17 - Hoffen und Bangen
Remus Lupin betrat das Krankenzimmer mit leisen Schritten, sein Blick sofort auf das Bett gerichtet. Als er Harry sah, hielt er inne, und sein Gesicht verlor jede Farbe. Es dauerte einen Moment, bis er etwas sagen konnte.
»Merlin ...«, seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Sirius, der neben Severus stand, legte eine Hand auf Remus' Schulter, doch sein eigener Blick war nicht weniger erschüttert.
»Ich weiß«, murmelte er, seine Stimme brüchig. »Das ist ... das ist Harry.« Der Heiler, der Remus begleitet hatte, Heiler Whitlock, trat an die Seite des Bettes und sah die Männer ernst an.
»Es wäre besser, wenn Sie jetzt den Raum verlassen. Ich muss den Jungen untersuchen und sicherstellen, dass sich sein Zustand nicht verschlechtert.« Sirius öffnete den Mund, als wolle er protestieren, doch Remus legte ihm eine Hand auf den Arm.
»Er hat recht«, sagte er leise. »Wir sind ihm hier keine Hilfe.« Severus, der bisher schweigend am Fußende des Bettes gestanden hatte, nickte knapp und machte den ersten Schritt zur Tür. Die anderen folgten ihm, ihre Schritte schwer und langsam.
Draußen blieb Sirius stehen und lehnte sich gegen die Wand, die Hände in die Taschen seines Mantels vergraben. Er wirkte müder, als Severus ihn je gesehen hatte. Remus stand neben ihm, die Stirn in Falten gelegt, während er sich um Elias' kleine Mütze, die er versehentlich mitgenommen hatte, in seiner Hand drehte. Severus verschränkte die Arme und hielt sich bewusst etwas abseits.
»Ich ahnte, dass es schlimm ist«, begann Sirius schließlich, seine Stimme voller Bitterkeit. »Aber das ... das ist ...«, er verstummte und schloss die Augen, als müsse er seine Gedanken ordnen. »Ich hätte mehr tun sollen. Ich hätte James zwingen sollen, mit mir zu reden. Hätte ... irgendetwas machen sollen.«
»Das hätte nichts geändert«, sagte Severus sachlich, doch ohne den üblichen Biss in seiner Stimme. »Potter hat sich entschieden, jede Hilfe abzulehnen. Er hätte euch nie die Wahrheit gesagt.«
»Das macht es nicht besser«, murmelte Sirius. Er wandte sich an Remus. »Wie konnte es so weit kommen, Moony? Wie konnten wir es so weit kommen lassen?« Remus sah auf den Boden, sein Gesicht von Schuld gezeichnet.
»Wir haben ihm vertraut«, sagte er nach einer Weile. »Wir dachten, er würde sich zusammenreißen, zumindest für Harry. Wir haben nicht gesehen, wie tief er gesunken ist.« Severus schnaubte leise.
»Und jetzt sitzt er wahrscheinlich in einer Zelle und denkt immer noch, dass er nichts falsch gemacht hat.« Sirius' Blick wurde hart.
»Das wird er lernen. Das verspreche ich dir.« Dann wandte er sich an Remus. »Hast du mit Molly gesprochen?« Remus nickte.
»Ja. Sie passen auf Elias auf, solange es nötig ist. Arthur war entsetzt, als ich ihm erzählte, was passiert ist. Molly hat sofort zugestimmt, sich um ihn zu kümmern, bis wir wissen, wie es weitergeht.« Sirius nickte langsam, dann blickte er zu Severus.
»Was jetzt, Snape? Was tun wir jetzt?« Severus hielt einen Moment inne, sein Blick richtete sich auf die geschlossene Tür hinter ihnen.
»Wir warten. Und wenn der Junge aufwacht, werden wir dafür sorgen, dass er nie wieder in die Nähe seines Vaters muss«, sagte er, dann starrte die beiden Männer an, sein Gesicht blieb ausdruckslos, doch seine dunklen Augen funkelten vor unterdrückter Emotion.
»Glaubt ihr noch immer, dass ihr nicht in der Lage seid, euch um Harry zu kümmern?«, fragte er langsam, seine Stimme klang ruhig, aber kalt. Sirius zögerte, sein Blick wanderte kurz zu Remus, bevor er antwortete.
»Wir haben uns lange darüber unterhalten«, begann er vorsichtig. »Remus und ich ... wir haben alles bedacht. Und wir stehen immer noch zu unserer Entscheidung.« Severus' Augenbrauen zogen sich zusammen, sein Blick wurde stechend.
»Eure Entscheidung?«, wiederholte er mit einem Hauch von Unglauben. »Trotz allem, was ihr gesehen habt? Trotz seines Zustands?« Remus hob beschwichtigend die Hände, sein Gesicht voller Bedauern.
»Severus, wir wollen Harry helfen, wirklich. Aber es ist nicht so einfach. Elias braucht uns – er ist erst drei Jahre alt. Und wir können nicht beiden Kindern gerecht werden, vor allem nicht, wenn Harry so traumatisiert ist.«
»Traumatisiert?«, wiederholte Severus mit einem kalten Lächeln. »Das ist eine Untertreibung, Lupin. Der Junge ist gebrochen. Er braucht mehr als nur Hilfe – er braucht eine Familie, Stabilität, jemanden, der sich ihm widmet.« Remus nickte langsam, seine Augen waren voller Mitgefühl.
»Und genau deshalb bist du die beste Wahl. Ich habe dir das schon einmal gesagt. Du bist derjenige, der ihn versteht. Du hast schon so viel für ihn getan. Wir können sehen, wie viel er dir bedeutet.« Severus schnaubte leise und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Ihr wollt mir also allen Ernstes aufbürden, mich um den Sohn meines größten Rivalen zu kümmern?«
»Nein«, unterbrach Sirius leise, seine Stimme ungewöhnlich ernst. »Wir bitten dich, dich um ein Kind zu kümmern, das niemanden mehr hat. Das von seinem Vater verraten wurde. Und du bist der Einzige, der Harrys Vertrauen schon hat.« Severus verschränkte die Arme vor der Brust und sah die beiden Männer skeptisch an.
»Ihr habt viel Vertrauen in meine Fähigkeiten, ein Elternteil zu sein«, sagte er mit einem Hauch von Sarkasmus. »Aber ich glaube, ihr unterschätzt, wie wenig Geduld ich für solche ... Verantwortung habe.«
»Das mag sein«, erwiderte Remus ruhig. »Aber die Alternative ist, dass Harry in ein System gerät, das ihn noch mehr zerbrechen könnte. Wenn du ihn nicht aufnimmst, wird das Ministerium entscheiden, was mit ihm geschieht. Und das könnte bedeuten, dass er in ein Waisenhaus kommt oder ... schlimmer noch ... zu einem entfernten Verwandten, der ihn genauso schlecht behandelt wie James.« Sirius sah Severus direkt an, seine Stimme war eindringlich.
»Wir bitten dich nicht leichtfertig, Severus. Aber du bist unsere beste Hoffnung, Harry zu retten.« Severus schloss für einen Moment die Augen, als würde er versuchen, seine Gedanken zu ordnen. Die Worte der beiden Männer hallten in seinem Kopf wider. Er dachte an Harrys zerbrechliche Gestalt, an seine leeren Augen und daran, wie er geschluchzt hatte, als er ihn zuletzt in den Armen gehalten hatte. Das Bild ließ ihn nicht los.
»Ich werde darüber nachdenken«, sagte er schließlich, seine Stimme leise, aber fest. »Aber erwartet nicht, dass ich vorschnelle Entscheidungen treffe.« Sirius und Remus tauschten einen Blick, der eine Mischung aus Hoffnung und Besorgnis ausdrückte. Remus legte eine Hand auf Severus' Schulter.
»Mehr als das erwarten wir nicht, Severus. Aber bitte – denk ernsthaft darüber nach. Harry braucht jemanden wie dich.« Severus nickte knapp, wandte sich dann um und blickte durch das Fenster in den Raum, in dem Harry behandelt wurde. Sein Herz fühlte sich schwer an, doch er wusste, dass er sich dieser Entscheidung bald stellen musste.
Der Halbmond stand hoch am Himmel, und das Zimmer war in ein schwaches, silbernes Licht getaucht. Der Tag war lang und belastend gewesen, doch die Stille der Nacht brachte eine seltsame Art von Frieden. Sirius lag auf einem der zusätzlichen Betten, leise schnarchend, während Harrys Atem ruhig, wenn auch flach, im Raum zu hören war. Remus und Severus saßen nebeneinander auf Stühlen neben Harrys Bett, beide zu wach, um zu schlafen. Severus war in Gedanken versunken, sein Blick wanderte immer wieder zu dem reglosen Jungen im Bett. Harrys blasses Gesicht und die Schatten unter seinen Augen erzählten von einer Geschichte, die selbst in Worten kaum zu ertragen war. Neben ihm saß Remus, der die gleiche Szene mit ernster Miene beobachtete. Schließlich brach er die Stille, seine Stimme war leise, fast ein Flüstern.
»Warum glaubst du«, begann er, ohne den Blick von Harry abzuwenden, »dass du kein Vater sein könntest?« Severus brauchte einen Moment, um die Frage zu verarbeiten. Sein Gesicht war ausdruckslos, doch in seinen Augen blitzte eine Spur von Unruhe auf.
»Weil ich es nicht bin, Lupin«, antwortete er schließlich mit seiner üblichen Knappheit. »Ich bin kein Mensch, der für so etwas gemacht ist. Ich habe ... nichts zu geben.« Remus lächelte schwach, beinahe traurig.
»Das sagen viele, bevor sie es tatsächlich erleben. Wie war es bei dir, als du angefangen hast, zu unterrichten? Hast du das Gefühl gehabt, etwas geben zu können?« Severus sah ihn mit einem misstrauischen Blick an, bevor er zögernd antwortete.
»Das ist nicht dasselbe.«
»Ist es nicht?« Remus drehte sich zu ihm, seine Augen warm und verständnisvoll. »Severus, du hast in diesem Kind etwas gesehen, was andere nicht gesehen haben. Du hast gehandelt, als niemand sonst es getan hat. Vielleicht ist das schon mehr, als du dir selbst zutraust.« Severus schwieg, sein Blick glitt von Remus zu Harry. Schließlich fragte er, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern:
»Wie war es mit Elias? Wie habt ihr ... gewusst, dass ihr das könnt?« Remus hielt inne, und für einen Moment schien er in Erinnerungen zu schwelgen. Er sah zu Sirius hinüber, dessen Gesicht im Schlaf entspannter war, als Remus es in den letzten Tagen gesehen hatte. Schließlich sprach er, seine Stimme war weich und leise.
»Wir hatten ähnliche Bedenken, Sirius und ich«, gab er zu. »Sirius ... nun, er hatte nie einen liebenden Vater. Sein Vater war streng, hart, manchmal grausam. Sirius war überzeugt, dass er dasselbe Schicksal fürchten musste – dass er nicht wissen würde, wie man ein Vater ist. Und ich ...«, er hielt inne, bevor er mit einem leichten Seufzen fortfuhr. »Ich hatte Angst, dass ich versagen würde. Als Werwolf ...«, seine Stimme brach leicht, doch er fuhr unbeirrt fort. »Ich hatte Angst, dass ich nicht genug Kontrolle haben könnte, dass ich ihn gefährden könnte.«
»Aber ihr habt es trotzdem getan«, stellte Severus fest, sein Blick war prüfend. Remus schüttelte den Kopf.
»Nicht ganz. Es war nicht unsere Entscheidung. Es war Elias', so seltsam das klingt.« Severus hob eine Augenbraue, und Remus lächelte schwach, als er weitersprach. »Nach der Explosion ... Sirius war der Erste, der das Haus der Familie erreichte. Elias war ein Baby, kaum ein paar Monate alt. Sirius fand ihn unter Trümmern, lebendig, aber verängstigt. Er nahm ihn auf, um ihn in Sicherheit zu bringen, doch als er ihn an jemanden weitergeben wollte, klammerte sich Elias an Sirius' Roben und weigerte sich, loszulassen.« Severus sagte nichts, doch sein Gesichtsausdruck war nachdenklich, fast melancholisch.
»Das war der Moment, in dem wir es wussten«, schloss Remus leise. »Elias hat uns ausgewählt. Nicht andersherum. Und er hat uns gezeigt, dass wir nicht perfekt sein müssen, um zu lieben und zu beschützen.« Severus senkte den Blick, seine Hände lagen ruhig in seinem Schoß. Remus lehnte sich zurück, sein Blick wieder auf Harry gerichtet.
»Manchmal, Severus, braucht ein Kind nicht den perfekten Vater. Es braucht nur jemanden, der da ist.« Die Worte hallten im Raum wider, und die Stille kehrte zurück. Severus starrte auf den Jungen im Bett, dessen ruhige Atmung ein leises, rhythmisches Geräusch war, das die Nacht erfüllte. Irgendetwas in ihm, ein leises Flüstern in seinem Inneren, sagte ihm, dass Remus recht hatte. Aber war er bereit, das zu akzeptieren?
»Denkst du, er wird das schaffen?«, flüsterte Remus schließlich, seine Stimme kaum mehr als ein Hauch. Severus antwortete nicht sofort. Er betrachtete Harrys blasses Gesicht, die Schatten unter seinen geschlossenen Augen und die dünnen Arme, die leblos auf der Bettdecke lagen.
»Ich weiß es nicht«, sagte er schließlich, ehrlich wie immer. »Er hat schon mehr überlebt, als ein Kind je sollte. Aber ... ich habe Angst, dass er nicht mehr den Willen hat.« Remus nickte langsam.
»Es fühlt sich so an, als hätte er ... aufgegeben«, murmelte er, seine Stimme brach fast. »Und das ist das Schlimmste.« Die Stille zwischen ihnen vertiefte sich. Minuten verstrichen, vielleicht eine Stunde. Die Monitore zeigten weiterhin schwache, aber stabile Werte. Doch dann – plötzlich – ertönte ein schrilles Piepen. Severus und Remus fuhren auf, beide starrten auf die Geräte. Harrys Brust hob und senkte sich nicht mehr. Die Monitore schlugen Alarm, und die Tür flog auf. Heiler Ashford und zwei weitere Heiler stürmten herein, ihre Zauberstäbe bereit.
»Er atmet nicht!«, rief Ashford, ihre Stimme scharf, während sie sich über Harry beugte. »Wir verlieren ihn!« Sirius wachte von dem Lärm auf, sprang vom Bett auf und drückte sich gegen die Wand, sein Gesicht voller Angst. Remus und Severus wurden zur Tür gedrängt, die Heiler arbeiteten mit hektischer Präzision.
»Stabilisieren Sie die Lunge! Achten Sie auf das Herz!«, rief Ashford, während sie mit ihrem Zauberstab über Harrys Brust schwang. Ein anderer Heiler sprach einen belebenden Zauber, doch Harry reagierte nicht. Sein kleiner Körper lag reglos auf dem Bett, und die Monitore zeigten eine gefährliche Stille an.
»Komm schon, Harry!«, murmelte Sirius aus der Ecke des Raumes, seine Stimme war erstickt. »Gib jetzt nicht auf, verdammt!« Remus sah aus, als wolle er etwas sagen, doch seine Stimme versagte. Sein Blick war auf Severus gerichtet, der sich plötzlich von der Wand löste. Mit festen Schritten trat er vor, seine dunklen Augen voller Entschlossenheit.
»Lassen Sie mich durch«, befahl Severus, seine Stimme schnitt durch das Chaos. Ashford warf ihm einen skeptischen Blick zu, doch irgendetwas in seiner Haltung ließ sie beiseitetreten. Severus beugte sich über Harry, sein Gesicht nur Zentimeter von dem des Jungen entfernt. Er legte eine Hand auf Harrys Wange, seine Finger zitterten leicht.
»Harry!«, rief er, seine Stimme war rau und voller Emotionen. »Das reicht jetzt! Du wirst nicht einfach aufgeben, hörst du mich? Du bist stärker als das. Du bist stärker, als dein Vater jemals war!« Harrys Körper blieb reglos, doch Severus ließ nicht nach. Er packte Harrys Schulter, seine Stimme wurde lauter, dringlicher.
»Du wirst nicht sterben, hörst du? Ich werde es nicht zulassen! Du hast Freunde, die auf dich warten. Du hast Menschen, die dich brauchen. Du hast ... mich.« Für einen Moment war alles still. Die Heiler hielten den Atem an, Sirius und Remus standen wie eingefroren, ihre Blicke auf Harry gerichtet. Dann, mit einem keuchenden, ratternden Atemzug, hob sich Harrys Brust. Die Monitore piepten wieder, schwach, aber rhythmisch. Ashford stürzte nach vorne, überprüfte die Werte und sprach einige Zauber, während ein Heiler eine Infusion erneuerte. Severus schloss die Augen und atmete tief aus. Seine Hand ruhte noch immer auf Harrys Schulter, doch sie zitterte merklich.
»Er ist stabil«, sagte Ashford schließlich, ihre Stimme leise, aber erleichtert. »Aber er ist noch lange nicht über den Berg.« Severus nickte stumm und zog sich langsam zurück, seine Beine fühlten sich wie Blei an. Remus legte ihm eine Hand auf die Schulter, seine Augen waren feucht.
»Du hast ihn zurückgeholt«, sagte er leise. Severus schüttelte den Kopf.
»Er hat sich selbst zurückgeholt«, murmelte er. Doch in seinem Inneren wusste er, dass er nie wieder zulassen würde, dass Harry so nah an den Abgrund geriet. Nie wieder.
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Die Spannung im Verhörraum war kaum zu ertragen. James Potter saß steif auf dem schlichten Holzstuhl, die Hände krampften sich um die Armlehnen, während die scharfe Lampe jeden Makel in seinem Gesicht hervorhob. Vor ihm stand Auror Greystone, dessen Gesicht vor Zorn und Enttäuschung wie eine Granitmaske wirkte. Neben ihm schrieb Aurorin Selwyn fieberhaft Notizen, doch ihre Hände zitterten dabei, und die Trauer in ihren Augen war nicht zu übersehen. Dies war kein gewöhnlicher Fall. James Potter war ihr Chef, der Mann, der sie jahrelang angeleitet hatte. Der Mann, der unermüdlich predigte, dass Gerechtigkeit und Schutz der Unschuldigen über allem stehen mussten. Und jetzt saß er hier – ein Mann, den sie für einen Helden gehalten hatten, entlarvt als jemand, der die grundlegenden Prinzipien des Gesetzes verraten hatte. Greystone begann mit einer Stimme, die kaum seine aufkochenden Emotionen unterdrücken konnte: »Mr. Potter, wir haben schwerwiegende Anschuldigungen gegen Sie. Und wir haben mehr als genug Beweise. Für jemanden, der uns immer wieder gepredigt hat, wie wichtig Ehrlichkeit ist, rate ich Ihnen, jetzt die Wahrheit zu sagen.« James lehnte sich zurück, ein spöttisches Lächeln auf seinen Lippen.
»Anschuldigungen? Ich bin ein angesehener Auror – euer Chef, Greystone. Es ist absurd, dass ich mich hier rechtfertigen muss.« Greystone presste die Kiefer so fest zusammen, dass die Muskeln an seinen Schläfen zuckten. Ohne ein weiteres Wort gab er dem Verhörspezialisten ein Zeichen, der ein Fläschchen Veritaserum aus seiner Tasche zog.
»Wenn Sie die Wahrheit nicht freiwillig sagen wollen, dann werden wir sie erzwingen.« Das Serum wurde ihm eingeflößt, bevor James auch nur reagieren konnte. Seine Hände krampften sich für einen Moment um die Armlehnen, bevor sich sein Körper entspannte. Der glasige Ausdruck in seinen Augen verriet, dass das Serum wirkte.
»Wie ist Ihr voller Name?«, begann Greystone, seine Stimme schneidend.
»James Fleamont Potter«, antwortete James mechanisch. Greystone nickte knapp.
»Gut. Dann zu den wichtigen Fragen. Haben Sie Ihren Sohn, Harry James Potter, misshandelt?« James' Augen flackerten, als würde er kämpfen, doch die Wahrheit brach sich ihren Weg: »Ja.« Selwyns Feder kratzte laut auf dem Pergament, aber ihre sonst so feste Haltung drohte unter den Worten zu zerbrechen. Greystone, der immer für seine stoische Gelassenheit bekannt war, rieb sich kurz mit einer zitternden Hand über das Gesicht, bevor er weitersprach.
»Seit wann?«, fragte er mit scharfer Stimme. »Wann haben Sie begonnen, Ihren eigenen Sohn zu misshandeln?« James zögerte, aber das Veritaserum ließ keine Lügen zu.
»Ich ... weiß es nicht mehr genau. Es war von Anfang an ... immer, wenn ich getrunken hatte.« Greystone holte tief Luft, als versuchte er, seinen aufkochenden Zorn zu kontrollieren. Doch die Worte der Heiler, die sie erst vor wenigen Stunden gelesen hatten, hallten in seinem Kopf wider: Die Untersuchung zeigt deutliche Hinweise auf systematische Misshandlung und Vernachlässigung seit frühester Kindheit. Zahlreiche alte und neue Verletzungen sowie Narben unterschiedlicher Heilungsstadien belegen wiederholte physische Gewalt. Zudem weist der Patient Anzeichen chronischer Unterversorgung und fehlender medizinischer Behandlung auf. Selwyn unterbrach plötzlich, ihre Stimme bebte vor unterdrücktem Schmerz.
»Jam- ... Mr. Potter, wie erklären Sie sich die Berichte der Heiler? Narben, die auf wiederholte körperliche Gewalt hindeuten. Unterernährung. Fehlende medizinische Versorgung. Sie haben ihn nicht nur geschlagen, Sie haben ihn hungern lassen, ihn ignoriert. Ein Kind! Ihr Kind! Wie können Sie das rechtfertigen?« James' Gesicht blieb ausdruckslos, als er antwortete: »Ich ... ich habe es nicht für notwendig gehalten. Es war keine Bosheit. Es war ... Gleichgültigkeit.« Selwyns Feder fiel mit einem lauten Klirren zu Boden. Sie starrte James an, und Tränen glitzerten in ihren Augen, doch ihre Stimme war eisig.
»Gleichgültigkeit? Ein Kind, das bei einem Angriff Halbwaise wurde, und das Einzige, was Sie ihm geben konnten, war Gleichgültigkeit? Wissen Sie überhaupt, was Sie ihm angetan haben? Die Heiler glauben nicht, dass er jemals vollständig heilen wird – weder körperlich noch seelisch.« Greystone, der bisher versucht hatte, sich zu beherrschen, beugte sich plötzlich nach vorne, seine Augen voll brennendem Zorn.
»Was ist letzte Nacht passiert, Potter? Wie kam es dazu, dass Ihr Sohn jetzt im St. Mungo's um sein Leben kämpft? Wie erklären Sie, dass ein Kind mit einem Schädelbruch, gebrochenen Rippen und tiefen Wunden von Schlägen, vor Professor Snapes Haustür lag?« James schüttelte langsam den Kopf.
»Ich ... ich weiß es nicht. Ich war betrunken. Ich erinnere mich nur, dass ich ... wütend war.«
»Wütend?«, donnerte Greystone. »Wütend auf ein Kind, das nichts anderes getan hat, als zu überleben? Wütend, weil er es wagte zu existieren?« James sah zu Boden, seine Schultern sanken. Doch als er sprach, waren seine Worte wie ein Dolch.
»Er ist schuld. Er ist schuld an Lilys Tod.« Die Stille im Raum war ohrenbetäubend. Selwyn presste die Hände auf den Tisch, ihre Knöchel weiß vor Anspannung. Greystone schloss die Augen für einen Moment, als würde er beten, dass er sich verhört hatte. Doch als er sprach, bebte seine Stimme vor Abscheu.
»Sie geben Ihrem Sohn die Schuld am Tod seiner Mutter? Sie, der Mann, der uns über Verantwortung und Gerechtigkeit belehrt hat, machen ein Kind für etwas verantwortlich, das außerhalb seiner Kontrolle lag?« James antwortete nicht. Die Wahrheit hatte ihn entblößt, aber in seinem Gesicht war keine Reue zu erkennen. Greystone richtete sich auf, sein Blick war so scharf wie ein Messer.
»Das hier war nicht nur ein Verhör, Potter. Es war ein Tribunal. Und Sie haben sich selbst überführt. Sie haben Ihren Sohn verraten, und Sie haben alles verraten, wofür dieses Büro steht. Möge Merlin mit Ihnen gnädig sein – denn niemand hier wird es sein.« Er drehte sich abrupt um und verließ den Raum. Hinter der Glasscheibe war die Fassungslosigkeit der beobachtenden Auroren deutlich zu erkennen. Aurorin Selwyn holte tief Luft und schrieb die letzten Worte mit einer so festen Hand nieder, dass die Feder riss.
»Bringt ihn weg«, sagte sie schließlich, ihre Stimme klang wie ein Grabstein, der auf das Urteil fiel. »Es gibt nichts mehr zu sagen.«
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