26 - Unverzeihlich
Die Atmosphäre im St. Mungo's war wie immer geschäftig, als Severus und Harry die langen Flure entlanggingen. Harry lief dicht an Severus' Seite, seine Schultern leicht angespannt, aber er hielt den Blick geradeaus. Die letzten Tage hatten ihm gutgetan – er hatte sich bei Severus eingelebt, hatte angefangen, die Routinen eines normalen Lebens zu akzeptieren. Doch die Nächte blieben ein Problem. Die Albträume kamen regelmäßig, und Severus hatte Harry oft in den frühen Morgenstunden beruhigen müssen. Als sie schließlich Heiler Whitlocks Untersuchungsraum erreichten, klopfte Severus an die Tür und führte Harry hinein, nachdem eine Stimme sie hereingebeten hatte. Whitlock, ein älterer Mann mit grauem Haar und freundlichen Augen, erhob sich von seinem Stuhl und begrüßte die beiden mit einem Lächeln.
»Guten Morgen, Professor. Guten Morgen, Harry«, sagte er und deutete auf die Liege. »Wie geht es dir heute?« Harry zuckte mit den Schultern und setzte sich auf die Liege.
»Ganz gut, glaube ich.« Severus beobachtete ihn mit einem wachsamen Blick.
»Er hat sich gut eingelebt, aber die Nächte ...«, begann er, doch Whitlock hob leicht die Hand.
»Das besprechen wir gleich«, sagte der Heiler sanft. »Zuerst sehen wir uns an, wie es körperlich aussieht.« Er zog seinen Zauberstab und begann, sanfte Diagnosetests durchzuführen. Magische Lichter tanzten über Harrys Körper, während Whitlock die Ergebnisse aufmerksam studierte. Ab und zu machte er eine Notiz auf einem Pergament, das auf einem kleinen Tisch lag.
»Es sieht besser aus«, sagte Whitlock schließlich, als er den Zauberstab senkte. »Die Wunden heilen gut, und der Ernährungsplan zeigt bereits erste Wirkung. Harry hat etwas an Gewicht zugenommen, was ein gutes Zeichen ist.« Severus nickte, fühlte jedoch keine echte Erleichterung.
»Und die Albträume?«, fragte er eindringlich. »Es ist jede Nacht dasselbe. Er wacht schreiend auf und hat Schwierigkeiten, sich zu beruhigen.« Whitlock sah zu Harry, dessen Gesicht sich bei der Erwähnung seiner nächtlichen Kämpfe leicht verdunkelte. Der Junge vermied Severus' Blick und spielte nervös mit den Händen.
»Albträume sind bei traumatischen Erlebnissen nicht ungewöhnlich«, erklärte Whitlock ruhig. »Es ist der Verstand, der versucht, das Erlebte zu verarbeiten. Doch wenn sie so intensiv sind, dass sie den Schlaf dauerhaft stören, müssen wir darauf eingehen.«
»Was können wir tun?«, fragte Severus, seine Stimme klang ernster, als er es beabsichtigt hatte.
»Wir werden daran arbeiten«, sagte Whitlock. »Die Therapiesitzungen bei Heilerin Lynden sind ein wichtiger Teil davon. Sie wird helfen, die Ursachen der Träume besser zu verstehen. Wenn nötig, können wir auch magische Unterstützung anbieten, um die Schlafqualität zu verbessern. Ansonsten können Traumlos-Tränke hin und wieder eingesetzt werden, aber nicht zu oft«, Severus nickte verstehend. Harry sah auf und fragte leise: »Werde ich ... die Albträume jemals loswerden?« Whitlock hielt inne und sprach dann mit einem sanften, aber ehrlichen Ton.
»Es wird Zeit brauchen, Harry. Aber ja, mit der richtigen Unterstützung können wir dir helfen, dass sie seltener werden und irgendwann vielleicht ganz verschwinden.« Harry nickte langsam, und Severus spürte die Erleichterung in dem Jungen, auch wenn sie nur gering war.
»Ich denke, wir sind mit der körperlichen Untersuchung fertig«, sagte Whitlock schließlich und wandte sich an Severus.
»Heilerin Lynden erwartet euch bereits. Sie wird mit Harry über die Träume sprechen.« Severus nickte und legte eine Hand auf Harrys Schulter.
»Bist du bereit?« Harry atmete tief durch und nickte dann zögernd.
»Ja.« Severus führte Harry durch die Flure des St. Mungo's zur Praxis von Heilerin Elara Lynden. Als sie vor der Tür ankamen, öffnete Elara selbst, ein freundliches Lächeln auf den Lippen. Sie war eine Frau mittleren Alters mit sanften, aber wachsamen Augen, die immer ein wenig zu funkeln schienen. Ihre Kleidung war schlicht, aber gepflegt, und sie trug einen Anhänger mit einem Mondsymbol um den Hals.
»Guten Morgen, Harry. Guten Morgen, Professor«, begrüßte sie sie.
»Guten Morgen«, erwiderte Severus knapp und legte eine Hand auf Harrys Schulter. Elara trat beiseite und deutete in den Raum.
»Komm rein, Harry. Ich dachte, wir könnten uns heute wieder ein wenig unterhalten.« Harry hielt inne, seine Augen wanderten zwischen Elara und Severus hin und her.
»Bleibst du ...?«, fragte er zögernd. Severus wollte gerade zustimmen, doch Elara sprach sanft dazwischen.
»Ich würde vorschlagen, dass wir heute ein bisschen allein sprechen. Nur, wenn du dich wohl damit fühlst, Harry.« Harry wirkte unsicher, doch als er Severus' beruhigenden Blick auffing, nickte er langsam.
»Okay«, sagte er leise. Severus drückte seine Schulter leicht.
»Ich bin gleich hier draußen, wenn du mich brauchst.« Harry nickte erneut und ließ sich von Elara ins Zimmer führen, während Severus mit verschränkten Armen vor der Tür stehen blieb, die sich leise hinter ihnen schloss. Das Zimmer war unerwartet warm und einladend. Die Wände waren in sanften Pastelltönen gestrichen, und entlang einer der Wände standen Regale voller Bücher, Plüschtiere und kleiner Figuren, die magisch hin und wieder mit den Augen blinzelten. Ein großer, weicher Teppich bedeckte den Boden, und in der Mitte standen zwei bequeme Sessel mit einem niedrigen Tisch dazwischen. An einer Wand hing ein großes, handgezeichnetes Poster mit einem bunten Baum, dessen Blätter sich bei genauerem Hinsehen langsam bewegten. Ein kleiner Schreibtisch stand in der Ecke, doch er war kaum zu sehen vor der Ansammlung von Papieren, Stiften und kleinen Spielsachen. Harry sah sich zögernd um, unsicher, was er von diesem Raum halten sollte. Er war so anders als die kahlen, sterilen Räume, die er gewohnt war.
»Setz dich, wo du möchtest«, sagte Elara sanft, während sie selbst in einen der Sessel sank. Harry wählte den anderen Sessel und setzte sich vorsichtig, seine Hände in seinem Schoß verschränkt.
»Wie geht es dir heute?«, begann Elara, ihre Stimme ruhig und einladend. Harry zuckte leicht mit den Schultern.
»Geht so.«
»Das ist ehrlich«, sagte Elara mit einem kleinen Lächeln. »Wie gefällt es dir bei Professor Snape?« Harry sah sie kurz an, bevor er antwortete.
»Es ist ... anders. Aber ... gut.«
»Anders kann manchmal gut sein«, erwiderte sie. »Fühlst du dich dort wohl?« Harry nickte zögernd.
»Ja. Es ist ... ruhig. Er ist nett zu mir.« Elara lehnte sich leicht zurück.
»Und wie schläfst du? Hast du in den letzten Nächten gut geschlafen?« Harry sah auf seine Hände hinab und schüttelte den Kopf.
»Nein. Ich ... ich träume oft.«
»Das ist verständlich«, sagte sie ruhig. »Magst du mir erzählen, worum es in den Träumen geht?« Harrys Finger krallten sich leicht in den Stoff seiner Hose, und er sprach leise.
»Ich weiß nicht genau ... aber es tut weh. Ich wache auf, und alles fühlt sich ... schlimm an.« Elara nickte mitfühlend.
»Das klingt sehr anstrengend. Ich weiß, das sind schwere Erinnerungen, die sich in deine Träume schleichen. Weißt du, warum das passiert?« Harry schüttelte den Kopf.
»Nein. Ich will einfach nur, dass es aufhört.«
»Das verstehe ich«, sagte sie sanft. »Ich glaube, es passiert, weil du dich das erste Mal in deinem Leben sicher fühlst. Dein Geist fängt an, all das zu verarbeiten, was du erlebt hast – Dinge, die du lange Zeit vielleicht nicht verstehen konntest.« Harry blickte auf, seine Augen zeigten eine Mischung aus Hoffnung und Angst.
»Ich will keine Schmerzen mehr haben.« Elara sah ihn lange an, bevor sie sich leise räusperte.
»Harry, ich möchte kurz etwas besprechen. Bleib hier, ja? Ich bin gleich zurück.« Harry nickte langsam, und Elara erhob sich. Sie öffnete die Tür und fand Severus draußen vor, der sofort einen fragenden Blick auf sie warf.
»Kann ich kurz mit Ihnen sprechen?«, fragte sie leise, und Severus folgte ihr ein Stück den Flur hinunter.
»Wie läuft es?«, fragte er sofort, seine Augen verrieten die Sorge, die ihn quälte. Elara atmete tief durch.
»Harry ist offen. Er erzählt von den Albträumen und den Schmerzen, an die er sich erinnert. Aber ... es wird deutlich, wie sehr er darunter leidet. Er ist erschöpft, sowohl körperlich als auch seelisch.«
»Das ist offensichtlich«, erwiderte Severus kühl. »Was beabsichtigen Sie?«
»Ich denke, es wäre sinnvoll, wenn wir heute mit den gezielten Erinnerungen an den Cruciatus-Fluch arbeiten«, sagte Elara vorsichtig, aber mit Nachdruck. Severus' Gesicht verfinsterte sich augenblicklich.
»Nein. Das ist zu früh. Er ist noch nicht stark genug.«
»Ich verstehe Ihre Bedenken«, sagte sie ruhig. »Aber die Träume sind so intensiv und schädlich, dass wir handeln müssen. Je länger diese Erinnerungen unkontrolliert bleiben, desto mehr Schaden könnten sie anrichten. Es ist wie ein ungelöster Knoten – wir müssen ihn langsam entwirren.« Severus verschränkte die Arme, sein Blick war hart.
»Und was, wenn es ihn noch mehr traumatisiert? Was, wenn er damit nicht umgehen kann?« Elara legte ihre Hand sanft auf seinen Unterarm, was ihn überraschte, aber er zog sich nicht zurück.
»Er ist stärker, als Sie denken. Und Sie sind an seiner Seite. Ich glaube, er kann es schaffen – aber nur, wenn wir vorsichtig und methodisch vorgehen. Sonst bleibt er in diesen Albträumen gefangen.« Severus sah sie lange an, sein Gesichtsausdruck blieb steinern, doch in seinen Augen flackerte etwas. Nach einer Weile nickte er langsam.
»Wenn Sie sicher sind, dass es notwendig ist ... gut. Aber ich werde dabeibleiben.«
»Natürlich«, sagte Elara mit einem leichten Lächeln. »Ich werde alles tun, um ihm zu helfen. Und er hat Sie, was für ihn ein großer Halt ist.« Severus hielt inne, bevor er leise sagte: »Er ist ... alles, was zählt.« Elara nickte, und sie kehrten gemeinsam zum Zimmer zurück. Der nächste Schritt würde schwierig sein, doch es war ein Schritt, den Harry nicht allein gehen musste. Elara schloss die Tür hinter sich und setzte sich mit einem freundlichen Lächeln vor Harry, der inzwischen auf der Couch saß, die Knie angezogen. Severus lehnte an der Wand, die Arme vor der Brust verschränkt, doch seine Augen verließen den Jungen keine Sekunde.
»Harry«, begann Elara sanft, ihre Stimme beruhigend, »wir haben über deine Träume gesprochen. Ich glaube, dass sie mit etwas zusammenhängen, das in deiner Kindheit passiert ist. Etwas, woran du dich nicht bewusst erinnern kannst.« Harry sah sie an, Unsicherheit spiegelte sich in seinen Augen.
»Etwas, das ich vergessen habe? Warum kann ich mich nicht erinnern?« Elara nickte langsam.
»Manchmal verdrängt unser Geist Erinnerungen, die zu schmerzhaft sind, um sie zu ertragen. Aber diese Erinnerung beeinflusst dich noch immer. Sie ist in deinen Träumen, in den Gefühlen, die sie auslöst. Wenn wir sie nicht finden und bearbeiten, können die Träume bleiben – oder schlimmer werden.« Harry kaute auf seiner Unterlippe und warf einen kurzen Blick zu Severus, der ihm ein knappes Nicken gab.
»Und ... wie holen wir sie zurück?«
»Ich möchte es mit Hypnose versuchen«, erklärte Elara. »Das ist eine Möglichkeit, tief in dein Unterbewusstsein zu schauen. Es wird sich vielleicht seltsam anfühlen, aber ich werde dich durch den Prozess führen. Und ich verspreche dir, du bist nicht allein.« Harry sah sie lange an, bevor er leise fragte: »Wird es wehtun?«
»Nein, nicht körperlich«, sagte Elara sanft. »Aber die Erinnerung könnte schmerzhaft sein, ja. Aber ich werde hier sein, um dir zu helfen, und Severus bleibt ebenfalls bei dir.« Harry atmete tief durch und nickte schließlich.
»Okay. Ich ... ich will, dass die Träume aufhören.«
»Gut«, sagte Elara und lächelte beruhigend. »Dann lass uns anfangen. Leg dich bitte hin.« Harry legte sich vorsichtig auf die Couch, zögernd und steif, bis Severus sich an das Kopfende setzte und eine Hand beruhigend auf Harrys Schulter legte.
»Lege deinen Kopf auf meinen Schoß, wenn du willst«, bot Severus an. Harry zögerte einen Moment, dann legte er seinen Kopf auf Severus' Oberschenkel. Die Berührung war ungewohnt, aber es gab ihm ein Gefühl von Sicherheit, das er dringend brauchte. Elara setzte sich auf einen Stuhl in der Nähe, ihre Stimme blieb ruhig und sanft.
»Atme tief ein und aus, Harry. Schließe die Augen und höre nur auf meine Stimme. Du bist sicher, hier in diesem Raum. Konzentriere dich auf deinen Atem. Ein und aus.« Harrys Körper entspannte sich langsam, sein Atem wurde gleichmäßiger, und nach einer Weile sprach Elara weiter.
»Stell dir vor, du gehst einen langen, sicheren Weg entlang. Es ist ruhig, friedlich. Am Ende des Weges gibt es eine Tür. Diese Tür führt zu deinen Erinnerungen. Wenn du bereit bist, öffnest du sie.« Harrys Gesicht zeigte eine leichte Anspannung, doch Severus' Hand strich beruhigend über seine Schulter.
»Du siehst die Tür vor dir, Harry«, fuhr Elara fort. »Sie ist sicher. Sie zeigt dir nur, was du bereit bist, zu sehen. Bist du bereit, sie zu öffnen?« Harrys Kopf bewegte sich leicht, ein angedeutetes Nicken.
»Gut. Öffne die Tür«, sagte Elara sanft. Harrys Atem wurde plötzlich flach, und er krallte sich in den Stoff der Couch. Severus, der Harrys Kopf auf seinem Schoß hielt, spürte, wie der Körper des Jungen sich verspannte, und sein eigener Atem stockte.
»Harry, ich bin hier«, sagte Elara ruhig, ihre Stimme wie ein Anker. »Erzähl mir, was du siehst.« Harrys Kopf bewegte sich unruhig hin und her.
»Ein Spiegel ... er ist zerbrochen.« Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, zitternd und voller Angst. Severus strich beruhigend über Harrys Schulter, doch sein eigener Herzschlag beschleunigte sich.
»Du bist in Sicherheit, Harry«, sagte er mit brüchiger Stimme. Doch Harry hörte ihn nicht. Seine Augenlider flatterten, und er begann, tiefer in die Erinnerung abzutauchen.
»Er ... er hat geschrien. So laut ...«
»Wer hat geschrien?«, fragte Elara behutsam.
»Er ... Dad ... er war so wütend«, flüsterte Harry, sein Atem wurde schneller. »Er hat gesagt, ich mache alles kaputt. Alles!« Harrys Körper verkrampfte sich, und plötzlich begann er, zu keuchen, als würde er nach Luft ringen. Sein kleiner Körper bebte unter Severus' Händen, und der Mann spürte die Panik, die von Harry ausging, als wäre sie greifbar.
»Er hat ... er hat den Zauberstab genommen ...«, murmelte Harry, seine Stimme voller Furcht. Severus spannte sich an.
»Elara, hol ihn da raus«, sagte er scharf, seine Hände zitterten leicht, während er versuchte, Harry zu beruhigen. Doch Elara blieb ruhig.
»Harry, hör auf meine Stimme«, sagte sie sanft. »Du bist in Sicherheit. Du bist nicht mehr dort.«
»Nein!«, schrie Harry plötzlich, sein Körper bog sich vor Schmerz, obwohl nichts ihn berührte. »Nein, bitte nicht! Ich wollte es nicht! Es tut mir leid!« Severus' Atem wurde unregelmäßig, und er griff nach Harrys Hand, um ihn festzuhalten.
»Harry, hör auf sie. Hör auf uns! Du bist hier, bei mir!«
»Es tut so weh!«, schrie Harry, seine Stimme brach vor Qual. »Er hat gesagt ... Crucio ... und dann ... dann hat es gebrannt! Überall!« Severus warf Elara einen verzweifelten Blick zu, doch sie hielt stand.
»Harry, du bist nicht mehr dort«, wiederholte sie eindringlich. »Du fühlst den Schmerz nicht mehr. Du bist hier, bei uns.« Harry schrie weiter, doch die Panik begann, langsam abzuflauen. Sein Atem wurde ruhiger, und er öffnete nach und nach die verkrampften Hände. Tränen liefen ihm über das Gesicht, und schließlich sank er erschöpft zurück. Als er die Augen öffnete, wirkte er, als hätte er einen Marathon hinter sich. Er war blass, sein Gesicht war nass vor Tränen, und sein Atem ging noch immer schwer. Severus hielt ihn weiter fest, seine eigene Anspannung wich nur langsam.
»Ich erinnere mich«, flüsterte Harry schließlich, seine Stimme rau und schwach.
»An was erinnerst du dich, Harry?«, fragte Elara sanft, doch ihre Augen waren wachsam. Harry brauchte einen Moment, bevor er zu sprechen begann.
»Ich ... ich hab einen Spiegel kaputtgemacht. Es war ein Unfall ... Ich wollte nur ein Buch holen. Aber er ist zerbrochen.« Severus schloss für einen Moment die Augen, doch er sagte nichts.
»Und was ist dann passiert?«, fragte Elara weiter.
»Er ... er war so wütend. Er hat geschrien, dass ich alles kaputtmache, dass ich eine Schande bin.« Harrys Stimme brach bei diesen Worten, und er sah kurz zu Severus, bevor er weitersprach. »Dann hat er den Zauberstab genommen. Und er hat ... er hat Crucio gesagt.« Severus' Hand ballte sich zur Faust, und er musste tief durchatmen, um ruhig zu bleiben.
»Was ist danach passiert, Harry?«, fragte Elara behutsam.
»Es war ... es war wie Feuer. Überall. Ich konnte mich nicht bewegen, nicht schreien ... Es hat so wehgetan ... Es hat nicht aufgehört.« Harrys Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, und Tränen liefen ihm erneut über die Wangen.
»Ich dachte, ich sterbe.« Elara nickte langsam, ihre eigene Stimme war von Mitgefühl durchzogen.
»Das war sehr mutig, Harry. Es ist nicht leicht, sich an so etwas zu erinnern.« Harry schüttelte den Kopf.
»Er hat aufgehört ... irgendwann. Und dann ... hat er gesagt, ich soll es vergessen. Er hat seinen Zauberstab genommen und ... und mein Kopf fühlte sich plötzlich leer an. Danach wusste ich nichts mehr.« Severus sah Elara an, sein Blick sagte alles: Wut, Trauer und Verzweiflung. Doch bevor er etwas sagen konnte, drehte Harry sich leicht zu ihm.
»Ich wollte, dass ich mich nicht erinnere«, murmelte Harry, seine Stimme klang wie die eines viel jüngeren Kindes. »Warum hat er das gemacht?« Severus' Kehle war wie zugeschnürt, doch er zog Harry näher an sich.
»Weil er versagt hat, Harry«, sagte er schließlich mit fester Stimme. »Er hat dich im Stich gelassen. Aber das wird dir nie wieder passieren. Nie.« Harry schloss die Augen, zu erschöpft, um weiter zu sprechen, und ließ sich von Severus' Armen umhüllen. Elara stand leise auf und bedeutete Severus, dass sie später sprechen würden. Severus nickte kaum merklich und hielt Harry fest, während der Junge langsam in einen unruhigen Schlaf sank. Severus hob Harry vorsichtig von seinem Schoß, als er sicher war, dass der Junge tief schlief. Er bettete ihn behutsam auf die Couch, zog eine Decke über ihn und strich ihm eine verschwitzte Haarsträhne aus der Stirn. Für einen Moment blieb er stehen, betrachtete das friedliche Gesicht, das trotz der Erschöpfung so viel Schmerz spiegelte. Dann wandte er sich ab und folgte Elara in das angrenzende Nebenzimmer. Die Tür schloss sich leise hinter ihm, und er verschränkte die Arme vor der Brust, sein Gesicht eine Maske aus Zurückhaltung und Sorge.
»War das wirklich notwendig?« Seine Stimme war ruhig, doch der Unterton aus Zweifel und Unbehagen war nicht zu überhören. Elara lehnte sich gegen den kleinen Schreibtisch im Raum, die Hände locker an der Kante abgestützt. Sie betrachtete ihn für einen Moment, bevor sie lächelte – ein ehrliches, warmes Lächeln, das die angespannte Stimmung etwas auflockerte.
»Bevor ich antworte, Professor Snape ...«, sie hielt inne und sah ihn mit einem Hauch von Herausforderung an. »Wäre es in Ordnung, wenn wir uns duzen?« Severus hob eine Augenbraue, überrascht von dem plötzlichen Wechsel. Doch nach einem kurzen Moment des Nachdenkens nickte er knapp.
»Ich denke, das ist akzeptabel. Du darfst mich Severus nennen.«
»Gut«, erwiderte Elara mit einem sanften Lächeln. »Dann bin ich Elara.« Ein kurzer Moment der Stille entstand, bevor Severus das Thema wieder aufnahm.
»Also, Elara ... war das wirklich notwendig?« Elara atmete tief durch, ihr Blick ernst, aber verständnisvoll.
»Ja. Es war notwendig. Harry leidet unter diesen Erinnerungen, selbst wenn er sie nicht bewusst wahrnimmt. Sie quälen ihn, in seinen Träumen, in seinen Ängsten. Indem wir sie zurückholen, können wir ihm helfen, sie zu verstehen und zu verarbeiten.« Severus schüttelte leicht den Kopf, seine Stimme klang unsicher.
»Er hat so sehr gelitten. Es war kaum auszuhalten, ihn so zu sehen.«
»Das zeigt nur, wie tief die Verletzungen sitzen«, sagte Elara sanft. »Aber jetzt, wo er sich erinnert, hat er die Chance, darüber zu sprechen, es zu verarbeiten. Verdrängte Erinnerungen wirken oft wie Gift. Sie fressen einen von innen auf. Doch wenn man sich ihnen stellt, können sie ihre Macht verlieren.« Severus schloss kurz die Augen, als er die Wahrheit in ihren Worten erkannte. Er atmete tief ein, bevor er sie wieder ansah.
»Ich habe schon viel gesehen. Aber ein Vater, der seinem eigenen Kind so etwas antut ... es ist schwer, das zu begreifen.« Elara nickte langsam, ihre Augen zeigten Mitgefühl und Bedauern.
»Ich hätte das auch nie für möglich gehalten. Doch Harrys Geschichte zeigt, dass es geschehen kann. Und es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass er nie wieder so leiden muss.« Severus sah sie lange an, als suchte er nach Antworten, die er selbst nicht hatte. Schließlich sprach er leise: »Was kann ich für ihn tun? Wie kann ich ihm helfen?« Elara lächelte ihn an, ein warmes, aufmunterndes Lächeln, das ihm überraschend viel Trost bot.
»Zeig ihm, wie es ist, einen Vater zu haben. Einen Vater, der dieses Wort auch wirklich verdient. Du bist schon auf dem richtigen Weg, Severus. Sei einfach für ihn da, zeig ihm, dass er sicher ist und dass er geliebt wird. Das allein wird ihm mehr helfen, als du dir vorstellen kannst.« Severus sah sie einen Moment an, ihre Worte sanken langsam in sein Bewusstsein. Schließlich nickte er, sein Blick wurde fester.
»Ich werde mein Bestes tun.«
»Das weiß ich«, sagte Elara mit einem Lächeln. »Und ich bin sicher, Harry spürt das auch.« Die beiden verharrten noch einen Moment in der Stille, bevor Severus sich aufrichtete.
»Ich sollte zurück zu ihm gehen.«
»Natürlich«, sagte Elara und öffnete die Tür. »Wenn du etwas brauchst – für Harry oder für dich –, lass es mich wissen.« Severus nickte knapp, eine seltene Geste des Dankes in seinem Gesicht, bevor er den Raum verließ und zu Harry zurückkehrte. Als er den Jungen friedlich schlafend auf der Couch vorfand, wurde ihm bewusst, wie viel Verantwortung er nun trug – und wie sehr er bereit war, sie zu übernehmen.
Der Weg zurück nach Hause verlief in ungewohnter Stille. Harry ging dicht neben Severus, doch seine Schultern waren gesenkt, und sein Blick war auf den Boden gerichtet. Severus warf ihm hin und wieder einen besorgten Seitenblick zu, sagte jedoch nichts. Er wusste, dass Harry Zeit brauchte, um das, was er heute erlebt hatte, zu verarbeiten. Als sie das Haus erreichten, schloss Severus die Tür hinter ihnen und half Harry aus seiner Jacke. Der Junge murmelte ein leises »Danke« und ging langsam ins Wohnzimmer, wo er sich auf die Couch setzte. Severus folgte ihm, blieb jedoch einen Moment stehen, bevor er in die Küche ging, um das Abendessen vorzubereiten. Während des Essens war die Stille fast greifbar. Harry stocherte mit seiner Gabel im Essen herum, nahm hin und wieder einen Bissen, während Severus ihn aufmerksam beobachtete. Schließlich legte Harry die Gabel beiseite und sah auf seinen Teller.
»Was war das ... der Zauber?«, fragte er leise. Severus hob den Blick von seinem eigenen Teller, überrascht von der plötzlichen Frage.
»Welcher Zauber, Harry?«
»Der, den er ...« Harry hielt inne, seine Finger spielten nervös mit dem Rand seines Tellers. »... der, mit dem er mich ... gequält hat.« Severus' Kiefer spannte sich, und er legte die Gabel langsam ab. »Harry ... vielleicht ist es besser, wenn wir nicht darüber sprechen.« Doch Harry schüttelte den Kopf, seine Augen suchten Severus'.
»Ich will es wissen. Bitte.« Severus zögerte, seine Gedanken rasten. Schließlich atmete er tief ein, lehnte sich zurück und sprach mit ruhiger, ernster Stimme.
»Der Zauber, den dein Vater benutzt hat, heißt Cruciatus. Es ist einer der drei Unverzeihlichen Flüche.« Harrys Augen wurden größer, und er runzelte die Stirn.
»Unverzeihlich?«
»Ja«, sagte Severus langsam. »Das Ministerium betrachtet diese Flüche als die schlimmsten, die es gibt. Der Cruciatus-Fluch wurde geschaffen, um unerträgliche Schmerzen zu verursachen – Schmerzen, die den ganzen Körper durchdringen, ohne sichtbare Verletzungen zu hinterlassen.« Harry schluckte schwer, und seine Hände zitterten leicht.
»Und ... er ist verboten?«
»Strengstens«, bestätigte Severus. »Die Anwendung eines Unverzeihlichen Fluchs, selbst nur einmal, führt normalerweise zu einer lebenslangen Strafe in Askaban. Sie gelten als Symbole der Grausamkeit und der schlimmsten Auswüchse schwarzer Magie.«
»Und mein Vater ... hat ihn trotzdem benutzt«, sagte Harry, seine Stimme leise, aber voller Schmerz. Severus nickte langsam.
»Ja, Harry. Und das, was er getan hat, ist unverzeihlich.«
»Warum?«, flüsterte Harry und sah Severus mit glitzernden Augen an. »Warum würde jemand so etwas tun?« Severus presste die Lippen zusammen, seine Stimme war voller Bedauern, als er antwortete.
»Weil manche Menschen in ihrer Wut, ihrem Schmerz oder ihrer Grausamkeit die Grenzen vergessen, die sie nicht überschreiten sollten. Dein Vater ... er hat sich von seinen eigenen Dämonen überwältigen lassen. Aber das entschuldigt nichts.« Harry schwieg, sein Blick wanderte wieder zu seinem Teller.
»Und die anderen Flüche?«, fragte er schließlich.
»Es gibt zwei weitere«, erklärte Severus. »Der Imperius-Fluch, der den Willen einer Person vollkommen kontrolliert, und der Avada-Kedavra-Fluch, der den sofortigen Tod herbeiführt.« Harry rührte sich nicht, doch Severus bemerkte das leichte Zittern in seinen Schultern.
»Ich wollte nie, dass so etwas passiert«, murmelte Harry. »Ich wollte einfach nur ... dass er mich liebt.« Severus spürte, wie sein Herz sich zusammenzog. Er legte die Hand vorsichtig auf Harrys Arm.
»Was passiert ist, war nicht deine Schuld, Harry. Es war nie deine Schuld. Und jetzt bist du hier. Sicher.« Harry nickte, sagte jedoch nichts mehr. Der Rest des Abends verlief in stiller Nachdenklichkeit, doch Severus wusste, dass Harrys Fragen der Anfang eines langen Weges waren – ein Weg, auf dem er ihn nicht allein gehen lassen würde.
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