Severus war gerade dabei, die Tür zu Harrys Zimmer zu öffnen, als eine Stimme hinter ihm ertönte.
»Professor Snape, haben Sie einen Moment?« Er drehte sich um und sah Heiler Whitlock auf sich zukommen, einen Stapel Pergament in der Hand. Der ältere Mann lächelte höflich, doch sein Gesichtsausdruck verriet, dass er etwas Wichtiges besprechen wollte.
»Heiler Whitlock«, grüßte Severus knapp. »Was gibt es?« Whitlock blieb stehen und hob die Papiere leicht an.
»Ich wollte Sie über Harrys aktuellen Zustand informieren. Die Untersuchungen und die Fortschritte der letzten Tage zeigen, dass er stabil genug ist, um entlassen zu werden.« Severus runzelte die Stirn, seine Augenbrauen zogen sich skeptisch zusammen.
»Entlassen? Sind Sie sicher, dass er dafür bereit ist?« Whitlock nickte.
»Ja. Körperlich hat er sich gut erholt, auch wenn er natürlich noch geschwächt ist. Er wird viel Ruhe brauchen, regelmäßige Mahlzeiten und leichte Bewegung. Was seine psychische Gesundheit betrifft, ist die Zusammenarbeit mit Heilerin Lynden essenziell, aber dafür muss er nicht dauerhaft hierbleiben. Ein Kontrolltermin pro Woche sowie die Therapie sollten ausreichen.« Severus schwieg einen Moment, seine Gedanken rasten. Die Vorstellung, Harry aus dem geschützten Umfeld des Krankenhauses zu nehmen, fühlte sich plötzlich überwältigend an. Doch gleichzeitig wusste er, dass Harry nicht für immer hierbleiben konnte – und dass ein echtes Zuhause für den Jungen besser wäre.
»Ich verstehe«, sagte Severus schließlich, seine Stimme ruhig, aber nachdenklich. »Aber es gibt eine bürokratische Hürde. Meine Vormundschaft über Harry muss erst vom Ministerium offiziell anerkannt werden.« Whitlock nickte verständnisvoll.
»Das ist mir bewusst. Aber sobald das geregelt ist, können wir die Entlassung problemlos durchführen. Bis dahin bleibt er natürlich hier.« Severus verschränkte die Arme und atmete tief durch.
»Ich werde mich sofort darum kümmern. Wenn das Ministerium zustimmt, werde ich Harry morgen mitnehmen.«
»Das klingt vernünftig«, sagte Whitlock. »Ich werde alles für seine Entlassung vorbereiten. Und falls Sie Fragen haben oder Unterstützung benötigen, lassen Sie es mich wissen.« Severus nickte knapp, doch in seinem Inneren kämpften verschiedene Emotionen. Die Verantwortung, die er übernommen hatte, fühlte sich plötzlich noch greifbarer an. Harry würde bei ihm leben – ein Konzept, das gleichzeitig beängstigend und ... richtig erschien.
»Danke, Heiler Whitlock«, sagte er schließlich und wandte sich wieder der Tür zu. »Ich werde die Vormundschaft unverzüglich in die Wege leiten.« Whitlock lächelte leicht.
»Ich bin sicher, Sie werden das hervorragend machen, Professor Snape. Harry ist in guten Händen.« Mit einem kurzen Nicken trat Severus schließlich ins Zimmer zurück, wo Harry ihn mit großen Augen ansah.
»Alles in Ordnung?«, fragte der Junge leise. Severus hielt kurz inne, bevor er antwortete, seine Stimme sanft, aber bestimmt.
»Ja, Harry. Und wenn alles gut geht, wirst du morgen mit mir nach Hause kommen.« Harrys Augen weiteten sich, und für einen Moment schien er nicht zu wissen, wie er reagieren sollte. Doch dann huschte ein winziges Lächeln über sein Gesicht – zögernd, aber echt. Severus setzte sich neben ihn und legte eine Hand auf seine Schulter.
»Hör zu«, begann er mit ruhiger Stimme, »ich muss dich heute Abend und über Nacht allein lassen. Es gibt Dinge, die ich klären muss, damit du morgen mit mir nach Hause kommen kannst.« Harry sah ihn eine Weile schweigend an, seine Finger zupften an den Falten der Bettdecke.
»Musst du wirklich?«, fragte er schließlich leise.
»Ja«, sagte Severus ernst, »aber ich verspreche dir, ich bin morgen früh wieder hier. Und die Schwestern werden sich um dich kümmern. Du bist nicht allein.« Harry nickte langsam, doch sein Blick verriet noch immer Zweifel. »Okay«, murmelte er schließlich.
»Aber ... komm wirklich zurück, ja?« Severus' Gesicht wurde weicher, und er legte eine Hand auf Harrys Wange.
»Das verspreche ich dir. Und ich halte meine Versprechen.« Der Junge nickte erneut, und Severus erhob sich.
»Schlaf später gut. Und wenn etwas ist, sag es den Schwestern. Sie wissen Bescheid.« Mit einem letzten Blick auf Harry, der sich wieder unter die Decke kuschelte, verließ Severus das Zimmer und das Krankenhaus.
Der Weg ins Ministerium war kurz, und Severus war früh genug angekommen, dass die spätnachmittagliche Geschäftigkeit der Zaubererbehörde ihn nicht aufhielt. Die Büros der Abteilung für Aufsicht und Sorge minderjähriger Hexen und Zauberer lagen in einem der oberen Stockwerke, und Severus hatte keine Mühe, die richtige Tür zu finden. Er klopfte an und trat ein, als eine klare Stimme von innen rief: »Herein.« Marietta Cransford saß an einem großen Schreibtisch, der mit Pergamentstapeln und einem kleinen Zaubertrankwärmer bedeckt war. Sie sah auf, als Severus eintrat, und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
»Professor Snape«, begrüßte sie ihn. »Was kann ich für Sie tun?« Severus trat näher, seine Haltung aufrecht, doch seine Stimme war ruhig.
»Ich habe eine Entscheidung getroffen. Ich möchte Harry Potter zu mir nehmen.« Mariettas Augen leuchteten, und sie lehnte sich leicht vor.
»Das sind wunderbare Neuigkeiten. Ich habe bereits von den Heilern im St. Mungo's gehört, wie viel Zeit und Mühe Sie investieren, um sich um Harry zu kümmern.« Severus nickte knapp.
»Ich habe lange gezögert. Aber ich weiß jetzt, dass es das Richtige ist. Er könnte morgen aus dem Mungo's entlassen werden« Marietta griff nach einem Stapel Pergamente auf ihrem Schreibtisch und zog ein Formular hervor. Mit einem Schwung ihres Zauberstabs flog ein Federkiel herbei, der sich in der Luft bereit machte.
»Das freut mich wirklich, Professor Snape«, sagte sie, während sie das Formular ausbreitete. »Ich werde Ihnen die vorläufige Vormundschaft für Harry erteilen. Damit können Sie ihn morgen mit nach Hause nehmen. In den nächsten Wochen werde ich allerdings persönlich bei Ihnen vorbeikommen, um sicherzustellen, dass alles in Ordnung ist.«
»Selbstverständlich«, erwiderte Severus. »Ich werde alles vorbereiten.« Marietta füllte die notwendigen Informationen aus, bevor sie Severus das Dokument reichte.
»Bitte unterschreiben Sie hier. Damit sind Sie bis zur endgültigen Entscheidung offiziell Harrys Vormund.« Severus nahm die Feder und setzte seine Unterschrift mit einer entschlossenen Bewegung unter das Pergament. Als er die Feder zurücklegte, blickte Marietta ihn mit einem warmen Lächeln an.
»Ich habe keine Zweifel, dass Sie das Beste für Harry tun werden, Professor Snape«, sagte sie. »Er braucht jemanden wie Sie.« Severus nickte, seine dunklen Augen fest auf die Frau gerichtet.
»Danke, Mrs. Cransford. Ich werde nicht zulassen, dass er je wieder allein gelassen wird.« Mit diesen Worten erhob er sich, steckte die Dokumente ein und verließ das Büro. Auf dem Weg zurück ins St. Mungo's fühlte er die Schwere der Verantwortung auf seinen Schultern, doch zugleich auch eine neue, ungewohnte Entschlossenheit. Harry verdiente eine Chance auf ein echtes Zuhause – und Severus war bereit, sie ihm zu geben. Er sah auf die Uhr und machte sich dann auf den Weg in die Rechtsabteilung des Ministeriums.
Lucius Malfoy saß an seinem prächtigen Schreibtisch im Ministerium, umgeben von sorgfältig geordneten Pergamentstapeln und einem leise dampfenden Becher Tee. Die goldene Uhr an der Wand zeigte, dass die meisten Kollegen längst Feierabend gemacht hatten, doch Lucius war noch immer vertieft in seine Arbeit. Als die Tür zu seinem Büro plötzlich aufschwang, hob er überrascht den Kopf. Severus stand im Türrahmen, seine Haltung angespannt, seine dunklen Augen voller Ernst.
»Du musst mir helfen«, sagte er, kaum dass er den Raum betreten hatte. Lucius legte die Feder zur Seite, seine Miene wechselte von Überraschung zu leichter Sorge.
»Severus«, begrüßte er seinen alten Freund mit ruhiger Stimme. »Das ist eine ungewöhnliche Art, mich zu begrüßen. Setz dich.« Severus zögerte nur kurz, bevor er die Tür hinter sich schloss und in einen der lederbezogenen Stühle vor dem Schreibtisch sank. Seine Hände ruhten schwer auf den Armlehnen, und er schien einen Moment zu sammeln, bevor er sprach.
»Ich habe vorhin die vorläufige Vormundschaft für Harry Potter übernommen«, erklärte er, seine Stimme ruhig, aber bestimmt. Lucius zog eine Augenbraue hoch, doch sein Gesichtsausdruck blieb wohlwollend.
»Das ist eine überraschende Wendung. Ich nehme an, das ist es, worüber du sprechen möchtest?«
»Ja«, antwortete Severus knapp. »Ich nehme ihn morgen mit nach Hause. Aber mein Haus ... es ist nicht geeignet. Nicht so, wie es jetzt ist.« Lucius lehnte sich in seinem Stuhl zurück, seine Hände falteten sich vor seiner Brust.
»Du möchtest, dass ich dir helfe, Spinner's End herzurichten?« Severus nickte, seine Miene blieb ernst.
»Ich brauche jemanden, der sich mit solchen Dingen auskennt. Harry hat genug durchgemacht. Er verdient einen Ort, an dem er sich sicher fühlt.« Lucius ließ seinen Blick kurz abschweifen, bevor er mit einem schwachen Lächeln antwortete.
»Das lässt sich einrichten. Spinner's End mag seine Macken haben, aber es hat Potenzial. Wir werden es wohnlich machen, Severus. Kinderfreundlich.«
»Danke«, sagte Severus schlicht, doch in seinem Ton lag echte Erleichterung. Lucius schüttelte leicht den Kopf.
»Du hättest mich auch mit weniger dramatischem Auftreten fragen können. Aber ich verstehe, dass dies keine einfache Situation für dich ist.« Severus sah ihn an, seine Augen schienen einen Moment weicher zu werden.
»Es ist keine einfache Situation für Harry«, korrigierte er leise. Lucius nickte langsam, und seine Miene wurde ernster.
»Ich bin beeindruckt, Sev. Dass du das übernimmst. Es wird nicht leicht sein, aber ich glaube, du bist genau die Person, die Harry jetzt braucht.« Severus sagte nichts, doch ein schwaches Nicken zeigte, dass er Lucius' Worte aufgenommen hatte. Dieser erhob sich mit einer fließenden Bewegung von seinem Schreibtisch, die langen Ärmel seiner makellosen Robe schwebten leicht nach.
»Wir sollten gleich beginnen. Die Winkelgasse ist noch geöffnet, und wir sollten keine Zeit verschwenden.« Severus zögerte einen Moment, dann nickte er knapp.
»Du hast recht. Je eher wir vorbereitet sind, desto besser.« Lucius nahm seinen Umhang vom Haken und warf ihn sich elegant über die Schultern.
»Komm. Ein Einkaufsbummel wird dir guttun.«
In der Winkelgasse war es für die späte Stunde erstaunlich belebt. Die Lampen an den Schaufenstern warfen warmes Licht auf das Kopfsteinpflaster, und die Geschäfte hatten noch ihre Türen geöffnet.
»Nun, Sev«, begann Lucius, während sie die Gasse entlanggingen, »hast du eine Vorstellung davon, was ein Zwölfjähriger so braucht?« Severus warf ihm einen angespannten Blick zu.
»Ich habe keine Ahnung«, gab er zu. »Harry hatte bisher kaum etwas, was man als persönlichen Besitz bezeichnen könnte. Ich weiß nicht einmal, womit man beginnt.« Lucius lachte leise, aber nicht spöttisch.
»Das überrascht mich nicht. Harry ist ein bescheidener Junge, so viel weiß ich. Aber das Wichtigste ist nicht, ihn mit materiellen Dingen zu überschütten. Dennoch, er braucht eine Grundlage – Kleidung, Schreibutensilien, ein paar Dinge, die ihm das Gefühl geben, willkommen zu sein.« Severus nickte nachdenklich.
»Also Kleidung und ... was noch?« Lucius klopfte sich mit einem Finger nachdenklich ans Kinn.
»Lass uns bei den Basics anfangen. Neue Kleidung, Schuhe, Schreibmaterialien für die Schule. Und dann sollten wir etwas Persönliches besorgen – etwas, das zeigt, dass sein neues Zuhause auch wirklich seines ist.« Ihr erster Halt war Madam Malkins Geschäft für magische Gewänder. Lucius ließ keine halben Sachen gelten, und innerhalb einer halben Stunde hatte Severus eine komplette Garderobe für Harry zusammengestellt: bequeme Freizeitkleidung, Schlafanzüge und einen warmen Mantel für den Winter, so wie Schuhe.
»Das ist mehr Kleidung, als er wahrscheinlich je besessen hat«, murmelte Severus, als sie das Geschäft verließen. Lucius lächelte schwach.
»Dann wird es Zeit, dass sich das ändert.« Ihr nächster Halt war Scribbulus, wo sie neue Pergamentrollen, Tintenfässer und eine Auswahl an hochwertigen Federkielen kauften. Lucius bestand darauf, dass Harry auch einige leere Notizbücher bekam, »falls er Lust hat, etwas zu schreiben oder zu zeichnen«, wie er es ausdrückte.
»Er wird sie vielleicht nie benutzen«, bemerkte Severus.
»Vielleicht auch doch«, entgegnete Lucius mit einem Zwinkern. Als sie weitergingen, fiel Severus' Blick auf ein Spielwarengeschäft. Er blieb abrupt stehen und sah nachdenklich ins Schaufenster, wo Zauberschach-Sets, fliegende Besenmodelle und Plüschfiguren von magischen Kreaturen ausgestellt waren. Lucius bemerkte seinen Blick und trat neben ihn.
»Woran denkst du?« Severus warf ihm einen kurzen, zögerlichen Blick zu.
»Harry hat nie Spielzeug gehabt. Nicht einmal, als er kleiner war. Ich frage mich ... spielen Kinder mit zwölf Jahren noch?« Lucius lachte herzlich, was selten genug vorkam.
»Oh, Sev, natürlich tun sie das! Vielleicht nicht mehr mit Puppen oder Kinderbesen, aber ein gutes Zauberschach-Set, ein Kartenspiel oder sogar ein Plüschtier – das sind Dinge, die auch ein Zwölfjähriger zu schätzen weiß.«
»Ein Plüschtier?« Severus sah ihn skeptisch an. Lucius nickte ernst, auch wenn seine Augen amüsiert funkelten.
»Warum nicht? Es gibt Kinder, die ihre Plüschtiere bis ins Erwachsenenalter behalten, einfach, weil sie damit Trost verbinden. Harry hatte nie eines, sagst du? Dann ist es vielleicht genau das, was er braucht – etwas Tröstendes, das nur ihm gehört.« Severus dachte einen Moment nach, dann seufzte er leise.
»Ich werde mich auf deinen Rat verlassen. Aber ich habe keine Ahnung, welches.«
»Keine Sorge«, sagte Lucius mit einem Lächeln und schob Severus sanft ins Geschäft. »Das werden wir schon herausfinden.« Drinnen war das Geschäft voller schwebender Regale, die mit allem möglichen Spielzeug beladen waren. In einer Ecke war eine ganze Reihe von Plüschtieren ausgestellt: kleine Drachen, Einhörner, Hippogreife und sogar ein Fuchsbau. Lucius hob einen kleinen Plüsch-Hippogreif hoch, dessen Flügel sich bewegten, wenn man ihn drückte.
»Was hältst du von diesem hier? Er ist charmant und doch nicht zu kindlich.« Severus musterte das Tier.
»Es ist ... akzeptabel«, sagte er schließlich. Lucius lachte erneut.
»Du wirst lernen, Sev. Ich verspreche es dir.« Mit einem Plüsch-Hippogreif unter dem Arm, einer Tasche voller Bücher und Kleidung sowie einem wachsenden Gefühl der Verantwortung verließen die beiden das Geschäft. Als sie die letzte Tüte mit Einkäufen in Lucius' verzauberten Beutel verstauten, seufzte Severus leise und warf seinem Freund einen skeptischen Blick zu.
»Du hast für alles bezahlt, Luc«, sagte er, seine Stimme ruhig, aber bestimmt. »Ich werde dir das Geld morgen zurückgeben, sobald die Bank wieder geöffnet hat.« Lucius winkte ab, sein Gesicht zeigte eine Mischung aus Belustigung und Nachsicht.
»Severus, das ist wirklich nicht nötig. Betrachte es als eine Art Spende.« Severus' Augen verengten sich leicht, und seine Stimme nahm einen schärferen Ton an.
»Ich bin nicht auf Almosen angewiesen, Lucius. Du weißt das.« Lucius legte ihm eine Hand auf die Schulter, seine Haltung blieb entspannt.
»Das weiß ich. Und ich respektiere deinen Stolz. Aber betrachte es nicht als Almosen, sondern als Investition in Harrys Zukunft. Du machst gerade einen großen Schritt, und ich bin froh, dir dabei helfen zu können. Wenn ich das auf diese Weise tun kann, lass es mich tun.« Severus verschränkte die Arme und hielt Lucius' Blick stand.
»Ich weiß, dass du es gut meinst, aber ich kann das nicht einfach so annehmen.« Lucius seufzte und ließ die Hand sinken.
»Sev, denk einmal nach. Du hast dich entschieden, einem Jungen ein Zuhause zu geben, der noch nie eines hatte. Du trägst jetzt eine Verantwortung, die sowohl emotional als auch finanziell fordernd sein wird. Lass mich wenigstens ein wenig von dieser Last abnehmen.« Severus blieb einen Moment stumm, doch seine Haltung entspannte sich minimal.
»Es fällt mir schwer, das zu akzeptieren.« Lucius nickte, als hätte er genau das erwartet.
»Das weiß ich. Aber Harry ist es wert. Und wenn es dir wirklich so wichtig ist, kannst du irgendwann auf andere Weise etwas zurückgeben. Aber nicht jetzt. Jetzt konzentrier dich auf Harry.« Severus ließ den Blick kurz sinken, bevor er schließlich mit einem knappen Nicken antwortete.
»Sehr gut. Aber du weißt, dass ich nicht vergesse.« Lucius lächelte zufrieden und hob die Tüte mit dem Plüsch-Hippogreif an.
»Ich würde nie etwas anderes von dir erwarten, Severus. Und jetzt lass uns zurückkehren. Du hast einen Jungen, der darauf wartet, dass du morgen sein Leben veränderst.« Severus warf ihm einen langen Blick zu, bevor er ein leises »Danke« murmelte. Es war nicht leicht für ihn, Hilfe anzunehmen, aber für Harry war er bereit, seinen Stolz beiseitezustellen. Lucius schien das zu verstehen, denn er ließ das Thema fallen und führte sie wortlos zurück durch die Winkelgasse, wo die Straßen allmählich ruhiger wurden.
Als sie mit ihren Einkäufen in Spinner's End ankamen, war es bereits spät am Abend. Die Straßen vor Severus' Haus waren still, nur das gelegentliche Klappern einer fernen Tür durchbrach die Ruhe. Severus öffnete die Tür und trat ein, gefolgt von Lucius, der neugierig die spartanische Einrichtung musterte.
»Es hat seinen ... eigenen Charme«, kommentierte Lucius vorsichtig, während er den Staub in der Luft betrachtete, der im schwachen Licht tanzte. Severus verzog leicht den Mundwinkel, bevor er Lucius ins Arbeitszimmer führte.
»Das soll Harrys Zimmer werden«, sagte er knapp und deutete auf den Raum, der mit dunklen Holzregalen, einer Kommode, einem alten Schreibtisch und einem einzigen, wackeligen Stuhl ausgestattet war. Lucius hob eine Augenbraue und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen.
»Nun, ich bewundere deine Pragmatik, aber das hier sieht eher aus wie eine Besenkammer mit Büchern.« Severus schnaubte leise, konnte sich jedoch ein leichtes Nicken nicht verkneifen.
»Ich weiß, dass es einiges zu tun gibt. Deshalb bist du hier.« Lucius lächelte.
»Ich nehme an, du erwartest, dass ich mein Talent für geschmackvolle Raumgestaltung einsetze?« Severus zog seinen Zauberstab und richtete ihn auf die Regale.
»Ich erwarte, dass du mir hilfst, aus diesem Raum ein kinderfreundliches Zimmer zu machen – schnell.« Lucius schüttelte leicht den Kopf, zog aber ebenfalls seinen Zauberstab.
»Na schön. Lass uns sehen, was wir tun können.« Die beiden Männer begannen damit, die Regale, die Kommode und den alten Schreibtisch neu auszurichten. Lucius ließ den Staub mit einem sauberen Flick der Hand verschwinden ließ.
»Als Erstes brauchen wir Farbe«, sagte Lucius, während er die kahlen Wände betrachtete. »Etwas Helleres. Dieses düstere Grau bringt niemanden zum Lächeln – nicht einmal dich.« Severus zögerte, bevor er mit einem leisen Murmeln den Zauberspruch aussprach, der die Wände in einem weichen, beruhigenden Grün erstrahlen ließ. Lucius nickte anerkennend.
»Nicht schlecht. Grün für Slytherin, ich nehme an?«
»Natürlich«, antwortete Severus trocken, während er eine Ecke des Raumes betrachtete, die ihm immer noch nicht gefiel. Lucius begann, die Möbel zu verändern – ein bequemes Bett mit einer dicken Matratze und einer gestreiften Decke in Grün- und Silbertönen erschuf er aus der Kommode, der Schreibtisch bekam mehrere Schubladen und einen passenden Stuhl. Ein kleiner Schrank erschien an der gegenüberliegenden Wand, und ein weicher Teppich legte sich über den Boden.
»Das ist schon besser«, sagte Lucius, während er den Raum betrachtete. »Aber wir brauchen noch etwas Persönliches. Etwas, das Harry das Gefühl gibt, dass es wirklich sein Raum ist.« Severus zog den Plüsch-Hippogreif aus einer der Tüten und legte ihn sorgfältig auf das Bett. Lucius betrachtete das Tier mit einem zufriedenen Lächeln.
»Das ist ein guter Anfang. Aber wir könnten noch ein paar Kleinigkeiten hinzufügen.« Mit einer eleganten Bewegung seines Zauberstabs ließ Lucius ein Regal erscheinen, das bereits mit einer Auswahl an Büchern bestückt war – Abenteuerromane, Kinderklassiker und ein paar Zauberbücher, die für Harrys Alter geeignet waren aus dem Bestand der Malfoys. In einer Ecke des Raumes erschien ein kleiner Sitzsack, der perfekt war, um sich mit einem Buch zurückzuziehen.
»Und das hier«, sagte Lucius und ließ einen Zauber wirken, der kleine, magisch bewegliche Sterne an die Decke zauberte. Sie funkelten sanft und bewegten sich langsam über den Raum. Severus sah sich um, seine Augen glitten über den verwandelten Raum. Es war schlicht, aber warm und einladend. Es fühlte sich nicht mehr wie ein Arbeitszimmer an, sondern wie ein Zuhause – oder zumindest ein Anfang davon.
»Das sollte genügen«, sagte er schließlich, seine Stimme leise. Lucius klopfte ihm auf die Schulter.
»Es ist perfekt, Severus. Harry wird sich hier wohlfühlen.« Severus nickte langsam, doch seine Augen blieben auf dem Plüsch-Hippogreif haften.
»Ich hoffe es«, murmelte er. Lucius lächelte, hob die Taschen mit den übrigen Einkäufen und legte sie in den Schrank.
»Morgen wirst du es herausfinden. Und ich bin sicher, er wird wissen, dass er endlich einen Ort hat, an dem er willkommen ist.« Severus nickte wieder, doch diesmal lag in seinem Blick ein Hauch von Zuversicht.
Severus lag in seinem Bett, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, und starrte an die dunkle Decke seines Schlafzimmers. Der Raum war still, nur das gelegentliche Knarren des alten Hauses durchbrach die Stille. Doch obwohl die Müdigkeit ihn längst hätte überwältigen sollen, fand er keinen Schlaf. Seine Gedanken waren unruhig, und unwillkürlich begann sein Geist, zurückzudriften – zurück in die Schatten seiner eigenen Kindheit. Das Haus war damals kaum anders gewesen, aber in seinen Augen als Kind hatte es größer gewirkt – und viel bedrohlicher. Die Wände schienen die Kälte der ständigen Spannungen zu speichern, und die Luft war erfüllt von einer erdrückenden Schwere. Severus, damals nicht älter als sieben, saß auf dem Boden des Wohnzimmers und hielt ein altes Buch in den Händen, dessen Seiten so abgegriffen waren, dass sie fast durchsichtig wirkten. Lesen war sein Rückzugsort, seine Flucht aus einer Realität, die er kaum ertragen konnte.
»Severus!« Die raue Stimme seines Vaters hallte durch das Haus, und der Junge erstarrte. Er wusste, dass kein Ton seinerseits die Situation verbessern würde, aber auch das Schweigen war gefährlich.
»Severus! Komm hierher!« Tobias Snape stand in der Tür, seine Gestalt dunkel und einschüchternd. Der Geruch von Alkohol hing schwer in der Luft, und die Augen des Mannes waren blutunterlaufen. Severus erhob sich langsam, sein Buch fest an die Brust gedrückt. Er wusste nicht, was er getan hatte – oft war es nicht einmal etwas Konkretes, nur die bloße Tatsache, dass er da war.
»Hast du nicht gehört, wie ich gerufen habe?« Tobias' Stimme war nun ein gefährliches Grollen, und bevor Severus antworten konnte, packte ihn die grobe Hand seines Vaters am Arm. Das Buch fiel zu Boden.
»Du verdammter Nichtsnutz«, zischte Tobias. »Den ganzen Tag tust du nichts, außer da zu sitzen und in deine Bücher zu starren. Glaubst du, das wird dir irgendetwas bringen?« Severus schüttelte stumm den Kopf, seine Lippen pressten sich fest zusammen. Doch sein Schweigen machte Tobias nur wütender.
»Sprich mit mir, wenn ich dich etwas frage!« Tobias' Hand schlug zu, hart und scharf, und der Schlag ließ Severus auf die Knie fallen. Der Schmerz war überwältigend, doch er wagte nicht zu weinen. Weinen machte alles schlimmer. Eileen, seine Mutter, stand in der Küche, ihre Hände zitterten, während sie einen Topf auf den Herd stellte. Sie sah hinüber, ihre Augen voller Schmerz und Schuld, doch sie sagte nichts. Sie tat nie etwas. Später, als Tobias endlich das Haus verlassen hatte, um sich in der Kneipe weiter zu betrinken, kniete Eileen sich zu ihrem Sohn hinunter. Sie strich ihm mit einer zitternden Hand über das Haar, doch ihre Stimme war leer.
»Du musst ihn nicht noch wütender machen, Severus.« Er sagte nichts. Was hätte er auch sagen sollen? Die Lektion, die er gelernt hatte, war einfach: Niemand würde ihn retten.
Zurück in der Gegenwart drehte sich Severus auf die Seite, die Erinnerungen immer noch frisch und schmerzhaft. Sein Blick fiel auf das Fenster, durch das der Mond blass schien. Er dachte an Harry, der im Mungo's lag, ein Kind, das so viel durchgemacht hatte, und doch hatte niemand ihn beschützt – genauso wie damals niemand Severus beschützt hatte. Doch es sollte nicht gleichbleiben. Nicht für Harry. Nicht unter seiner Obhut. Er schloss die Augen, sein Kiefer fest zusammengebissen, während ein leiser Schwur in seinem Geist aufstieg: Harry würde nicht durch dieselbe Hölle gehen wie er. Nie wieder würde er zulassen, dass ein Kind allein durch die Dunkelheit navigieren musste. Mit diesem Gedanken, einem schwachen Funken von Entschlossenheit, der die Schatten seiner Erinnerungen durchdrang, fand Severus schließlich etwas Ruhe.
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