühsam wieder zusammengeklebt habe, liegen nun wie ein ewiger Scherbenhaufen vor mir.
Tja, das passiert halt, wenn ich mich zu schnell fallen lasse: Ich werde nicht aufgefangen, sondern rase geradewegs in ein schwarzes Loch, das mich verschluckt.
„Geht es Ihnen gut, junge Dame?", werde ich irgendwann von einer Männerstimme aus meinen trübseligen Gedanken gerissen. „Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?"
Meine verweinten Augen treffen auf einen alten Mann, der sich auf einem Gehstock abstützt. Scheinbar ist er Dans Nachbar, denn er steht im Türrahmen der gegenüberliegenden Wohnung.
In diesem Moment muss ich unfassbar schlimm aussehen: Haare wie ein Vogelnest, rotunterlaufene Augen und das viel zu große Schlafshirt von Dan.
Oh man, noch mehr Demütigung geht echt nicht.
„A-Alles gut", versuche ich dem alten Mann gekünstelt zuzulächeln. „Ich wollte gerade gehen."
Ohne meine Schuhe, weil diese noch immer in Dans Wohnung stehen, tapse ich barfuß die kalten Treppenstufen hinab. Meine Sicht ist von den vielen Tränen so verschwommen, dass ich mich sicherheitshalber am Geländer festhalte, um nicht hinzufallen.
So habe ich mir den Ausgang dieses Dates definitiv nicht vorgestellt!
Es ist jetzt schon das zweite Mal innerhalb kürzester Zeit, dass mich Dan wegen Tanja sitzenlässt.
Begleitet von unbändiger Wut und unbändigem Kummer mache ich mich auf den Heimweg zu meinem Studio. Fast eine ganze Stunde brauche ich, bis ich endlich die Tür aufsperre und mich weinend auf mein Bett werfe.
Ich fühle mich furchtbar elendig. Irgendwie so schmutzig und benutzt.
Ausgenutzt ...
Um den Schmutz, den Dan auf meinem Körper hinterlassen hat, von mir abzuwaschen, stelle ich mich für eine halbe Stunde unter die Dusche. Danach fühle ich mich zwar noch immer ekelig, aber wenigstens haben die Tränen nachgelassen.
Ein Blick auf mein Handy verrät mir, dass ich eine neue Nachricht von Dan erhalten habe.
Im ersten Moment überlege ich, ob ich ihn einfach ignorieren soll, aber schließlich siegt meine Neugierde. Also klicke ich auf unseren Chat und überfliege die wenigen Zeilen, die er mir geschrieben hat.
Es tut mir leid, wie das heute Morgen abgelaufen ist, Stella. Dich einfach vor die Tür zu setzen, ist normalerweise überhaupt nicht meine Art. Hoffentlich bist du gut zu Hause angekommen. Melde dich, wenn du diese Nachricht liest, okay?
Ein spöttisches Schnauben entflieht meinen Lippen.
Für wie dämlich hält mich Dan eigentlich?
Denkt er wirklich, dass ich ihm auf diesen billigen Entschuldigungstext antworten werde? Er hat mir ja nicht mal eine Begründung für sein komisches Verhalten genannt.
Eins ist sicher: Ich werde mich nicht bei Dan melden. Er war derjenige, der unser schönes Date ruiniert hat. Jetzt liegt es an ihm, seinen Fehler auszubügeln.
So lange warte ich mit einer Flasche Weißwein, drei Tafeln Schokolade und meiner Netflix Serie auf ihn.
Und falls Dan doch keinen Schritt auf mich zugehen sollte, weiß ich wenigstens, dass er von Anfang an nur ein dummer Trophäensammler war ...
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