31 - Endlich Familie
Harry wachte früh auf. Das Licht der Morgensonne fiel in weichen Strahlen durch die Vorhänge seines Zimmers und verlieh dem Raum eine beruhigende Atmosphäre. Langsam setzte er sich auf, blinzelte die Müdigkeit aus den Augen und ließ seinen Blick durch das Zimmer schweifen. Es war immer noch ungewohnt, ein eigenes Zimmer zu haben, das so warm und einladend war. Es fühlte sich fast zu schön an, um wahr zu sein. Nach einer schnellen Dusche und einem Blick in den Spiegel – sein Gesicht wirkte weniger blass, seine Wangen ein wenig voller – zog er sich an und ging die Treppe hinunter in die Küche. Dort saß Severus bereits, wie gewohnt, mit einer Tasse Kaffee vor sich. Auf Harrys Platz wartete ein Teller mit Toast, Marmelade und einem Glas Saft.
»Morgen«, sagte Harry schüchtern, setzte sich und griff nach dem Toast. Severus nickte knapp, musterte ihn kurz, bevor er die Zeitung beiseitelegte.
»Gut geschlafen?«
»Ja«, log Harry. Die letzte Nacht war zwar ohne Alpträume verlaufen, doch er hatte lange wach gelegen und sich Gedanken gemacht. Aber das wollte er jetzt nicht erwähnen.
»Iss auf«, sagte Severus, ohne darauf einzugehen. »Wir haben heute einen vollen Zeitplan.« Harry biss in seinen Toast und sah Severus neugierig an.
»Was machen wir denn?« Severus musterte ihn mit einem Hauch von Belustigung in den Augen.
»Eine Überraschung«, antwortete er knapp. »Aber zuerst müssen wir ins St. Mungo's. Heiler Whitlock möchte dich ein letztes Mal vor Schulbeginn untersuchen und dann geht es zu Elara.« Harry nickte, während er den Toast aß. Er war die regelmäßigen Untersuchungen gewohnt, auch wenn sie ihm immer ein flaues Gefühl im Magen bereiteten, aber auf Elara freute er sich.
»Und danach?«, fragte er hoffnungsvoll. Severus hob eine Augenbraue.
»Geduld, Harry. Alles zu seiner Zeit.«
Das Krankenhaus war wie immer ein geschäftiger Ort. Heiler eilten durch die Hallen, Patienten saßen in Wartebereichen, und das Summen von Gesprächen erfüllte die Luft. Harry lief dicht neben Severus, fühlte sich jedoch sicher, solange dieser an seiner Seite war. Sie mussten nicht lange warten, bis Heiler Whitlock sie in seinem Büro empfing.
»Guten Morgen, Harry, Professor«, begrüßte Whitlock sie mit einem freundlichen Lächeln. »Komm her, Harry, leg dich auf die Liege. Das dauert nicht lange.« Harry legte er sich hin, wie angewiesen. Whitlock schwang seinen Zauberstab und begann, mit routinierten Bewegungen Diagnosen durchzuführen. Sanfte magische Strahlen glitten über Harrys Körper, und der Heiler machte ab und zu ein nachdenkliches Geräusch.
»Du hast dich wirklich gut erholt«, sagte Whitlock schließlich und notierte etwas auf einem langen Pergamentstreifen. »Dein Gewicht ist noch nicht ganz da, wo es sein sollte, aber das wird sich mit der Zeit stabilisieren. Madame Pomfrey wird in Hogwarts die Nachsorge übernehmen. Ich sehe keinen Grund, warum du nicht wieder zur Schule gehen solltest.« Harry setzte sich auf und sah erleichtert aus.
»Also ... alles okay?« Whitlock nickte.
»Fast. Denk daran, regelmäßig zu essen und die von Madame Pomfrey empfohlenen Ergänzungstränke zu nehmen. Aber ja, du bist auf einem guten Weg.« Severus trat näher, die Arme vor der Brust verschränkt.
»Vielen Dank, Heiler Whitlock. Ich werde sicherstellen, dass er alles hat, was er braucht.«
»Das weiß ich«, sagte Whitlock lächelnd. »Harry, pass auf dich auf.« Harry nickte, und sie verließen das Büro. Während sie durch die Korridore gingen, warf Harry einen Blick zu Severus.
»Was kommt jetzt?«
»Elara«, sagte Severus schlicht. »Deine letzte Sitzung vor Schulbeginn.«
Elara begrüßte Harry an der Tür mit einem warmen Lächeln.
»Hallo, Harry. Komm rein. Severus, ich rufe dich, wenn wir fertig sind.« Severus nickte und lehnte sich an die Wand im Flur, während Harry in das kindgerecht eingerichtete Zimmer trat. Die sanften Farben und die beruhigende Atmosphäre nahmen ihm ein wenig die Nervosität. Elara saß bereits in ihrem bequemen Sessel und deutete auf die Couch.
»Setz dich, Harry. Wie geht es dir heute?« Harry ließ sich nieder, seine Hände ruhten auf den Knien.
»Ganz okay, glaube ich. Heiler Whitlock sagt, ich bin fast gesund.«
»Das ist eine großartige Nachricht«, sagte Elara ermutigend. »Aber ich sehe, dass dich trotzdem etwas beschäftigt. Möchtest du darüber reden?« Harry zögerte, bevor er sprach.
»Ich mache mir Sorgen. Über ... alles. Was, wenn ich nicht bei Severus bleiben kann? Was, wenn er merkt, dass ich zu viel bin?« Elara lehnte sich leicht vor, ihre Stimme blieb ruhig.
»Harry, glaubst du wirklich, dass Severus so denkt?« Harry schüttelte schnell den Kopf.
»Nein, aber ... manchmal habe ich Angst, dass es alles nur ein Traum ist. Dass ich aufwache und wieder ... bei ihm bin.« Elara nickte verständnisvoll.
»Diese Angst ist normal. Du hast so lange in Unsicherheit gelebt, dass es schwer ist, zu glauben, dass sich Dinge wirklich ändern können. Aber sie haben sich geändert. Und Severus ist jemand, der für dich kämpfen wird.« Harry entspannte sich ein wenig, aber ein Hauch von Unsicherheit blieb in seinen Augen.
»Ich habe auch Angst vor Hogwarts. Was, wenn die anderen Schüler mich deswegen ... anders behandeln?«
»Das könnten sie tun«, gab Elara zu. »Aber das ändert nichts an deinem Wert, Harry. Denk daran, dass du Freunde hast, die dich unterstützen, und dass du stärker bist, als du glaubst.« Harry nickte, auch wenn seine Stirn noch leicht gerunzelt war.
»Ich hoffe, du hast recht.«
Als Harry aus dem Zimmer kam, wartete Severus wie versprochen auf ihn. Er musterte Harry kurz und nickte.
»Alles in Ordnung?« Harry nickte.
»Ja, ich denke schon.« Elara folgte ihm und wandte sich an Severus. »Harry hat wirklich Fortschritte gemacht. Ich denke, es wäre gut, wenn wir die Sitzungen alle zwei Wochen fortsetzen könnten. Ich bin sicher, dass das für ihn hilfreich wäre.«
»Ich werde dafür sorgen«, versprach Severus, sein Ton war sachlich, doch sein Blick verriet Dankbarkeit. Elara lächelte.
»Du machst das gut, Severus. Harry hat großes Glück, dich zu haben.« Ein Hauch von Unsicherheit blitzte in Severus' Augen auf.
»Danke. Ich hoffe, dass ich ihm das geben kann, was er braucht«, sagte er schließlich. Elara hielt seinen Blick, und für einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Dann wandte sie sich mit einem leichten Lächeln ab.
»Bis bald, Severus. Pass auf ihn auf.« Severus nickte und legte eine Hand auf Harrys Schulter, als sie das St. Mungo's verließen.
»Bereit für deine Überraschung?«, fragte er, und Harrys Augen leuchteten auf.
»Ja!«, rief er, ein breites Lächeln auf dem Gesicht. Severus erwiderte das Lächeln, wenn auch nur zaghaft.
»Dann lass uns keine Zeit verlieren.«
Mit einem leisen Plopp erschienen Severus und Harry auf einer schmalen, von alten Bäumen gesäumten Straße. Es war ruhig hier, die Luft war klar, und ein leichter Wind spielte mit den Blättern. Harry hielt sich kurz an Severus fest, um das Gleichgewicht zu wahren, bevor er sich neugierig umsah. Die Umgebung wirkte auf ihn friedlich, fast schon unwirklich. Ein Ort, an dem man sich geborgen fühlen könnte – doch das machte ihn nur verwirrter. Er sah zu Severus auf, der mit verschränkten Armen dastand und den Blick über die Straße gleiten ließ.
»Wo sind wir?«, fragte Harry schließlich, die Neugier in seiner Stimme unüberhörbar.
»Godric's Hollow«, antwortete Severus, ohne ihn anzusehen. Seine Stimme war ruhig, doch etwas darin ließ Harry innehalten.
»Godric's Hollow?« wiederholte Harry nachdenklich. Der Name war ihm bekannt, aber er konnte ihn nicht einordnen. »Was machen wir hier?« Severus wandte sich ihm zu, sein Blick ernst, aber nicht hart.
»Ich dachte, es sei an der Zeit, dass du diesen Ort siehst.« Harry runzelte die Stirn, immer noch verwirrt. Doch Severus sagte nichts weiter, sondern bedeutete ihm, ihm zu folgen. Sie gingen die Straße entlang, und Harry bemerkte, wie still es hier war. Nur gelegentlich hörte man das Zwitschern eines Vogels oder das Rascheln von Blättern im Wind. Es wirkte fast so, als würde dieser Ort ein Geheimnis hüten. Nach einigen Minuten blieb Severus stehen und zeigte auf ein Haus, das von einem verwilderten Garten umgeben war. Harry folgte seinem Blick und blieb abrupt stehen. Das Haus war alt und verfallen. Die Fassade war von Rissen durchzogen, und die Fenster waren zerbrochen. Ein Teil des Daches fehlte, und es wirkte, als hätte hier vor langer Zeit eine Explosion stattgefunden. Doch das Merkwürdigste war, dass das Haus nicht verlassen wirkte. Es schien einen Schutzzauber zu geben, der es in einem seltsamen, schwebenden Zustand hielt.
»Das ... was ist das?«, fragte Harry leise, obwohl er instinktiv wusste, dass dieses Haus mehr war als ein altes, verfallenes Gebäude. Severus blickte Harry an, sein Gesicht zeigte einen Anflug von Mitgefühl.
»Das ist das Haus, in dem du geboren wurdest, Harry. Das Haus deiner Eltern.« Harrys Atem stockte, und er starrte das Haus an, als könnte er es nicht begreifen.
»Das ... das ist das Haus?«, flüsterte er schließlich. Severus nickte.
»Ja. Hier haben deine Eltern gelebt, bis ... bis deine Mutter starb.« Harry trat einen Schritt näher, seine Augen suchten nach etwas Vertrautem, doch da war nichts.
»Ich war nie hier«, sagte er schließlich, seine Stimme zitterte leicht. »Warum hat mein Vater mir das nie gezeigt?« Severus sah Harry schweigend an. Er wusste, dass die Antwort offensichtlich war, doch es war nicht der richtige Moment, um darauf einzugehen. Stattdessen sagte er: »Ich dachte, es sei wichtig, dass du diesen Ort siehst. Dass du weißt, woher du kommst.« Harry nickte langsam, obwohl er sich immer noch überwältigt fühlte.
»Und ... warum jetzt?«
»Weil du es verdienst, zu wissen«, sagte Severus schlicht. »Aber das ist nicht der einzige Grund, warum wir hier sind. Komm.« Severus führte Harry weiter die Straße hinunter, bis sie zu einem kleinen, gepflegten Friedhof kamen. Harry fühlte, wie sein Herz schneller schlug, während sie die Grabsteine passierten. Schließlich blieben sie vor einem schlichten Stein stehen. Das Grab von Lily Potter auf dem Grabstein standen die Worte: Lily Potter – Eine liebende Mutter und Freundin, deren Licht und Mut nie verblasst. Harry trat näher, seine Finger streiften über die eingravierten Buchstaben.
»Das ... das ist sie?«, flüsterte er, seine Stimme brach fast. Severus nickte.
»Ja, Harry. Das ist deine Mutter.« Harry spürte, wie seine Kehle eng wurde.
»Ich weiß fast nichts über sie«, sagte er schließlich, seine Stimme leise. »Er hat nie viel über sie gesprochen.« Severus blieb einen Moment still, dann sagte er: »Lily war außergewöhnlich. Sie war klug, mutig und hatte ein Herz voller Güte. Jeder, der sie kannte, wusste, wie besonders sie war.« Harry blickte zu Severus auf, und seine Augen waren voller Fragen. »Wir waren Freunde. Sehr gute Freunde, lange bevor sie James kennenlernte. Lily hatte eine Gabe, Menschen zu sehen, wie sie wirklich waren«, fuhr Severus fort, während sein Blick auf dem Grabstein ruhte. »Sie hat mich gesehen, als niemand sonst es tat. Sie hat an mich geglaubt, selbst in Zeiten, in denen ich es nicht verdient hatte.« Harry spürte, wie ein Kloß in seinem Hals wuchs.
»Sie war also wirklich ... besonders«, murmelte er.
»Ja«, sagte Severus leise. »Und sie hat dich geliebt, Harry. Mehr, als Worte es je ausdrücken könnten.« Harry kniete sich vor dem Grab nieder und starrte auf die Worte, die den Namen seiner Mutter zierten. Er hatte so oft von anderen gehört, wie sehr Lily ihn geliebt hatte, doch es fühlte sich jetzt echter an – hier, an ihrem Grab.
»Ich wünschte, ich hätte sie gekannt«, sagte Harry leise, und Tränen stiegen ihm in die Augen. Severus legte ihm eine Hand auf die Schulter.
»Du trägst sie in dir, Harry. In deinen Augen, in deinem Mut. Sie lebt durch dich weiter.« Harry nickte, unfähig, etwas zu sagen. Schließlich stand er auf und wandte sich an Severus.
»Danke, dass du mich hierhergebracht hast.« Severus sah ihn lange an.
»Das war dein Zuhause. Deine Geschichte. Du solltest sie kennen.« Harry lächelte schwach und nahm eine Blume, die in der Nähe wuchs, und legte sie auf das Grab.
»Ich hoffe, sie wusste, dass ich sie liebe. Auch wenn ich sie nie wirklich kannte.« Severus sah, wie Harry mit den Tränen kämpfte, und antwortete mit ruhiger Stimme: »Das wusste sie, Harry. Ganz sicher.«
Nach dem stillen Moment am Grab verließen Severus und Harry den Friedhof. Die Luft war kühler, und der Himmel hatte sich zugezogen, als ob er die Bedeutung des Augenblicks verstehen wollte. Sie gingen schweigend, Severus ließ Harry die Zeit, die er brauchte, um die Eindrücke zu verarbeiten.
»Harry«, sagte er schließlich, als sie die Straße zurückgingen. »Bevor wir zurück nach Hause gehen, müssen wir noch einen Abstecher ins Ministerium machen. Ich habe heute Morgen eine Eule von Marietta Cransford bekommen. Sie möchte uns sprechen.« Harry blickte verwirrt zu ihm auf.
»Weißt du, warum?« Severus schüttelte den Kopf.
»Nein, aber wir sollten besser herausfinden, worum es geht.« Harry nickte nur und nahm ohne ein weiteres Wort Severus' Hand, als dieser ihn zum Apparieren bereit machte.
Das Zaubereiministerium war geschäftig wie immer, Menschen strömten in alle Richtungen, und das Summen von Gesprächen erfüllte die großen Hallen. Harry hielt sich dicht an Severus, während sie durch die labyrinthartigen Gänge gingen, bis sie schließlich vor einer Tür mit einem schlichten Schild ankamen: Abteilung für Aufsicht und Sorge minderjähriger Hexen und Zauberer
Severus klopfte an die Tür, und nach einem Moment wurde sie geöffnet. Marietta Cransford stand vor ihnen, eine Frau mit aufrechter Haltung, deren grüne Robe und freundlicher Blick eine Mischung aus Autorität und Wärme ausstrahlten.
»Professor Snape, Harry«, begrüßte sie die beiden. »Kommt bitte herein.« Sie führte sie in ein helles, gemütliches Büro mit einer Sitzgruppe aus weichen Sesseln. Harry ließ sich auf einen der Sessel sinken, während Severus neben ihm Platz nahm. Marietta setzte sich ihnen gegenüber und faltete die Hände auf ihrem Schreibtisch.
»Vielen Dank, dass Sie so schnell kommen konnten. Ich weiß, es ist kurzfristig, aber es gab eine Entwicklung, über die ich Sie beide informieren wollte.« Severus lehnte sich leicht vor.
»Worum geht es, Ms. Cransford?« Marietta atmete tief ein, bevor sie zu sprechen begann.
»Zunächst möchte ich Ihnen mitteilen, dass James Potter in einer offiziellen Erklärung alle elterlichen Rechte und Ansprüche aufgegeben hat.« Harrys Augen weiteten sich, und Severus zog überrascht die Stirn in Falten.
»Hat er das freiwillig getan?«, fragte Severus mit unverhohlener Skepsis.
»Ja«, antwortete Marietta ruhig. »Es war Teil seiner Reue. Er erklärte, dass er nicht länger im Weg stehen will, wenn es darum geht, dass Harry ein besseres Leben führen kann.« Sie hielt einen Moment inne und wandte sich dann direkt an Harry. »Wie fühlst du dich damit, Harry?« Harry schwieg einen Moment, bevor er zögernd sprach.
»I-ich weiß nicht. Es fühlt sich seltsam an, aber ich bin auch erleichtert. Bedeutet das, dass ich bei Severus bleiben kann?« Marietta lächelte leicht.
»Das ist genau der Grund, warum ich Sie beide hierhergebeten habe.« Sie griff nach einem Pergament auf ihrem Schreibtisch, das mit dem offiziellen Siegel des Ministeriums versehen war.
»Vor über einer Woche hat Professor Snape einen Antrag auf Adoption gestellt.« Harrys Augen flogen zu Severus, der reglos blieb, aber seinen Blick nicht von Marietta abwandte.
»Wir haben Ihren Antrag sorgfältig geprüft«, fuhr sie fort, »und uns die Berichte von St. Mungo's und Elara Lynden angesehen. Wir haben auch die Situation mit James Potter und Ihre bisherigen Bemühungen um Harry berücksichtigt.« Die Stille im Raum war greifbar, und Harry klammerte sich unbewusst an die Armlehne seines Sessels. Marietta machte eine kurze Pause, bevor sie weitersprach.
»Nach reiflicher Überlegung und Diskussion gibt es keinen Grund, warum wir der Adoption nicht zustimmen sollten.« Harrys Lippen öffneten sich, doch kein Ton kam heraus. Severus' Augen weiteten sich für einen Moment, bevor er sich wieder unter Kontrolle brachte. Marietta zog das Pergament hervor und hielt es hoch.
»Harry James Potter«, verkündete sie offiziell, »ab diesem Moment bist du offiziell der Sohn von Severus Snape. Du darfst seinen Namen tragen, wenn du möchtest.« Harrys Hand flog vor seinen Mund, und Tränen strömten unkontrolliert über sein Gesicht.
»Das ... das ist wirklich wahr?«, flüsterte er schließlich.
»Ja, Harry«, sagte Marietta sanft. »Es ist wahr.« In der nächsten Sekunde war Harry aufgestanden und warf sich Severus in die Arme. Die Fassungslosigkeit in Severus' Gesicht wich einer sanften Wärme, als er den Jungen fest umarmte.
»Danke«, flüsterte Harry immer wieder, während er zitternd an Severus klammerte. »Danke, danke, danke.« Severus strich ihm beruhigend über den Rücken.
»Du musst mir nicht danken, Harry«, sagte er leise, doch seine Stimme war nicht ganz stabil. »Du verdienst das. Du verdienst alles.« Marietta sah die Szene mit einem weichen Lächeln an, bevor sie aufstand.
»Ich lasse euch einen Moment allein. Kommt einfach, wenn ihr so weit seid.« Sie verließ den Raum, und Harry löste sich langsam von Severus, seine Augen waren gerötet, aber voller Freude.
»Ich ... ich darf Snape heißen?«, fragte er, seine Stimme ein Gemisch aus Ehrfurcht und Freude. Severus nickte und legte eine Hand auf Harrys Schulter.
»Wenn du das immer noch möchtest, dann ja.« Harry nickte eifrig.
»Ja, das will ich. Ich will deinen Namen tragen.« Severus' Mundwinkel zuckten leicht, und er schüttelte kaum merklich den Kopf, überwältigt von den Gefühlen, die ihn durchströmten.
»Dann ist es entschieden.« Harry strahlte, und Severus wusste, dass dieser Moment der Anfang von etwas wirklich Neuem war – nicht nur für Harry, sondern auch für ihn.
Das Abendessen war ruhig verlaufen. Harry hatte kaum gesprochen, nur hin und wieder auf Severus' Fragen geantwortet. Er wirkte abwesend, fast in Gedanken versunken, während er mechanisch die Gabel zum Mund führte. Severus hatte ihn beobachtet, seinen wachsamen Augen entging nichts. Er war nicht der Mann, der solche Dinge sofort ansprach – er wollte Harry die Zeit lassen, von selbst zu kommen. Doch als er später die Teller vom Tisch abräumte und Harry immer noch schweigend auf seinen Platz starrte, konnte er nicht mehr an sich halten.
»Was ist los?«, fragte Severus schließlich, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Seine Stimme war ruhig, aber mit einer Schärfe, die Harry dazu brachte, zusammenzuzucken.
»Nichts«, antwortete Harry hastig und schob seinen Stuhl zurück, als wolle er gehen. Severus trat einen Schritt vor und hob eine Augenbraue.
»Nichts ist selten der Wahrheit entsprechend, besonders nicht bei dir.« Harry zuckte mit den Schultern, seine Augen blieben auf den Tisch gerichtet.
»Es ist wirklich nichts. Vergiss es einfach.« Severus seufzte und stellte den Teller, den er gerade in der Hand hielt, auf die Anrichte. Er drehte sich ganz zu Harry um, verschränkte die Arme und lehnte sich gegen die Arbeitsplatte.
»Harry, ich weiß, dass etwas ist. Und ich weiß auch, dass du gelernt hast, Dinge zu verschweigen, aber ich hoffe, dass du inzwischen weißt, dass du mir vertrauen kannst.« Harry schwieg, seine Hände spielten nervös mit der Tischkante.
»Es ist nichts Wichtiges«, murmelte er schließlich.
»Für mich ist alles, was dich beschäftigt, wichtig«, entgegnete Severus schlicht. Er ging zu dem Tisch, setzte sich auf einen der Stühle und musterte Harry eindringlich.
»Sprich mit mir.« Harry hob den Kopf, sah Severus kurz an, bevor er wieder wegblickte. Es dauerte lange, bevor er schließlich leise sprach.
»Ich ... ich habe darüber nachgedacht. Über das, was heute passiert ist. Dass du jetzt mein Vater bist.« Er machte eine Pause, und Severus wartete geduldig.
»Es fühlt sich komisch an«, fuhr Harry schließlich fort. »Ich meine, ich hatte nie einen richtigen Vater. Nicht so. James ... er war nicht ...«, er brach ab, schluckte hart. »Aber du ... du bist immer da gewesen. Für mich. Und ich ... ich wollte ...« Severus' Stirn zog sich leicht zusammen, doch er sagte nichts, ließ Harry reden, auch wenn die Spannung in seinem Brustkorb wuchs.
»Ich wollte wissen ... ob ich dich ... vielleicht ... Dad nennen könnte«, platzte es schließlich aus Harry heraus. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, seine Hände zitterten leicht, und seine Augen waren fest auf seine Knie gerichtet.
»Weil ... weil du das Wort verdienst. James ... er hat es nie verdient. Aber du ... du schon.« Der Raum war plötzlich still. So still, dass Harry fast glaubte, die Stille selbst würde ihn erdrücken. Als er keine Antwort bekam, fühlte er, wie Unsicherheit in ihm aufstieg.
»Vergiss es«, sagte er hastig, stand auf und wollte aus der Küche fliehen. »Es war eine dumme Idee.« Doch ehe er auch nur einen Schritt machen konnte, spürte er Severus' Hand auf seinem Arm. Sie hielt ihn nicht fest, sondern war nur ein sanfter Halt, der ihn zum Innehalten brachte.
»Harry«, sagte Severus, und seine Stimme klang seltsam rau. Langsam zog er Harry zu sich und ließ ihn nicht los, bis der Junge direkt vor ihm stand. »Harry, sieh mich an.« Harry hob den Kopf und blickte in Severus' Augen. Sie waren nicht kalt, wie er sie oft bei anderen gesehen hatte, sondern voller Wärme und – etwas, das er nicht ganz deuten konnte.
»Es gibt nichts, was mich stolzer machen würde als das«, sagte Severus schließlich, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. »Nichts.« Harry starrte ihn an, als könne er die Worte nicht begreifen.
»Wirklich?«, fragte er, und seine Stimme zitterte. Severus nickte.
»Wirklich.« In der nächsten Sekunde war Harry in seinen Armen, schluchzend und zitternd. Severus hielt ihn fest, strich ihm beruhigend über den Rücken, während die Emotionen, die er selbst so lange unterdrückt hatte, an die Oberfläche kamen.
»Ich dachte ... ich dachte nie, dass ich das haben könnte«, murmelte Harry zwischen den Schluchzern. »Einen Vater. Einen richtigen Vater.« Severus schluckte schwer und schloss für einen Moment die Augen.
»Und ich dachte nie, dass ich ein Vater sein könnte«, gab er ehrlich zu. »Aber du hast mich eines Besseren belehrt.« Sie standen eine lange Zeit so da, Harry klammerte sich an Severus, als wäre er sein einziger Halt, und Severus hielt ihn, als wäre er das Wertvollste in seinem Leben. Als Harry sich schließlich beruhigte, löste er sich langsam und sah Severus mit geröteten Augen und einem unsicheren Lächeln an.
»Danke«, flüsterte er. Severus legte ihm eine Hand auf die Wange.
»Danke, Harry«, sagte er leise. »Dass du mir vertraust. Dass du mir diese Chance gibst.« Harry nickte und sah für einen Moment nachdenklich aus.
»Gute Nacht ... Dad«, sagte er dann leise, und zum ersten Mal fühlte sich das Wort richtig an. Severus' Mundwinkel zuckte, und er streckte die Hand aus, um Harrys Schulter zu drücken.
»Gute Nacht, Harry. Schlaf gut.« Als die Tür hinter Harry leise ins Schloss fiel, blieb Severus regungslos in der stillen Küche stehen. Er blickte auf die verbliebenen Teller auf dem Tisch, auf den leeren Stuhl, der eben noch von dem Jungen besetzt gewesen war, der nun sein Sohn war – nicht nur auf dem Papier, sondern in seinem Herzen. Ein Ziehen breitete sich in seiner Brust aus, warm und unerwartet. Er hatte so viel verloren in seinem Leben, so viele Entscheidungen bereut, doch in diesem Moment, allein mit der Erinnerung an Harrys Worte, fühlte er, dass es endlich eine Sache gab, die er nicht verlieren würde. Und das war genug.
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Das ist das letzte reguläre Kapitel. Im Prinzip ist Harrys und Severus Geschichte auserzählt. Aber ihr kennt mich. Es folgt ein langer Epilog in zwei Teilen. Voldemort spielt keine Rolle in dieser Geschichte.
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